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anthos 2009/1
Landschaftsarchitektur und Kunst
anthos 2009/1
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Kunst und Natur im Pas de deux

Die Kunst im Freien entsteht bei Katja Schenker nach dem vielfältigen Sich-Einstimmen auf den Standort und im Wechselspiel zwischen dem Körpereinsatz und den Kräften der Natur. Immer sind auch Zeit und Zufall willkommene Mitgestalter der Arbeit.

26. Februar 2009 - Jacqueline Burckhardt
Katja Schenker, diesen Namen verbindet man schnell mit Performance-Kunst und Arbeiten unter freiem Himmel, und wer komplexe Vorgänge kompakt formuliert, sagt schlicht, die Künstlerin geht ortsspezifisch und nach dem Prinzip von Sichten – Erforschen – Arbeitkreieren vor. Das Verständnis und die Reflexion über die vielfachen kontextuellen Eigenheiten des Standorts ihrer Intervention bilden bei ihr die Voraussetzungen, dass sich die Einfälle einstellen können.

Manchmal konsultiert sie Wissenschaftler wie etwa im Jahr 2006 für ihr Projekt «1588 étages» in einer Wohnsiedlung in Rheinfelden. Dort hinterfragte sie das System der gestapelten Einfamilienhäuser (Pile-Up-System), das der Architekt Hans Zwimpfer als Lösung gegen die wuchernde Zersiedelung entwickelt hat, und wollte wissen, wie viele Wohneinheiten übereinander aufgetürmt werden müssten, bis es zum Grundbruch kommt. Die Berechnungen einer Geologin ergaben, dass der Bruch bei einem Gewicht von 1589 Etagen zustande käme, und die Vorstellung dieses Szenariums setzte Schenker in ihrer Arbeit vor Ort um.

Die Zeit mitdenken

Ihre Werke entstehen meist im Wechselspiel zwischen einem beharrlichen, wenn nicht gar leidenschaftlichen Körpereinsatz und den Kräften der Natur. Bewusst legt sie die Arbeiten im Freien so an, dass sie sich verändern können, und rechnet auch mit dem Zufall als dem Mitgestalter, der sich nicht steuern lässt. Das Prozessuale in den wechselnden Erscheinungen ist Teil des Konzepts und wird deutlich thematisiert. Die Verwandlungen entsprechen dem natürlichen Lauf der Dinge, die sich weitgehend selbst organisieren oder auflösen. Kunst und Natur sind bei Schenker nie getrennt voneinander zu sehen.

Das zeigte auch ein Gartenprojekt auf der Insel Ufenau im Zürichsee, das sie für die Dauer des Sommers 2002 für das Seedamm Kulturzentrum Pfäffikon realisierte. Hier, in der vielgliedrigen Landschaft mit einer langen Kulturgeschichte, wo römische Spuren erhalten sind, Pilger einst Station machten und Zwinglis Freund Ulrich von Hutten im Exil an Syphilis starb, legte Schenker als Hauptmotiv zwei begehbare Pflanzen-Labyrinthe an. Jedes bestand aus zwei ineinander verschlungenen Spiralen mit einem Durchmesser von 32 Metern. Perfekt gliederten sie sich in einen sanften Abhang ein und schienen den alten Genius loci wecken zu wollen. Sie evozierten die Welt der Mythologien und christliche Symbole. Auf Bildern aus einem Heissluftballon schien es gar, als hätten Ausserirdische die Ufenau mit der Zeichnung zweier Brüste gebrandmarkt. Dabei hatte Schenker gepflügt, gesät und gepflanzt, hatte Getreide, Gemüse, Kräuter, Blumen und Stauden nach Dichte, Höhe, Farbe und Duft fein komponiert und dabei einkalkuliert, wie sich alles auch stimmungsmässig mit jedem Schritt und im Laufe der Wochen wandeln würde. Die Spiralpfade waren von mannshohen Wicken und Bohnen dicht gesäumt und gingen in der Mitte in ein platzartiges rundes Beet mit niedrigem Sommerflor über.

Als Katja Schenker am 1. August 2002 mit der Performance «rasen» vor Ort auftrat, einen grossen Heliumballon an einem hundert Meter langen Seil um den Leib geschnürt, fegten stürmische Böen übers Land. Im wilden Tanz mit und gegen die Windstösse erkämpfte sie sich den Weg durch die Labyrinthe, immer wieder abgetrieben vom herumwirbelnden Ballon.

Landschaft entwerfen

Im Jahr 2005 gestaltete sie erneut eine kleine Landschaft, diesmal für den Hof des Bundesamtes für Landestopographie in Wabern. Inspirationsquelle für diese Arbeit war Jorge Luis Borge’s Kurzgeschichte «Von der Strenge der Wissenschaft», die von einem fiktiven Reich handelt, in dem die Kunst des Kartographierens bis zur ultimativen Perfektion entwickelt war, sodass eine Karte im Massstab 1:1 punktgenau das ganze Reich erfasste und paradoxerweise gänzlich überdeckte. Jedoch verwitterte die Karte allmählich, und nachfolgende Generationen fanden nur noch wenige Überreste von ihr vor. Schenker übergoss in Wabern das Terrain mit Asphalt und pflanzte darin Buchsbäume und diverse Stauden ein. Seither wird die Asphaltkruste vom Pflanzenwuchs durchstossen, bröckelt ab, und da und dort macht sich ein Moosteppich breit.

Den Ort betonen

Asphalt ist auch das Material, das Schenker 2007 für ihre Arbeit «bleu du ciel» in der Ausstellung «Art en plein air» in Môtiers verwendete. Hier, im jurassischen Val-de-Travers, wurde während Jahrhunderten Asphalt abgebaut. Noch heute zeugen unterirdische Stollen davon. Schenker liess ein abgestuftes, kegelförmiges Loch graben und kleidete es mit Asphalt aus. An seiner Öffnung hat es einen Durchmesser von zehn Metern, es verjüngt sich drei Meter tief in die Erde hinein. Das Loch setzt ein vertikales Zeichen in diesem langen Tal, das seit den Römern eine Durchgangsachse ist, und noch heute kann man in diese Arbeit abtauchen, nur noch den Himmel sehen und an J.-J. Rousseau denken, der in Môtiers einen Zufluchtsort gefunden hatte. Im Sommer wird es heiss da unten, der weiche Asphalt riecht scharf, und es ist, als wäre man dem Erdinnern schon sehr nahe gekommen. Auch dieses Loch überlässt die Künstlerin wieder der Natur, die es von sich aus nach eigenen Gesetzen umformen wird.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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