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anthos 2008/4
Klimawandel und Landschaft
anthos 2008/4
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Landschaft im Klimawandel

Sowohl Klimaveränderungen als auch Klimaschutzmassnahmen tragen zum Wandel der Natur- und Kulturlandschaften bei. Umgekehrt fördert ein intelligenter Umgang mit der Landschaft den Klimaschutz und erfordert neue Biodiversitäts- und Landschaftsstrategien.

1. Dezember 2008
Landschaften befinden sich in einem stetigen Wandel, welcher von vielfältigen Einflüssen, wie von der Klimaerwärmung, gesteuert wird. Seit 1970 ist die durchschnittliche Temperatur in der Schweiz um 1,5°C und damit deutlich mehr als im globalen Mittel angestiegen.1 Dabei ist unser Land mit seinem gebirgigen Charakter zugleich besonders anfällig für die Veränderungen.

Auswirkungen des Klimawandels

Die Alpen werden seit Mitte der 80er-Jahre von einem beschleunigten Massenverlust der Gletscher geprägt. Intensivere Winterniederschläge, stärkere Sommertrockenheit und schmelzende Permafrostgebiete stellen die heutige Form der dezentralen Besiedlung und der alpinen Kulturlandschaften in Frage. Klimatologen halten es für möglich, dass exponierte Siedlungsgebiete in Gewässernähe oder an instabilen Hängen auf Dauer aufgegeben werden müssen. Gleichzeitig wird mit neuen Infrastrukturen für Verkehr, Tourismus und Energiegewinnung ein Potenzial für weitere Konflikte geschaffen. Bis ins Jahr 2050 könnte die Schneegrenze um bis zu 350 Meter ansteigen, was Wintersportorte unter 1500 m ü.M. gefährden und eine Verlagerung zum Sommertourismus auslösen würde.[1]

Vom Klimawandel stark geprägt wird auch der Wald, insbesondere in den inneralpinen Trockengebieten des Wallis, wo die Zunahme der Temperaturen und der Anzahl heisser Tage bereits zu einer starken Abnahme der Waldföhren, einer Zunahme der Flaumeichen und somit zu einer Veränderung des Waldbildes geführt hat. Hier könnten sich laut Modellrechnungen der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL im Jahr 2100 die Bäume ganz verabschieden. Die Zunahme der Winterniederschläge und vermehrter Regen statt Schneefall werden zu vermehrten Hochwassern führen und entsprechende Gewässerräume beanspruchen. Und schliesslich werden sich die Verbreitungsareale von Pflanzen- und Tierarten – soweit mit der heutigen Fragmentierung der Landschaft überhaupt möglich – nord- und bergwärts verschieben, ebenso wie die Waldgrenze, welche jährlich um einige Meter ansteigt.

Auswirkungen der Klimapolitik

Landschaften werden aber auch durch die Klimaschutzpolitik, etwa durch die Besteuerung oder Förderung von Energieträgern mit entsprechenden Anpassungen in der Primärproduktion verändert. Neu erhebt auch die Energiewirtschaft Anspruch auf die Fläche und konkurriert mit dem global ansteigenden Nahrungsmittelbedarf. Da sie nicht Nahrung, sondern Industrieprodukte herstellt, werden verstärkt Chemikalien und Monokulturen eingesetzt. Schwellenländer gehören gerade aufgrund der Abholzung für Biotreibstoffplantagen zu den weltweit grössten CO2-Emittenten, wobei in vielen Fällen noch mehr CO2 als mit Erdölprodukten freigesetzt wird. Der Anbau von Biotreibstoffen schädigt hier nicht nur die Biodiversität, sondern läuft absurderweise sogar dem Hauptziel, Klimaschutz, zuwider.5 Die Schweiz, die sich dieser Problematik bewusst ist, betreibt hier eine sehr restriktive Förderung: Von Steuererleichterungen profitieren im Wesentlichen Treibstoffe aus Abfällen. Bei anderen erneuerbaren Energien sind ebenfalls Konflikte mit Zielen der nachhaltigen Landschaftsentwicklung möglich, besonders wenn Anlagen dispers in der Landschaft und am Fliessgewässernetz verteilt werden. Sie können aber – zum Beispiel im Falle von gut konzipierten Windenergieparks – auch zeitgemässe Elemente eines neuen Kulturlandschaftstyps darstellen.

Auswirkungen der Landnutzung und -gestaltung auf den Klimaschutz

Der Umgang mit der Landschaft leistet entscheidende Beiträge zum Klimaschutz. Die Planung und Gestaltung muss steigende Kosten CO2-intensiver Baumaterialien und Transporte, kurze Kreisläufe oder nachhaltige Freizeit- und Mobilitätsformen berücksichtigen. Die Art der landwirtschaftlichen Nutzung beeinflusst die CO2-Bilanz ebenfalls massgeblich. In biologisch bewirtschafteten, humusreichen Böden wird mehr Kohlenstoff gespeichert, während Kunstdünger weltweit zu jährlich über 250 Millionen Tonnen CO2-Emissionen führen und die Viehwirtschaft mit Methan sogar ein 20-mal wirksameres Treibhausgas als CO2 emittiert. Der Anbau von Biotreibstoffen kann durch Humusabbau zu irreversiblen Schäden der Ackerböden, zur Produktion des klimatisch hochwirksamen Lachgases und somit – auch ohne Waldrodungen – zum Gegenteil der erhofften Reduktion des Treibhauseffektes führen.[3] Für die Schweiz, welche zum Beispiel Soja für Futtermittel auf einer Fläche im Umfang des Kantons Freiburg im Ausland produzieren lässt, könnte die Minimierung von Importen und die Produktion auf eigenen hochwertigen Landwirtschaftsböden die CO2-Bilanz verbessern.

Die Erhaltung von kohlenstoffreichen Ökosystemen wie Primärwäldern und Moorbiotopen stellt eine wichtige Klimaschutzmassnahme dar. Der gesamte Kohlenstoffvorrat der noch existierenden Torf- und Moorböden beträgt in der Schweiz etwa 176 Millionen Tonnen CO2. Das Wiedervernässen gestörter Moorböden ergäbe für die Schweiz ein jährliches Reduktionspotenzial von über 1 Million Tonnen CO2, was einem Gegenwert von 30 Millionen Franken entspricht.4 Die Wiederbewaldung im Berggebiet stellt unter gewissen Voraussetzungen ebenfalls eine CO2-Senke dar. Natürlich vergandende Flächen können zwar nicht als Aufforstung, aber möglicherweise über Zwischenstufen in der Reduktionsverpflichtung der Schweiz berücksichtigt werden. In den verschiedenen Politikbereichen, einschliesslich der nationalen und internationalen Energieund Rohstoffpolitik, muss die Verantwortung für die qualitative und quantitative Walderhaltung konsequenter wahrgenommen werden. Weltweit ist allein die Rodung der Tropenwälder für 20 bis 25 Prozent des vom Menschen verursachten CO2-Ausstosses verantwortlich.

Mögliche Reaktionen auf den Klimawandel im Politikbereich Natur und Landschaft

Die Pflege und Weiterentwicklung der Landschaft dürfte sich weniger auf den Schutz einzelner Arten, konkreter Flächen und auf konservierende, statische und kleinräumige Ansätze konzentrieren, sondern auf das ganze Funktionsgefüge aus nachhaltigen Landnutzungsformen und einem Netz grosszügiger Korridore und Schutzgebiete.2 Bessere, grössere Pufferzonen, Migrationskorridore und Prozessschutzgebiete machen die Kulturlandschaft fit für den Klimawandel.

Den Fliessgewässern kommt als dynamische, sich selbst regulierende und entwickelnde Vernetzungskorridore eine zentrale Bedeutung zu. Hier ergeben sich Synergien mit der Erholung und dem mit höheren Spitzen konfrontierten Hochwasserschutz. Wald schliesslich kann durch eine hohe Vielfalt an Baumarten und Waldstrukturen anstehende Veränderungen abpuffern.

Mit dem Wandel verbunden sind auch Veränderungen der Biodiversität durch Lebensraumverschiebungen oder Migrationen von Neobioten. Bei der Beurteilung dieser Entwicklungen ist klar zu unterscheiden zwischen irreversiblen Schädigungen der globalen biologischen Vielfalt und räumlich beschränkten Veränderungen im Artenspektrum, welche mit dem steten Wandel von Kulturlandschaften verbunden sind. Dort, wo Elemente der Biodiversität gefährdet sind, für deren Erhaltung die Schweiz eine internationale Verantwortung hat, sind besondere Massnahmen gegebenenfalls sinnvoll, ja sogar zwingend. Hingegen befinden sich Kulturlandschaften auch ohne Klimaveränderung in einem steten Wandel, der sich im jeweiligen Artenspektrum – einer Momentaufnahme – widerspiegelt. Arten müssen nicht innerhalb unserer Landesgrenzen konserviert werden, bloss weil sie sich hier am südlichen Rande ihres Ausbreitungsgebietes befinden und sich wieder in ihre Stammregionen zurückziehen.

Mit höheren Temperaturen und längeren Wachstumsphasen ist in der Kulturlandschaft auch von einem höheren Pflegebedarf auszugehen, weshalb bei gleich bleibenden finanziellen Ressourcen eine verstärkte Prioritätensetzung nötig wäre. Allerdings liesse sich mit dem bereits heute anfallenden Schnittgut der 42 000 Hektaren Flachmoore und Trockenwiese in der Schweiz jährlich Biotreibstoff für immerhin bis zu 244 Millionen Personenkilometer produzieren.
[3]

Der Nutzung von Synergien zwischen Natur- und Landschaftsschutz und anderen Politikbereichen, einschliesslich des Klimaschutzes, kommt eine noch grössere Bedeutung als in der Vergangenheit zu. Mit der zunehmenden Nutzungs- und Flächenkonkurrenz gewinnt aber auch eine stärkere Konzentration auf Schwerpunkträume und eine Verlagerung vom bisherigen Integrations- zu einem Segregationsansatz an Interesse.[5]

Der Klimawandel gehört zu den wichtigsten Herausforderungen für eine nachhaltige Weiterentwicklung unserer Natur- und Kulturlandschaften. Er bietet die Chance, überlieferte Ziele, Denkweisen und Paradigmen zu hinterfragen und zu differenzieren. Strikte Konservierungsrezepte widersprechen dem Grundsatz des steten Kulturlandschaftswandels und der vorausschauenden Vorsorge. Nur ein ganzheitliches, globales Denken führt zu einem sinnvollen lokalen Handeln und einem zeitgemässen, differenzierten Umgang mit der sich stets wandelnden landschaftlichen und biologischen Vielfalt unseres Landes.

[Markus Thommen, lic. phil. nat., Biologe, Bundesamt für Umwelt BAFU, stellvertretender Sektionschef Landschaft und Landnutzung, Bern]

Bibliographie:
[1] N. North et al.: Klimaänderung in der Schweiz – Indikatoren zu Ursachen, Auswirkungen, Massnahmen. Umwelt-Zustand Nr.0728. BAFU 2007.
[2] B. Jessel: Zukunftsaufgabe Klimawandel – der Beitrag der Landschaftsplanung. In: Natur und Landschaft 7/08, S. 311 ff.
[3] P. Germann: Der Anbau von Biotreibstoff als Gefahr für die Äcker. Artikel in der NZZ vom 6.8.08.
[4] A. Grünig: Erhaltung und Renaturierung von Mooren. In: Biodiversität und Klima – Konflikte und Synergien im Massnahmenbereich. Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT), 2008.
[5] A. Vössing: Brot oder Benzin – Flächenkonkurrenz zwischen Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 12/07, S. 377 ff.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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