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hochparterre 04|2009
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 04|2009
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Brückenschlag zwischen Statik und Ästhetik

Jürg Conzett zum Auswahlverfahren an Wettbewerben: «Den Bauingenieur über das Honorar zu wählen, macht die Brücken nicht besser.»

6. April 2009 - Ivo Bösch
Gehts dem Brückenwettbewerb in der Schweiz schlecht?
Erfreulicherweise sind heute Brückenwettbewerbe wieder ein Thema. Noch in den Achtzigerjahren gab es sie kaum. In Graubünden war die Tardisbrücke in Landquart 2001 nach etwa zwanzig Jahren der erste Wettbewerb für eine Strassenbrücke im Kanton. Dem vorausgegangen war ein Dialog, in dem ein paar Kollegen und ich das Tiefbauamt aufgefordert hatten, wieder Brückenwettbewerbe auszuschreiben. Man ist darauf eingestiegen und kam zum Schluss, dass das Verfahren gut war. Es folgten im Kanton Graubünden viele Brückenwettbewerbe.

Weshalb haben Sie eine Tagung zum Brückenwettbewerb veranstaltet?
Die verschärften Konkurrenzvorschriften des Gatt / WTO bedrohen den Ingenieurberuf. Denn sie haben vor allem zu Honorarkonkurrenzen geführt. Den Bauingenieur über das Honorar zu wählen, ist zwar üblich, aber die Brücken werden so nicht besser. Denn die Büros schrumpfen ihre Arbeit auf ein Minimum ein und Engagement wird bestraft. So entsteht keine Qualität, sondern die billige Standardisierung wird gefördert. Eine solche Entwicklung widerspricht unseren Interessen, denn wir nennen uns «Gesellschaft für Ingenieurbaukunst». Auch wenn der Brückenwettbewerb immer noch ein neues Verfahren ist, können wir heute dank der kleinen Renaissance des Wettbewerbs auf die letzten Jahre kritisch zurückschauen.

Modell für die Beurteilung

Was muss sich im Ingenieurwettbewerb verbessern?
Über den Einzelfall hinaus hätte ich gerne ein paar allgemeine Konventionen. Die Verfahren sind zwar in den SIA-Ordnungen gut geregelt. Doch wir sollten von den Architekten lernen: Ich wünsche mir beispielsweise, dass alle Projekte auch anhand vom Modellen beurteilt werden.

Das wird nicht gemacht?
Nein, Modelle lässt der Veranstalter erst von den Projekten in der engeren Wahl bauen. Bei der Taminabrücke hatten wir eine schöne Brücke eingereicht. In der Beurteilung hiess es, der Bogen sei zu dick. Wir hatten im Büro natürlich ein Modell gebaut, das wir nicht abgeben durften. Der Bogen war profiliert und nach meiner Beurteilung sah das Modell nicht schlecht aus. Eine erste Wahl akzeptiere ich, aber dann will ich in dieser Stufe keine ästhetische Kritik über Proportionen hören.

Was machen die Bauingenieure sonst noch falsch?
Wir sollten mehr an die Nachwuchsbüros denken. Sie erhalten zu wenige Chancen. Und wir vergessen häufig, dass ein Wettbewerb auch Öffentlichkeitsarbeit ist. Es geht nicht nur darum, einen Sieger zu finden, sondern auch, weitere rangierte und nicht rangierte Projekte zu zeigen. Diese Diskussion sollten wir nicht nur unter Fachleuten führen, sondern auch öffentlich. Das wäre die beste Art, die oft introvertierte Arbeit des Ingenieurs bekannt zu machen.

Jurierungen überdenken

Könnte man auch anders jurieren?
Wir sollten uns bei den Jurierungen fragen, ob man ein bestimmtes Konzept und die entsprechenden Projekte prämiert, die einander ähneln, oder ob man von verschiedenen Konzepten jeweils das am besten ausgearbeitete Projekt belohnt. Die erste Haltung fördert eine präzise Art des Denkens und schafft eine Entwurfskultur, während die zweite nach aussen eher unentschieden wirkt. Man könnte sich vielleicht auch einmal in der Erarbeitung des Programms für den geeignetsten Brückentyp entscheiden und dann einen Wettbewerb mit vorgegebenem Typ durchführen. Dies würde die Entwurfsenergie bündeln und zudem auch die Wettbewerbsveranstalter und die Jurys mehr in die Verantwortung nehmen.

Ist der offene Wettbewerb das Heilmittel?
Im Gegensatz zu den Architekturwettbewerben wird der Veranstalter bei einem Brückenwettbewerb nicht überschwemmt. Bei einem offenen Ingenieurwettbewerb werden zehn bis vierzig Projekte abgegeben, was problemlos zu bewältigen ist. Ich begrüsse den offenen Wettbewerb. Selbstverständlich gibt es auch andere Verfahren, die je nach Fall ebenso ihre Berechtigung haben. Mit Wettbewerb im Brückenbau meine ich den Projektwettbewerb, den Studienauftrag, den Gesamtleistungswettbewerb und zum Beispiel auch den Miniwettbewerb, den Michel Donzel während seiner Amtszeit im Bundesamt für Strassen immer wieder veranstaltete.

Die Tradition des Ankaufs gibt es bei den Ingenieuren nicht. Halten sie sich zu brav an die Bedingungen?
Meine Meinung ist: Es sollte unnötig sein, dass man sich nicht an Bedingungen hält. Es gehört zur Ingenieurarbeit, mit Vorgaben umzugehen. Häufig gibt es bei Strassen- und Bahnbrücken harte Bedingungen. Ich kann die Lage einer Brücke nicht verschieben. Es ist auf jeden Fall gut, klar zu sagen, was geht und was nicht. Je präziser die Bedingungen im Wettbewerbsprogramm formuliert sind, desto besser versteht man die Aufgabe und desto besser das Resultat. Interessant ist, dass auch unter stark einschränkenden Bedingungen immer ein Gestaltungsspielraum besteht.

Die Tradition

Warum ist das Kostenargument so wichtig bei Ingenieurwettbewerben?
Es hat mit der Geschichte des Ingenieurberufs zu tun. Die Tradition reicht bis zur 1747 in Frankreich gegründeten École Nationale des Ponts et Chaussées zurück, zur ersten Ingenieurschule. Man wollte damals alle Strassenbauer zentral ausbilden, damit sie die ökonomischen Interessen des Staates wahrnehmen. Der Strassen- und Brückenbau war vorher in den Händen von Zünften gewesen. Ein Grund für den Beruf des Ingenieurs war: Wir wollen Leute, die präzis voraussagen können, was etwas kostet und leistet. Das war ein Bedürfnis der Gesellschaft vom 18. Jahrhundert an bis heute.

Und der Wettbewerb soll denjenigen belohnen, der am günstigsten ist?
Ein schönes Beispiel ist die 1930 fertiggestellte Salginatobelbrücke von Robert Maillart, die bekanntlich im Wettbewerb die billigste war. Ich wage zu behaupten, dass es damals keine Rolle spielte, ob sie auch die schönste war. Die ganze Eisenbetonbauweise konnte sich durchsetzen, weil sie eben billiger war als Stahl oder Stein. Die Kosten waren ein kräftiges Argument, um das Neue zu fördern.

Maillart war deshalb erfolgreich. Die Auseinandersetzung mit der Wirtschaftlichkeit ist Teil des Ingenieurberufs. Doch heute muss man das im Umgang mit dem baulichen Erbe in Frage stellen. Bei einer Instandsetzung immer die billigste Lösung zu nehmen, ist sicher falsch. Doch nicht nur in der Denkmalpflege müssen diese Fragen neu formuliert werden. Aber es ist schon so: Bei einer grösseren Brücke gehts sofort um viel Geld, meist um zweistellige Millionenzahlen.

Dürfte eine schöne Brücke auch mehr kosten als unbedingt nötig?
Dass man überhaupt wagt, diese Frage zu stellen, und nicht davon ausgeht, dass die wirtschaftliche Lösung auch die richtige ist – das wünsche ich mir.

Das Ansehen des Ingenieurs heben

Im Februar fand zum ersten Mal eine Diskussion zum Thema «Wege zur Ingenieurbaukunst — der Brückenwettbewerb» statt. Veranstaltet hatte sie die Gesellschaft für Ingenieurbaukunst zusammen mit der Stiftung Forschung Planungswettbewerbe.
Jürg Conzett provozierte im Einführungsreferat mit Forderungen zum Brückenwettbewerb, während Michel Donzel, Bereichsleiter Kunstbauten beim Bundesamt für Strassen, den «Miniwettbewerb» propagierte, ein selektives Verfahren für Bausummen unter fünf Millionen Franken. Donzel kam zum Schluss, dass die Öffentlichkeit bereit sei, für Ästhetik mehr zu zahlen. Der ETH-Professor für Baustatik, Thomas Vogel, und der Bauingen-ieur Massimo Lanffranchi berichteten von ihren Erfahrungen mit dem Ingenieurwettbewerb. Jürg Conzett ist Teilhaber des Büros Conzett, Bronzini, Gartmann in Chur. Er ist seit zwei Jahren Präsident der Gesellschaft für Ingenieurbaukunst. Ziel der 270 Mitglieder ist, das Ansehen des Ingenieurs in der Schweiz zu heben. Konkret hat die Gruppe Bücher herausgegeben wie «Robert Maillart — Beton-virtuose» oder «Christian Menn — Brückenbauer».

Kommentar: Austausch tut not

Als Architekt staunt man. Die Ingenieure halten sich an die gleichen SIA-Normen. Und doch herrscht eine andere Wettbewerbskultur. Die Verfahren sind teilweise völlig anders. Wer sich nicht an die Bedingungen hält, der fliegt aus dem Verfahren. Der Ankauf ist unbekannt, also kann der bewusste Verstoss gegen das Wettbewerbsprogramm nicht belohnt werden.

Modelle lassen die Veranstalter selbst bauen, aber nur von den Projekten in der engeren Wahl. Das verbreitete Punktesystem eignet sich kaum für eine faire Gesamtbeurteilung. Selbst Statikprofessoren fordern, die Ingenieurwettbewerbe «architektenmässiger» zu gestalten. Doch staunt der Architekt auch, wie offen die Bauingenieure über die Verfahren reden. Fairness ist oberstes Ziel. Und da wird sogar über die Juryzusammensetzung diskutiert — eine heilige Kuh bei den Architekten. Kurz: Architekten und Bauingenieure können voneinander lernen. Das wäre ein Thema für eine nächste Tagung.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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