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TEC21 2009|06
Veloverkehr fördern
TEC21 2009|06
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Sinnvoll verknüpfen

12. Februar 2009 - Alexander Felix
Die intermodale Verknüpfung von Velo und öff entlichem Verkehr erschliesst ein grosses Potenzial zur Verringerung des motorisierten Individualverkehrs. Die Beispiele eines bewährten Velo-Vermietkonzepts und architektonisch anspruchsvoll gestaltete Velostationen an zwei Bahnhöfen mit unterschiedlichen Zielrichtungen zeigen, dass die Bausteine für eine sinnvolle Kombination der vorhandenen Verkehrsmittel bereits vorhanden sind. Das Netz muss geknüpft werden, um die jeweiligen Vorteile wirkungsvoll zu stärken. Das Velo zeigt auf langen Strecken Schwächen, der öffentliche Verkehr hingegen bei der Feinverteilung, bzw. ein feines Streckennetz ist sehr teuer. Beide haben allerdings das Potenzial, sich optimal zu ergänzen – vorausgesetzt die Schnittstellen sind gut. Velostationen, die je nach Bedarf für Weg- und Zupendler geeignet sowie der Grösse der ÖV-Station und der Struktur ihrer Umgebung angepasst sind, ermöglichen einen optimalen Übergang. Sinnvoll sind abgestufte Kategorien mit unterschiedlich umfangreichen Angeboten für den Landbahnhof, die mittlere Ortschaft, das dichte Zentrum und die Velotourismusdestination.

Drahtesel für jedes Dorf

Mitte der 1990er-Jahre entwickelte der damalige Münchner Informatikstudent Christian Hogl ein viel versprechendes innovatives Mietvelokonzept als Lösung für Zupendler. Mit seiner Call-a-bike AG begann er, mit einem eigens patentierten «Bordcomputer» als Zahlenschloss sowie einem telefonzellen- und handybasierten Mietkonzept das bisherige, mit Mängeln behaftete Mietveloprinzip zu revolutionieren. Im Frühjahr 2000 stellte die kleine Aktien gesellschaft in München 2000 Call-a-bikes an verschiedenen Plätzen und Strassenkreuzungen zur Benutzung bereit. Trotz 27 000 Kunden innerhalb von sechs Monaten, viel öffentlichem Lob und grossem Medienecho endete das Start-up bereits im November 2000 in der Insolvenz, da Zeit- und Kostenplanung ausser Kontrolle geraten waren. Im gleichen Jahr gründete die Deutsche Bahn ihr Tochterunternehmen DB Rent GmbH, um mit ergänzenden Vermietdienstleistungen das Kerngeschäft der Bahn zu erweitern. Die Bahntochter übernahm das Call-a-bike-Konzept mitsamt dem Inventar als einen willkommenen Baustein in ihrem Mobilitätsangebot. Im Oktober 2001 waren 1000 Call-a-bike-Velos wieder auf den Münchner Strassen. In den folgenden Jahren baute die Bahn die Idee kontinuierlich aus, sodass die Räder heute auch in Berlin, Frankfurt am Main, Köln, Stuttgart und Karlsruhe genutzt werden können. Call-a-bike hat sich in allen Städten binnen kurzer Zeit als flexibler Service, als Ergänzung zum eigenen Rad sowie zu Bussen und Bahnen etabliert. 2007 nutzen 75 000 Kunden (Einheimische und Touristen) die über 5000 Velos für etwa eine halbe Million Fahrten.

Für viele Menschen gehört es heute zum Lebensstil, flexibel mobil zu sein. Die Marktforschung zeigt, dass es drei Hauptgruppen von Call-a-bike-Nutzenden gibt. Während die «Umweltorientierten» das Angebot selbstverständlich nutzen, befriedigen der weitere Ausbau und die technische Integration von verschiedenen Mobilitätsdiensten eine jüngere, pragmatische Zielgruppe. Das grösste Wachstumspotenzial liegt jedoch in der Gruppe der «Autoaffinen». Die heutige Fixierung auf individuelle Automobilität verdeutlicht zugleich die Chancen für die Angebotsentwicklung des intermodalen Verkehrs. Wenn es gelingt, die Angebote so zu gestalten, dass alltägliche Fahrten statt mit dem eigenen Auto mit der ÖV-Velo-Kombination zurückgelegt werden, ist auch das Wachstum der Mietveloanbieter gesichert.[1]

In der Schweiz ist das Mietvelosystem bislang hauptsächlich auf eine touristische Nutzung ausgelegt. Dementsprechend sind Vermiet- und Rückgabestationen eher in Freizeitgebieten angesiedelt und sprechen die Alltagsnutzer nicht an. Mit der Mobility-Struktur für Mietautos steht allerdings bereits ein landesweites Netz zur Verfügung, das in Richtung nichtmotorisierter Verkehr geöffnet werden könnte. Eine angemessene Anzahl Mietvelos, die an jedem Bahnhof für Zupendler bereitstehen, erweitert den Bewegungsradius für Bahnreisende beträchtlich. Etliche Autofahrten können damit entfallen, auch wenn das Ziel etwas abseits der öffentlichen Anbindung liegt.

Ständer am Gleis 1

Die Erfolgsgeschichte der Veloparkierungen für Wegpendler am Bahnhof ist schon deutlich länger. Gedeckte, unbewachte Veloparkierungen in unmittelbarer Nähe zum Zug gehören seit Langem zum guten Bild der SBB-Bahnhöfe. 1994/95 sind in der Schweiz die ersten bewachten Abstellanlagen für Velos hinzugekommen. Da vielerorts die ehemaligen Güterschuppen der Bahn leer standen, wurden diese Räume in Aarau, Langenthal und Uster für eine witterungsgeschützte und diebstahlsichere Veloverwahrung umgenutzt.

Inzwischen hat das Kind bei den SBB den Namen «B Rail» bekommen und wird mit einem standardisierten Bausystem konsequent erweitert. 2005 wurde der Bedarf bei den 620 Regio nalbahnhöfen konstatiert, die bis 2016 modernisiert werden sollen. Er entspricht einem Angebot von gedeckten Abstellplätzen für rund 20 000 Velos. Auch in 60 Fernbahnhöfen besteht Handlungsbedarf, vornehmlich um bestehende Anlagen zu entlasten.[2] Das Veloparkhaus in Glattbrugg (Bilder 3–5) ist ein aktuelles Beispiel für das B Rail-Konzept.

Die Station Glattbrugg im Norden Zürichs wurde als Knotenpunkt zwischen der neuen Glatttal-Bahn und der S-Bahn ausgebaut. In direkter Verlängerung des Aufnahmegebäudes von Max Vogt (Baujahr 1976) haben die Architekten der asa Arbeitsgruppe für Siedlungsplanung und Architektur, Rapperswil, einen neuen Parkhaustrakt errichtet. Eine Überdachung verbindet beide Bauteile und schafft einen neuen Vorplatz, den ein integrierter Kiosk zusätzlich belebt. Mit einer abgerundeten Glasfassade schliesst der lang gestreckte Neubaukörper nach Süden ab und bildet einen glatten Gegenpol zum markant kubischen Vogt-Bau.

Das zweigeschossige Veloparkhaus bietet Abstellplätze und lässt sich bei wachsendem Bedarf auf die doppelte Kapazität erweitern. Über den gedeckten Vorplatz erreichen die Pendlerinnen und Pendler ihren Zug. Die Konstruktion basiert auf dem Baukastensystem der RV05-Stationen der SBB (TEC21 13 und 18/2003). Stützen und Träger aus HEB-Profilen bilden das Tragwerk, Dach und Zwischendecks bestehen aus Hohlkastenelementen. Die Aussteifung erfolgt über Windverbände und den massiven Ortbetonkern des Kiosks. Eine einfache Profilglas-Fassade bietet Witterungsschutz. Der Zugang erfolgt über ein Kartensystem – jeder Nutzer muss sich anmelden und bekommt gegen ein Depot eine Karte, die ihm den Zutritt rund um die Uhr ermöglicht.

Diese monofunktionale Lösung ist mittlerweile ein anerkannter Baustein in der Möbilitätswirklichkeit. Sie könnte nun vermehrt auch Ausgangspunkt für weiter gehende Konzepte werden, die einen umfassenderen Mobilitätsservice anstreben.

Velo-Power-Tower

Das «mobile» in Freiburg im Breisgau geht weit über das gewöhnliche Veloparkhaus hinaus und richtet sich mit seinen Angeboten nicht nur an die täglichen Zu- und Wegpendler, sondern auch an den Freizeit-Veloverkehr (Bilder 6–9). Die Stadt gehörte zu den ersten in Deutschland, die Velofahrenden in Bahnhofsnähe bewachte Abstellplätze boten. Hinzu kam 1999 das Modellprojekt «mobile» der ortsansässigen hotz architekten, eine in dieser Konzeption einmalige Mobilitätszentrale zur Stärkung des umweltverträglichen Verkehrs. Ziel der Einrichtung ist die Vernetzung des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs mit anderen Mobilitätsformen wie Velofahren, Car-Sharing und Taxi als Einstieg in ein zukunftsfähiges Verkehrssystem.

Der auffällige Rundbau am Freiburger Bahnhof beherbergt neben Velostellplätzen einen Reparaturservice, ein Informationsbüro und ein Café und macht durch seine Präsenz im Stadtbild Werbung für alternative Verkehrsformen. Die Gestalt unterstreicht dabei die Funktion der Station als «Drehscheibe»: Die Plattformen sind von allen Seiten erreichbar – die Hauptzufahrt liegt auf Strassenniveau, eine zweite Zufahrt ist über eine Rampe von der Stadtbahnbrücke her möglich, die über die Bahngleise führt.

Der aufgeständerte, im Grundriss ringförmige Baukörper verfügt über zwei Ebenen, die als Stahlbetonkonstruktion errichtet wurden und einen offenen Innenhof umschliessen. Die Fassade besteht aus Holzelementen, Edelstahl- und durchsichtigen Polycarbonatbändern. Unter dem Gebäude befinden sich die Parkplätze der Car-Sharing-Autos. In der Ebene 1 liegt das Parkdeck für 1000 Velos. Zusätzlich können dort Fahrräder, auch mit Kindersitz oder Anhänger, Tandems oder Fahrradtransporttaschen und andere nützliche Dinge gemietet werden. In der oberen Etage des Gebäudes bieten mehrere Mieter verschiedene Dienstleistungen im Bereich Mobilität an. So hält das Büro des Regiotourismus Angebote für Touristen bereit, die das Dreiländereck Deutschland–Frankreich–Schweiz per Velo kennen lernen wollen. Von Plan- und Informationsmaterial für Erkundungen auf eigene Faust bis hin zu geführten Radtouren reicht das Angebot. Ein Velogeschäft, das auf Stadt-, Reise- und Falträder spezialisiert ist, versorgt Alltags- und Freizeitradler mit allem, was für ihre jeweiligen Zwecke notwendig ist. Die angegliederte Werkstatt verfügt über vier Reparaturplätze. Auf dieser Ebene befindet sich auch ein Gemeinschaftsraum, der angemietet werden kann. Ein Café bietet Rastenden Speisen und Getränke aus der Region. Während eilige Reisende am Kiosk einen schnellen Imbiss kaufen können, lädt die grosse Terrasse zum Verweilen ein und bietet einen schönen Blick über die Gleisanlagen auf die Stadt und den Freiburger Hausberg Schauinsland. Seit August 2007 ist der Verein Car-Sharing Südbaden-Freiburg Gesellschafter und Betreiber des «mobile». Seine Erfahrungen sind gut.

Das Konzept würde auch in die Schweiz passen. Solche multifunktionalen Velodrehscheiben könnten in den Agglomerationskernen die dichten ÖV-Netze mit dem Veloverkehr verbinden und in Orten, die sich als Zentren für Velotourismus etablieren wollen, als Ausgangsbasis für Touren dienen. Sie liessen sich kommerziell betreiben und könnten je nach Standort mit zusätzlichen Angeboten erweitert werden. Bewachte Velostationen brauchen lange Präsenzzeiten vom ersten bis zum letzten Zug und damit viel Personal.

Es drängt sich daher auf, nach neuen Synergien zu suchen: In den Niederlanden werden bereits Billett- und Gepäckschalter in Veloparkhäuser verlagert. In den Schweizer Bahnhöfen Burgdorf, Langnau i.E. und Trubschachen bietet der Betreiber der Velostationen, die Pro Velo Emmental, in Zusammenarbeit mit der Regionalen Arbeitsvermittlungsstelle einen Hauslieferdienst an. Monatlich werden etwa 2500 Einkäufe von rund 50 angeschlossenen Geschäften per Velo zu den Kunden nach Hause geliefert.3 So könnten Velostationen am Ende retten, was an den Bahnhöfen in den letzten Jahren verloren gegangen ist. Die multifunktionale Velostation steht unmittelbar am Bahnhof und ist mit einer eigenständigen Gestaltung und gutem Wiedererkennungswert ein Statement der Gemeinde für den nachhaltigen Veloverkehr.


Anmerkungen
[1] Andreas Stolberg, Christian Hoff mann: Forschungsbericht «Call a Bike», im Auftrag von Wissenschaft szentrum Berlin für Sozialforschung gGmbh (WZB) und DB-Rent GmbH, Marburg/ Berlin 2005, www.wzb.eu/callabike/
[2] Markus Dössegger: Nationale Fachtagung Veloparkierung, Bern 2005
[3] Boom bei den Velostationen, Verkehrs-Informationen, Ausgabe 10 vom 30.12.2008, Informationsdienst für den öff entlichen Verkehr, Bern

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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