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hochparterre 12|2008
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 12|2008
zur Zeitschrift: hochparterre

Spuren hinterlassen

Eine Reihe Apfelbäume, zugemauerte Fensternischen und abgebrochene Gewölbe: Subtile Spuren als Zeichen der verschwundenen Kartäuserklausen.

8. Dezember 2008 - René Hornung
Die Risse in den Kreuzgangmauern und in der untersten Reihe der Klausen in der Kartause Valsainte im Greyerzerland waren bedenklich gross geworden. Der schlecht drainierte Hang hatte den Untergrund instabil gemacht. Der beigezogene Ingenieur rechnete vor: In den engen Mönchsklausen neu drainieren, unterfangen und reparieren hätte rund 12 Millionen Franken gekostet. Eine umfassende Drainage, dabei aber die Reihe der baufälligen 14 Klausen abbrechen, kostete 7,5 Millionen. Doch wie konnte man der Denkmalpflege des Bundes und des Kantons beibringen, dass in einem Monument von nationaler Bedeutung ein Abbruch vernünftiger wäre?

Abbruch eines Denkmals

Die Klosterbrüder selbst gaben den Ausschlag: Diese Zeile Mönchszellen stand schon während Jahrzehnten leer, warum sie also erhalten, wenn man sie eh nicht mehr braucht? Die pragmatische Haltung der Mönche überraschte die Planer und daraus entwickelte sich eine fruchtbare Zusammenarbeit. Bald war man sich einig: Nicht nur Drainage und Abbruch der baufälligen Klausen, sondern auch der Rückbau der Aussenmauer auf die Baulinie vor 1903 werden dazu beitragen, den Weiterbestand der Kartause zu sichern.

Möglich wurde der Abbruch im Denkmalschutzobjekt auch deshalb, weil es hier immer wieder Brände, Zerstörungen und Wiederaufbauten gegeben hatte, die Anlage also immer wieder verändert wurde. Die Gründung der Chartreuse de la Valsainte geht aufs 13. Jahrhundert zurück. Das Gewölbe der Kirche stammt aus dem Jahr 1380, die Kirchenfassade aber von 1729. 1778 wurde das Kloster aufgehoben, danach teilweise zerstört und verkauft. Doch 1861 konnte der Orden das Land zurückkaufen und wieder aufbauen. Um die aus Frankreich vertriebenen Brüder aufzunehmen, war bis 1903 die südlichste und am tiefsten liegende Reihe der Klosterklausen gebaut worden. Der nun erfolgte Rückbau auf den Zustand vor 1903 ist also ein dokumentierter Teil der Klostergeschichte, was nicht zuletzt die Denkmalpflege veranlasste, dem Abbruch zuzustimmen. Dazu kam die Erkenntnis, dass die heutige Hülle des Klosters zwar im Kernbestand relativ jung ist, dieses letzte bewohnte Kartäuserkloster der Schweiz im Grundkonzept aber immer gleich geblieben ist.

Planung im Team

Via die kantonale Denkmalpflege kam der Architekt und Geograf Pascal Amphoux zum Projekt. Er spannte sein Lausanner Netzwerk auf, «denn ich arbeite immer in Teams», wie er betont. Zusammen mit dem Landschaftsarchitekten Christoph Hüsler und den beigezogenen Spezialisten wurde das Projekt erarbeitet. Klaus Holzhausen ergänzte das Team für Fragen der Gartendenkmalpflege, Sylvia Krenz für architektonische Details, denn bisherige Innenmauern sind mit den Abbrüchen zu Fassaden geworden. Mit dabei war auch Roger Simond, Fachmann für Mörtel und Verputze. Die zurzeit 18 Brüder und Patres in der Chartreuse de la Valsainte pflegen einen sorgsamen Umgang mit Ressourcen und Natur. Und wenn es um schöne Planerideen ging, waren sie es, die immer wieder die Frage stellten: «Wozu? A quoi ça sert?» Nein, Bänke wollten sie in der neu entstandenen «Terrasse» keine, sie setzten sich selbst sowieso nicht drauf, also nützten sie in der nicht öffentlich zugänglichen Anlage auch nichts. Wichtig war dagegen die Drainage. Auch das Dachwasser musste gefasst und abgeleitet werden.

Mönche für nützliche Lösungen

Immer wieder bewiesen die Mönche den Planern während der Planungs- und Bauphase, dass sie sich im Wirtschaften, in der Ökologie und mit der Natur auskennen: Sie pflegen entlang der inneren Klostermauern rund 1500 Laufmeter Spalierobst, Bäume, die bis zu 150 Jahre alt sind. «Das ist wahrscheinlich die grösste derartige Spalieranlage der Schweiz», stellt Klaus Holzhausen fest, «und dies auf fast 1000 Meter über Meer.» Und weil zu jeder Kartäuserzelle ein eigener Garten gehört, ist das Kloster mit Gemüse und Früchten mehr als nur Selbstversorger. Zusätzlich betreiben die Mönche eine Schreinerei und eine Schlosserei, aber auch ein eigenes Kraftwerk. Das alles gibt viel zu tun — dabei sind die meisten Mönche nicht mehr so jung. Die Kartäuser in ihren hellen Kutten leben zwar den grössten Teil des Tages zurückgezogen und schweigend in ihren Klausen, aber die reale Welt ist ihnen keineswegs fremd. Nützliche Lösungen sind ihnen wichtig. Es war deshalb ganz in ihrem Sinn, dass der Bauschutt der abgebrochenen Klausen für die über fünf Kilometer neue Drainage und für den Bau der neuen Abschlussmauer geschreddert und wiederverwendet wurde. Doch in der Kartause wurde nicht einfach Baufälliges abgebrochen und zum Verschwinden gebracht. Die Planerinnen und Planer gingen auf den Geist des Ortes und auf die von den Kartäusern bewusst gewählte Stille ein. Bevor abgebrochen wurde, waren auf Betreiben des Denkmalschutzes und unter Leitung von Klaus Holzhausen die nun verschwundenen Klausen minutiös dokumentiert worden — mitsamt der dazugehörenden Gärten. Und es wurden danach ganz bewusst «Spuren hinterlassen, aber keine Beweise», wie Pascal Amphoux unterscheidet. Zwar wurde mit der Denkmalpflege zuerst über sichtbare Ruinen diskutiert, doch dann überzeugte die subtilere Lösung.

Zeichen setzen

Die deutlichsten Spuren sind ein dem früheren Verbindungsgang folgender Mauerabsatz. Er war die Baupiste für die Abbruchfahrzeuge. Jetzt ist er bekiest und durch schlichte, in regelmässigen Abständen gesetzte Wasserspeier entwässert. Die zweite markante Spur setzt die schnurgerade Reihe der Apfelbäume, die im Zent-rum der ehemaligen Gärten stehen, die zu jeder Klause gehörten. Sie hinterlassen ein Lebenszeichen der verschwundenen Anlagen, stehen nun aber in einer Mähwiese. Eine gärtnerische Lösung stand für die Klosterbrüder nicht zur Debatte. Mit ihren bestehenden Gärten haben sie schon mehr als genug zu tun. Die bergseitige Begrenzungsmauer, an der der doppelstöckige Erschliessungsgang zu den Kartausen angebaut war, ist von einer Innen- zu einer Aussenwand geworden. Doch auch hier sind Spuren zurückgeblieben: Die Ansätze der Gewölbedecken, aber auch zwei Waschbecken, die den oberen Gang flankierten, sind — fast Mahnmalen gleich — in der Höhe der früheren Fensterreihe erhalten. Die Fenster selbst wurden zwar zugemauert, bleiben aber ihrerseits erkennbare Nischen.

Bauschutt wiederverwendet

Mit dem Abbruch ergab sich auch die Möglichkeit, die Westmauer der Klosteranlage auf die Baulinie, wie sie zwischen 1884 und 1903 bestanden hatte, zurückzuversetzen. Dadurch entstand ein «Talweg». Diesen Begriff verwenden die Fachleute in der Westschweiz für eine Geländemulde. Das Kloster hat nun mit diesem kleinen Einschnitt wieder einen Abstand und einen Grünraum zur Strasse bekommen. Entlang der Strasse wurde auf einer Seite die einstige Lindenallee neu angepflanzt, ein Eingriff, der nicht zuletzt die umliegende Landschaft aufwertet.

Entstanden ist die neue Betonmauer ebenfalls aus Bauschutt. Der Verzögerer hat ihr eine Waschbeton-ähnliche Struktur gegeben und sie zeigt sich klar als neues Element, indem sie auf die Plattenabdeckung verzichtet, die man auf allen alten Mauern der Anlage hier findet. Doch selbst von der alten Umgrenzungsmauer haben die Architekten eine Spur hinterlassen: eine unvermittelt neben der Strasse verlaufende Kurve. Die subtilsten Spuren aber werden sich wohl erst in einigen Jahren zeigen. Die Mauern der abgebrochenen Klausen wurden bis rund 20 Zentimeter unter der neuen Humusschicht abgebrochen. «In einem trockenem Sommer werden sie sich in der Wiese abzeichnen», erwartet Christoph Hüsler. All diese Eingriffe sind allerdings nur aus Distanz zu sehen. «Die Kartause Valsainte kann nicht besichtigt werden», steht auf einer schon ziemlich lädierten Hinweistafel an der Abzweigung am Jaunpass zum Kloster. Aber dank der Hanglage sind gute Einblicke in die Anlage gegeben. Gerade die Mauerspuren der abgebrochenen Klausen wird man nach ein paar Jahren deutlich erkennen können. Finanziert wurde die Sanierung durch die Kartause selbst und einen speziell gegründeten Unterstützungsverein sowie durch kantonale und eidgenössische Beiträge.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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