Zeitschrift

TEC21 2009|08
Holztragwerke
TEC21 2009|08
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Unsichtbar

In Lausanne werden zurzeit vier mehrgeschossige Wohnblocks gebaut. Die vom Genfer Architekturbüro Bonhôte Zapata entworfenen Bauten werden – auch dank ihrer Tragkstruktur aus Holz – den Minergie-eco-Standard erfüllen. Das aus nahen Wäldern stammende Holz ist günstig, hat gute statische Eigenschaft en, eignet sich für die Vorfabrikation von Bauteilen, senkt den Verbrauch an grauer Energie und wirkt sich positiv auf das Klima aus, indem es CO2 bindet. Nur sehen wird man es nicht, weil es hinter Brandschutzverkleidung und Aussenisolation zum Verschwinden gebracht wird.

26. Februar 2009 - Francesco Della Casa
Im Jahr 2005 veranstaltete die Lausanner Wohnbaugenossenschaft Cité Derrière einen Architekturwettbewerb mit Präqualifikation für den Entwurf einer Wohnüberbauung an der Avenue Victor Ruffy 57–63, in einem am Hang der Vuachère gelegenen Quartier, das mehrheitlich von Mehrfamilienhäusern mit Abstandsgrün geprägt ist. Als Sieger konnten sich Philippe Bonhôte und Julia Zapata aus Genf durchsetzen. Ihr Projekt – es umfasst vier Wohnblocks mit 64 Wohnungen und zwei Tiefgaragen – fügt sich nahtlos in den neuen Gestaltungsplan ein und greift das in Lausanne favorisierte, lockere Bebauungsmuster auf. Es versucht, die Vorteile des Standorts in Bezug auf Aussicht und Besonnung auszuschöpfen, gleichzeitig aber auch die Möglichkeiten in Bezug auf die Volumetrie sowie auf die Anzahl und Fläche der Wohnungen optimal zu nutzen.

Der Aussenraum ist mit terrassenartig angelegten Gärten (Bilder 1–3) und Pfaden gegliedert, die sich gut in das umliegende Wegenetz einfügen. Die grösste dieser Terrassen befindet sich auf halber Höhe des Grundstücks und verbindet die Eingänge der vier Gebäude. Mit ihren Bänken und dem recht dichten Baumbestand ist sie der zentrale Aussenraum des neuen Komplexes. Von hier aus zweigen kleinere Wege ab, die zu kleinen Spiel- oder Ruheplätzen führen.

Flexible Grundrisse und Minergie-Eco-Standard

Die vier Wohnblocks weisen ein Erd- und drei Obergeschosse sowie ein Attikageschoss auf. Die Wohnungen sind gleichmässig auf alle vier Seiten verteilt, was zu differenzierten Aussichts- und Besonnungseigenschaften führt. Ein zentrales Treppenhaus erschliesst pro Stockwerk drei bis vier Wohnungen, die jeweils eine Ecke des Gebäudes einnehmen und ähnlich aufgebaut sind, unabhängig davon, ob sie ein oder vier Zimmer haben. Die Sanitärräume sind um den zentralen vertikalen Erschliessungsschacht angeordnet. Ein breiter Flur fungiert als Eingangshalle, von der aus die Zimmer abgehen. Deren Anzahl und Grösse kann gemäss dem Wunsch der Bewohnerinnen und Bewohner variieren. Diese nutzungsneutrale Typologie bietet die gewünschte Flexibilität für den Fall, dass die Wohnungen zu einem späteren Zeitpunkt umgebaut werden. In den Gebäudeecken bilden die Küchen, Balkone und Wohnzimmer einen gemeinsamen Aufenthaltsbereich; auch diese Räume können nach Bedarf ganz oder teilweise abgetrennt werden (Bilder 4 5). Das Besondere an diesem Entwurf sind indes weder die Volumetrie, die von den starren Vorgaben des Gestaltungsplans weitgehend vorgegeben war, noch die flexible Typologie, die im heutigen Wohnungsbau letztlich nichts Ungewöhnliches darstellt. Interessant ist vielmehr die Frage, wie viel architektonische Gestaltungsfreiheit den Entwerfenden nach Erfüllung des Minergie-eco-Standards überhaupt noch bleibt. Und nicht zuletzt ist das Projekt auch ein gutes Beispiel für die Planung von mehrgeschossigen Holzbauten.

Günstige Vorfabrikation aus lokalem Holz

Eine Besonderheit ist, dass für die primäre und die sekundäre Tragstruktur Holz aus der Region zum Einsatz kommt. Dieser Entscheid fiel nicht aus ästhetischen Gründen, sondern weil Holz gute statische Eigenschaften hat und seine Verwendung sich positiv auf die Ökobilanz des Gebäudes auswirkt: Gemäss den geltenden Brandschutzvorschriften müssen die Fassaden nämlich mit einer feuersicheren Verkleidung versehen werden. Holz hat ausserdem den Vorteil, dass es die Vorfabrikation erleichtert; für die Errichtung der einzelnen Gebäude wurde jeweils eine Zeitspanne von fünf Wochen veranschlagt. Die Entscheidung für Holz hat in diesem Fall auch strategische Bedeutung. Es stammt aus Wäldern, die von der Stadt Lausanne selbst bewirtschaftet werden, sodass für Verarbeitung und Transport nur minimale Wege anfallen und damit auch die Auswirkungen auf die Umwelt geringer sind. Diese (auch ökonomische) Ersparnis wurde genutzt, um 55 überdachte Parkplätze in das Projekt zu integrieren, was die Wohnungen in kommerzieller Hinsicht noch attraktiver macht.

Der Umstand, dass gemäss Pflichtenheft der Bauherrschaft die Zertifizierung nach Minergieeco zu erreichen war, hat auch zur Folge, dass die Wärmedämmung der Gebäudehülle erhöhten Ansprüchen zu genügen hat. Aufgebaut ist die Hülle aus einer tragenden Rahmenkonstruktion, die mit einer 20 cm dicken Isolation ausgefacht ist, einer Brandschutzverkleidung auf beiden Seiten sowie einer äusseren, 10 cm dicken Schicht Mineralwolle. Rechnet man noch die Innenverkleidung hinzu, hat die Gebäudehülle eine Stärke von 42 cm. Bei den Öffnungen sind Schiebeläden vorgesehen, was eine glatte Fassade ohne vorstehende oder integrierte Storenkästen ermöglicht (Bilder 6 7).

Die kontrollierte Lüftung sorgt für ein gesundes Innenklima, da die Luft in den Wohnungen ständig erneuert wird. Dies bedeutet allerdings, dass die Bewohnerinnen und Bewohner umdenken und das Lüften durch Öffnen der Fenster reduzieren müssen. Hinzu kommt, dass wegen der notwendigen abgehängten Decken die Raumhöhe um 6 cm reduziert und damit das Volumen der Wohnräume verkleinert wird. Durch den Einbau grosser Panoramafenster mit Schallschutzverglasung sind die Wohnungen gegen den Verkehrslärm der stark befahrenen Avenue Victor Ruffy geschützt. Die Heizenergie wird aus dem städtischen Fernwärmenetz bezogen, was den Verzicht auf Sonnenkollektoren auf dem Dach rechtfertigt.

Vorteilhafte Ökobilanz und gelungene Finanzierung

Ulrick Liman, Spezialist für nachhaltige Entwicklung bei der Stadt Lausanne, betont: «Was die CO2-Emissionen betrifft, erweist sich die Entscheidung, mit Holz zu bauen, als doppelt richtig: Zum einen können für die gesamte Lebensdauer des Projekts 1300 Tonnen CO2 gespeichert werden, hauptsächlich in den massiven Deckenplatten. Zum anderen reduzieren sich die Emissionen bei der Fertigung, die graue Energie des lokalen Bauholzes ist niedrig. Unter Berücksichtigung der drei CO2-Emissionsquellen – Material, Wärme und Strom – ist davon auszugehen, dass beim Projekt Victor Ruffy 55 % weniger CO2 als bei der Standardbauweise freigesetzt wird» (Bilder 9–12). Zudem heisst das: «Bei der Wärmeerzeugung fallen pro Jahr 4.4 kgeq CO2/m2 an, also zehnmal weniger als bei einem gewöhnlichen Bau aus den 1970er-Jahren. Beim Stromverbrauch dürften 2.7 kgeq CO2/m2 pro Jahr anfallen, immer vorausgesetzt, die Bewohnerinnen und Bewohner haben einen sparsamen Verbrauch. Nach den Effizienzkriterien der Energieetikette Display dürften diese vier Gebäude in der besten Kategorie, in der Kategorie A, eingestuft werden.»

Liman kommt zum Schluss, «dass das Projekt Victor Ruffy im Vergleich zur klassischen Bauweise den Verbrauch an Primärenergie um 50 % senken kann. Dank dem Baustoff Holz und der Erfüllung des Minergie-eco-Labels konnte die graue Energie um 10 % auf 127 MJ/m2 pro Jahr reduziert werden, und dies trotz dem höheren Materialverbrauch, der wegen der Auflagen in Bezug auf die Wärmedämmung angefallen ist. Mit diesem Entwurf können im Vergleich zur Planung nach SIA 380/1 in 80 Jahren 65 000 MWh an Primärenergie eingespart werden. Dies entspricht dem jährlichen Energieverbrauch von 1500 Personen in der Schweiz.» (Bilder 9–12)

Die Wohnungen in den drei Gebäuden, die zum Selbstkostenpreis verkauft wurden, fanden trotz den Mehrkosten durch die Minergie-eco-Zertifizierung schnell Abnehmer. Die Vermutung ist nicht abwegig, dass die Verwendung von einheimischem Holz und der geringe Energieverbrauch gewichtige Argumente für eine Kaufentscheidung waren. Dieser Erfolg ermöglicht die Finanzierung des vierten Hauses, das Sozialwohnungen zur Vermietung enthalten wird.

Energetische Optimierung versus architektonische Qualität?

Die bemerkenswerten ökologischen Leistungen und die erfolgreiche Immobilientransaktion – ein Auftakt zum ehrgeizigen Vorhaben der Stadt Lausanne, 3000 neue Wohnungen zu errichten – sollten dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses Projekt auch kritische Fragen aufwirft. Die gewählten Lösungen sind in erster Linie das Ergebnis eines intelligenten und feinfühligen Abwägens von äusserst einschränkenden Randbedingungen; mit architektonischem Erfindungsreichtum haben sie weniger zu tun. Dieses Projekt veranschaulicht exemplarisch die Gefahr, dass ambitionierte energetische Zielsetzungen – auch wenn sie aus ökologischer Sicht sehr erstrebenswert sind – eine Verarmung und Formalisierung des architektonischen Vokabulars nach sich ziehen könnten (vgl. auch TEC21 45/2008, «Ökologie und Baukultur»).

Sorgfältig abzuwägen ist auch die immer wieder geäusserte Kritik an den diversen Minergie- Standards, die nicht nur zur erwünschten energetischen Optimierung der Bauten führen, sondern auch zu deren – für eine Senkung des Energieverbrauchs nicht immer zwingend notwendigen – technischen Aufrüstung. Dadurch erzeugen sie einen Mehrverbrauch an Baumaterialien und erhöhte Baukosten, die der Bauindustrie wohl zugutekommen, deren Nutzen für die Allgemeinheit aber nicht immer erwiesen ist.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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