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TEC21 2008|42-43
Literatur + Architektur
TEC21 2008|42-43
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Wörtergarten

Schriftsteller wie Plinius der Ältere und der Jüngere, Johann Wolfgang von Goethe oder Vita Sackville-West haben ihrer Liebe zu den Pflanzen und zum Artefakt Garten mit Worten Denkmäler gesetzt. Diese Texte haben den Garten im europäischen Raum[1] als Kulturgut etabliert. Eines der poetischsten Beispiele unserer Zeit für das Sprechen über den Garten ist das Buch des Filmemachers Derek Jarman[2] über seinen eigenen Garten[3] in Dungeness. Jarman hat in den acht Jahren vor seinem Tod in Dungeness, einer wüstenhaften Gegend an der Südküste von Kent, einen Garten geschaffen, der heute jedes Jahr von einer Viertelmillion Menschen besucht und bewundert wird. Sein Buch hat den Ruf der kleinen Anlage in der ganzen Welt verbreitet.

20. Oktober 2008 - Hansjörg Gadient
Die Form des Buches ist banal: ein Gartentagebuch. Sein Inhalt ist weit mehr, nicht nur eine Sammlung von Beobachtungen und Reflexionen über den Garten und seine Kultur, sondern auch ein Buch über Sterben, Vergänglichkeit und Transzendenz. Jarman hat die Fischerkate namens «Prospect Cottage» 1987 am Strand von Dungeness in Kent entdeckt und gekauft. Noch im selben Jahr lässt er sich auf HIV testen und erfährt, dass er positiv ist, ein Todesurteil ohne Datum. Trotzdem renoviert er das Häuschen und beginnt, einen Garten anzulegen. Seine Diagnose treibt ihn zuerst in eine Depression, nach einer Phase von Rückzug, Wut und Trauer beginnt er wieder zu arbeiten. In schneller Folge nutzt er die verbleibende Zeit, um die eindringlichsten und besten seiner Filme fertigzustellen: «Eduard II», «Wittgenstein», «Blue» und «The Garden».

Und er beginnt sein Gartentagebuch. Es fängt an mit Erinnerungen. Schon als Kind konnte er sich einfach eine Pflanze ansehen. Gegen Ende seines Gartentagebuchs beschreibt er sich selbst: «Ich kann eine Stunde lang eine Pflanze anschauen, das gibt mir Frieden. Ich stehe bewegungslos und starre.»[4]

Erinnerungen lassen ihn bestimmte Pflanzen im Garten ansiedeln: Die Farbe Rot hat einen Geruch, den des rot blühenden Storchenschnabels. Baldrian ist eine sexy Pflanze, weil sie ihn an seinen ersten Liebhaber erinnert, den Flieger Johnny, der ihn auf seinem Motorrad in den verwilderten Garten am Stadtrand mit seinem blühenden Baldrian entführt hatte. Zu Beginn spielen Pflanzen nur Nebenrollen. Das Grundstück liegt zwischen dem Strand und dem ausgedehnten Naturschutzgebiet der Halbinsel Dungeness, der grössten Kiesfläche der Welt. «Diese Landschaft ist wie das Gesicht, das man übersieht, das Gesicht eines Engels mit einem Grinsen.»[5] Der karge Untergrund und die mit Salzgischt geladenen Ostwinde unterdrücken jedes Höhenwachstum. Bäume gibt es keine, Büsche werden nur hüfthoch: Stech- und Besenginster.

Das Fischerhäuschen steht in einer Fläche von rosa-ockerfarbenem und grauem Kies. Jarman beginnt seine langen Spaziergänge am Strand und bringt jedes Mal aussergewöhnliche Steine zum Haus. Sie sind grösser oder farbiger als die gewöhnlichen, oder sie sind aus besonderem Material wie Feuerstein. Damit formt er in der Kiesfläche Beete, Rechtecke und Kreise. Er stellt die Steine vom Strand aufrecht. So beginnt sein Garten. «Die Steine, vor allem die Kreise, erinnern mich an Dolmen, stehende Steine. Sie haben dieselbe rätselhafte Anziehungskraft. – Ich habe alle geheimnisvollen Bücher über Erdlinien und Kreise gelesen. Ich habe die Kreise mit diesem Wissen im Hinterkopf gebaut.»[6] In einer Landschaft ohne Vertikalen ist schon ein aufgestellter Stein ein Zeichen für Menschenwerk. Jarman ist sich dessen bewusst. Später legt er auch Kreise aus dem gelb blühenden Stechginster an, in deren Mitte er Treibgutpfähle aufrichtet wie Totems.

Gethsemane und Eden Dem Rechteck und dem Steinkreis folgen weitere geometrische Figuren auf der Eingangsseite und auf der Westseite des Hauses. Die Frontseite sei «formal», also geometrisch, die Rückseite dagegen zufällig. Jarman kennt die englische Gartengeschichte gut und bezieht sich mit den beiden unterschiedlichen Gartenteilen darauf. Er will keinen «manikürten» Garten, er will einen struppigen, in dem die Pflanzen üppig ineinander übergehen. «Wenn ein Garten nicht struppig ist, kann man ihn vergessen.»[7] Struppig ist in seinem eigenen Garten vor allem die Rückseite, wo der Zufall herrscht. Hier sammelt er Strandgut und stellt es auf: Holzpfähle, verrostete Schiffsteile, Bojen und viele andere Objekte, die er reizvoll findet. Begonnen hat diese Sammlung mit einem rostigen Stab, den er als Stütze für eine Hundrose einsteckte. Zwischen diese malerischen Objekte setzt er seine Lieblingspflanzen.

Im Buch reiht er ihre Namen zu Gedichten: «Thyme and oregano, hyssop, lavender, rue, fennel and rosemary, caraway, artemisia, pinks, a few sweet peas, night-scented stock, rows of lamb’s tongue, purslane, peas, radish, onion, lettuce, spinach and purple rock.»[8] Immer wieder nennt und beschreibt er einzelne davon wie Kostbarkeiten, den Meerkohl (crambe maritima) zum Beispiel. Er schildert, wie im März die ersten Sprossen von tintenlila Farbe aus dem ockerfarbenen Kies hervorstossen, wie die Blätter sich ausbreiten und alle Tönungen von Graugrün annehmen, wie im Juni über der Blattrosette ein Schleier feiner weisser Blüten schwebt und wie daraus im Herbst der Samenstand mit seinen sandfarbenen Kügelchen wird. Im Spätherbst endlich faulen und verfallen die Blätter; die Pflanze hat sich zum Überwintern in die Erde zurückgezogen. Zum Zeitpunkt, als Jarman diesen Lebenszyklus beschreibt, ist er bereits krank. Viele seiner Freunde sind an Aids gestorben, und er weiss, dass es auch für ihn keine Heilung geben wird. Sein Schreiben wird zunehmend düster, und die Realität des Sterbens nimmt immer mehr Raum ein. Die Sprache wird reduzierter und poetischer, bis die Prosa ganz von langen Gedichten verdrängt wird – Verse, in denen Jarman verschiedenste Reflexionen collagiert: Beobachtungen im Garten, Erinnerungen an Erlebnisse, Philosophisches zu Zeit und Endlichkeit, Klagen über seine Krankheit und Liebeserklärungen an seine Muse Tilda Swinton und seinen Freund Keith. In alles mischt sich die Kälte als Metapher für Sterben und Tod. Der Refrain eines der Gedichte ist: «Kalt, kalt, kalt. Sie sterben so still.»[9]

Während er schwächer wird, wird der Garten immer schöner, karg und üppig zugleich. «Die Stürme haben salzige Tränen hergeweht, meinen Garten verbrannt, Gethsemane und Eden.»[10] Jarman erblindet langsam, und die Infektion schwächt ihn immer mehr. Mit dem Gedanken an Sterben und Tod wird alles wichtig, was dieses Sterben transzendiert. Es ist nicht der Nachruhm, an den Jarman nicht glaubt und den er nicht will. Er glaubt an die Liebe. Ein Freund hilft ihm, auf der Westfassade des Hauses das Gedicht «The Sunne Rising» von John Donne11 anzubringen. In schwarzen, aus Sperrholz ausgeschnittenen Buchstaben stehen dort die Zeilen, in denen unbekannte Liebende die aufgehende Sonne beschimpfen, weil sie sie im Bett aufscheucht. Die Liebe aber kenne keine Stunden, Tage oder Monate, diese Fetzen von Zeit.[12]

Jarmans verbleibender Fetzen dieser Zeit ist kurz. Noch kann er Filme realisieren. Einer davon ist «The Garden»[13], von dem er viele Teile im Garten und am Strand dreht. Auch hier verwebt er Themen des Gartens mit anderen Aspekten seines Lebens und seiner Überzeugungen, mit religiösen Anspielungen, dem Kampf gegen Aids und und immer wieder seine Muse, Tilda Swinton. Vieles mutet an wie ein Traum, anderes hat den Charakter von Super-8- Heimkino. Heute wirkt «The Garden» fast historisch, ein Dokument für die Experimentierlust der 1980er- und 1990er-Jahre des unabhängigen Kinos in England.

Ganz anders dagegen das Buch über den Garten. Hier hat Jarman eine Sprache gefunden, die noch immer gegenwärtig wirkt, dank ihrer poetischen Kraft und ihrer Direktheit. Das Buch wird noch lange von der Schönheit des Gartens sprechen, wenn es ihn selbst längst nicht mehr geben wird.

Anmerkungen
[1] Eine weit reichere Kultur der literarischen Beschäftigung mit dem Garten hat China. Gelehrte und Dichter beschäftigten sich gleichermassen mit Poesie, Kalligrafie, Gärten und Steinen
[2] Derek Jarman, 1942–1994. Die Kunsthalle Zürich zeigt bis 2.11. eine Ausstellung: Derek Jarman. Brutal Beauty. Kuratiert von Isaac Julien
[3] Derek Jarmans Garden. London 1995, ISBN 0-500-01656-9. Die deutsche Ausgabe, «Derek Jarmans Garten», gibt es nur noch antiquarisch
[4] «I can look at one plant for an hour, this brings me great peace. I stand motionless and stare.» In: Derek Jarmans Garden, S. 57
[5] «This landscape is like the face you overlook, the face of an angel with a naughty smile.» Ibid. S. 118
[6] «The stones, especially the circles, remind me of dolmens, standing stones. They have the same mysterious power to attract.» S. 24. «I have read all the mystical books about ley lines and circles – I built the circles with this behind my mind.» Ibid. S. 47
[7] «If a garden is not shaggy, forget it.» Ibid. S. 41
[8] Ibid. S. 57
[9] «Cold cold cold, they die so silently.» Ibid. S. 81
[10] «The storms have blown salt tears, burning my garden, Gethsemane and Eden.» Ibid. S. 82
[11] John Donne, 1572–1631. Bedeutendster der «Metaphysical Poets»
[12] «Love, all alike, no season knowes, nor clyme, nor houres, dayes, moneths, which are the rags of time... » Jarman, S. 117 13 Der Film ist als DVD erhältlich: «Derek Jarman. The Garden»

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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