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hochparterre 06-07|2009
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 06-07|2009
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Diskussion ums Podium

In Andermatt ging das erste Baugesuch ein: Als Fundament für das Resort dient ein mächtiger Garagen- und Technikbau.

17. Juni 2009 - Rahel Marti
Der Betonbau wird die Ebene zwischen der Reuss und der Kantonsstrasse beinahe ausfüllen. Rund 300 Meter lang und 230 Meter breit soll das Podium werden, durchschnittlich 8,70 Meter hoch und zweigeschossig bis auf die Gassen für die Lastwagen. Im unteren Geschoss werden rund 900 Parkplätze sowie die gesamte Anlieferung untergebracht, im oberen die Haustechnik und Infrastrukturen, die Logistik, Lager für die Läden, Keller und andere Nebenräume, dazu die Energieversorgung und -aufbereitung der darauf stehenden Häuser. Die Grundfläche dieses imposanten Podiums soll rund 40 300 Quadratmeter betragen — mehr als fünf Fussballplätze.

Podium? Ein anmutiger Name für ein mächtiges Bauwerk. Zu den Baukosten kursieren Schätzungen. Erst war von 700 Millionen Franken die Rede, dann sei der Bau verkleinert worden, jetzt hört man von 400 Millionen Franken. Die Bauherrschaft, die Andermatt Alpine Destination Company AADC, gibt «grundsätzlich» keine Kosten bekannt; sie spricht von einem «zweistelligen Millionenbetrag», womit offen bleibt, ob das eher 10 oder eher 99 heisst.

Das Podium knackt für die AADC gleich mehrere Probleme. Erstens verschluckt es die Technik, die Anlieferungen, die Lager und die parkierten Autos. So wird zweitens das Resort obendrauf autofrei, kann Ferienstimmung zelebrieren. Drittens ist es komfortabel: Die Gäste fahren im Auto nach unten ins Parking und im Lift nach oben ins Haus — im Poloshirt von der eigenen bis in die Ferienwohnung. Und viertens schützt das Podium vor Katastrophen: Führt die Reuss Hochwasser — auch ein starkes, nur alle 100 Jahre auftretendes —, flutet sie die Stockwerke des Podiums, während das Dorf darauf trocken bleibt. Kurz: ohne das Podium kein Resort in Andermatt.

Der erste Schritt 

«Das Podium», dies schreibt die AADC, «ist der erste Ort des Besucherkontakts. Deshalb ist eine erhöhte architektonische Gestaltung erwünscht.» Visualisierungen von Itten   Brechbühl, den Generalplanern, zeigen Hallen in veredeltem Beton und kühlem Weiss. Ursprünglich hatten die Architekten der Appartementhäuser am Podium gearbeitet, das Altdorfer Büro Germann   Achermann, seit Beginn dabei, bearbeitete das Podium für die Quartiergestaltungspläne. Anschliessend wurden, so Raymond Cron, Europa-Chef der Orascom, die Generalplanerleistungen ausgeschrieben und Itten  Brechbühl erhielten den Zuschlag. Germann  Achermann planen dafür die Ausführung des Luxushotels auf dem Bellevue-Areal. Itten   Brechbühl arbeiteten den Nutzbau durch. Darauf mussten die Häuser-Architekten ihre Grundrisse den von unten heraufstossenden Liften und Treppen anpassen; dies ergab zwar teils unerklärliche Schrägen, doch die Wohnungsgrundrisse dürften nach dem Verkauf der Projekte sowieso weiter ändern. Vom Parkplatz werden die Gäste über allgemein zugängliche Treppenhäuser und Lifte in die Erdgeschosse der Häuser und Hotels gelangen; von dort führen an anderen Stellen private Treppen und Lifte weiter. Das heisst: Direkte Verbindungen der Ober- und der Unterwelt gibt es keine, auch nicht im Aussenraum. Ist der Gast einmal oben, soll er das Podium vergessen.

Ohne Wahl

Die AADC hat nie einen Hehl aus dem Podium gemacht. Aber bis jetzt nahm kaum jemand Notiz davon. Pro Natura Uri vereinbarte mit Samih Sawiris Auflagen zum Golfplatz und zur Villenzone — vom Podium ist nicht die Rede. Im Bericht zu den Quartiergestaltungsplänen kommt das Podium nur zweimal vor, einmal geht es um den Hochwasserschutz, einmal um Parkplätze. Selbst nach der grossen Medienkonferenz vom 22. April las man über das Podium nur, es solle nun gebaut werden.
Das ist erstaunlich. Denn das Podium ist die Achillesferse des Resorts. Es stellt Samih Sawiris, den Investoren und Chef der AADC, vor eine Nicht-Wahl. Entweder, die AADC baut das Podium etappenweise. So kann sie die jeweils hinzustossenden Hotelbetreiber und Wohnungskäufer finanziell beteiligen. Das bedeutet aber eine jahrelange Baustelle — unmöglich für ein Feriendorf. Oder die AADC baut das Podium gleich zu Beginn ganz und schiesst das Geld dafür vor — ohne zu wissen, wie viele Wohnungen und Villen sie verkaufen kann, wie hoch ihre Erträge werden. Kurz: Das Podium ist ästhetisch und finanziell riskant. Aber unerlässlich.

Sawiris entschied: «Wir bauen das Podium gleich und ganz.» Und ergänzte locker: «Wenn wir keine Wohnungen verkaufen, wird der Garten eben grösser.» Zwei Tage nach der Medienkonferenz reichte die AADC das Baugesuch ein. Wie sie das Podium vorfinanzieren will, sagt sie nicht. Was bedeutet der Entscheid? Thomas Bieger ist Professor für Tourismuswirtschaft an der Universität St. Gallen und Resortexperte. Er erklärt: «Wenn zuerst unrentable Teile wie das Podium erstellt werden, müssen diese vorfinanziert werden. Das Geschäftsmodell funktioniert aber nur dann, wenn möglichst bald rentable Bereiche wie Wohnungen und Villen gebaut, damit Verkaufserlöse erzielt und die Auslastung der Infrastrukturen gesichert werden können.» Der Verkauf müsse innert eines nicht zu langen Zeitraums eine kritische Masse erreichen — sonst gerate das Finanzierungsmodell ins Wanken. Ob dies gelingt, hängt allein von externen Bedingungen ab — von der Wirtschaft und der Immobiliennachfrage in Schweizer Bergresorts. «Wie gut der Verkauf laufen wird, ist offen», sagt Bieger, «wegen der gegenwärtig schlechten Wirtschaftslage könnte es einige Zeit dauern.»

Garten alias Infrastruktur

Wann also bauen? Zwar betont Sawiris: «Gebaut wird nur, was verkauft ist.» Aber Grösse, so Thomas Bieger, ist eine Erfolgsbedindung: «Ein Resort braucht eine kritische Masse an Freizeitangeboten, an Wohnungen und an Gästen. Nur dann stimmt die Atmosphäre, nur dann funktioniert es.» Aus demselben Grund sind sichtbare Zeichen für ein Projekt der Superlative wie Andermatt nötig. Andernfalls schwindet das Vertrauen der Käufer, die Glaubwürdigkeit des Investoren und irgendwann ist die Luft draussen. Zwar liegt die Vermutung nahe, dass Sawiris die Millionen für das Podium erst vorschiesst, wenn er sein Geld zurückfliessen sieht. Aber die Abhängigkeiten könnten ihn zwingen loszulegen. Seine Garten-Bemerkung deutet darauf hin. Wenn das Podium und die ersten Häuser stehen und dann lange nichts mehr geht, soll die Plattform zum Garten werden.

Garten — wieder ein anmutiger Name. Thomas Bieger ist trockener: «Es gibt in jedem Land Beispiele von Resortprojekten, die nicht über den Bau der Infrastrukturen hinausgekommen sind.» Was, wenn der Bau oder der Resortbetrieb aus wirtschaftlichen Gründen gestoppt wird? Müssen dann die Andermatter auf der Militärbrache noch eine Ruine ertragen? Klar ist: Diesen Fall regeln die Bau- und Zonenordnung Andermatts BZO sowie der Infrastrukturvertrag zwischen dem Kanton und der AADC. So kann die AADC etwa den Golfplatz erst bauen, wenn sie «die integrale Realisierung» des Resorts «sichergestellt» hat. «Integral» bedeutet: Zwei Hotels, das Sportzentrum mit öffentlichem Hallenbad, Parkplätze und Verbindungen zwischen Resortbereichen. Zudem muss die AADC den Golfplatz rückbauen, sollte er fünf Jahre lang nicht genutzt werden. Was aber ist mit dem Podium und dem Resortdorf? Und was bedeutet «sichergestellt»? Auch diese Fragen regeln die Verträge -— aber der Kanton und die AADC halten diese Klauseln vertraulich. Offenbar gehen sie für Samih Sawiris aussergewöhnlich weit und er will vermeiden, bei weiteren Projekten gleich damit konfrontiert zu sein.


Kommentar: Wie steht es um Sawiris' architektonischen Anspruch?

Das Podium ist die Achillesferse des Resorts. Samih Sawiris muss es vorfinanzieren in einer wirtschaftlichen Lage, in der Erträge kaum vorauszuberechnen sind. Das Podium ist aber auch ein architektonischer Massstab: Es zeigt, wie der Investor als Bauherr tickt. Bisher schenkte er dem architektonischen Anspruch viel Gehör: Wettbewerbe, gute Architekten. Beim Podium kommt nun der knallharte Rechner hervor. Statt die Gestaltung den Resort-Architekten anzuvertrauen, zog er Generalplaner bei, um den Infrastrukturbau als solchen zu behandeln. Die Bilder zeigen eine kühl-elegante, aber austauschbare Tiefgarage — das gestalterische Gegenteil des aufwendig entwickelten, von örtlichen und regionalen Baumustern geprägten Resortdorfs obendrauf. Damit haben es die AADC und Sawiris verpasst, aus dem Unten und Oben eine Gesamtwelt zu schaffen. Eine, in der man seine Bergferien nicht in einer auswechselbaren Garage beginnt, sondern in der Atmosphäre des neuen Andermatt.

Die Architekten der Appartementhäuser haben Vorprojekte ausgearbeitet und geben sie der AADC in Kürze ab. Damit enden ihre Verträge. Und es kann sein, dass es das für sie war. Üblicher ist es, Bauprojekte zu verkaufen, Sawiris aber verkauft Vorprojekte, die der Käufer stark anpassen kann. Die Quartiergestaltungspläne enthalten zwar Richttexte und -skizzen zur Architektur. Entscheidend aber ist, wer schlussendlich baut, ob mit den ursprünglichen Architekten und mit welchen Qualitätsansprüchen. Darum ist es offen, wie das Resortdorf einst aussieht. Der Verlauf der Podiums-Planung verspricht jedenfalls wenig Spiel für Überdurchschnittliches.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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