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TEC21 2009|16
Im Takt
TEC21 2009|16
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Legato über elf Gleise

Über der Bahnhofeinfahrt Luzern, einem der höchstfrequentierten Gleisfelder der Schweiz, muss die Langensandbrücke ersetzt werden. Unter erschwerten verkehrstechnischen Rahmenbedingungen wird der Neubau im Taktschiebeverfahren realisiert. Die Stahl-Tragkonstruktion soll auch einen städtebaulichen Akzent für die Aufwertung der angrenzenden Quartiere setzen.

Die Langensandbrücke in Luzern ist eine bedeutende Verbindung im städtischen Verkehrsnetz. Sie bindet das Tribschen-Quartier an die Neustadt Luzerns an. Täglich überqueren mehr als 22 000 Fahrzeuge die Brücke, davon rund 1100 Busse der örtlichen Verkehrsbetriebe vbl. Das Depot der vbl liegt nur wenige Fahrminuten entfernt, sodass sämtliche Busse des Netzes morgens und abends die Brücke passieren. Unter der Brücke verkehren täglich ca. 1200 Züge der SBB und der Zentralbahn. In diesem verkehrstechnischen Kontext stellt der Bau der neuen Langensandbrücke (Abb. 1) eine grosse Herausforderung dar. Insbesondere müssen in der Bauphase verschiedene betriebliche Anforderungen erfüllt werden:
– minimale Beeinträchtigung des Bahnbetriebes unter der Brücke im Bereich der Bahnhofeinfahrt Luzern
– minimale Einschränkung des städtischen Busbetriebes auf der bestehenden Langensandbrücke beziehungsweise Gewährleistung des Betriebes mittels geeigneter Massnahmen
– minimale Einschränkungen für den Motorfahrzeug- und Radverkehr sowie die Fussgänger.

Alles im Takt - beim Bauverfahren ...

Beim Entwurf des Tragwerkkonzepts der Brücke und beim daraus abgeleiteten Bauverfahren waren neben architektonischen und städtebaulichen Aspekten insbesondere die betrieblichen Anforderungen während des Baus zu beachten. Die gewählte einfeldige Stahl-Beton-Verbundkonstruktion erlaubt einen beträchtlichen Anteil an werkseitiger Vorfabrikation sowie ein effi zientes Zusammensetzen vor Ort.

Zwei torsionssteif miteinander verbundene Stahl-Hohlkastenträger mit einer Spannweite von ca. 80 m (Abb. 3) bilden den Brückenquerschnitt. Aussen an die Hohlkästen sind die Rad- / Gehwege als 5 m breite Kragarme angefügt. Auf der Fahrbahnplatte, die wie die Brüstungen in Stahlbeton ausgeführt ist, fi nden zwei Fahrstreifen und zwei Radstreifen in jeder Fahrtrichtung Platz (Abb. 8), was dem doppelten Angebot der alten Brücke entspricht.

Als Werkstoff für die Tragkonstruktion der Langensandbrücke wurde wetterfester Stahl gewählt (S355 Qualitäten J2 und K2 gemäss SIA 263 Anhang A). Seine Oberfläche ist mit einer dichten Eisenoxidschicht überzogen, die bei material gerechter Detailkonstruktion eine hohe Korrosionsbeständigkeit gewährleistet. Dadurch erübrigt sich ein zusätzlicher Korrosionsschutz, was geringere Bau- und Unterhaltskosten zur Folge hat. Damit auch die Schweissnähte die gleiche Korrosionsbeständigkeit aufweisen, enthält der Zusatzwerkstoff für die Schweissarbeiten dieselben Legierungselemente (zur Beständigkeit von Brücken aus wetterfestem Stahl siehe TEC21 21/2002, S. 23–29).

Der symmetrische Querschnitt erlaubt den Bau der Brücke in zwei Etappen. In der ersten Etappe kann die westseitige Halbbrücke gebaut und anschliessend der Verkehr auf die zwei neuen Fahrstreifen umgelegt werden. In der zweiten Etappe wird die bestehende Brücke rückgebaut und an gleicher Lage die zweite Halbbrücke erstellt. Danach werden die beiden Brückenhälften miteinander verbunden. Während der gesamten Bauzeit kann der Verkehr die Brücke ohne Einschränkungen passieren.

... beim Bauablauf

Mit dem eigentlichen Bau der Brücke kann erst begonnen werden, nachdem umfangreiche Vorarbeiten im Gleisfeld der SBB beendet sind. Dabei sind diverse Kabeltrassen frei- und umzulegen und die Aufhängungen der Fahrdrähte von der Brücke zu entfernen. Hierzu sind neue Abfangjoche mit entsprechenden Tiefenfundationen im Gleisfeld erforderlich. Beim Rückbau der alten Brücke wird die Stahlbetonstruktur in Elemente von bis zu 70 t zerschnitten, die von Schwerlastkranen ausgehoben werden. Die Arbeitsvorgänge werden aus Sicherheitsgründen auf die Anforderungen des Bahn-, Bus- und Strassenverkehrs abgestimmt. Je nach Art der Bohr- und Schneidarbeiten an der Brücke müssen die darunterliegenden Fahrleitungen ausgeschaltet sein. Der Aushebevorgang darf nur bei einer Vollsperrung des Strassen- und Bahnbetriebs erfolgen, wobei Sperrungen nur in den betrieblichen Nachtpausen möglich sind.

…bei der Vorfabrikation im Werk

Die Haupttragstruktur der Hohlkastenträger wird zu einem grossen Teil vorfabriziert. Dadurch können die Bauzeit vor Ort verkürzt und die Terminsicherheit erhöht werden. Zudem lassen sich die Konstruktionsgenauigkeit und die Ausführungsqualität steigern. Die Hohlkastenträger müssen in transportfähigen Elementgrössen hergestellt werden. Sie werden deshalb in vier Bauelementen von 20 m Länge, jeweils aus fünf Teilen bestehend, werkseitig vorfabriziert. Jedes Bauelement wird probehalber vormontiert (Abb. 3 und 4). Dadurch lässt sich die Passgenauigkeit der Längsschweissnähte garantieren, und geometrische Ungenauigkeiten auf der Baustelle werden vermieden.

... beim Transport auf die Baustelle und bei der Montage

Der Transport des Hohlkastenträgers auf die Baustelle erfolgt für jede Brückenhälfte in vier Etappen im Takt des Vorschubs (Abb. 2). Alle 20 Tage müssen die fünf Teilstücke eines Bauelements à 20 m Länge und 50 t Gewicht (Abb. 3) von Aigle nach Luzern transportiert werden. Die Anlieferung erfolgt in verkehrsschwachen Zeiten auf den Installationsplatz auf der Widerlagerseite Tribschen. In der Zeit zwischen den Transporten werden die fünf Stücke vor Ort zu einem kompletten Bauelement zusammengeschweisst, das anschliessend mit dem vorherigen Element querverschweisst wird. Die Längsnähte werden mit Hilfe eines Schweissautomaten ausgeführt.

Eine Besonderheit ist der Vorgang des Abladens von den Schwertransportern. Die Tieflader sind mit hydraulischen Pressen ausgestattet, die schwere Lasten bis 20 cm vertikal bewegen können. Das ermöglicht es, die Trägerteile ohne zusätzliche Hebegeräte präzise in Längsund Querrichtung auf die Hilfskonstruktion abzusenken. Die Längsstösse können anschliessend ohne weitere Anpassarbeiten direkt geheftet und dann geschweisst werden.

... beim Einschub

Die zusammengebauten Brückenelemente werden im Taktschiebeverfahren von der Seite Tribschen in Richtung Widerlagerseite Bundesplatz an ihren Bestimmungsort bewegt (Abb. 2). Diese Vorgehensweise wurde aufgrund der engen Platzverhältnisse auf dem Installationsplatz gewählt. Zudem ermöglicht sie die Konzentration aller Montage- und Schweiss arbeiten auf den Installationsplatz ausserhalb der schwer zugänglichen Gleisanlagen, was auch bezüg lich der Sicherheit Vorteile aufweist. Die Schiebevorrichtung besteht aus vier Elementen: – Zugeinheit (2 hydraulische 6-t-Habegger-Seilzüge mit 6-fach-Flaschenzug) – Gleitlager (Oberfläche poliertes CNS-Blech; Gleiter als PTFE-Neopren-Verbundkissen, Abb. 7) – Führung (seitlich am Untergurt angeordnet) – Rückhaltung

Die Gleitlager und die Führungen werden auf Hilfsjoche im Gleisfeld aufgesetzt (Abb. 5 und 6). Die Lage der Hilfsjoche ist durch die Gleistopologie und das Einschubprozedere vorgegeben. Die Rückhaltevorrichtung besteht ebenfalls aus einem Flaschenzug, der bei Bedarf auch als «Rückwärtsgang» eingesetzt werden kann. Der Einschiebevorgang, mit einer Geschwindigkeit von 8 – 10 m / h, darf über der stark frequentierten Bahnhofseinfahrt nur während der Nacht erfolgen (Abb. 5). Ein Vorbauschnabel erleichtert das Anlegen der Brücke auf den Hilfsjochen (Abb. 6) und dem Widerlager. Dieser ist besonders bei den ersten beiden Etappen hilfreich, da die noch kurze Brücke bei grossem Kragarm wenig Gegengewicht aufweist. In Abb. 2 A wird der erste Träger ohne dieses Teil angeliefert, in Abb. 2 B liegt er auf dem Widerlager und, mit dem Vorbauschnabel, auf dem ersten Hilfsjoch auf.

Der Einschubvorgang wird durch Kontrollmessungen überwacht. Neben der geometrischen Lage der Brücke werden laufend die Zwischenauflagerreaktionen sowie die Setzungen am Fuss der Hilfsjoche gemessen. Sowohl die ermittelten Kräfte als auch die Setzungen aus dem Einschub der ersten Brückenhälfte entsprechen gut dem numerischen Modell. Die Setzungen betrugen beim maximalen Lastfall (Kragarm mit 30 m Länge kurz vor Erreichen des Widerlagers) von 2600 kN nur 5 mm. Die zum Ausgleich grösserer Setzungen höhenverstellbar konstruierten Gleitlager (Abb. 7) mussten während des Einschubvorgangs nicht justiert werden.

Die erste Halbbrücke ist 2008 erstellt und Ende Jahr dem Verkehr übergeben worden. Die Arbeiten an der zweiten Halbbrücke wurden im März 2009 in Angriff genommen, sobald die alte Brücke vollständig abgebrochen war. Im Herbst werden die beiden Brückenhälften zusammengefügt, und Ende 2009 soll das fertige Bauwerk eröffnet werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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