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hochparterre 12|2008
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 12|2008
zur Zeitschrift: hochparterre

Bauklötze staunen

Im Blitzlicht der Biennale stiehlt die Backsteinmauer des Roboters dem Läuferverband die Show.

8. Dezember 2008 - Lilia Glanzmann
Der Maurer setzt einen Stein auf den nächsten und fixiert die beiden mit Mörtel. Er klopft die Ziegel mit dem Gummihammer fest und kontrolliert mit der Wasserwaage, ob sie richtig sitzen.
Genauso mauerten die Arbeiter in den Fünfzigerjahren auch den Schweizer Pavillon im Areal der Biennale in Venedig. Im Herbst war im Backsteingebäude von Bruno Giacometti der Schweizer Beitrag für die diesjährige Architektur Biennale installiert. Zu Giacomettis hellen Ziegeln kamen neue hinzu – eine Wand aus dunkelbraunen Backsteinen zog sich durch die Innenräume. Die beiden Mauerwerke unterschieden sich aber nicht nur farblich. Die temporären Wände waren plastisch verformt und schienen an gewissen Stellen fast vornüber zu kippen.

Und doch bezog sich das raumbildende Element direkt auf Giacomettis Bau. Die Materialität und die räumliche Konfiguration verbanden die Installation mit dem bestehenden Pavillon. Entworfen haben die schwankende Architektur Fabio Gramazio und Matthias Kohler mit ihrem Forschungsteam an der ETH Zürich. Gemauert hat ein computergesteuerter Roboter siehe HP 6-7 / 06. Die Mauer zeigte anschaulich, was die von Reto Geiser kuratierte Biennale-Ausstellung behandelte: die schweizerische Architekturforschung.

Architekten am Computer

«Mein erster Rechner war ein Commodore 64», sagt Matthias Kohler. «Ich habe allerdings bereits damals lieber programmiert als gespielt.» Computer beschäftigen den Architekten immer noch. Zusammen mit seinem Büropartner Fabio Gramazio leitet er seit drei Jahren den Lehrstuhl Architektur und Digitale Fabrikation an der ETH Zürich. Dort erforschen sie mit ihren Assistenten und Studierenden, wie sich architektonischer Entwurf und digitale Herstellung verbinden lassen.

In den Neunzigerjahren begannen Architekten digital zu entwerfen und zu visualisieren – die Simulationen blieben aber zweidimensional. «In diesen bildhaften Entwürfen wurde das Material, mit dem gebaut werden sollte, nicht mit einbezogen», kritisiert Matthias Kohler.
Und noch etwas hat den ETH-Assistenz-Professor gestört, wenn er gesehen hat, wie Architekten mit neuerer Computertechnik umgehen: Als computergesteuertes Fräsen möglich wurde, sah man ganze Fassaden gebohrt und gefräst. «Das mag im Detail interessant sein, hat aber wenig mit den konstruktiven Anforderungen und dem Massstab des Bauens zu tun», sagt Kohler. Er versteht Bauen als additiven Prozess. Wie aber unterstützt der computergesteuerte Roboter das additive Vorgehen? «In einem dreidimensionalem Aufbauprozess», erklärt Kohler, «weben wir dem Material Informationen ein.» So können funktionale und komplexe Formen gefertigt werden.

Mobile Maschine

Die Steine wie in Venedig aufeinanderzuschichten, wäre zwar von Hand nicht unmöglich, sicher aber nervenaufreibend und zeitintensiv. In der digitalen Fabrikation wird nicht mehr von Hand gemauert und die Maschine verwendet anstelle von Mörtel einen Kunststoffkleber. Die Mauer-Programme schreibt das Team von Gramazio Kohler an der ETH und füttert damit anschliessend den Roboter. Die Maschine, die in Venedig gemauert hat, heisst R-O-B. Im Gegensatz zum Weingut Gantenbein, wo zum ersten Mal mit an der ETH vorgefertigten Mauerelementen gebaut wurde siehe Sonderheft 2 / 08, ist diese Fabrikationsanlage nun mobil. Sie wird in einem Container transportiert und mauert vor Ort. Die Anlage wurde für die Ziegelei Keller entwickelt und auf dem Biennale-Gelände das erste Mal eingesetzt. Der Ziegeleichef Christian Keller: «R-O-B verbindet Fabrikationsmöglichkeiten mit einer Just-in-Time-Produktion vor Ort. So können wir schnell auf Kundenwünsche reagieren und die Kosten für Produktion und Transportkosten möglichst tief halten.» Die Anlage ist computergesteuert, was erlaubt, spezifische Bauelemente zu fertigen, ohne an ein bestimmtes Material gebunden zu sein. Denn der Roboter soll keinesfalls den Maurer ersetzen: «Eine klassische Wand zieht ein Mensch schneller hoch als unsere Anlage. R-O-B mauert nur komplexe Elemente», erklärt Christian Keller. So wie die verformten Wände in Venedig.

Schwingende Wände

Die architektonische Grundlage der Installation «Structural Oscillations» im Biennale-Pavillon ist eine einzige, kontinuierliche, die Ausstellungsbereiche absteckende Grundrisslinie. Ausgehend von dieser gekrümmten Kontur wurde die dreidimensionale Mauer entwickelt. Form und Funktion haben die Architekten dabei immer gleichzeitig diskutiert: «Eine frei stehende Backsteinwand muss in sich stabil sein und sicher stehen», so Matthias Kohler. «Aus diesen konstruktiven Anforderungen entwickelten wir den architektonischen Ausdruck.»

Der Roboter erstellte die Wand in einzelnen Segmenten. Bei Abschnitten, die wegen ihrer Geometrie leicht hätten kippen können, mauerte er die unteren Lagen stärker geschwungen und vergrösserte so die Standfläche. Eine Gegenschwingung in den oberen Lagen glich den Schwerpunkt aus.

Das Erscheinungsbild entstand, indem die Maurermaschine einzelne Steine ausdrehte. In welchem Winkel sie dies tat, war direkt von der Mauergeometrie abgeleitet: Je stärker sie gekrümmt war, umso stärker wurden die einzelnen Steine ausgelenkt. An flacheren Stellen lagen die Steine gerade aufeinander, was die plastische Verformung der Wand noch deutlicher machte. So erhält sie ihren textilen Ausdruck, der im Kontrast zur soliden Materialität des Ziegels steht.

Zum Anfassen und in Echtgrösse

Das Material ist den beiden Architekten wichtig. Deshalb arbeiten sie an der ETH wenn immer möglich im Massstab 1:1. Das war für Matthias Kohler ein weiterer Grund, in die Forschung einzusteigen und den Lehrstuhl «Architektur und Digitale Fabrikation» zu schaffen. «Im Massstabsmodell herrschen nie reale Bedingungen», erklärt er. «Erst durch echte Grössenverhältnisse beginnen Daten und Material gegenseitig zu wirken.»

Auch im Biennale-Pavillon in Venedig sind die digitale und die reale Welt aufeinandergetroffen. Es gab Besucher, bei denen die schwingenden Wände Schwindel auslösten. «Wir wollen keine Architektur machen, von der einem übel wird», lacht Kohler, «dass unsere Entwürfe aber zu physischen Erlebnissen und sinnlichen Erfahrungen führen, interessiert uns.»

Nicht alles aber war an Reto Geisers Schweizer Auftritt so gelungen, wie die Robotermauer: Mit viel zu vielen Informationen zur aktuellen Architekturforschung überforderte der Kurator die Besucher. Glücklicherweise erlebte man die Wand als überraschendes, eigenständiges Exponat, ohne dass sie zusätzlich als Projektionsfläche herhalten musste. Nur ein Video verlor sich auf der Wand und dies zeigte, obwohl die Backsteine einzeln weiss angemalt waren, dass sich die Mauer nicht als Bespielungsfläche eignet.

Gramazio Kohler
Fabio Gramazio (38) und Matthias Kohler (40) führen seit 2000 das Architekturbüro Gramazio & Kohler in Zürich. Sie beschäftigen 6 bis 8 Mitarbeitende. Seit 2005 sind sie Assistenz-Professoren an der ETHZ. Dort forschen und lehren 10 Personen. Zu ihren bekannten Arbeiten gehören ein Pavillon an der Expo.02 und die Weihnachtsbeleuchtung der Zürcher Bahnhofstrasse.

Literatur:
Das Buch «Digital Materiality in Architecture» ist bei Lars Müller Publishers erschienen und illustriert, wie sich digitale Entwicklungsprozesse auf den architektonischen Entwurf auswirken. Es zeigt Projekte von Gramazio & Kohler und dem von ihnen geleiteten Fachbereich an der ETH Zürich.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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