Zeitschrift

TEC21 2009|22
Vom Wissen zum Handeln
TEC21 2009|22
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

«Wir müssen die soziale Kreativität mehr nutzen»

Von der drohenden Klimaveränderung wissen wir alle. Trotzdem ergreifen wir nur sehr zögerlich Gegenmassnahmen. Von Heinz Gutscher, Sozialpsychologe und Professor am Psychologischen Institut der Universität Zürich, wollten wir wissen, warum das so ist und wie sich Verhaltensänderungen beschleunigen lassen.

TEC21: Obwohl wir wissen, wie sich unser Verhalten auf das Klima und die gesamte Umwelt auswirkt, handeln wir in vielen Bereichen noch nicht umweltverträglich. Wie ist das zu erklären?
Heinz Gutscher: Man staunt oft, wie wenig die Leute tatsächlich wissen. Aber selbst wenn sie das Wissen haben, heisst das nicht automatisch, dass sie es auch anwenden. Es kommt darauf an, wie sie die von der Wissenschaft vorausgesagten Konsequenzen bewerten. Erst wenn diese positive oder negative Emotionen auslösen, ergibt sich daraus die Motivation, etwas ändern zu wollen. Es ist beispielsweise zu befürchten, dass bis 2050 viele Inselstaaten im Meer versinken, aber diese Inseln sind einfach zu weit weg. Auch die schmelzenden Gletscher in der Schweiz bewegen uns nicht wirklich alle. Wir leben in einer privilegierten Ecke der Erde und werden die Auswirkungen der Klimaveränderung anders, später und auch indirekter zu spüren bekommen.

TEC21: Sie meinen, dass die Klimaveränderung die Menschen emotional zu wenig bewegt, um sie zum Handeln zu motivieren?
Heinz Gutscher: Ja. Ausserdem gehört der Klimaschutz nicht zu den menschlichen Grundmotiven. Die Evolution drängte uns primär, zu überleben und einen gewissen Grad an Sicherheit und Komfort zu erreichen. Beim Abschätzen der Bedrohlichkeit des Klimawandels versagt unsere Intuition, kurz: Die Klimaveränderungen verbinden wir noch zu wenig mit realen Bedrohungsszenarien.

TEC21: Das Auftauen der Permafrostzonen in den Alpen ist aber eine Bedrohung, die sich direkt vor unserer Haustür abzeichnet.
Heinz Gutscher: Die Bedrohung ist in diesem Fall konkret, zumindest für die Menschen in den betroffenen Regionen. Aber ich habe grosse Zweifel, ob das uns alle in unserem Alltag wirklich bewegt. Viele Risiken sind immer noch relativ abstrakt, da sie uns nur von der Wissenschaft vermittelt werden, das heisst von Leuten, die sich ab und zu auch widersprechen, die extreme und weniger extreme Szenarien vorhersagen. Hier gibt es die Tendenz zu sagen: ‹Da warten wir mal, bis die sich geeinigt haben.›

TEC21: Distanziert man sich vielleicht auch von diesen Fakten, weil es fast immer Negativmeldungen über Bedrohungen und Risiken sind, die man irgendwann nicht mehr hören möchte? Wären Positivbotschaften nicht die bessere Wahl?
Heinz Gutscher: Ich denke, es braucht beides. Auf glaubwürdige Art Angst zu machen, ist ein sehr wirksames ‹Instrument›, wenn eine zumutbare und realisierbare Gegenmassnahme verfügbar ist. Wir sind von unseren Anlagen her höchst effiziente ‹Gefahrenvermeidungswesen›. Daher achten wir mehr auf Negativ- als auf Positivmeldungen. Wir haben eine klare Asymmetrie in der Verarbeitung. Aber natürlich sind auch Erfolgsmeldungen wichtig, um den Leuten Hoffnung zu machen, dass Verhaltensänderung etwas bringt. Beim Klimaschutz halte ich das allerdings für problematisch. Gewisse negative Auswirkungen wird es trotz allen Bemühungen geben – wenn auch wohl in einem geringeren Ausmass als ohne Gegenmassnahmen.

TEC21: Steht uns bei Veränderungen nicht oft auch die Gewohnheit im Weg?
Heinz Gutscher: Ja, Menschen sind Status-quo-Geschöpfe. Routine entlastet vom Nachdenken. Wenn man etwas ändert, muss man auf neue Gefahren achten. Damit man Lust hat, etwas Neues auszuprobieren, braucht es finanzielle und zeitliche Ressourcen. Auch Ereignisse wie die Eröffnung der Zürcher Westumfahrung oder die Sperrung eines Tunnels können Anlass sein, Gewohnheiten zu ändern.

TEC21: Kann man nicht auch unabhängig von so einem Ereignis die Menschen davon überzeugen, in ihrem Alltag etwas zu verändern?
Heinz Gutscher: Die Psychologie, die Soziologie, die Politologie und auch die Ökonomie kennen verschiedene Techniken zur Verhaltensänderung. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang z.B. das Sichtbarmachen von ‹Pionieren›, die bereits angefangen haben zu handeln. Ich sehe eine grosse Chance darin, deren Handeln stärker ins Licht zu rücken, denn Menschen orientieren sich daran, was andere machen. Dafür müssen sie gar nicht alles verstehen. Ich könnte mir auch vorstellen, das aktiv zu nutzen – der Nachbar als sozialer Multiplikator. Über Zeitungsinserate könnte man z.B. Leute suchen, die bereit sind, von Haus zu Haus zu gehen und über die Erfahrungen mit ihrer Solaranlage zu sprechen. Direkte menschliche Kommunikation hat grosse Vorteile: Sie ist bis zu einem gewissen Grad selbstheilend. Wenn die Leute geschickt genug sind oder gut ausgebildet, merken sie, wenn sie eine Person anders behandeln oder Dinge nochmals erklären müssen. Das kann ein gedruckter Flyer nicht.

TEC21: Nehmen wir an, jemand ist zu der Überzeugung gelangt, dass er sich umweltfreundlicher verhalten möchte. Das heisst ja noch nicht, dass er dann auch wirklich so handelt.
Heinz Gutscher: Oft sind es äussere Faktoren, die dem umweltfreundlichen Verhalten entgegenwirken. Diese Schwierigkeiten des Verhaltens muss man unbedingt berücksichtigen. Das ‹Wollen› ist das eine, es geht aber auch um das ‹Können› – kann ich mich überhaupt nachhaltig verhalten? Wenn eine Person zum Beispiel auf das Auto verzichten möchte, aber keinen ÖV-Anschluss in der Nähe hat, ist die Verhaltensschwierigkeit extrem. Es braucht entsprechende strukturelle Grundbedingungen – die Infrastruktur oder die Dienstleistungen, die es mir ermöglichen, mich entsprechend zu verhalten, oder die umgekehrt umweltschädigendes Verhalten verhindern. Fehlen beispielsweise Parkplätze in der Innenstadt, wird eher auf das Auto verzichtet. Ich muss auch die ökonomischen Mittel und die zeitlichen Ressourcen dafür haben. Aber selbst wenn man sich umweltfreundlich verhalten will und auch die Möglichkeit dazu hat, muss man es im entscheidenden Moment auch tatsächlich tun. Dafür gibt es heute schon verschiedene technische Hilfsmittel, die uns in der entsprechenden Situation darauf aufmerksam machen, dass wir etwas tun könnten.

TEC21: Können Sie ein Beispiel nennen?
Heinz Gutscher: Ja, es gibt Versuche mit Feedbackanzeigen, die – in der Wohnung angebracht – ihre Farbe ändern, je nachdem, ob momentan viel oder wenig elektrische Energie gebraucht wird.[1] Es hat sich gezeigt, dass diese Form von Feedback Vorteile gegenüber einem digitalen Display mit Zahlen hat, weil es schneller und intuitiver zu verarbeiten ist. Es gibt auch Untersuchungen mit Robotern, die zum Benutzer sprechen. Auch ein solches ‹soziales› Feedback ist wirksamer als die Kommunikation reiner Fakten in Zahlenform. Es ist quasi eine Missbilligung aus der sozialen Umgebung.

TEC21: Wenn ich umgekehrt aber das Gefühl habe, ich sei der Einzige, der sich umweltgerecht verhält, erzeugt das unter Umständen Frustration, weil der einzelne Beitrag eigentlich nichts bringt. Wie kann man dem entgegenwirken?
Heinz Gutscher: Wir müssen versuchen, für die Einzelnen die kleinen Beiträge aller anderen zu addieren und (mindestens virtuell) sichtbar zu machen. Um den Leuten das Gefühl zu geben, dass sie nicht allein sind, gibt es heute tolle IT-Möglichkeiten. Denkbar wäre eine Art Nachhaltigkeits-Facebook, wodurch ich merke, dass es noch viele andere Leute gibt, die sich nachhaltig verhalten, und wo ich auch Tipps bekomme. Es gibt auch die Möglichkeit, sogenannte ‹Alle-oder-niemand-Verträge› zu schliessen. Man sagt beispielsweise, unser Ziel ist, die Schadstoffbelastung in der Stadt um so und so viel Prozent zu senken. Um das zu erreichen, braucht es 20 000 Beiträge, das heisst 20 000 Leute, die mit ihrer Unterschrift bezeugen, das versprochene Verhalten, etwa im Verkehrsbereich, auszuführen, wenn alle diese Beiträge zusammenkommen. Der Vorteil davon ist: Wenn es gelingt, wird ein messbarer Effekt erreicht. Wichtig ist der Grundbefund: Menschen sind bedingt kooperativ. Es ist nicht so, dass wir nur über das Geld gesteuert werden, wir investieren auch etwas für eine Idee. Wenn andere mitmachen, machen wir tendenziell auch mit. Das sind wichtige Befunde, die über die klassische Ökonomie hinausgehen und ein Stück weit optimistisch stimmen. Fairness oder Gerechtigkeit sind bei vielen ebenfalls soziale Grundmotivationen.

TEC21: Welche Bedeutung haben Vorschriften als ein Instrument, Umweltverhalten zu steuern?
Heinz Gutscher: Vorschriften haben eine wichtige Funktion. Wir finden für jede neue soziale Idee Leute, die sie schon umsetzen oder die bereit sind, das unter günstigen Umständen zu tun. Diese Pioniere machen meist zwischen 10 und 20 Prozent aus. Die Mehrzahl der Menschen kann zum Nachfolgen animiert werden. Aber die letzten ca. 15 Prozent, die es nicht kümmert, was jemand anderes macht, und die sich nichts überlegen, können wir nur über Vorschriften und Gesetze mitnehmen.

TEC21: Konzentriert man sich heute zu sehr darauf, Wissen zu generieren oder sich Effizienztechniken zu überlegen, und vernachlässigt darüber die Forschung zu den Bestimmungsfaktoren menschlichen Verhaltens – also wie bringt man die Leute dazu, nachhaltiger zu werden?
Heinz Gutscher: Da gibt es tatsächlich ein Missverhältnis. In den USA fl iessen 97 Prozent der Mittel für die Klimaforschung in die Naturwissenschaften und nur 3 Prozent in die Sozialwissenschaften. Die genauen Zahlen für die Schweiz kenne ich nicht. Die Natur- und die Sozialwissenschaften sind aber nicht die Einzigen, die wichtige Beiträge liefern müssen. Eine witzige Art, auf das Gemeingutdilemma aufmerksam zu machen, war zum Beispiel ein Plakat während unserer Anti-Stau-Kampagne beim Ausbau des Baregg-Tunnels: ‹Ich stehe im Stau, weil die anderen nicht Zug fahren.› Das zeigt, dass es auch die Kreativen braucht. Es braucht alle – die ganz junge Generation, die Künstler, die Freaks. Und ich hoffe, dass auch die Politik gewisse Fantasien entwickeln wird. Wir müssen unsere soziale Kreativität stärker nutzen, um Veränderungen zu beschleunigen.


Anmerkungen:
[1] Die Ergebnisse dieser Studie von Cees Midden, TU Eindhoven, werden im Rahmen der 8th Biennial Conference on Environmental Psychology vom 6. bis 9. September 2009 in Zürich vorgestellt. www.sozpsy.uzh.ch/conference.html
[2] Quelle: Volker Linneweber: Umweltpsychologie – Ansatz und Anliegen, www.umweltpsychologie.de

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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