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anthos 2008/4
Klimawandel und Landschaft
anthos 2008/4
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Klimawandel und naturnaher Wasserbau

Steigende Hochwasserrisiken sind nicht nur Bedrohung, sie können auch als Herausforderung für die Landschaftsarchitektur und Chance zur nachhaltigen Landschaftsentwicklung wahrgenommen werden.

1. Dezember 2008 - Joachim Kleiner
Diskussionen um den Klimawandel und seine Auswirkungen auf unsere Gewässersysteme fokussieren sich zu rasch auf den Hochwasserschutz. Diese einseitige Schwerpunktsetzung wird – sicher zu Recht – durch die zu erwartenden Schäden an Bauten und Infrastrukturen und damit die ökonomischen Folgen beeinflusst. Die Klimaveränderungen werden regional, aber auch bezüglich der einzelnen Klimafaktoren von graduellen Verschiebungen bis hin zu radikalen Veränderungen reichen. Doch welche Parameter sind für den naturnahen Wasserbau relevant?

Die Klimaerwärmung wird nicht ohne Folgen für die Wassertemperaturen und damit die Gewässerfauna und auch die ufernahen Lebensräume bleiben. Ein signifikanter Trend zu mehr Starkniederschlägen im Herbst und Winter wird nördlich des Alpen-Hauptkamms zu mehr Extremereignissen führen. Weniger eindeutig ist die Entwicklung der durchschnittlichen Niederschlagsmenge. Klar ist, dass die Phasen mit Hochwasser vermehrt mit Phasen extremer Trockenheit kontrastieren werden. Weitere Folgen der Klimaveränderungen werden die Fliessgewässer und ihre Lebensräume beeinflussen. So wird es zu einer Zunahme des Feststofftransports in den Oberläufen wegen des Gletscherrückgangs und des Auftauens des Permafrostes kommen.

Wir sind schlecht auf diese Veränderungen vorbereitet. Die Stabilität unserer Fliessgewässersysteme ist gestört. Versiegelung in den Einzugsgebieten, Verbauung der Gewässer, Verlust von Retentionsräumen, beschleunigter Abfluss, abgetiefte Sohlen und abgesunkene Grundwasserspiegel kennzeichnen diesen Zustand. Der die Wassermengen und –temperatur ausgleichende Austausch zwischen Oberflächen- und Grundwasser funktioniert nicht mehr optimal.

Dieser kurze Abriss will und kann nicht abschliessend sein. Es ist jedoch offensichtlich, dass anthropogen veränderte Fliessgewässer empfindlicher auf die Konsequenzen des Klimawandels reagieren werden.

Abschied von eindimensionaler Symptombekämpfung

Die erhebliche Unsicherheit bezüglich möglicher Veränderungen erschwert die Planung und Dimensionierung von Massnahmen. Wirtschaftliche Überlegungen spielen zu Recht eine grosse Rolle, die Kosten des Schutzes müssen aber dennoch dem potenziellen Schaden und der Eintrittswahrscheinlichkeit gegenübergestellt werden. Dringlich müssen Fehler der Raumplanung – Einzonung hochwassergefährdeter Flächen, expansive Versiegelung, Fehlen naturnaher Retentionsräume – korrigiert werden. Aber auch Fehler des bis Ende des 20. Jahrhunderts rein ingenieurtechnisch geprägten Wasserbaus gilt es zu sanieren.

In Zukunft wird aus ökonomischen Gründen – Sparpolitik der öffentlichen Hand, Abschied von der Solidarhaftung –, aber auch aus Akzeptanzgründen ein rein technisch orientierter Hochwasserschutz nicht mehr umsetzbar sein. Der Wasserbau der Zukunft muss umfassender gestaltet werden, muss dazu beitragen, die gewässerbegleitenden Lebensräume zu stärken, um deren Empfindlichkeit gegenüber Klimaveränderungen entgegenzuwirken.

Mit tragfähigen Strategien Mehrwert schaffen

Fasst man heute Handlungsvorschläge für einen nachhaltigen Wasserbau zusammen, so fällt auf, dass viele dieser Anliegen seit Jahren im Zusammenhang mit dem Ruf nach Renaturierung von Fliessgewässern formuliert wurden. Grundsätzlich sind in den Einzugsgebieten Retention und Versickerung zu fördern. Natürliche und naturnahe Räume erfüllen diese Forderung ideal – ihr Mehrwert als wertvolle Lebensräume und Erholungsräume ist unbestritten.

Doch auch «im Kleinen» sind Massnahmen zu ergreifen. Retention und Versickerung müssen vermehrt ein Thema bei der Freiraumgestaltung, aber auch bei der Dachflächenausbildung werden.

Um das Überschwemmungsrisiko zu reduzieren, müssen auf den Fliessgewässerstrecken Aufweitungen zur Dämpfung der Abflüsse und Geschiebeaufkommen eingesetzt werden. Durch die landseitige Zurückverlegung von Hochwasserschutzdämmen, durch das Entfernen von Längsverbauungen können so entlang des Gewässers naturnahe Lebensräume entstehen. Buhnen sorgen für den Uferschutz und tragen zur Sohlenstabilisierung bei, die ökologische Durchlässigkeit bleibt ebenso gewährleistet wie der Zugang für Erholungsuchende.

Unter beengten Verhältnissen entlang der Laufstrecke können vor allem Retentionsmassnahmen in Form von Hochwasserrückhaltebecken zum Zug kommen. Diese Räume in die Landschaft einzugliedern, ist angesichts ihrer Volumen – wir reden von einigen hunderttausend bis mehreren Millionen Kubikmetern – eine gestalterische Herausforderung. Heute stossen solche Vorhaben häufig auf Widerstand, wenn die Dämme nicht versteckt oder kaschiert werden können. Hier gilt es, in Zukunft auch grossräumige und volumenaufwändige Dammgestaltungen in die Diskussion einzubringen, um eine bessere Eingliederung zu gewährleisten. Hochwasserrückhaltebecken können dann, trotz der vordringlichen hydraulischen Funktionen, attraktive Lebens- und Erholungsräume sein.

Alle genannten Massnahmen beeinflussen den Geschiebetrieb. Geschiebe ist aus ökologischer Sicht erwünscht, ein Geschiebedefizit wird heute beklagt. Mit der klimabedingten Zunahme des Geschiebes in den Oberläufen der Gewässer, aber auch durch Renaturierungsmassnahmen muss die Geschiebebewirtschaftung bewusst angegangen werden. Geschiebeablagerungen im aufgeweiteten Flusslauf sind nur so lange erwünscht, wie die Sohlenanhebung zur Verbesserung im Grundwasserbereich und zu naturnäheren ufernahen Zonen führt.

Hochwasserschutz der Zukunft muss also nachhaltige landschaftsgestalterische Aufwertungen umfassen. Er muss die Unwägbarkeiten des Klimawandels aufgreifen, aber auch – angesichts der zu investierenden Mittel – einen gesellschaftlich relevanten Mehrwert bieten. Fliessgewässer müssen als dynamisches und sich selbst regulierendes System, als Lebensraum für Fauna und Flora entwickelt werden.

Nicht alle aktuellen Projekte weisen diesen umfassenden Lösungsansatz auf. Bezieht man den möglichen Mehrwert derartiger Räume für die Erholung in unseren dicht besiedelten Landschaften mit ein, erstaunt die Halbherzigkeit gewisser Projekte umso mehr.

Bibliographie:
BWG: Hochwasserschutz an Fliessgewässern. Wegleitung, Biel 2001. www.bafu.admin.ch/php/modules/shop/files/pdf/phpXjfWzq.pdf
BWG: Hochwasservorsorge. Berichte des BWG, Serie Wasser Nr. 6, Bern 2004. www.bafu.admin.ch/php/modules/shop/files/pdf/phpkVk4uo.pdf
N. North, N. Kljun, F. Kasser, J. Heldstab, M. Maibach, J. Reutimann, M. Guyer: Klimaänderung in der Schweiz. Indikatoren zu Ursachen, Auswirkungen, Massnahmen. Bundesamt für Umwelt, Bern 2007.
NZZ Online: Schäden in der Höhe von 340 Millionen durch August-Unwetter. 16.12.2007. www.nzz.ch/nachrichten/schweiz/aktuell/hochwasserschadensbilanz_1.54437 4.html

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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