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TEC21 2009|22
Vom Wissen zum Handeln
TEC21 2009|22
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Wie entscheiden private Bauherrschaften?

Rund 15 % der Neubauten werden heute nach Minergiestandard gebaut. Welche Faktoren sind ausschlaggebend dafür, dass sich private Bauherrschaft en für ein energieeffizientes Gebäude entscheiden, und wie liesse sich deren Anteil erhöhen? Dieser Frage ging ein umweltpsychologisches Forschungsprojekt nach und fand heraus, dass die Einstellung privater Bauherrschaft en gegenüber energieeffizientem Bauen sehr positiv ist, dass es aber für sie aufwendig ist, sich darüber zu informieren und kompetente Projektpartner zu finden.

29. Mai 2009 - Susanne Bruppacher
Das Projekt war Teil eines Forschungsvorhabens zum Thema «Diffusionsdynamik energieeffi zienter Bauten», wurde an der Interfakultären Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie der Universität Bern durchgeführt und im Februar dieses Jahres abgeschlossen.[1] Es hatte zum Ziel, Entscheidungsprozesse bei den verschiedenen Akteuren im Bauprozess zu analysieren und Lernprozesse zu fördern, um die Verbreitung energieeffizienter Bauten zu beschleunigen. Im Projekt wurden zwei Modelle entwickelt: zum einen das in diesem Beitrag vorgestellte Modell, das die Schlüsselfaktoren abbildet, die für die Entscheidung privater Bauherrschaften für oder gegen ein energieeffizientes Gebäude ausschlaggebend sind; zum andern ein sogenanntes systemdynamisches Modell, das die Verbreitung von energieeffizienten Gebäuden im Vergleich zu Standardlösungen in einer Gemeinde simuliert. Resultate des Entscheidungsmodells flossen dabei auch in das systemdynamische Modell ein.

In den Forschungsprozess wurden alle relevanten Akteure aus der Praxis – im Folgenden «Systemexperten» genannt – einbezogen (Nutzer, Ausführende, Planer, Auftraggeber, Verbände, staatliche Stellen, Energieversorger). Um deren Wissen zu nutzen, wurden einzelne Untersuchungen bereits in der Konzeptionsphase mit ihnen abgesprochen. Nach jedem Forschungsschritt gaben sie ausserdem wiederum Rückmeldung. Auch die Systemexperten selbst sollten in diesem Prozess, der u.a. vier gemeinsame Workshops beinhaltete, im Austausch untereinander mehr über das Bausystem lernen und ihre eigenen Strategien refl ektieren.Um das Modell energierelevanter Entscheidungen privater Bauherrschaften zu erstellen, wurde zunächst mit den Systemexperten diskutiert, welche Faktoren beim Entscheid von Bauherrschaften für oder gegen ein energieeffizientes Gebäude überhaupt eine Rolle spielen könnten. Diese Hypothesen zum Entscheidungsverhalten von Bauherrschaften wurden dann mit einer telefonischen Befragung von privaten Bauherrschaften, die in den Jahren 2002 bis 2007 ein eigenes Einfamilienhaus gebaut hatten, empirisch überprüft.[2] 12 % der Befragten leben in einem Minergiehaus.

Das Ziel der Befragung war, herauszufi nden, welche Zusammenhänge zwischen psychologischen Variablen und dem Entscheid, ein energieeffizientes Haus zu bauen, bestehen. Wie energieeffizient die Häuser der befragten Bauherrschaften sind, wurde aufgrund deren Selbsteinschätzung[3] anhand von zwei Fragen bestimmt: «Ich habe ein Haus gebaut, das einen deutlich niedrigeren Energieverbrauch hat als gesetzlich vorgeschrieben»[4] und «Ich habe beim Hausbau in energiesparende Technologien investiert, z.B. in eine besonders gute Isolation, ein energiesparendes Heizsystem usw.». Die Energieeffizienz des eigenen Hauses im Vergleich zu anderen Neubauten dürfte damit allerdings überschätzt werden, weil Bauherrschaften offenbar ihren Neubau mit dem gesamten Gebäudepark vergleichen. Von den untersuchten psychologischen Variablen hatte die «wahrgenommene Verhaltenskontrolle » den weitaus grössten Einfl uss auf das Verhalten, gefolgt von der «Einstellung», die ebenfalls einen signifikanten Einfluss ausübt (Abb. 2).

Wo informieren sich Bauherrschaften?

Die «wahrgenommene Verhaltenskontrolle» erfasste, ob die Befragten grundsätzlich die Möglichkeit, die Zeit und das Geld hatten, um ein energieeffizientes Haus zu bauen. Die Antworten auf diese Fragen waren wiederum in höchstem Masse vom «wahrgenommenen Handlungsspielraum» abhängig, der mit den fünf in Abb. 3 aufgeführten Fragen gemessen wurde. Die Antworten zeigen, dass die Befragten zwar ihr eigenes Wissen über Energieeffizienz beim Bauen bei Planungsbeginn als mittelmässig einstufen, aber grundsätzlich die Gelegenheit hatten, aktiv Informationen einzuholen. Das Gefühl der eigenen Kompetenz und Kontrolle wird auch dadurch beeinfl usst, ob der Bauherrschaft Förderprogramme und kompetente Baupartner bekannt sind und ob die Gelegenheit besteht, energieeffiziente Häuser zu besichtigen. Erfasst wurde auch, ob die Befragten eine Energieberatung in Anspruch genommen haben und welche Informationsquelle sie am meisten beeinfl usst hat. Die meisten Befragten nannten den Architekten als wichtigste Informationsquelle (Abb. 4). Kantonale Energieberatungen wurden erstaunlicherweise kaum als Informationsquelle genannt. Das Potenzial einer professionellen Energieberatung scheint in der Stichprobe der befragten Gemeinden offenbar noch nicht ausgeschöpft zu sein. Zwar gaben 25 % der Befragten an, eine solche in Anspruch genommen zu haben, meist aber durch den Architekten selbst. Hausbesichtigungen wurden ebenfalls relativ selten als genutzte Informationsquelle genannt, obwohl die Besichtigungsgelegenheit wie oben erwähnt als Teil des wahrgenommenen Handlungsspielraumes das Verhalten stark zu beeinfl ussen scheint. Die der Befragung vorausgehenden offenen Interviews und die Diskussion der Resultate mit privaten Bauherrschaften und anderen Akteuren in den Workshops zeigen, dass es für private Bauherrschaften immer noch viel Zeitaufwand bedeutet, an die relevanten Informationen und Projektpartner (z.B. geeignete Architektinnen und Architekten) zu gelangen.
Wer energieeffizient bauen will, muss dafür genügend Willen und Ausdauer mitbringen. Das sei ein grosses Hindernis. Dies bestätigt sich auch in der Bauherrenbefragung, weil die verfügbare Zeit als Teil der Verhaltenskontrolle einen grossen Einfluss auf das Verhalten hat.

Positive Einstellung zum energieeffizienten Bauen

Die Einstellung gegenüber energieeffizienten Gebäuden als zweitwichtigster Schlüsselfaktor bei der Entscheidung privater Bauherrschaften ist bei allen Befragten positiv. Erklären lässt sich die Einstellung wiederum in erster Linie durch die Vereinbarkeit des Ziels Energieeffizienz mit anderen wichtigen Zielen beim Bauen (Abb. 2), beispielsweise der Ästhetik, dem Komfort oder der Wirtschaftlichkeit (Abb. 5). Die Befragten meinen, dass energieeffiziente Häuser ihre Wohnbedürfnisse eher besser erfüllen als herkömmliche Häuser. Das Vorurteil, dass energieeffiziente Häuser nicht ästhetisch seien, wurde nicht bestätigt. Im Gegenteil, von allen erfragten Punkten werden dort am wenigsten Zielkonfl ikte mit energieeffizientem Bauen gesehen. Die Vorteile beim energieeffizienten Bauen werden insbesondere in der Erhöhung des Komforts, in der Wertsteigerung der Liegenschaft und in der langfristigen Wirtschaftlichkeit gesehen, wobei eingeräumt wird, dass die Investitionskosten höher sind. Beeinfl usst wird die Einstellung der Bauherrschaften auch durch persönliche und soziale Normen. Die Befragten erwähnen ein gewisses Gefühl der Verpfl ichtung zum energieeffizienten Bauen, das durch die Erwartungen von Familie, Freunden, Bekannten und vom Architekten entsteht.

Empfehlungen zur Förderung energieeffizienten Bauens

An einem der Workshops im Rahmen des Forschungsprojektes diskutierten die Systemexperten die Implikationen für die Praxis, die sich aus diesen Befragungsresultaten ergeben, und mögliche Massnahmen von Akteuren, um die entscheidendsten strukturellen Bedingun gen zu verbessern: Da die bereits sehr positive Einstellung der befragten Bauherrschaften gegenüber energieeffizientem Bauen kaum noch verbessert werden kann, fokussierte man auf jene Punkte, die sich im Projekt als Hemmnis erwiesen haben: – Vorbilder vorhanden – Kenntnis Förderprogramme – Gelegenheit Besichtigung – kompetente Baupartner vor Ort haben und kennen Die Rolle von Vorbildern beschränkt sich nicht auf den Freundes- und Bekanntenkreis, sondern sollte auch von öffentlichen Institutionen wie Gemeinden und Ämtern wahrgenommen werden. Vorgeschlagen wurde, den Status und das Prestige energieeffizienter Gebäude durch ein sichtbares Label für Energieeffizienz bei der Tür zu erhöhen, Publikationen über solche Gebäude zu fördern und öffentliche Werbeaktionen durchzuführen. Alle Akteure wünschen dringend mehr Kontinuität bei den Förderprogrammen. Sie halten eine nationale Koordination der Kommunikation und Bekanntmachung für sinnvoll und allgemein mehr nationale und weniger kantonale Förderung. Sich über Förderprogramme zu informieren soll einfacher und übersichtlicher werden. Kostenvergleiche und Berechnungsbeispiele könnten aufzeigen, was der Nutzen der Förderprogramme ist.

Die Gelegenheit für eine Besichtigung wird von den Akteuren vor allem in Form von Tagen der offenen Tür gesehen, zu denen Architektinnen und Architekten die Bauherrschaften aktiv motivieren sollten. Bei öffentlichen Gebäuden mit einem Energieeffizienzstandard fordern sie die Verpflichtung zu geführten Besichtigungen. Auch das Projekt «Probewohnen im Passivhaus»[5] sollte weiter ausgebaut werden. Kompetente Baupartner vor Ort müssen erst einmal als solche erkannt werden. Beide Gruppen betonten die Notwendigkeit von Rankings und Qualitätslabeln für Baupartner mit entsprechender Erfahrung. Zudem wird dringend gefordert, dass Architektinnen und Architekten Energieeffizienz besser vermarkten und die Bauherrschaften mit einer langfristigen Perspektive beraten.
Von Behörden, Energiefachstellen und Verbänden wird der Ausbau bzw. eine Verbesserung des Weiterbildungsangebotes und bestehender Informationsplattformen für alle Akteure erwartet.

[Susanne Bruppacher, Interfakultäre Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie, Universität Bern]


Anmerkungen:
[01] Das Forschungsprojekt «Diffusionsdynamik energieeffizienter Bauten» wurde im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 54, «Nachhaltige Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung», durchgeführt. Eine Kurzfassung der Projektresultate ist unter www.deeb.ch abrufbar
[02] Befragt wurden 201 private Bauherrschaften (60 % weiblich, 40 % männlich), die aus 36 Deutschschweizer Gemeinden (> 10 000 Einwohner) stammten
[03] Die Erfassung von Energiekennzahlen gemäss Baugesuch war nicht möglich
[04] Die Zustimmung bei dieser Frage war ziemlichhoch (Mittelwert von 3.27 auf einer Skala von 1 «stimme gar nicht zu» bis 4 «stimme ganz zu»). Dies lässt darauf schliessen, dass die Befragten die Energieeffizienz ihres Hauses tendenziell überschätzten
[05] www.probewohnen.ch

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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