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hochparterre 11|2008
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Die Pest, der Frass, der Brei

Nach zwanzig Jahren Wutschreiben gegen die Zersiedelung und das Hüsli: Eine Gewissenserforschung des Stadtwanderers.

24. November 2008 - Benedikt Loderer
Wenn man die Wahrheit zu oft wiederholt, wird sie nicht wahrer, sondern langweilig. Seit 1988 schrieb ich die Wahrheit über die Hüslipest, den Landfrass und den Häuserbrei. Mit welcher Wirkung? Meinesgleichen waren meiner Meinung, der Rest der Menschheit hat sich einen feuchten Dreck darum gekümmert. Zeit, mich endlich zu fragen: Ist meine Wahrheit falsch? Sind Pest, Frass und Brei ein Segen?

Sie sind es selbstverständlich und ohne Wenn und Aber, denn sie sind die Wirkung einer einfachen Tatsache: Der Konsument ist das Subjekt der Geschichte. Als ich das endlich eingesehen hatte, löste sich mein Krampf und ich konnte heiter die Tatsachen in einem milden Licht betrachten. Pest ist Stärke, Frass ist Wohlstand und Brei ist Eigentum. Man muss nur die Wahrheit vom Kopf auf die Füsse stellen und alles erklärt sich widerspruchslos. Der Konsum bestimmt das Sein, nicht umgekehrt.
Ich muss den Konsumenten endlich ernst nehmen, er ist das Volk. Sein Wille geschieht und der heisst «mehr». Mehr Wohnraum, mehr Gartenland, mehr Agglomeration. Durch den Konsum entstehen die Gewerbezonen, die Shoppingcenters und die dazugehörigen Strassen. Der Konsument verbündet sich mit dem Nachbarkonsumenten und zusammen bilden sie die FdP, die Fédération des Profiteurs. Es genügt aufzuzählen, wer alles vom Hüsli profitiert hat. Der Bauer strich den Profit ein, als aus Kultur- Bauland wurde. Der Notar verrechnete die Handänderung, der Baumeister war nicht billig, aber preiswert, die Handwerker wurden bezahlt, die Hypotheken verzinst. Der Steuerfuss ist tiefer, die Schulen voller Eingeborener, die Kirche im Dorf. Die Hüslimenschen, die vorher Blockbewohner waren, leben besser, geachteter, sicherer. Vom Rübenacker zum Vorzeigerasen läuft die Wertschöpfungskette und alle Mitglieder der FdP haben etwas davon gehabt. Was lerne ich daraus? Der Hüslimensch hat recht. Seine Rechnung geht auf. Es gibt ein richtiges Leben im falschen. Die Hüslipest stärkt, sie verleiht Prestige. Der Landfrass lohnt sich, er schafft Platz. Der Häuserbrei nährt, er mästet den Besitz.

Konsum frisst Land

Wer gegen die Zersiedelung kämpft, kann das nur wider besseres Wissen tun. Schlimmer noch: Er will dem Konsumenten etwas wegnehmen, denn der Verzicht ist Raub. Jeder mögliche Konsum muss sich verwirklichen, das ist der Motor des Konsums. Das Zauberwort «mehr» ist der herrschsüchtigste Tyrann, der je regiert hat. Mensch und Konsument sind eins. Nur wer konsumiert, soll Brot essen. Die Zersiedelung ist kein Übel, sondern das Wesen des Konsums. Selbstverständlich sind alle Konsumenten gegen die Zersiedlung, grundsätzlich und unbedingt. Doch nur, wenn der Konsum dabei trotzdem wächst. Das ist kein Widerspruch. Es ist folgerichtig und wahr, denn die Landschaft ist ebenfalls ein Konsumgut, auch sie kann man in die Wertschöpfung einspannen und konsumieren. Was man nicht konsumieren kann, ist wertlos.
So sitze ich denn nach zwanzig Jahren Wutschreiben da und bin ernüchtert. Ich muss gestehen, ich hielt die Landschaft, meine Schönschweiz, für ein unbezahlbares Gut. Obwohl ich dem Identitätsgeschwätz tief misstraute, war ich überzeugt: Diese Landschaften sind einmalig und schützenswert, sie sind ein Teil meiner selbst und dürfen nicht geopfert werden. Heute weiss ich, was das bedeutet: sie den Konsumenten wegnehmen. Dafür werden sie sich rächen. Eines bringt die Fédération des Profiteurs zur Weissglut: Wenn sie etwas bezahlen kann und es nicht kriegt. Demokratie ist, wenn man das Geld hat und der Rechtsstaat garantiert den Konsum.

In den Folgeschäden eingerichtet

Ich will mich nicht darauf verlassen, dass uns einmal das Geld ausgehen könnte, was das einzige Mittel wäre, den Konsum zu bremsen. Die Schatztruhen sind voll, die Erbschaften türmen sich, die Vermögen werden importiert. Wenns keinen Massenkonsum mehr gibt, umso besser, dann gibts Manövrierraum für Edelkonsum. Der Konsum kennt grundsätzlich keine Grenzen, solange er bezahlbar bleibt. Diese Tatsachen lassen nur einen Schluss zu: Der Konsument will die Zersiedelung, die er schafft. Sie ist sein natürliches Verbreitungsgebiet, dort fühlt er sich wohl und pflanzt sich fort. Wohl macht er zuweilen abschätzige Bemerkungen über sein Habitat, wohl beschwört er an Sonntagen die Schönheit der Landschaft, doch das sind Lippenbekenntnisse. Der Konsument will konsumieren, das ist sein Lebenszweck, mehr verlangt er nicht. Den Konsum aber fordert er ohne jede Einschränkung. Die Folgeschäden sind ihm egal, ja, er hat sich darin längst bequem eingerichtet. Die Agglomeration ist gesund und hat eine hohe Lebensqualität. Noch Fragen?

Alles hat seine Ordnung

Darum muss man diese beiden Bilder, das berühmte Vorher-Nachher, nicht mit Entsetzen betrachten, noch weniger mit moralischer Verachtung strafen. Es wird ein natürlicher Vorgang abgebildet: Man sieht den Konsum an der Arbeit. Nur wer bereit ist, seinen Konsum einzuschränken, darf dieses Bildpaar schrecklich finden oder gar zerstörerisch. Die andern Konsumenten, wie ich einer bin, sollten diesen Fort-Schritt mit Andacht betrachten, weg vom Acker, hin zum Einkaufszentrum. Sie zeigen, was unser Konsum zu leisten vermag. Das sind keine Schreck-, sondern Trostbilder. Hier geschieht der Aufstieg: Der Mensch wird Konsument.
Es ist nicht wahr, dass da keine Ordnung sei. Das ist ein ästhetisches Vorurteil. Alles gehorcht der Bau- und Zonenordnung, alles ist dem Raumplanungsgesetz untertan. Die private Willkür ist öffentlich gebändigt, die Infrastruktur gebaut, das Eigentum ist gewährleistet. Hier von Chaos zu reden, ist böswillig. Pest, Frass und Brei sind gebautes Abbild unserer Gesellschaft. Das ist die Ordnung, die wir uns selbst gegeben haben, sie ist demokratisch legitimiert. Wem sie nicht passt, ist ein Feind des Volkes, wie jeder, der den Konsum einschränken will.
Trotzdem werde ich die Landschaftsinitiative unterstützen.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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