Zeitschrift

TEC21 2008|44
Augusta Raurica
TEC21 2008|44
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Das Wertvollste sieht man nicht

Im 16. Jahrhundert begann man in Augst im Kanton Basel-Landschaft erstmals, die Römerstadt Augusta Raurica zu erforschen. Das Interesse an den römischen Ruinen und Fundgegenständen wurde in der Romantik wiederbelebt. Bis heute ist die archäologische Forschung das Kerngeschäft der Römerstadt. Doch auch die zeitgemässe Kulturvermittlung gehört zu ihren Aufgaben.

27. Oktober 2008
Im 16. Jahrhundert begann man in Augst im Kanton Basel-Landschaft erstmals, die Römerstadt Augusta Raurica zu erforschen. Das Interesse an den römischen Ruinen und Fundgegenständen wurde in der Romantik wiederbelebt. Bis heute ist die archäologische Forschung das Kerngeschäft der Römerstadt. Doch auch die zeitgemässe Kulturvermittlung gehört zu ihren Aufgaben. Seit der Zeit der Basler Humanisten im späten 16. Jahrhundert wird Augusta Raurica erforscht. Die ersten Grabungen im Theater mit ihrer pionierhaften Dokumentation gelten als die frühesten wissenschaftlichen Untersuchungen in der Archäologie nördlich der Alpen. Die Monumente der 10 km östlich von Basel am Rhein gelegenen Stadt sind aber grösstenteils im Boden verborgen. Auch wenn die öffentlichen Bauten wie Theater und Tempel in der Frühzeit der Erforschung im Zentrum des frisch geweckten Interesses standen, weisen sie nicht jenen Erhaltungszustand auf, den wir als staunende Mittelmeertouristen gerne bewundern. Einzig das renovierte Theater gilt als das besterhaltene Römertheater nördlich von Italien.

In den letzten 80 Jahren hat sich das Forscherinteresse zwangsläufig von den öffentlichen, oft monumentalen Bauten in Richtung der einfachen Wohn- und Handwerkerquartiere verlagert. Grund dafür war die bauliche Entwicklung in Augst und Kaiseraugst: Notfallmässig gegraben wurde, wo Neubauten geplant waren. Noch ist nicht der ganze antike Stadtperimeter von 107 ha zerstört und modern überbaut. Das neue Archäologiegesetz und das Raumplanungsprojekt «Salina Raurica» werden das auch in Zukunft verhindern. Zumindest auf Baselbieter Boden ist im Bereich der römischen Oberstadt keine weitere Wohnraumerschliessung auf Kosten des archäologischen Erbes vorgesehen.

Bestens erhaltene Römerstadt: Weltkulturerbe?

Was sich von den zentralen antiken Quartieren rings um das moderne Augster «Oberdorf» bis heute noch im Boden erhalten hat, ist in seiner horizontalen und vertikalen Ausdehnung einzigartig: Schichtpakete bis zu 5 m Gesamtmächtigkeit zeugen von einer 400-jährigen Besiedlungsabfolge. Die ausgedehnten, nie modern überbauten Römerstätten in Nordafrika und im Orient sind oberflächlich zwar besser erhalten als Augusta Raurica; mangels Planierung und landwirtschaftlicher Erschliessung sind ihre Baureste kaum mit Humus überdeckt. Was die archäologischen Bodenzeugnisse von Augst aber einmalig macht, sind die lange, kontinuierliche Siedlungsgeschichte und die unzähligen Umbauten, Hausbrände oder Stadterweiterungen. Fast alles, was die 15 000 bis 20 000 Bewohnerinnen und Bewohner in ihrer Stadt liegen gelassen haben, ist heute in einer faszinierenden Stratigrafie Schicht für Schicht abgelagert – genau dort, wo die Gefässe in Bruch gingen, die Münzen verloren gingen oder die Hausmauern eingerissen wurden.

Kerngeschäft archäologische Forschung

Die Nachkommen der Basler Humanisten sorgten seit 1937 dafür, dass kaum mehr ein Haus in Augst erbaut werden konnte, ohne dass zuvor eine archäologische Rettungsgrabung durchgeführt worden wäre. Bis 1935 besorgte dies sporadisch die Historische und Antiquarische Gesellschaft zu Basel, danach viel gezielter die neu gegründete Stiftung Pro Augusta Raurica. Ab 1975 übernahm der Kanton Basel-Landschaft mit einem historischen «Römervertrag» Federführung, Finanzierung und Verantwortung für die römische Stadt. Heute ist «Augusta Raurica» ein Betrieb mit 60 Mitarbeitenden der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion des Kantons Basel-Landschaft.

Die archäologische Forschung ist die wichtigste Tätigkeit. Die Grabungen der letzten Jahrzehnte haben eine gute wissenschaftliche Ausgangslage geschaffen: Alle Grabungsdokumente und Funde sind zentral vor Ort für die Forschung greifbar. Das ist selten, denn die archäologischen Objekte und Dokumentationen von Rom, Pompeji, Pergamon oder Karthago sind unvollständig und häufig weltweit verstreut. Augusta Raurica ist ein Dorado für die hier tätigen Archäologinnen und Archäologen, aber auch für die Universitäten. In den letzten 25 Jahren sind zwei Habilitationsarbeiten, 20 Dissertationen, 30 Lizenziats- und Masterarbeiten und weitere 30 Auftragsarbeiten in und über Augusta Raurica geschrieben worden.

1,6 Millionen Funde - „versteckt“ in Museumsdepots

Diese ideale Basis äussert sich in den Zahlen publizierter Fundgattungen. Bisher sind an keinem anderen Römer-Fundort ähnlich grosse Serien ausgewertet und der Forschung zur Verfügung gestellt worden. Von den rund 25 000 römischen Münzen aus Augst und Kaiseraugst sind die 7500 Altfunde (bis 1972) restauriert, numismatisch bestimmt, ausgewertet und publiziert (1996). Eine viel beachtete Dissertation («Die römischen Gläser aus Augst und Kaiseraugst») über die Glasfunde aus Augusta Raurica umfasst 5100 Katalognummern (1991), eine ebenso oft in der internationalen Forschung zitierte Monografie («Die Amphoren aus Augst und Kaiseraugst») über die 5800 Amphorenfunde aus Augusta Raurica (1987/ 1994) ist gleichermassen zum Standardwerk geworden. Eine ähnlich dominante Rolle spielen die 3000 Fibeln (1979/1994) und die 1500 Schreibgriffel (2009) sowie einige andere Fundgattungen.

Solche Funde und die auf den Ausgrabungen freigelegten archäologischen Strukturen sind die «Beweise» der Archäologen, die ihnen erlauben, mit kriminalistischen Methoden wissenschaftliche «Indizienprozesse» zu führen und auf diese Weise grosse und kleine, persönliche und generelle «Geschichten» zu rekonstruieren. Von den derzeit 1.6 Millionen Funden aus Augusta Raurica sind heute nur 0.01 % ausgestellt. Für Highlights wie Mosaiken, kaiserliche Reiterstatuen und den Silberschatz ist kaum Platz vorhanden. Konzepte für ihre Präsentation sind hingegen längst vorhanden. Die von der Forschung erarbeiteten Erkenntnisse sind von den Bildungs- und Vermittlungsfachleuten in zahlreichen konkreten «Geschichten» zur antiken Kultur in Augusta Raurica aufbereitet worden. Diese stehen bereit und sollen in den nächsten Jahren bzw. Jahrzehnten den Besuchern vorgestellt werden, wenn dereinst in einem neuen Museum den Restauratoren zugeschaut werden kann, die Funddepots besichtigt und Bezüge zwischen Fundort im Gelände und Objekt im Museum hergestellt werden können.

Graben „auf Teufel komm raus“?

Archäologinnen und Archäologen werden immer wieder gefragt, wo weitergegraben würde und was man als Nächstes freilegen wolle. Seit mindestens einer Generation hat in der Forschung diesbezüglich ein Umdenken stattgefunden: Man ist sich heute bewusst, dass archäologische Objekte im Boden besser gegen Korrosion und Zerfall konserviert sind als im besteingerichteten Museum, und musste erkennen, dass jede Ausgrabungs- und Dokumentationsmethode verbesserungsfähig ist. Deshalb wird angestrebt, dass das, was 2000 Jahre überdauert hat, der Allgemeinheit für künftige Generationen zu bewahren sei und nicht kurzfristigen Interessen geopfert werden sollte. Es kommt auch günstiger, denn «kaufen ist billiger als graben» (Votum im basellandschaftlichen Parlament), und so hat der Kanton für knapp 20 Mio. Fr. das zu schützende Römerstadtgebiet in der Bauzone erworben und damit Notgrabungskosten von rund 200 Mio. Fr. verhindert.

Für den grundlegenden nachhaltigen Kulturgüterschutz bietet das Baselbieter Raumplanungsprojekt Salina Raurica nun die rechtsverbindliche Grundlage. Anders als in Kaiseraugst (Kt. Aargau), wo bereits zu viel durch die moderne Bautätigkeit zerstört ist, wird in Augst in Zukunft nur noch in zwei Fällen gegraben: zu Forschungszwecken und bei Zusatznutzungen innerhalb des schon bestehenden Bauperimeters. Seit 1999 werden jährlich Schul- und Publikumsgrabungen in Augusta Raurica angeboten. Unter professioneller Leitung können Interessierte aller Altersklassen an einer Ausgrabung mitwirken. Eines der Ziele dieser Grabungskurse ist es, den Unterschied zwischen reiner Schatzgräberei und seriöser Ausgrabung zu zeigen.

Naherholungsgebiet, Freilichtmuseum und Open-Air-Bühne

Die Verantwortlichen von Augusta Raurica haben drei Besuchergruppen definiert, denen ihr Bemühen für ein attraktives Angebot gilt: Schulen mit ihrem Bildungsauftrag, Familien mit Kindern und deren Bedürfnis nach Freizeitbeschäftigung und Unterhaltung sowie Einzelpersonen, das heisst: Erwachsene ohne Kinder, aber mit Zeit und zahlreichen Interessen. Mit jährlich 1400 Schulklassen ist die Römerstadt «das beliebteste Klassenzimmer der Region», wie es der Baselbieter Kulturdirektor Urs Wüthrich ausdrückte. Grund für diesen Erfolg sind sicher die didaktisch gut erschlossenen Anlagen im Gelände, das beliebte Römerhaus und die Workshops für Schulklassen.

Leider wurde die Anbindung an den öffentlichen Verkehr vernachlässigt und muss verbessert werden. Touristisch hat Augusta Raurica ein grosses Potenzial, denn kein Ort im Kanton Basel-Landschaft ist im Ausland so bekannt wie die römische Stadt bei Augst. Die Attraktivität von Augusta Raurica als Naherholungsgebiet wird in den nächsten Jahren – mit der Bespielung des Theaters und der Umsetzung von Salina Raurica – noch wachsen: Je mehr Arbeitsplätze und Wohnungen im Planungsraum entstehen, desto knapper werden Grünflächen. Die alte Römerstadt könnte sich dann – dank dem Schutz vor weiterer Überbauung – wie eine grüne Lunge präsentieren: als attraktiv vernetzter Kultur- und Naturraum für die Bevölkerung.

[Alex R. Furger, Archäologe Dr. phil., Direktor von Augusta Raurica]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: