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hochparterre 05|2009
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 05|2009
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Blinken für China

Hinter prominenten Architekturbüros stehen Tüftler, die dafür sorgen, dass das richtige Licht am richtigen Ort leuchtet

11. Mai 2009 - Lilia Glanzmann
Aus der Ferne betrachtet sehen sie aus wie gestapelte Legosteine: die Fracht-Container im Rheinhafen von Kleinhüningen. Jeder ist 2,60 Meter hoch und gut sechs Meter lang. «Hanjin» steht auf einem gelb lackierten, «Hamburg Süd» auf einem in Grün. Dazwischen ein paar rote Container mit der Aufschrift «Shanghai». 8080 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Basel und der chinesischen Hafenstadt.
Der Frachthafen befindet sich am Dreiländereck im Basler Wohnviertel Kleinhüningen. Im Hafen, direkt am Wasser, steht ein rotes Backsteingebäude, seine Adresse: Uferstrasse 90. Hier im 3. Stock in den Büros von Iart Interactive scheint China keine hundert Kilometer mehr entfernt. Die Firma arbeitet an der Fassade für den Schweizer Pavillon der Expo Shanghai. In einem Jahr, am 1. Mai 2010, wird dort die grösste Weltausstellung aller Zeiten eröffnet.

Prototypen und Testläufe

Ein Fassadenausschnitt ist in Basel bereits aufgebaut. Das Muster besteht aus einem Maschendrahtgeflecht, das über einen Metallrahmen gespannt ist. Das Team drängt sich um den Testaufbau der Shanghai-Wand: Szenografen, Physiker, Lichtdesigner und Medienkünstler. Interdisziplinär arbeiten bedeutet hier miteinander diskutieren, Ideen entwickeln und Probleme lösen.
Spezielle «Solutions» waren für den Expo-Pavillon in Shanghai gefragt. Iart entwickelt Konzepte für mediale Inszenierungen — für Museen, Messen und Architekturprojekte. Valentin Spiess hat die Firma 2001 gegründet. Er ist expoerfahren: Sein Medienkonzept mit der sprechenden Taschenlampe für den Schweizer Pavillon in Japan 2005 war aufgefallen. Bei der Expo 2010 kam seine Firma erst ins Spiel, als die Arbeitsgemeinschaft um Buchner Bründler Architekten und Element Design den offenen Wettbewerb von Präsenz Schweiz bereits gewonnen hatte. «Da wir regelmässig mit den Kollegen von Element Ausstellungskonzepte erarbeiten, sind sie auf uns zugekommen», erklärt er.

Daniel Düsentrieb für Designfragen

Der Gründer ist gelernter Elektroingenieur. Zuvor arbeitete er mehrere Jahre im Bereich neue Medien und Elektronikentwicklung. Bereits damals arbeitete Spiess eng mit Gestaltern zusammen und übernahm die technische Leitung bei Festivals und Theaterproduktionen. In diesen Zeiten kamen oft befreundete Künstler mit abstrusen Ideen zu ihm und fragten nach einer Lösung. Meistens hatte der Tüftler eine parat: «Was möglich ist, wird gemacht», verspricht er.

Es gibt immer wieder Fälle, wo Leute mit Projekten an ihn herantreten, die kaum realisierbar erscheinen. Dann ist es seine Aufgabe zu analysieren, worum es im Kern eigentlich geht. Und wie man das Ziel auf unorthodoxen Wegen möglicherweise doch noch erreichen kann. So geschehen im Fall der Projektion für den Schweizer Pavillon im spanischen Zaragoza letzten Sommer: Ursprünglich planten die Ausstellungsmacher für ihre Installation acht Projektoren — diese zu synchronisieren, wäre sehr teuer geworden. Das experimentelle Unternehmen entwickelte einen Projektor, der dasselbe Ergebnis erzielt wie die acht Geräte. Solche Umsetzungen sind keine klassischen Planungsprozesse.

Äussere Einflüsse

Zurück nach Basel zur Musterwand. Am grobmaschigen Drahtseilnetz sind transparente, rote Plastikteller angebracht. An dem riesigen Maschendrahtzaun wird eine intelligente LED-Fassade entwickelt. Tönt eindrücklich, aber was wird daraus? Die roten Plastikscheiben sind in umweltfreundliches Bioresin eingefasste Solarzellen. Dieses Klarharz ist aus Soja gewonnen, ungiftig und kompostierbar. «Im Prinzip könnte man es essen», bemerkt der Entwickler und lacht.

In essbares Harz gepackte Solarzellen — so weit so gut. Doch die wahre Intelligenz steckt anderswo. In der Hülle befinden sich neben der Solarzelle ein Kondensator, eine Leuchtdiode und drei Sensoren. Diese reagieren auf unterschiedliche Umwelteinflüsse wie Licht und Wärme und auf ihre Nachbarzellen. Der gewonnene Strom entlädt sich in den LEDs, die aufleuchten — je nach Aussentemperatur und Lichtstärke unterschiedlich oft und lange: Sie blitzen vereinzelt auf, erhellen die ganze Fassade oder ziehen in Schwärmen über die Fläche. Je nachdem, wie stark der Wind weht oder die Sonne scheint.
Jede Zelle funktioniert autonom. Das Schwarmverhalten erzielt das Test-Team durch einen Mikrocontroller. Er überträgt elektromagnetische Impulse an die Nachbarzellen. Falls alles klappt, reagieren die Zellen auch auf Besucher, die den Pavillon fotografieren. Deren Blitzlicht pflanzt sich dann im Domino-Effekt über die Fassade fort. Wenn alles so läuft wie vorgesehen.

Dem Ingeniör ist nichts zu schwör

Bisher aber läuft nicht alles nach Plan. Die Expofassade erzeugt den Strom mit Hilfe von modernster Solartechnik. Im Entwurf der Architekten sollte sie den gesamten Pavillon mit Energie versorgen. «Diese Idee mussten wir leider verwerfen — der gewonnene Strom hätte nie und nimmer ausgereicht», gibt der Geschäftsführer zu. In solchen Fällen gilt es, aus der Not eine Tugend zu machen. Und so wird Präsenz Schweiz nach der Expo die autarken Zellen an die Besucher verkaufen. Diese blitzen dann als Souvenir zu Hause auf dem Balkon, auch dort abhängig von den aktuellen Wind-, Wärme- und Lichteinflüssen.

Die Lorbeeren ernten andere

Wird der Expo-Pavillon erfolgreich und fasziniert er die Besucherinnen und Besucher mit seinem Blitzlichtgewitter, geht das Lob allerdings an die Architekten — die Medien-planer arbeiten als stille Macher im Hintergrund. «Wir wollen uns nicht mit fremden Federn schmücken», macht Stefan Oehy, Projektleiter von Buchner Bründler Architekten klar. «Es ist die Aufgabe der Publizierenden, die Beteiligten zu nennen», sagt er.

Zu diesem Zeitpunkt steht der Firmenname nirgends, auch nicht auf der Webseite von Präsenz Schweiz. Bis heute kommuniziert der Bauherr nur das Ergebnis des Wettbewerbs — nach der anstehenden Pressekonferenz, die für Ende April geplant ist, könnte sich das ändern. Iart agiert in diesem Projekt einerseits als «Fachplaner» von Element Design im Bereich Medien in der Ausstellung und als «Fachplaner mediale Fassade» unter Buchner Bründler Architekten. Geht die Rolle des anonymen Diensleisters für Valentin Spiess in Ordnung? «Diese Situation ist für uns typisch, wenn auch nicht immer gleich befriedigend. Manchmal würden wir gerne mehr mitgestalten oder entscheiden.»
Dennoch: Es gehört zum Businesskonzept, Aufgaben zu erledigen, die nicht in den Kompetenzbereich ihrer Partner fallen — Iart füllt die Lücken. Der findige Ingenieur blickt zuversichtlich in die Zukunft: «Ich hoffe, die Zeit macht die Spuren unserer Arbeiten lesbar.»

Konkurrenz belebt die Nachfrage

In der Schweiz steht das Experimentier-Team aus Basel mit seiner Fachkompetenz alleine da. Die Konkurrenten sitzen alle in Deutschland. Darunter Meso, ein Designteam aus Frankfurt, das Gestalter, Medienschaffende und Computerspezialisten vereint, oder die beiden Berliner Büros Realities United oder Art   Com. «Unsere Mitbewerber sind fast ausschliesslich auf ein Gebiet spezialisiert: Entweder auf Medienfassaden und -Installationen im Ausstellungsbereich oder auf interaktive Systeme», vergleicht Valentin Spiess. «Zudem zieht man sie im Gestaltungsprozess oft erst sehr spät hinzu.»

Seine Firma hingegen versucht stets, möglichst früh am Prozess beteiligt zu sein und so gemeinsam mit den Architekten, Ausstellungsgestaltern oder Künstlern neue Konzeptideen und innovative technische Lösungen zu entwickeln, ausgehend von den Voraussetzungen des jeweiligen Raums, der Architektur, der Präsentation oder den Exponaten. Sie reden deshalb mit bei der Lichtgestaltung, entscheiden über Materialien und arbeiten an der Akustik — für die Basler Medienplaner sind dies die wichtigsten Elemente eines stimmigen Gesamtkonzepts.

Den richtigen Ton finden

Klingt die Fassade in Shanghai ebenfalls? Die Akustik der Zellen ist der bisher unklarste Punkt — im Konzept ist von einem «optionalen Erklingen eines Tons» die Rede. Die Zellen am Maschendrahtzaun in Basel blieben bisher aber stumm. «Wir experimentieren, um den Ton zu finden.» Und wie steht es um das Aufblitzen der Zellen? Sobald wie möglich ist ein erster realer Testaufbau geplant: Idealerweise direkt auf dem Gelände in Shanghai. So könnten die Umwelteinflüsse getestet werden, denen die Fassade letztlich ausgesetzt sein wird. Dieser Testaufbau soll noch diesen Monat stehen.

Die eigentliche Produktion der Zellen muss spätestens fünfzehn Wochen vor der Montage beginnen. Wo und wer hier zum Zug kommen wird, ist noch nicht entschieden. Je nach Art der erforderlichen Technologien kann sich auch der Produktionsstandort verändern — eines der möglichen Bioharze wird bisher ausschliesslich in Europa verarbeitet. Valentin Spiess blickt aus seinem Atelierfenster auf das Gelb, Rot und Grün der Frachtcontainer. Sind die Zellen einmal hergestellt, werden sie vielleicht damit nach Shanghai verschifft — falls die Fassade am Ende nicht doch in China produziert wird.

Wie steht es um den Pavillon-Bau?

Im April 2009 hat die Arbeitsgemeinschaft Buchner Bründler und Element ihr Konzept bei der Expo-Leitung zur Genehmigung eingereicht. Dieser erste Bewilligungsschritt setzt eine definitive Form voraus, die Raumverteilung ist festgelegt und der Besucherablauf definiert. Das architektonische und inhaltliche Konzept des Wettbewerbs konnten die Konzeptverfasser beibehalten: Die notwendigen statischen Elemente für die Auskragungen, die Fassade wie auch die Sesselbahn haben sie implementiert und das Materialisierungskonzept steht ebenso. Mit dem nächsten Schritt beginnt für die Architekten die Detailarbeit. «Wir hoffen, noch vor der grossen Regenzeit Ende Mai die Fundationsarbeiten abzuschliessen und mit dem Rohbau zu beginnen», sagt Projektleiter Stefan Oehy.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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