Zeitschrift

TEC21 2009|05
Hors catégorie
TEC21 2009|05
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Draussen in der Halle

In der weltweit ersten Simulationshalle für Helikopter in Gaissach bei Bad Tölz (D) können Rettungskräfte wetterunabhängig Berg- und Lufteinsätze trainieren. Das bedeutet: weniger CO2-Emission der Helikopter, weniger Lärm und mehr Sicherheit.

30. Januar 2009 - Katinka Corts-Münzner
Für Rettungseinsätze an schwer erreichbaren Orten muss das Team gut eingespielt und trainiert sein. Bislang führte die bayrische Bergwacht die etwa 100 dafür notwendigen Trainingstage im Freien durch. Bei diesen teuren Übungsstunden gab es jedoch immer wieder Probleme: Der Helikopter wurde zum Notfalleinsatz abgerufen, oder die Wetterbedingungen verhinderten die Durchführung einer Übung, sodass die ehrenamtlichen Retter abreisen mussten, ohne zum «Einsatz» gekommen zu sein. Eine weitere Einschränkung stellt die kontingentierte Flugzeit der Maschinen und der Piloten dar. Da die Helikopter etwa alle 2.5 Stunden nachgetankt werden müssen, wurden die Übungen dauernd unterbrochen. Auch der benötigte Treibstoff war ein Entscheidungsfaktor: Die Helikopter verbrauchen im Freien durchschnittlich 350 Liter Kerosin pro Trainingsflugstunde, und das bei einem Trainingsvolumen von 3300 Flugstunden pro Jahr. Die Bergwacht strebte daher die Simulation der Helikopterflüge in einer Hallenanlage an, um die Ausbildungs- und Trainingsstruktur zu verbessern.

Weltweit erste Flughalle für Simulationshelikopter

Als Bauort wurde ein Grundstück in Gaissach bei Bad Tölz gewählt, das nahe an den Bergen liegt und dank der Infrastruktur gut erreichbar ist. Mit dem Projekt wurden die Münchner Architekten Herzog Partner betraut. In Zusammenarbeit mit der Bergwacht entwickelten sie ein Gebäude, das für Schulungs- und Trainingszwecke der Bergwacht genutzt werden kann, in dem aber auch Einsatzgruppen anderer Rettungsorganisationen wie Wasserwacht, Feuerwehr und Polizei realitätsnah trainieren können. Dazu stehen ein stationärer sowie ein beweglicher Simulationshelikopter zur Verfügung. Der steuerbare Helikopter ohne Rotorblätter läuft an einer Krananlage, der stationäre für das Grundtraining an der Helikopterzelle befindet sich auf einem Übungsturm.

Training in der Halle

In den Übungen an der beweglichen Zelle können sich Rettungsleute abseilen, Opfer werden mit der Winde geborgen, und am Boden lassen sich verschiedene Situationen trainieren. Der Parcours auf dem Boden soll in den nächsten Jahren erweitert werden. Die Übungen in der Helikopterzelle wirken sehr realitätsnah, da die Zellen an der Aufhängung «frei» durch die Halle gesteuert werden können. In der Halle befinden sich in etwa 16 m Höhe entlang der Längsseite Kranbahnträger, die ihre Lasten über Konsolen an die Stützenfachwerke abgeben. Sie wurden für den Betrieb von bis zu drei Portalkrananlagen mit einem Gewicht von je 28 t ausgelegt. Die Kranbrücken sind das Rückgrat der Anlage, haben jeweils eine Spannweite von 25 m und bewegen sich in Längsrichtung durch die Halle. Sie werden über frequenzgeregelte Antriebe bewegt und können daher stufenlos in ihrer Geschwindigkeit gesteuert werden. Auf den Brücken läuft in Hallenquerrichtung die Krankatze mit Hubwerk und Drehvorrichtung. Um die Lärmentwicklung durch die Bewegungen der Kranbrücken auf den Kranbahnträgern zu minimieren und um die Kranbahnschienen feinjustieren zu können, wurden diese Schienen auf Elastomeren gelagert verschraubt.

In der Helikopterzelle stehen zur Steuerung nachgebaute Originalinstrumente zur Verfügung. Es können Höhe, Fahrtrichtung und -geschwindigkeit sowie Schräglage gesteuert werden. Sensoren liefern Informationen zur Bewegung an ein Datenmodell der Anlage, und diese setzt die Bewegungsanforderungen nur dann um, wenn dadurch keine Kollision mit den anderen Anlagen entsteht. Nach den ersten Betriebsmonaten wird die Anlage mit höherer Geschwindigkeit betrieben, auch die Freiheitsgrade für die Helikopter werden schrittweise gesteigert. Sämtliche Komponenten der Kranbrücken und der Aufhängungen verfügen über die erforderlichen Leistungsreserven. Tragende Teile haben mindestens doppelte Festigkeitswerte, und sicherheitsrelevante mechanische Bauteile wie die Bremsanlage sind doppelt vorhanden.

Um die reale Stresssituation nachzustellen, wurde die Anlage mit weiteren Besonderheiten ausgestattet. Zum Beispiel kann der Abwind, der durch die Rotorblätter erzeugt wird, simuliert werden. In den Bereichen, in denen sich die Einsatzkräfte während der Übung aufhalten, sollen möglichst hohe Windgeschwindigkeiten herrschen. Oberhalb der Helikopterzelle wurden Windgeneratoren angebracht, von denen jeder bei 7.5 KW Leistungsaufnahme ein Strömungsvolumen von 72 000 m³/h bei einer Strömungsgeschwindigkeit von etwa 60 km/h im Dauerbetrieb liefert. Zudem können über eine Lautsprecheranlage oder die Kopfhörer der Einsatzkräfte Rotoren- und Turbinengeräusche so eingespielt werden, wie es die jeweilige Trainingsaufgabe und Situation erfordert. Auch Blendungen entstehen beim Übungseinsatz ähnlich wie in der Realität, da die transparenten Wände das Sonnenlicht ungehindert durchlassen. Zusätzlich werden Stroboskopblitzer eingesetzt, die in Intensität und Frequenz geregelt werden können, um flackerndes Licht zu simulieren. Diese optische Störung entspricht in etwa dem Lichteffekt, der entsteht, wenn Sonne zwischen den Rotorblättern auf die Unfallstelle scheint. Die komplette Halle ist nicht beheizt, nur die Helikopterzellen, der Kontrollraum und die Basislager können temperiert werden. Die Anlage wird in den Wintermonaten schwere und warme Kleidung sowie Handschuhe erforderlich und damit das Training realitätsnaher machen.

Tragwerk und Fassade

Das Hallentragwerk ist wegen der Gebäudehöhe von fast 20 m hohen Windkräften ausgesetzt. Zusätzliche besondere Lastfälle für die Konstruktion entstehen durch die Bewegung der Helikopter entlang der Kranbahnen. Fünf räumliche, in ihrem Querschnitt dreieckige Fachwerkträger sind die Haupttragelemente der Stahlkonstruktion, Fassade und Dach lasten auf dem Zweigelenkrahmen. Die Stirnseiten der Halle bestehen jeweils aus zwei Ebenen, die biegesteif miteinander verbunden wurden. So entstand für Windlasten eine Tragwirkung als Vierendeelträger. In der Mitte der Längs- und der Stirnseiten der Fassade wurden horizontale Festpunkte gewählt, die die horizontalen Lasten an den Massivbau abgeben. Alle anderen Auflagerpunkte wurden in Längsrichtung der umlaufenden Wände verschiebbar gelagert, sodass horizontale Bewegungen des Tragwerks infolge Temperatureinwirkungen möglich sind.

Da die Bergwacht im Gebäude unter realitätsnahen Klimabedingungen trainieren wollte, wurde für die Fassade nur eine hochtransparente Folienkonstruktion verwendet. Diese dient als Wetterhaut, aber kaum als thermische Trennung. Die 0.3 mm starke transparente Folie wird in einem Stahlrahmen gehalten und durch Bögen nach aussen ausgelenkt, wodurch sie ihre geometrisch notwendige Steifigkeit erhält (s. Kasten S. 22).

Ausbau in den nächsten Jahren

Seit 2008 läuft der Trainingsbetrieb, und die Anlage erfüllt nach Angaben der Betreiber deren Erwartungen. Für den weiteren Ausbau des Trainingsparcours sind in einem weiteren Bauabschnitt ein Wasserbecken mit Wellen- und Strömungsanlage und eine alpine Fels- und Hügellandschaft mit Wasserrutsche für Übungen der Canyoning-Rettungsgruppen geplant. In die Felslandschaft sollen kurze Höhlengänge integriert werden. Auch ein kleines Haus soll in der künstlichen Landschaft stehen, an diesem können dann Rettungen über Dach, Balkon und Fenster trainiert werden. In einem weiteren Ausbauschritt soll der Parcours um eine Liftanlage mit Sesselliften und Kleinkabinen, einen Strommast und einen Baukran für Bergungsübungen erweitert werden.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: