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hochparterre 04|2009
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 04|2009
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Bildung im Klinkerkleid

Dem Careum ist ein starker Auftritt gelungen. Die Mauern bieten der Schule mehr Platz und verleihen dem Platte-Quartier einen neuen Charakter.

6. April 2009 - Werner Huber
Die Platte, eine Geländestufe am Zürichberg, ist seit Langem ein Brennpunkt des Gesundheitswesens und der Architektur. Das jüngste Familienmitglied ist der Careum Campus, eine Überbauung von GWJ Architekten mit dem Ausbildungszentrum für Gesundheitsberufe und Wohnungen. Dort wo die Platte in den Hang übergeht, stehen fünf kantige, in Klinker gehüllte Kuben. Die Hauptrolle spielt das Schulgebäude an der Ecke Gloria- / Pestalozzistrasse, das mit einem «Schaufenster» in die Stadt blickt. Dahinter ragt eine höher gestellte Hausscheibe mit weiteren Schul- und Laborräumen empor. Diese spannt mit dem Haupthaus einen Winkel auf und umschliesst den dreieckigen Platz, den eine Sandsteinklippe von Piero Maspoli gegen die Strasse abschliesst. Drei weitere Gebäude stehen im hinteren Teil des Areals; im einen gibt es Büros in den Sockel- und Wohnungen in den Obergeschossen, die beiden anderen sind Wohnhäuser.

Harte Hülle

GWJ Architekten haben den Careum Campus als ein Stück Stadt komponiert. Die fünf Häuser vermitteln zwischen dem grossen Massstab des Spital- und Hochschulquartiers mit dem Zahnärztlichen Institut und dem Schwesternhochhaus in der unmittelbaren Nachbarschaft und der kleinmassstäblichen Bebauung des Zürichbergs. Die Architekten nutzten das abfallende Gelände, um Höfe und Terrassen zu bilden, die Landschaftsarchitekten Klötzli und Friedli haben diese Aussenräume gestaltet.

Wer durch die Höfe und Gassen spaziert, begibt sich auf eine Promenade architecturale; zwischen den Neubauten hindurch öffnen sich Blicke auf die anderen Bauten des Campus, auf die stolzen Villen des Zürichbergs oder auf die Grossbauten der Sechzigerjahre. Die verschiedenartig gemauerten Klinkersteine verbinden die unterschiedlich genutzten Gebäude zu einem Ensemble: An den Sockelbereichen, an den Deckenstirnen und den Stützmauern bilden Läuferverbände homogene Flächen, in den Geschossen ist jede zweite Läuferschicht zurückgesetzt, sodass eine starke horizontale Zeichnung entsteht, die entweder als geschlossene Wand oder als lichtdurchlässiges Gitter ausgeführt ist.

Im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten changieren die Fassaden in unterschiedlichen Farben, nicht nur dank dem lebendigen Material, sondern auch dank dem Relief, das wie ein präzises Ornament über den Gebäuden liegt. Der Klinker ist als Material so dominant, dass man erst auf den zweiten Blick die unterschiedlich gros-sen, aber immer geschosshohen Öffnungen registriert — Fensterbänder an den Schulgebäuden, Lochfenster an den Wohnhäusern.

Weicher Kern

Das Herzstück des Hauptgebäudes ist die sogenannte «Kommunikations- und Bildungslandschaft» mit Bibliothek, Cafe-teria und Studierhof im Erd- und Sockelgeschoss. In den Obergeschossen sind die vielfältig nutz- und umnutzbaren Unterrichtsräume untergebracht. Dazu gehören die «Skillslabs», originalgetreu nachgebildete Krankenzimmer und Operationsräume, in denen die künftigen Pflegefachfrauen und -männer üben können — zum Teil an Schauspielerpatienten. Das Gebäude erinnert weniger an ein Schulhaus, bei dem die pädagogischen Anforderungen in Beton gegossen oder in Stein gemauert sind, sondern eher an ein Bürogebäude. Wer an die Trennwände klopft, stellt fest: Leichtbau! Die Raumaufteilung ist eine Momentaufnahme der aktuellen Bedürfnisse. Wandeln sich diese, bricht man die Wände mit wenig Aufwand ab und zieht sie an anderer Stelle neu ein.
Massiv und unverrückbar ist das Gebäude hingegen in seinem Kern. Treppenturm und Lichthof verbinden die «Bildungslandschaft» der unteren mit den Unterrichtsräumen der oberen Geschosse. Urs Eberles kräftige farbliche Gestaltung dieser beiden Räume unterstreicht die Bedeutung dieser Vertikalen als Orte der Kommunikation.

Das Erbe des Pfarrers

So neu die Gebäude und so modern der Name, so alt ist die Tradition, die hinter dem Careum steht. Im Jahr 1880 regte Pfarrer Walter Bion an, eine Anstalt zu gründen, an der Krankenpflegerinnen frei von religiöser Propaganda ausgebildet werden können. 1882 nahm sie ihre Arbeit auf und wurde bald zur Stiftung. Die Ausbildung war immer das wichtigste Standbein, obschon das angegliederte Rotkreuzspital in der Öffentlichkeit bekannter war. Als in den Neunzigerjahren die Belegung stark zurückging, prüfte die Stiftung Kooperationen mit anderen Privatspitälern. Diese waren aber nicht realisierbar, auch wegen des Vetos der kantonalen Gesundheitsdirektion, die Akutbetten und Kosten reduzieren wollte.

Schliesslich beschloss die Stiftung, das Rotkreuzspital Ende September 1997 zu schliessen. «Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende», meinte Stiftungspräsident Arnold Saxer.
Die Neuausrichtung zielte auf die Erhaltung der Bildung in den Gesundheitsberufen. Dafür wurde eine neu konzipierte Berufsschule für Pflege geplant. Neben der Schule sollten aber auch Wohnungen des mittleren und oberen Segments entstehen. Dies, um den gesetzlichen Wohnanteil von vierzig Prozent zu erfüllen, aber auch als Immobilienanlage, deren Erträge wieder in den Stiftungszweck investiert werden.

Zwei Workshops mit der Stadt Zürich bildeten die Basis für die Planung. Ende 1999 lud die Stiftung fünf Architektenteams zu einem begleiteten Studienauftrag ein. «Begleitet» heisst, dass die Architekten während des Verfahrens ihre Skizzen und Entwürfe in zwei Workshops vorstellten.

Nicht hinter verschlossenen Türen planen

Die erste Veranstaltung fand im Februar 2000 statt. Das Tagesziel waren eine Auslegeordnung der städtebaulichen und planerischen Strategie sowie das Verhältnis zwischen Alt- und Neubauten. Während des ganzen Tages waren auch sämtliche Wettbewerbsteams anwesend. Am Abend wusste also nicht nur die Stiftung, in welche Richtung die einzelnen Teams arbeiteten, sondern auch die Konkurrenten waren gegenseitig über ihre Konzepte orientiert.

Im zweiten Workshop im Mai 2000 stellten die Teams ihre Projekte unter Ausschluss ihrer Konkurrenten vor. «Erhärtung der Projektstrukturen» lautete das Tagesziel. Die letzte Runde des Studienauftrags endete mit der Abgabe der fünf Projekte im Sommer 2000 und dem Entscheid des Beurteilungsgremiums.
Mark Werren von GWJ Architekten erinnerten die Workshops an die Zwischenkritiken zu Studienzeiten: «Dieses Verfahren hat uns motiviert. Wir lernten die Bauherrschaft kennen und verstanden, welche Programmpunkte noch offen sind.» Damals war in der angestrebten neuen Art der Ausbildung noch nicht alles definiert und die Stiftung gewann die Erkenntnis, dass sie das Projekt allenfalls etappieren oder einzelne Bauten erhalten will — was schliesslich ein wichtiger Punkt für die Wahl von GWJ Architekten war. Als einziges skizzierte ihr Projekt die Verwirklichung in zwei voneinander unabhängigen, städtebaulich überzeugenden Etappen.

Neue Schule fürs neue Haus

Parallel zu den Planungen am neuen Haus arbeitete die «Stiftung Schwesternschule und Krankenhaus vom Roten Kreuz in Zürich-Fluntern», wie sie immer noch hiess, an den neuen Ausbildungsgängen. Der Kanton wollte seinerseits die 26 bestehenden Ausbildungsstätten für Gesundheitsberufe auf zwei reduzieren, in Winterthur und in Zürich. Mit der neuen Ausbildung und dem neuen Haus, das bereits im Bau war, stand die Stiftung für diese Aufgabe bereit. Die Bemühungen haben sich gelohnt: Anfang 2005 wurde mit dem Kanton Zürich die Leistungsvereinbarung abgeschlossen. Zusammen mit den drei Partnern Kalaidos, Neumünster und Eleonorenstiftung wurde das «Careum Bildungszentrum, Zürich» gegründet. Damit waren die Voraussetzungen für den Start der zweiten Bauetappe gegeben.
Für die Gebäude, die nicht vom eigenen Bildungszentrum benötigt werden, wurden weitere Mieter gesucht, die dem Stiftungszweck entsprechen. So zogen die Medizinbibliothek der Universität und des Universitätsspitals, das Dekanat und das Studiendekanat der Medizinischen Fakultät ins Haus. Dazu gesellten sich weitere Institutionen aus dem Gesundheits- und Bildungsbereich. Doch auch die Stiftung Careum expandierte, gründete einen Verlag oder ein Fachportal im Internet.

Das erste Jahr unter Vollbetrieb ist abgeschlossen; gegen 2000 Studierende beleben den Campus — zur Zufriedenheit aller, wie Stiftungsrat René Kühne unterstreicht: «Die Reaktionen der Schülerinnen und der Bewohner sind positiv. Das hat nicht zuletzt mit der Architektur zu tun.»

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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