Zeitschrift

TEC21 2008|40
Im Sog der Autobahn
TEC21 2008|40
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zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Flama West Zürich

Im Mai 2009 wird die Westumfahrung Zürich mit dem Üetlibergtunnel eröffnet. Der Transitverkehr durch die Stadt nimmt ab. Dadurch kann ein Ast der Westtangente verschwinden, der «provisorischen Stadtautobahn», die seit 40 Jahren das Quartier Sihlfeld zerschneidet. Im Rahmen der flankierenden Massnahmen (FlaMa West) werden Bullinger-, Sihlfeld- und Weststrasse zurückgebaut; der gesamte Verkehr wird auf der Seebahnstrasse geführt.

29. September 2008 - Daniela Dietsche
Die Zürcher Strassenplanung der 1950er-Jahre sah vor, drei Autobahnen bis ins Stadtzentrum zu führen und am Platzspitz zu verknüpfen. Das «Expressstrassen-Ypsilon» erwies sich aber als technisch, finanziell und politisch nicht realisierbar.[1] Den wachsenden Verkehr zu bewältigen wurde zur wichtigsten Aufgabe Zürichs.

Der Stadtrat berief den Architekten und Planer Hans Marti als Delegierten für Stadtplanung. Marti hatte als Redaktor dieser Zeitschrift unter dem Titel «Machen Sie diesen Blödsinn nicht» das Ypsilon grundsätzlich kritisiert.[2] Es gelang ihm, die politische Blockade zu lösen: Als provisorische Nord-Süd-Verbindung wurden Anfang der 1970er-Jahre bestehende Strassenzüge zur «Westtangente» ausgebaut. Sie besteht aus zwei zweispurigen Ästen mit Einbahnverkehr (Bild 2). Einer davon wird nun zurückgebaut – das Wohnquartier kann nach 40 Jahren etwas aufatmen.

Flankierende Massnahmen Westumfahrung Zürich

Die neue Hochleistungsstrasse entlastet mehrere Agglomerationsgemeinden und die Stadt Zürich vom Durchgangsverkehr. Es entsteht mehr attraktiver öffentlicher Raum. Flankierende Massnahmen (FlaMa West) greifen punktuell in das regionale Verkehrssystem ein, um den Transitverkehr umzulagern und den innerstädtischen Verkehr zu kanalisieren. Lichtsignalanlagen an den Haupteinfallsachsen in die Stadt werden den Verkehrsfluss dosieren und den Transitverkehr auf die Autobahn lenken. Das bringt die nötige Entlastung, um Stadträume gestalterisch aufwerten zu können.

Auf dem Strassenzug Bullingerstrasse–Sihlfeldstrasse–Weststrasse fahren heute pro Tag ca. 23 000 Fahrzeuge, und der Lärmalarmwert von 70 dB wird permanent überschritten. Nachts schützt ein Fahrverbot die Anwohner der Weststrasse ab der Badenerstrasse, der Verkehr wird jedoch durch andere Stadtteile geleitet.

Die künftigen Verkehrsmengen und die Dimension der Strassenabschnitte wurden mit Verkehrsmodellen berechnet. Diese basieren auf den Spitzenstundenverkehrsaufkommen am Morgen und am Abend im Prognosejahr 2010. Entscheidenden Einfluss hatte auch die Vorgabe, den öffentlichen Verkehr zu bevorzugen und die Situation für Fussgängerinnen und Velofahrer zu verbessern. Es wird davon ausgegangen, dass dank der Autobahn und den flankierenden Massnahmen der Verkehr auf der Bullinger-, West- und Sihlfeldstrasse bis 2012 stark abnimmt. Auf der Seebahnstrasse dagegen wird der Verkehr – und die damit verbundenen Lärm- und Luftemissionen – durch die neue Verkehrsführung zunehmen (Bild 3).

Stadträume gestalten

Mit der Strategie «Stadträume 2010»[3] möchte die Stadt Zürich den Stadtraum wieder stärker als Lebensraum nutzen und eine ruhige, elegante Gestaltungssprache als Standard etablieren. Grundlage der Strategie ist ein hierarchisch angelegter Plan, der die Stadträume in quartier-, stadt- oder landesweit bedeutsame Zonen einteilt. So wird heute die Sihlfeldstrasse als quartierweit oder der Bullingerplatz als stadtweit bedeutender Raum eingestuft. Die Strategie enthält ideale Gestaltungsstandards, denen sich die Gestaltung im gewachsenen Stadtraum nur annähern kann. «Stadträume 2010» war während der Projektierung der flankierenden Massnahmen zwar erst in Bearbeitung – Siedlungs-, Verkehrs- und Umweltplaner sowie die beteiligten Dienstabteilungen der Stadtverwaltung (siehe Kasten «Projektbeteiligte ») arbeiteten jedoch Gestaltungspläne aus, die auf Grundzügen der Strategie basieren.

Die Projektverantwortlichen verzichteten auf Gestaltungswettbewerbe. Dies um – nach Aussage des Tiefbauamtes – ein einheitliches Bild zu erreichen, die zeitlichen Vorgaben einhalten zu können und mögliche Mehrkosten zu vermeiden.

Seebahnstrasse: Rückgrat der Quartiererschliessung

Dass auf der Seebahnstrasse einmal Gegenverkehr eingerichtet werden sollte, war schon bei der Eröffnung der Westtangente in den 1970er-Jahren vorgesehen und ist seit damals so in den Richtplanungen festgelegt. Auf der Seebahnstrasse kann die heutige Strassenbreite allerdings nicht reduziert werden. Die künftig durchgängig zweistreifige Strasse wird weiterhin mit rund 30 000 Fahrzeugen pro Tag belastet sein. Sie wird als Rückgrat für die Erschliessung der umliegenden Quartiere dienen. Bei ihrer Planung standen die Kapazität und die Sicherstellung des Verkehrsflusses im Vordergrund. Durch Abbiegespuren im Kreuzungsbereich variiert die Strassenbreite stark, dem wird gestalterisch je nach Breitenbedarf mit einer überfahrbaren Mittelzone begegnet. Sie kann von Einsatzfahrzeugen der Feuerwehr und der Rettung überfahren werden.

Weststrasse: Raum für Gestaltung

Bullinger-, Sihlfeld- und Weststrasse werden zu Quartierstrassen mit Tempo 30 abklassiert und zurückgebaut. Hier konnte die Gestaltung weitgehend losgelöst von technischen Randbedingungen erfolgen. Die Strassenprofile können verschmälert werden unter Berücksichtigung künftig möglicher Verkehrsorganisationen wie Gegenverkehr, Einbahnverkehr, wechselseitige Parkierung oder Platzgestaltungen. An Kreuzungen mit Hauptachsen führen Niveausprünge teilweise zu einer «Verinselung» des Stadtraums. Die Trottoirabsätze werden aber gebraucht, um die Verkehrsarten zu trennen und die Sicherheit zu gewährleisten. So oft wie möglich wird das Niveau der Strasse dem des Trottoirs angepasst, um ein einheitliches Bild zu schaffen und die Dominanz des Strassenraums zu brechen. Zur optischen Aufwertung werden Bäume gepflanzt. Der Veloverkehr wird durchgängig auf der Fahrbahn geführt. Für den Individualverkehr werden Sperren eingebaut, um den Schleichverkehr aus dem Quartier zu verbannen. Die Ausgestaltung der Strassen ist genügend flexibel, um das Regime künftig anpassen zu können. Durch den vergleichsweise schmalen Querschnitt werden Baumpflanzungen möglich, ohne dass der Mindestabstand von 5 m zu den Gebäuden unterschritten wird. Aufgrund zu geringer Gebäudeabstände und der Lage der Werkleitungen sind Pflanzungen jedoch nicht auf der ganzen Länge möglich.

Insgesamt müssen 120 Parkplätze im öffentlichen Raum aufgehoben werden. Die Liegenschaftsbesitzer werden verpflichtet, vermehrt Parkplätze auf dem Privatareal zur Verfügung zu stellen.

Leben ins Sihlfeld

Wie gut die Massnahmen greifen, der Verkehr fliessen und ruhige, sichere, für den Durchgangsverkehr uninteressante Wohnquartiere entstehen werden, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Die Entlastung wird ab Mai 2009 spürbar sein, dann werden die Baustellen eingerichtet. Dabei bleibt der Verkehr zunächst noch je einstreifig auf beiden Ästen der Westtangente. Der Umbau der Seebahnstrasse für den Gegenverkehr wird voraussichtlich im Sommer 2010 beendet sein. Anschliessend wird der gesamte Verkehr auf die Seebahnstrasse verlegt, und der Rückbau des abklassierten Astes beginnt. Diese Arbeiten dauern voraussichtlich bis 2012.

Anmerkungen:
[1] Jean-Daniel Blanc: Die Stadt – ein Verkehrshindernis. Chronos Verlag Zürich, 1993
[2] Schweizerische Bauzeitung, Vol. 79 (1961): «Machen Sie diesen Blödsinn nicht», Seite 327
[3] Stadt Zürich: «Stadträume 2010», Strategie für die Gestaltung von Zürichs öff entlichem Raum, 2006
[4] Ingenieurgemeinschaft HMM: Technischer Bericht, Bauprojekt FlaMa West N4/N20 Westumfahrung,2006

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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