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db deutsche bauzeitung 02|2009
Dänemark
db deutsche bauzeitung 02|2009

Verflechtung und Ausbau

Untergrundbahn »Metro« in Kopenhagen

Die vollautomatische Kopenhagener U-Bahn wurde 2002 eröffnet und wird seither stetig ausgebaut. Die Linienführung folgt den zentralen Entwicklungsachsen – sie ist integraler Bestandteil der Stadtentwicklung. Alle Haltestellen – unter wie auch über der Erde – sind in klassisch-funktionalem skandinavischen Design gehalten und machen die Verkehrsbauten als öffentlichen Stadtraum erlebbar.

3. Februar 2009 - Reinhart Wustlich
Der Manager, der zwischen Århus und dem Flughafen Kastrup pendelt, die Kulturinteressierte, die vom Louisiana-Museum in Humlebæk Umsteigebahnhof Nørreport zurückfährt, die Sonnensüchtigen, die von Amager Strand zurückkehren, die Pendlerin aus Malmö, die nach 26 Minuten Zugfahrt Ørestad erreicht – sie alle nutzen den Kopenhagener Verbund von Regionalbahn, S-Tog (S-Bahn) und Metro, der sich wie ein Spinnennetz über die Metropol-Region spannt. Das Mare nostrum heißt hier Øresund, und seit der Eröffnung der Øresund-Verbindung (2000, Meerestunnel- und Brückenverbindung nach Schweden) wachsen Kopenhagen und Südschweden auch per öffentlichem Nahverkehr zu einer Region zusammen

Der Blick auf die Karte zeigt im Norden die enge Seepassage zwischen Seeland und Skåne (Schonen), vom Städtedoppel Helsingør und Helsingborg flankiert. Die Planer der Raumordnung kritisieren, dass hier die Verbindung der beiden Länder nicht vorankommt – und so der südliche Ballungsraum überproportional wächst, nämlich das metropolitane Schwergewicht der Hauptstadtregion Kopenhagen mit 1,6 Mio. Einwohnern, von denen 510000 auf die Hauptstadt selbst entfallen.

Die südöstlich vorgelagerte Insel Amager mit 160000 Einwohnern fasst den Kopenhagener Hafen ein und bildet geografisch den Übergang nach Schweden. Auf der anderen Seite des Sunds liegt Malmö mit seinen 25  8000 Einwohnern. Seit der Eröffnung der Øresundquerung ist Calatravas 190 Meter hoher Turning Torso (2005) zur gemeinsamen Landmarke geworden, versteht sich auch der südliche Teil des Sunds als »Doppelstadt«, deren Häfen als »Copenhagen Malmö Port« firmieren, deren Universitäten sich zusammenschließen.

Metropolitane Struktur

Die Øresund-Region ist seit 2000 auf Wachstumskurs. Sie weist jährlich drei Prozent mehr Bruttoinlandsprodukt aus, die Bevölkerungszahlen werden von 3,6 Mio. auf prognostizierte 4,0 Mio. Einwohner in den kommenden zwanzig Jahren steigen[1]. Die Region will hohe Standards in die internationale Städtekonkurrenz einbringen, etwa einen modernen, leistungsfähigen öffentlichen Nahverkehr.

Lange vor der Krise, die jetzt London, New York und andere Global Cities in der Entwicklung stagnieren lässt, konnte das große »ABC« der kleineren europäischen Metropolen Amsterdam, Barcelona und Copenhagen internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen: beste Ausbildung junger Eliten, internationale Offenheit, hohes Einkommensniveau, exquisite Forschungs-, Entwicklungs- und Dienstleistungssektoren, Freizeitangebote in Kultur und Landschaft, die selbst US-Firmen anlocken.

Im Entwicklungskonzept der »Doppelstadt« gewinnt die 96 Quadratkilometer große Insel Amager mit ihren traditionellen Industrie- und Raffineriestandorten, alten Arbeiterquartieren, den Gemeinden Tårnby und Dragør und dem skandinavischen Luftverkehrszentrum (dem Großflughafen Kastrup) an Bedeutung: Seit 2000 entsteht hier die Neugründung Ørestad, eine Bandstadt mit vier Distrikten – entlang der Trasse des südlaufenden Zweigs der Metro, der 2002 eröffnet wurde. Bezeichnenderweise ist die Ørestad-Entwicklungsgesellschaft auch Träger des neuen Metro-Systems.
Der zweite Zweig der Metro, in einigem Abstand zur Küstenlinie am Sund geführt, hat den Flughafen zum Ziel. Für die internationale Klientel, die das schnelle, bequeme Transportmittel annimmt, ist der Zugangsbahnhof (die Endhaltestelle Lufthavn) eher nüchtern-standardisiert, der Bergstation einer Seilbahn nicht unähnlich. Der Betrieb ist vollautomatisiert, Fahrpläne finden sich keine. Schnell wird klar, dass führerlose Kurzzüge in knappen Intervallen fahren, in der Rushhour im Abstand von zwei Minuten.

Das von KHR Arkitekter, Kopenhagen, entwickelte Design soll skandinavisch kühl und minimalistisch erscheinen. Vom Flughafen bis Lergrafsparken verläuft die Fahrt auf einer aufgeständerten Trasse – man ist gespannt, wie sich das System nun endlich im Untergrund anfühlt; wahre Überraschungen sind kaum zu erwarten.
Doch dann kommen, wie große Aquarien, die ersten Stationen in Sicht, Schaufenster in den beleuchteten Tunneln, Bahnsteige, von Glas umschlossen, dahinter im hell, klar gegliederten, übersichtlichen Raum die »Ausstellung« der Wartenden (Objekte von Duane Hanson?). Kürzer als erwartet, nur 67 Meter lang, wirken die Zugangsebenen in 18 und mehr Metern Tiefe unter der Stadt eher wie Foyers des einen großen Veranstaltungsraums, der Kopenhagen heißt. Tatsächlich öffnen sich die Schiebetüren der Waggons und der gläsernen Stationswände parallel, ein nicht unbeträchtlicher Sicherheitsaspekt. Dann merkt der Fahrgast, dass die Atmosphäre, die ihn positiv einstimmt, mit der Lichtmischung zu tun hat – Tageslicht aus Glasprismen auf Straßenniveau und ein präzises Lichtdesign, das Funktionen lesbar macht: die großen Plastiken der Rolltreppen, den Drift nach oben, die Spiegelungen, die ihn auf dem Weg nach oben begleiten. Während sich unten Schiebetüren schließen, Schall sich gedämpft entfernt, Helligkeit bleibt: ein Foyer, kein finsterer Nicht-Ort.

Metro-Town Ørestad

Die ersten Pioniergebäude gab es in Ørestad 1999, schon 2001 folgte die erste Industrieansiedlung. Der weitere Ausbau soll 15 bis zwanzig Jahre dauern. Heute leben hier bereits 3500 neue Einwohner (sechzig Prozent von ihnen unter vierzig Jahre alt), während die Zahl der angesiedelten Arbeitsplätze von 8000 auf 10000 wächst. Ziel: Wohnungen für 20000 Einwohner, zugleich aber 60000 bis 80000 Jobs.

Ørestad-Nord, das am weitesten fortgeschritten ist, wird von den Universitäten geprägt. Ihm dienen die Stationen Islands Brygge (in Tieflage) und DR Byen/Universität, die wieder herausgehoben an der Hochbahntrasse liegt. Dieser Bereich ist nicht nur tägliches Ziel von Tausenden von Studenten (neue IT Universität, siehe db 8/2005: 1600 Studenten; Universität Kopenhagen, Campus Amager – allein bei den Humanwissenschaften 11500 Studenten). Die Station DR Byen bindet die »Kasbah« des Dänischen Rundfunks an, ein Multimedia-Zentrum – u. a. mit einer 1800 Plätze fassenden Konzerthalle (Ateliers Jean Nouvel, Eröffnung: Januar 2009).
An der zentralen Station Ørestad markiert ein zwanziggeschossiger Turm (Henning Larsen Architects) den Kreuzungspunkt mit der Regionalbahn zum Flughafen und zur Øresund-Verbindung. Die schwarze Landmarke des Pharmazie-Konzerns Ferring ist noch von Malmö aus sichtbar. In der Nachbarschaft schließen Perlenketten-Projekte an wie Ørestad Gymnasium (2007, siehe Seite 20), expressive Wohnprojekte wie der VM Mountain (2008, siehe Seite 63); dazu ein großes Einkaufszentrum, neue Cityblöcke zum Wohnen (bis zu zwölf Geschosse hoch), dazu gewerbliche Ansiedlungen, die allein hier 20 000 Arbeitsplätze schaffen sollen.

Mit Downtown (Planung: Daniel Libeskind) und Ørestad-Süd (Planung: ARKKI aps, ein Joint Venture von APRT, Helsinki, den Autoren des städtebaulichen Masterplans von 1994 und KHR, Kopenhagen) folgen die größten Entwicklungsbereiche erst nach.

Metro im Stadtwandel

Im Übrigen greifen alte städtebauliche Bestände und neue Standorte über die Infrastruktur ineinander, verändern sich wechselseitig zu Linienstrukturen. Das ältere S-Bahn-System, seit 1934 entwickelt, ab 2005 zum letzten Mal erweitert, verzweigt sich strahlenförmig nach Nord- und Südwesten, die Metro auch nach Westen, indem sie die historische Altstadt im Bogen nördlich unterfährt. Ihr gelten die Investitionen der Zukunft, da bis 2018 ein zusätzlicher Ring um die Kernstadt gelegt werden soll, der auch die nördlichen Entwicklungsbereiche des Hafens nahe dem Amerika Plads und dem Bereich Langeliniespitze/Marmorkai (dem Wettbewerbsstandort von Steven Holls Hafentorkomplex) anbindet.

Nach Westen liegen als Verknüpfungspunkte die Station Kongens Nytorf (im Einkaufs- und Touristenzentrum) und der Bahnhof Nørreport direkt am Rande der Fußgängerzonen, der zwischen der Gründerzeitvorstadt jenseits der grünen Zone der Contrescarpe und der Altstadt vermittelt. Er ist der zweitgrößte Knotenpunkt des metropolitanen Nahverkehrs. Auf mehreren Ebenen kreuzen sich die Trassen von Staatsbahn, S-Bahn und Metro.

Ab Fasanvej steigt die Trasse aus der Tunnellage erneut auf und führt stadtauswärts. Flintholm Station wurde wiederum zum Kreuzungspunkt mit der S-Bahn ausgebaut, die hier einerseits weiter in die Region ausschwenkt, andererseits den weiten Bogen des westlichen S-Bahn-Rings bildet. Auf acht Stahl-Pylonen ruht ein 5000 Quadratmeter großes Glasdach, das alle Einrichtungen des neuen Bahnhofs (2004, Architekten: KHR Arkitekter A/S – DSB Arkitekter) zusammenfasst. Die Dänischen Staatsbahnen prognostizieren, dass Flintholm Station in absehbarer Zeit allein 45 000 Fahrgäste täglich für die S-Bahn aufnehmen wird. Unmittelbar nach Osten schließt Flintholm Urban Center an, Quartierszentrum für ein Konversionsgebiet, dessen Areal gleichfalls industriell besetzt war.
Gestalterisch ähnelt der Kopenhagener Standard etwa der Metro in Bilbao (Foster and Partners). Der Vergleich mit den älteren Kopenhagener Bahnhöfen der S-Bahn, etwa in den Tunnellagen von Nørreport macht den Fortschritt deutlich: Die freundliche Stadtatmosphäre wird bis in den Untergrund ausgeweitet – nicht umgekehrt. Die internationale Konferenz Metrorail wählte die Kopenhagener U-Bahn 2008 zur »besten der Welt« – Zuverlässigkeit, Frequenz, Kundenzufriedenheit, Sicherheit.

[1] Bundesagentur für Außenwirtschaft (11/2008): Die Øresund-Region erwirtschaftet gegenwärtig bereits ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts der Länder Dänemark und Schweden; innerhalb der nächsten zwanzig Jahre, so die Prognosen, wird die Region einen Wert erreichen, der bereits der Hälfte des gesamten schwedischen Bruttoinlandsprodukts entsprechen wird.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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