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TEC21 2009|03-04
Kleid und Wirkung
TEC21 2009|03-04
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Oberfläche als Medium

Die Oberfläche eines Gebäudes trägt wesentlich zu seiner Akzeptanz bei. Das Münchner Architekturbüro Hild und K hat in den vergangenen Jahren auf unterschiedliche Weise versucht, das Bedürfnis nach Schmuck und narrativen Elementen auf hintergründige, intelligente Art zu befriedigen. Wie kann man der Forderung der Postmoderne nach einer Ergänzung der Moderne um Gemütswert und kommunikative Elemente nachkommen, ohne in Historismen zu verfallen? Die Projekte der letzten zwölf Jahre zeigen ein breites Spektrum von Interventionsmöglichkeiten.

16. Januar 2009 - Falk Jaeger
Als der Berliner Publizist Wolf Jobst Siedler Anfang der 1960er-Jahre durch Berlin flanierte und die ihres Stuckkleids beraubten Fassaden der Kaiserzeit musterte, machte er eine interessante Entdeckung: «... jetzt, da [das Dekor-Gewimmel] entfernt wurde, wird sichtbar, was bis gestern durch den Stuckzierrat verborgen blieb: Die architektonische Leistung ist schlecht. Denn nun erst stimmen keine Masse mehr: nicht die Grösse der Fenster und nicht ihr Abstand voneinander, nicht der Winkel am Erkervorsprung und nicht die einst durch Gesimse Schinkelscher Herkunft dekorierten Blindfenster.»[1]

Dekoration der Oberfläche zur Kaschierung von Bausünden? Dieser Vorwurf erscheint uns heute kleinlich. Mit Emphase werden Stuckfassaden gepflegt, restauriert, zum Teil rekonstruiert: Die von der zeitgenössischen Architektur gequälte Volksseele verlangt danach. Doch jetzt leiden die Architekten unter der Nostalgiewelle und suchen nach Auswegen.

Dreidimensionales Graffito

Den Auftakt zur Beschäftigung mit dieser Frage machten Andreas Hild und Dionys Ottl von Hild und K 1996 mit dem Bau einer Wertstoffsammelstelle im bayrischen Landshut: Sie umfriedeten die Anlage mit einer Mauer aus rechteckigen Betonfertigteilen, mit denen durch unterschiedlich angeordnete Aussparungen der immer gleichen Grösse die Buchstaben geformt werden. «Sammeln» steht da in übermannshohen Lettern zu lesen. Die Elemente erinnern an Buchstaben, wie sie von Graffiti-Sprayern gestaltet werden, der goldene Anstrich vermittelt ein Gefühl von Wertigkeit. Offenkundig nötigt die Arbeit den Sprayern Respekt ab, denn sie haben sich an der Anlage noch nicht verewigt.

Ebenfalls in Landshut gestalteten die Architekten 1997 die Bushaltestelle Ländtorplatz am Rande der Altstadt (Bilder 4 5). Die Architekten wollten die eher bescheidene Aufgabe dazu nutzen, etwas Besonderes zu gestalten: Anstelle einer herkömmlichen Pfosten-Riegel- Konstruktion entwarfen sie zunächst eine Stahlskulptur mit rostiger Oberfläche im Stil Richard Serras, was bei der Auftraggeberin, der Stadt Landshut, nicht auf Gegenliebe stiess. Daraufhin entstand die Idee, ein Biedermeierdekor überdimensional auf das Wartehäuschen zu projizieren. Mittels Laserschneideverfahren wurde das florale Dekor aus 12 mm starken gekanteten Cortenstahlplatten ausgeschnitten und praktisch zu einem Wartehaus gefaltet: Das Ornament wurde zur Tragstruktur des kleinen Bauwerks. Die Oberfläche – rostüber zogener Stahl – steht in Kontrast zum eher aus dem Luxussegment bekannten Dekor. Auf humorvolle, leicht ironische Art fügt sich das moderne Häuschen in die historisch geprägte Umgebung ein.

Vergrössern, verfremden

Als Hild und K zwei Jahre später ein Gründerzeithaus in Berlin zu sanieren hatten, das zwischen zwei noch prächtig im Schmuck stehenden Fassaden ganz nackt und bloss wirkte, erinnerten sie sich dieses Prinzips. Der Baueingabeplan vom Ende des 19. Jahrhunderts zeigte die zeitgenössischen Verzierungen der fünfgeschossigen Fassade. Er wurde eingescannt und hundertfach auf den Massstab 1:1 vergrössert. Die daraus entstehende Vergröberung ergibt einen verblüffenden Effekt: Baluster werden zu Flaschenkürbissen, Fensterverdachungen erscheinen wie dick verschneit, Kapitelle quellen auf, als seien sie aus Hefeteig. Die weichgezeichneten Schmuckelemente erinnern an Formen des Jugendstils oder an Rudolf Steiners Säulenordnung mit ihren wogenden Kapitellen im ersten Goetheanum in Dornach.Das auf diese Weise «designte» Dekor liessen die Architekten als vertieftes Relief mittels einer Art Schablonenputz auf die Fassade des Hauses aufbringen. Schattenwurf und Plastizität der wenige Zentimeter tiefen Dekorschicht unterscheiden sich dabei deutlich von der dreidimensional geformten Nachbarfassade (Bilder 7-8), die Gesamtwirkung ist dennoch verblüffend. Zumal das Dekor seinen eigenen Schatten schon eingebaut hat, denn die Schattierungen, mit denen der Baumeister um 1900 seine Bauzeichnung effektvoll verschönert hatte, übernahmen die Architekten gleich mit. Ein Scherz, der dadurch noch scherzhafter wird, dass die Schatten von der im Norden stehenden Mitternachtssonne geworfen werden ... Hild und K vermeiden es, skulpturale Elemente als Dekor zur Wirkung zu bringen: Sie bearbeiten die Oberfläche, erzeugen eine grafische Wirkung und nutzen sie zur Übermittlung semantischer Botschaften. Ihre Berliner Fassade ist nicht gedankenlos geschmückt, sie erzählt eine Geschichte. Das Dekor wurde mit einem Trick in die Gegenwartsarchitektur geschmuggelt.

Experimentell weitergedacht haben die Architekten das Prinzip der Reproduktion durch Vergrösserung verfremdeter Dekors bei einem kleinen Projekt in München. An einem Wohnungsbau aus dem Jahr 1901 mussten die maroden Balkone an der Hofseite ersetzt werden. Als Reminiszenz an die schmiedeeisernen Balkongitter der Jahrhundertwende suchten die Architekten nach einem figurativen historistischen Muster. Sie fotografierten ein Dekorband der Strassenfassade und lösten das Bild in ein Bandraster auf. Eine Laserschneideanlage perforierte die Stahlplatten mit dem Raster. So entstanden durchbrochene Brüstungsgitter, die in der Nahsicht abstrakte Strukturen zeigen. Wahrnehmen lässt sich das vegetabile Dekor erst aus grösserer Entfernung, vom Nachbarhaus oder vom Hof aus (Bilder 10-11).

Von aussen nach innen

Sucht man nach weiteren Experimenten dieser Art im Werk der Architekten, stösst man auf ein im Jahr 2000 entstandenes Haus in Aggstall (D), einem kleinen Weiler zwischen München und Regensburg. Auch bei dessen Aussenhaut geht es um eine Reliefwirkung, diesmal erzeugt durch vorstehende Ziegel, die ein Rautenmuster bilden. Von weitem entsteht der Eindruck, das Gebäude sei mit einer Brokattapete beklebt oder von einem Norwegerpulli umhüllt (Bild 1). Aus der Nähe zeigt sich, dass es sich um korngelb geschlämmte Ziegelwände handelt und das Dekor vor allem durch die Schattenwirkung entsteht. Das vermeintliche, einer Tapete entsprechende Flächenmuster erweist sich als geometrische Ornamentierung, die mit dem Mass- und Proportionssystem des Hauses in Zusammenhang steht. Das Grundmuster besteht aus repetierten Vierecken, sozusagen grob gepixelten Rauten. Da sich das Rautenmuster fortlaufend um die Hauskanten legt (Bild 2), fungiert die Raute als Modul. Dieser Modulordnung sind auch die Wandöffnungen unterworfen: Fenster und Türen sind in das Muster eingepasst, das Aussendekor nimmt also auf die Proportionen der Innenräume Einfluss. Die Oberfläche wird zur Struktur, die Struktur zur Proportion.

Vom Dekor zur Geometrie

Einen ähnlichen Ansatz verfolgten Hild und K 1994 beim Neubau eines Lagerhauses für Farben in Eichstätt (D). Mit handelsüblichen Porenbetonfassadenplatten in zwei verschiedenen Stärken und sechs unterschiedlichen Längen formten sie eine schlichte Fassade für den als einschiffige Halle konzipierten Bau. Durch die regellose Kombination der Platten bei immer gleicher Breite entsteht ein apartes Spiel der Fensteröffnungen, durch die unterschiedliche Bauteilstärke ein Schatten werfendes, vertikales Relief. Die Fenster sind rahmenlos bündig in die Fassade eingesetzt und werden durch die dickeren Elemente geschützt. Am Abend wird der Eindruck durch eine unprätentiöse, doch umso effektvollere Beleuchtung noch verstärkt: Die Beleuchtungskörper werden im Traufbereich von den dünneren Elementen aufgenommen. Wegen der normierten Bauteile blieb die Konstruktion einfach und kostengünstig, und auch die Montage war nicht mit Mehraufwand verbunden. Hier geht es nicht um die Dekoration schlechter Architektur, sondern um die Architektur selbst. Wolf Jobst Siedler hätte keine Kritik anzubringen.

Die Weiterentwicklung dieser Überlegung führte 2004 beim Bau des Bayerischen Forschungs- und Technologiezentrums für Sportwissenschaften in München zu einem noch geometrischeren, reduzierteren Ergebnis. Das Gebäude wurde entsprechend den Vorgaben des Campus-Masterplans und mit kleinem Budget realisiert. Entstanden ist ein Systembau aus Betonfertigteilen. Einzige ins Auge fallende Gestaltungsmassnahme sind die zwei sich abwechselnden Fensterformate. Auf den nicht von Fenstern durchbrochenen Flächen wird das Fassadenraster in nahezu monochromatischen Weiss- und Hellgrautönen fortgeführt. Die einzelnen Rasterfelder unterscheiden sich durch verschiedene Lagen von Farbaufträgen und wechselnde Streichrichtungen. Es entsteht eine luzide Oberfläche, die der gleichförmigen, rationalistischen Reihung der Lochfassade etwas Leichtes, Elegantes verleiht. Hild und Ottl beschäftigen sich intensiv mit dem Verhältnis von Bauwerk und möglichen Modulationen der Oberflächen. Durch die Diskussion haben sie sich von populären künstlerischen Ornamentmotiven entfernt und in Richtung architektonisch-abstrakte Motive bewegt. «Häuser sollen normal aussehen», sagen sie, doch unverändert bleibt ihr Bemühen, die Oberflächen zum Sprechen zu bringen.

Literatur:
[1] Wolf Jobst Siedler, Elisabeth Niggemeyer: Die gemordete Stadt – Abgesang auf Putte und Strasse, Platz und Baum. F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, 1964, S. 13

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

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