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TEC21 2009|36
Hallenzauber
TEC21 2009|36
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Moderne Moderne

Gespielt und gewetteifert wurde schon immer. Während in der Antike und im Mittelalter Turniere und Wettkämpfe bestritten wurden, brachte die Aufklärung eine Betonung des Gesundheitsaspektes für die gesamte Bevölkerung. Es entstanden Hallen zur Ausübung der Körperertüchtigung, die sich in Grösse und Raumprogramm an den Bedürfnissen des Turnens orientierten. Die Zunahme der englischen Teamsportarten seit Anfang des 20. Jahrhunderts führte zu einer kontinuierlichen Adaptierung der Gebäudetypologie.

3. September 2009 - Katja Hasche
Das Übereinanderstapeln sportlicher Einrichtungen ist en vogue. Was zeitgemäss scheint, wurde schon in der Klassischen Moderne praktiziert: In Biel steht eine Anlage aus den 1930er-Jahren, in der ein Schwingraum, zwei Turnhallen und eine off ene Gymnastikterrasse übereinandergestapelt sind. Das Beispiel zeigt nicht nur, dass die Gebäudetypologie heutigen Ansprüchen genügt, sondern auch, wie eine energetische Sanierung gestalterisch überzeugend umgesetzt werden kann.

Was als räumliches Konzept spektakulär erscheint, macht vor Ort einen ganz selbstverständlichen Eindruck. Südlich der Bieler Altstadt am Schüsskanal gelegen, fügt sich das Gebäude der Moderne eher zurückhaltend in die dreiteilige Schulanlage Neumarkt ein. Die zwischen der Errichtung der drei Gebäude liegende Zeitspanne von 43 Jahren zeugt von einer rasanten geschichtlichen Entwicklung. Das älteste, im Stil der Neurenaissance gestaltete Schulhaus stammt von 1889 – einer Zeit, als die boomende Uhrenindustrie eine starke Bevölkerungszunahme auslöste. Bereits zehn Jahre später war das Gebäude für die steigenden Schülerzahlen zu klein und erhielt eine Aufstockung. 1913 folgte mit dem benachbarten, im Heimatstil gestalteten Schulhaus Logengasse 4 die nächste Erweiterung. Als letztes Glied zwängte sich 1931 das Turnhallengebäude in die Reihe. Sein bestechendes architektonisches Konzept verdankt das Gebäude dem Stadtarchitekten Otto Schaub, der die Moderne in Biel durch Reglemente wie das Flachdachgebot im Bahnhofquartier stark förderte. Mittlerweile ist das Turnhallengebäude im Bauinventar der Stadt Biel als «schützenswert» verzeichnet. Typisch für die 1930er-Jahre, erscheint das Gebäude als kompakter, geschlossener Kubus. Entsprechend der funktionalen Einfachheit des Neuen Bauens ist die innere Nutzung von aussen klar ablesbar. Im Süden befinden sich die beiden Turnhallen, von denen die untere als Gerätehalle, die obere als Leichtathletikhalle genutzt wurde. Die darüber liegende, mit geschosshohem Maschendraht umzäunte Dachterrasse diente als offener Gymnastikraum, mit Blick auf die Stadt Biel und den Jura.

Seit ihrem Bau war keines der drei Schulgebäude grundlegend saniert worden. Aufgrund der schwierigen finanziellen Lage der Stadt Biel – Mitte des 20. Jahrhunderts stagnierte erst die Uhren-, dann die Maschinenindustrie – fiel auch der Unterhalt der Bauten sparsam aus. Wie stark sich die Bevölkerung im Jahr 2005 für die rund 17 Mio. Fr. teure Gesamtsanierung der Schulanlage Neumarkt einsetzte, bewies das mit 80 % Ja-Stimmen positive Abstimmungsergebnis.

Wertehaltende Eingriffe

Die von den Bieler spaceshop architekten projektierten und begleiteten Sanierungsarbeiten dauerten von Mai 2006 bis Juli 2007. Während der Bau von 1913 nur partielle Eingriffe erfuhr, wurden das Schulhaus von 1889 und das Turnhallengebäude aufwendig saniert. Die Analyse von Letzterem legte erhebliche Schäden offen: Mehrfache Korrektionen der Juragewässer und der torfige Boden hatten zu einer Absenkung der Bodenplatte um 20 cm geführt. Die inneren Fundamente waren desolat, die Wände rissig. Probleme bereitete auch das aufgehende Mauerwerk, das an mehreren Orten feuchte Stellen aufwies. Um weiteren Senkungen vorzubeugen, mussten die nichttragende Bodenplatte und die Zwischenwände des Untergeschosses entfernt werden. Mit einer Vielzahl von Mikropfählungen wurde eine neue Platte eingebracht. Nach der Entfeuchtung des Mauerwerks wurde der Aussenputz stellenweise ausgebessert. Der Ersatz der Fenster bleibt im Nachhinein ein Wermutstropfen, da originale Fenster nicht mehr häufig anzutreffen sind. Nach Aussage der beteiligten Plane rliess sich der Fensterersatz jedoch aufgrund des schlechten Zustandes nicht vermeiden. Immerhin konnten die aufgesetzten Drehbeschläge wieder verwendet werden.

Für die weitere Nutzung des Turnhallengebäudes stellte die Kleinteiligkeit der Innenräume ein Problem dar. Vor allem die beiden Turnhallen genügten mit 12 x 24 m den heutigen Anforderungen nicht mehr. Statt dem Bestehen auf starren Normen war hier Umdenken angesagt. Mit dem Beschluss der Stadt, auf dem benachbarten Gaswerkareal eine neue Dreifachturnhalle zu erstellen, wurde diese Problematik entschärft. Im September 2009 wird die neue, von GXM Architekten aus Zürich erstellte Sportstätte bezogen. Durch das auf diese Weise zusätzlich generierte Raumangebot konnte im alten Turngebäude eine der beiden Hallen als Aula umgenutzt werden. Trotz der ungünstigeren Erschliessungssituation entschieden sich die Planer für die obere Halle: Diese Variante bereitete weniger Trittschallprobleme, bedingte jedoch einen zweiten Fluchtweg. Also fügten die Architekten analog zu dem bestehenden Treppenhaus ein zweites Treppenhaus auf der gegenüberliegenden Gebäudeschmalseite an. Von aussen beinahe etwas zu stark mit dem Altbau verschmolzen, setzt es sich im Innenraum durch subtil gestaltete Details vom Bestand ab.

Bei der Gestaltung der neuen Aula war es den Architekten wichtig, dass diese weiterhin als Turnhalle nutz- und ablesbar bleibt. Dementsprechend elastisch ist der neue Bodenaufbau ausgeführt, und auch die für den Sportbetrieb charakteristische Symbolik wurde in reduzierter Form wieder aufgebracht. Wie bei der unteren Turnhalle, die weiterhin ausschliesslich Sportzwecken dient, wurden auch bei der Aula die ursprünglich markant in Erscheinung tretende Rippenkonstruktionen bündig eingekleidet. Dieser Eingriff trägt den heutigen Sicherheitsbestimmungen der «glatten Wand» Rechnung, beeinträchtigt jedoch den räumlichen Eindruck. Dafür bietet der neue Zwischenraum genügend Platz für Haustechnik- Installationen und Lüftungskanäle. Und auch die Verkleidungselemente haben eine doppelte Funktion: Teilweise perforiert, blasen sie Frischluft in die Halle oder dienen, mit Dämmmaterial hinterlegt, dem Schallschutz. Während die Turnhallen ihre räumliche Struktur und ursprüngliche Farbigkeit bewahrten, erfuhren die anschliessenden Nebenräume wie Garderoben, Turnmaterialraum und Sanitärräume grössere Veränderungen. Zugunsten zusammenhängender Flächen wurde die kleinteilige Raumaufteilung geöffnet sowie die Farbigkeit neu interpretiert – aufbauend auf einer umfassenden Untersuchung durch einen Restaurator zu Beginn der Planungsphase. Vor der Aula befindet sich heute ein Foyer, das bei Anlässen von der einen Stock darüber liegenden Schulküche bewirtschaftet wird. Als zusätzliche Veranstaltungsfläche dient der umgestaltete Attikaaufbau auf dem Dach.

Energiesanierung versus Denkmalpflege

Während die funktionellen Interventionen im Gebäude sichtbar sind, gilt dies für die Massnahmen zur Verbesserung der Energiebilanz glücklicherweise nicht. Im Laufe des Planungsprozesses konnte die Energiebilanz mit Hilfe einer externen Energieberatungsstelle so optimiert werden, dass sowohl das Turnhallengebäude als auch der Bau von 1889 heute den Minergie-Standard für Umbauten erfüllen, inklusive der Sekundäranforderungen an Beleuchtung und Warmwasser.

Einen grossen Schritt in Richtung Minergie bedeutete die Umstellung der Heizung auf erneuerbare Energien. Statt der alten Gas-Öl-Heizung liefert heute eine Pellets-Heizung im Altbau rund 80 % der jährlichen Energie für Heizung und Warmwasser. Die Spitzen werden im Hochwinter über einen zusätzlichen Gaskessel abgedeckt. Auch bei der neuen Lüftung im Turnhallengebäude setzten die beteiligten Partner mit Wärmerückgewinnung auf eine energieeffiziente Lösung. Bei der Isolation des Gebäudes musste man sensible Massnahmen ergreifen, da aus denkmalpflegerischen Gründen eine Aussendämmung nicht zur Debatte stand. Das bislang ungedämmte, massive Mauerwerk der Aussenwände wies eine Stärke von 45 cm auf. Statt das gesamte Gebäude einzupacken, feilschten Architekten und Ingenieure bei der Berechnung um Zentimeterstärken. Neu gedämmt wurden Teile der inneren Südfassade mit 10–20 cm Glasfaserplatten, das Flachdach mit 16 cm XPS (Extrudierter Polystyrolhartschaum) sowie die Dachterrasse mit 14 cm Schaumglas. Die Bodenplatte im Kellergeschoss erhielt eine Dämmung aus 12 cm XPS. Insgesamt konnte so der jährliche Heizenergieverbrauch beider Gebäude um etwa ein Drittel reduziert werden. Das Erreichen des Minergie-Standards für Umbauten wurde frühzeitig von der Bauherrschaft als Zielvorgabe definiert – allerdings immer unter der Prämisse der denkmalpflegerischen Verhältnismässigkeit. Diese Überlegungen hatten konstruktive und gestalterische Konsequenzen.

Dass es nicht immer gelingt, die Wahrung von Altbausubstanz und Energiesanierung so gut unter einen Hut zu bringen, beweisen zahlreiche ehrgeizige Übersanierungen, bei denen Altbauten komplett eingepackt oder durch andere Massnahmen entstellt werden. Der Konflikt zwischen energietechnischen und substanzerhaltenden Anforderungen ist präsent und wird in Zukunft vermehrt Thema sein (vgl. TEC21, 45/2008). Gemäss Rolf Weber von der Kantonalen Denkmalpflege Bern ist ein gutes Ergebnis nur dann möglich, wenn alle beteiligten Partner intensiv nach einer verträglichen Lösung suchen. Die Sanierung des Schulgebäudes Neumarkt sei ein Glücksfall – dank bewusst diskret gewählten Eingriffen habe das Gebäude seine Seele behalten. Diese Seele manifestiert sich auch in dem Kunst-am-Bau-Schriftzug auf dem Hauptgebäude: «Erinnerst Du Dich» steht dort in grossen Lettern – angesprochen sind alle Ehemaligen, für die das Schulhaus ein Träger von Erinnerungen ist.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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