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hochparterre 03|2009
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 03|2009
zur Zeitschrift: hochparterre

Motörchen am Heizkörper

Forscher und Techniker wollen die Auto­mation der Gebäude populär machen. Die meisten Architekten sind noch skeptisch.

25. Februar 2009 - Sue Lüthi
Die Hochschule Luzern — Technik & Architektur schickt eine neue Botschaft in Sachen Energiesparen hinaus. Sie nennt sich iHomeLab. Das modische Kürzel aus der Welt der Apple-Community verbindet Forschung und Ingenieurpraxis. Ale­xander Klapproth, Professor und Leiter des «Center of Excellence for Embedded System Applied Research» (Ceesar) der Hochschule Luzern, hat mit drei Millionen Franken ein Labor aufbauen können. Hier wird «intelligentes Wohnen» erforscht und präsentiert.

Im iHomeLab auf dem Schulcampus in Horw sieht es allerdings nicht aus wie zu Hause. Im weis­sen Empfangsraum steht ein Korpus, nebenan ein paar Sitzkissen. Aus den Ecken schallt Musik und die virtuelle Stimme von Lisa. Sie informiert die Besucherin. Plötzlich öffnet sich die Projektionswand — Sesam öffne dich! — und man steht in einem grossen, weissen Raum. Er gleicht eher einem Computerladen als einer Stube: Rundum Gestelle mit Tableaus, Geräten, Bildschirmen. Im Bo­den und an den Wänden verlaufen Schienen, auf denen Wände ein- und ausgefahren werden.
In diesem Labor zukünftigen Wohnens wird untersucht, wie verschiedene Geräte vom Heizkessel bis zur Stereoanlage von einem Ort aus überwacht und gesteuert werden können. Hier wird der grösste Stromfresser im Haus ermittelt oder studiert, wie eine Bedienung vereinfacht werden kann. Klapproth machts vor: Mit seinem iPhone verändert er das Licht und stellt Lisa auf stumm.

Verbessern und informieren

Mit dem Auftritt will der For­scher die Technik des iHome­Lab mas­­sen­­­tauglich machen. Im Kern geht es um Ge­bäudeautomation, die Heizungs-, Elektro- und Lüftungstechnik, aber auch Rollläden und Multi­mediageräte zentral steuert. Sie soll zuerst die Energieeffizienz eines Hauses verbesseren: Die Temperatur wird bei Abwesenheit gesenkt, die Waschmaschine läuft bei billigem Nachtstrom. Gebäudeautomation will aber auch das Leben im Haus vereinfachen. Und schliesslich die Sicher­heit erhöhen. Von der Haus­türe über Wetterfühler bis zum Timer an der Kaffeemaschine werden alle Apparate zentral gesteuert.

Das iHomeLab ist, wie erwähnt, nicht nur eine technische Werkstatt, sondern auch ein Showroom. Die Technik selbst ist zwar schon weit entwickelt, aber noch zu kompliziert und zu teuer. Erst im grossen Massstab angewendet wird sie günstiger. Darum sei Information ein wichtiger Teil der Hochschule, betont Alexander Klapproth:
«Wir sind präsent mit der Website, dem News­­letter, Mailings und Publikationen, wir gestalten Veranstaltungen und Kongresse mit, um auch die wissenschaftliche Seite abzudecken.» Kurz: Die Hochschule will das interdisziplinäre Netzwerk rund ums künftige Wohnen ausbauen.

Die Vernetzung und vor allem die Überwachung der Geräte ist elementar für die Durchset­zung der Energieeffizienz. Nur so sieht der Hausbewohner, wo wie viel Energie verbraucht oder eingespart wird. Dank Gebäudeautomation kann bereits heute ein Neubau mit 30 Prozent weniger Energie auskommen, an bestehenden Gebäuden können 20 Prozent eingespart werden. Die Luzer­ner Forschenden, aber auch Verbände und die In­dustrie tragen die Aufrufe des Bundesam­ts für Energie (BFE) weiter. Gemäss BFE verbrauchen Gebäude knapp 50 Prozent der Gesamt­energie des Landes: 30 Prozent für Heizung, Klimatisierung und Warmwasser, 14 Prozent in Form von Elektrizität und etwa 6 Prozent für die Herstellung und den Unterhalt. Zum Vergleich: Der Verkehr verschlingt 30 Prozent der Gesamtenergie.

Architekten stehen abseits

Doch wessen Aufgabe ist es, sich für Gebäudeautomation stark zu machen? Man denkt zuerst an die Ar­chi­­tekten: Sie sind die Berater der Bauherrschaft, sie steuern den Hausbau. Doch das Interesse hält sich in Grenzen. Energieeffizienz hat für viele Ar­chitekten bisher nichts mit dem Job zu tun. Sie bringt mehr Planungsaufwand, ist teuer und kom­pliziert. Alexander Klapproth fasst seine Erfahrung so zusammen: «Das Gebäudebild der Ar­chi­tekten ist stark vom Material, der Form und Gestaltung geprägt, die Technik und vor allem neue Entwicklungen sind für die Gestalter schwer fassbar.» Deshalb werde Technik nur als Neben­-schauplatz oder notwendiges Übel wahr­ge­nom­men. Kommt dazu, dass Techniker und Archi­tek­ten unterschiedliche Wahrnehmungen haben und verschiedene Sprachen sprechen. Klapproth ist des­halb realistisch: «Es braucht Zeit, die unterschiedlichen Weltbilder kompatibel zu machen.»

Trotz des verbreiteten Desinteresses der Architekten an technisch avancierten Lösungen hat für ihn die ausgeklügelte Haustechnik Zukunft: «Die Klima- und Heizungsregelung ist weit fortgeschritten und die Multimedia- und IT-Infrastruktur hat sich etabliert. Aber diese Teilsysteme sind noch nicht integriert und zum Beispiel mit den Elektrogewerken nicht vernetzt.» Auch der Komfort lasse noch zu Wünschen übrig. Die Bedienung der komplexen Technik müsse einfacher werden. Trotzdem sei die Technik nicht mehr zu stoppen, nicht zuletzt wegen der steigenden Energiepreise. «Ich rechne damit, dass in zwei bis drei Jahren die Energieeffizienz dank Gebäudesteuerung bei den Wohnbauten markante Resultate zeigen wird», prognostiziert Klapproth.

Keine Hexerei

Bei Neubauten energiesparende Technik einzubauen oder mindestens die Installation dafür vorzusehen, ist keine Hexerei: Von einem Tableau im Keller führen die Leitungen sternförmig zu allen gesteuerten Geräten, vom Lichtschalter bis zum Sonnenschutz. Diese sind mit Kabeln oder per Funk mit dem Bedien­element verbunden. In der Planung und beim Ein­zug braucht es einen Systemintegrator, der die Bedürfnisse der Hausbewohner aufnimmt, programmiert und das Tableau im Keller überwacht. Die Bewohner kommen dann aber mit einer Fernbedienung, dem Mobiltelefon oder einem fix installierten Schaltkästchen aus.

Und der Preis? Die Neubaukosten seien gegenüber konventioneller Technik nicht viel höher, sagt Alex Wettstein. Er hat als Bauherr modernste Technik in einem Wohn- und Geschäftshaus in Bivio integriert. René Senn, Leiter von Raum Consulting, einem Beratungsbüro für in­tel­ligentes Woh­nen, nennt für einfache Installationen in Neu­-bauten Mehrkosten von zwei bis vier Prozent.
Geht es um die Sanierung von bestehenden Gebäuden, macht es wenig Sinn, den Backofen mit dem Fernsehgerät zu vernetzen. Hier gilt es vorab, die Heizungen nachzurüsten. Schon mit einer einfachen Steuerung der Heizkörper kann ein Ein­­familienhaus mit bis zu einem Drittel weniger Öl auskommen. Eine einfache Nachrüstung ist zum Beispiel ein Kästchen, das über Funk die Regler an den Radiatoren dirigiert. Man stellt Zeit und Raumtemperatur ein und die Regler — ausgerüs­tet mit Temperaturmessung und Motörchen — drehen die Heizkörper auf und zu. Neue Leitungen sind keine nötig und Elektrosmog-Angst ist unbegründet, die Sendeleistungen sind gering und nicht permanent. Eine Minute mobil telefonieren entspricht einer Strahlenbelastung von 15 Jahren Wohnen mit Funk-Heizungsregler. Und damit die Abwehrargumente der hohen Kosten ins rechte Licht gerückt sind: Ein Gerät für ein Einfamilienhaus, zum Beispiel «Synco living» von Siemens, kostet 3600 Franken — Montage inklusiv.

Die Normen

> Der SIA setzt mit dem Merkblatt «Energieausweis für Gebäude» und der Norm 386.110 (in Europa seit 2007 die EN 15232) an. Das Merkblatt sagt, wie der Hausbesitzer zu einem Energieausweis kommt. Dieser Ausweis ist eine Bestandesaufnahme eines Gebäudes, der zeigt, wie viel von welcher Energie ein Haus verbraucht und wo das Sparpotenzial liegt. Zurzeit wird das Merkblatt von den Kantonen koordiniert und optimiert. Es soll im Sommer 2009 zur Vorschrift und breit gestreut werden.

> Die SIA-Norm 386.110 «Energieeffizienz von Gebäu­-
den — Einfluss von Gebäudeautomation und Gebäudemanagement» ist seit einem Jahr in Kraft. Sie gibt unter anderem Vereinheitlichungs- und Berechnungsmethoden zur Energieeffizienz vor. Die Norm teilt die Gebäudeautomation in die vier Effizienzklassen A, B, C, D ein, von hoch effizient bis nicht effizient.

> Das Bundesamt für Energie befasst sich mit der Um­-
setzung der Norm EN 15232 «Energieeffizienz von Gebäuden — Auswirkungen der Gebäudeautomation und des Gebäudemanagements», die die EU 2007 erliess. Stefan Wiederkehr vom BFE betont, dass es wichtig sei, Normen nicht nur für den Bau zu er­lassen, sondern auch zu prüfen, dass die Geräte rich­tig bedient werden. Deshalb beauftragte das Amt den Ve­rein «energho», sich beim Bau und bei Sa­nie­run­gen von öffentlichen Gebäuden bei der Bauherr­schaft einzuschalten und sie explizit über die Gebäudeautomation zu informieren. Allein mit der Optimierung
der bestehenden Gebäudetechnik könnten die Energiekosten um 10 Prozent gesenkt werden.

[ Daniel Lischer (47) ist Architekt ETH, war unter anderem bei Cruz und Ortiz, Sevilla, und Jean Nouvel, Paris, tätig und führt das Büro Lischer Partner Architekten Planer in Luzern. ]
Kommentar:
Bewusstseinsbildung

Vor mehr als zehn Jahren waren ener­gie­effiziente Gebäude selten. Heute ist es kaum mehr denkbar, Bauten zu erstellen, welche nicht dem Minergiestandard entsprechen. Waren früher Kli­maanlagen in Autos eine teure Sonderausstattung, so sind sie heute selbstverständlich. Mittlerweile ist jedes Fahrzeug mit mehr Elektronik als mit Mechanik bestückt. So vermeidet zum Beispiel ein Sensor automatisch beim Rückwärtsfahren, dass die Aus­sen­luft ins Fahrzeuginnere gelangt.

Bei den Gebäuden steht der nächste Tech­nologieschub an. Für den Archi­tekten bedeutet dies, dass neben den bekannten und bewährten Baustan­dards, neue Technologien im Gebäude implementiert werden müssen. Den Architekten interessieren vor allem die gestaltwirksamen Elemente, welche energieeffiziente oder automatisierte Gebäude in der Regel nicht bieten. Zeitgemässe Bauten werden in naher Zukunft mit mehr Gebäudeautoma­tion bestückt sein. Primäres Ziel muss die intelligente Vernetzung schon heute existierender Systeme sein. Wie bei den energieeffizienten Gebäuden braucht es in erster Linie eine Bewusstseinsbildung der Planer und Nutzer.

Ein Gebäudeausweis könnte für diese Thematik ein hilfreiches Instrument sein, ähnlich wie dies schon bei Kühlschränken und Autos üblich ist.
So ist es nicht eine Frage des Interesses des Architekten oder des Bauherrn, wenn mit einer massentauglichen Vernetzung bereits in bestehenden Infrastrukturen massiv Energie gespart werden kann, sondern ein Muss, wel­ches angestrebt werden sollte.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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