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hochparterre 10|2009
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 10|2009
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Der Berner Bär erweitert seinen Horizont

Bern, die gemächliche Beamtenstadt? Das war einmal. Eindrückliche Neubauten zeigen eine Dynamik, die die Bundesstadt zu einem Ziel für Architekturtouristen macht.

12. Oktober 2009 - Werner Huber
Paris ist der Eiffelturm, London der Big Ben, New York die Skyline. Und Bern? Bern ist die Altstadt in der Aareschlaufe. Von keiner anderen Schweizer Stadt machen wir uns ein so klares Bild. Selbst Bern Tourismus hat die Aareschlaufe in ihr Logo aufgenommen. Einzigartig und prächtig ist das Unesco-Weltkulturerbe — aber ist es nicht auch etwas langweilig, etwas gar gemütlich? Tatsächlich scheint in der Berner Altstadt, die auch Einkaufs- und Geschäftsstadt ist, kaum je Hektik aufzukommen. Nicht einmal an den Samstagen vor Weihnachten, wenn die ganze Stadt samt Agglomeration am «Rohren» ist, die Lauben rauf- und runterströmt. Liegt das am sprichwörtlichen Berner Charakter? Vielleicht. Doch selbst ungestüme Zürcher werden hier schnell gebremst: Platz zum Überholen gibt es in den engen Lauben nicht; die Gemächlichen geben das Tempo vor. Ganz anders geht es am Bahnhof zu und her, dem einzigen Ort, wo Bern Grossstadt ist. Hier, am Ende der Spitalgasse, ist das Ventil, an dem der Druck der geschäftigen Altstadtgassen Richtung Westen entweicht — und sogleich verpufft.

Denn wenn Bernerinnen und Berner «Stadt» sagen, dann meinen sie die Altstadt, und wenn sie dort einkaufen gehen, bewegen sie sich zwischen Bahnhofplatz und Zytglogge. Selbst durchaus städtische Quartiere, wie die Länggasse oberhalb des Bahnhofs oder der Breitenrain jenseits der Kornhausbrücke, gelten in der Berner Wahrnehmung nicht wirklich als Stadt. Auch aus der «Länggyge» oder dem «Breitsch» geht man «in die Stadt» und meint damit die Altstadt. Wohnen tun hier allerdings keine 4000 Seelen mehr.

Der Blick weitet sich

Zwei Neubauten haben in den letzten Jahren den Blick aus der Altstadt an den Stadtrand gelenkt: das «Zentrum Paul Klee» siehe HP 8 / 05 und das Freizeit- und Einkaufszentrum «Westside» siehe HP 1–2 / 09. Dieses ist der Magnet des neuen Stadtteils Brünnen, in dem Wohnraum für 2600 Bernerinnen und Berner entsteht, ein Stück Stadt mit klar definierten Strassen- und Platzräumen und mit Projekten aus unterschiedlichen Büros, erstellt für unterschiedliche Bauträger. Die ersten Konturen kann man heute besichtigen, doch für eine Bilanz ist es noch zu früh. Die Neubauten brauchen Zeit, um mit ihrer Umgebung zu verwachsen. Neue Ausrufezeichen stehen auch im Zentrum, die jüngsten sind eben erst fertig geworden: der Bärenpark, der am 25. Oktober eingeweiht wird, und der Annexbau des Historischen Museums siehe Seite 24. Zahlreiche neu gestaltete Strassen und Plätze — Bundesplatz, Casinoplatz, Bahnhofplatz — geben Orte, die einst vom Auto beherrscht waren, den Menschen zurück. Man mag sich darüber streiten, ob das Kleezentrum an der Autobahn draussen wirklich am richtigen Ort steht und ob «Westside» trotz idealem Bahn-, Bus- und bald auch Tramanschluss eben nicht doch mehr Autoverkehr erzeugt. Beiden ist es jedoch innerhalb kurzer Zeit gelungen, den Horizont der Stadt beträchtlich zu erweitern — nicht nur bei den Auswärtigen, sondern auch bei den Einheimischen. Huldigt das eine der Kultur, frönt das andere dem Kommerz, beides sind Architekturikonen geworden. Sie stehen nicht allein. Mehr über das «neue Bern» gibts in Hochparterres Architekturführer «Bern baut», der ab Ende Oktober im Buchhandel erhältlich ist. Rund 130 000 Menschen wohnen in der Stadt Bern.

Ihnen stehen 150 000 Arbeitsplätze gegenüber. «Das bedeutet nicht nur den Verkehr von täglich 70 000 Zupendlern, sondern auch hohe Belastungen für Berns Rolle als Zentrum, denen keine entsprechenden Steuereinnahmen gegenüber stehen », unterstreicht Regula Buchmüller, die Leiterin der Abteilung Stadtentwicklung. Die Stadt will dieses Verhältnis ändern und strebt eine Einwohnerzahl von 140 000 an — 1962 lag sie noch bei 165 768. Seit den Neunzigerjahren steht der Wohnungsbau zuoberst auf der Prioritätenliste der Stadtentwicklung. In eigener Regie kann die Stadt nur wenig bauen. Als der alte Staat Bern 1852 unter dem Kanton, der Stadt und der Burgergemeinde aufgeteilt wurde, erhielt die Stadt vor allem die Bauten, die Burgergemeinde hingegen das Land. Diese tritt denn auch bei etlichen Projekten als Baurechtsgeberin auf.

Mehr Genossenschaftsbauten

Untervertreten ist in Bern der gemeinnützige Wohnungsbau. Im «roten Zürich» und im «roten Biel» förderten die sozialdemokratischen Mehrheiten in den Zwanziger- und Dreissigerjahren den kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbau. Ein «rotes Bern» gab es damals nicht. Heute ist immerhin ein Drittel der Wohnungen, die in den letzten acht Jahren entstanden, genossenschaftlich. Der Turnaround bei der Bevölkerungsentwicklung ist jedenfalls gelungen. Nach fast vierzig Jahren Rückgang ist die Einwohnerzahl seit Anfang des Jahrzehnts fast jedes Jahr gestiegen.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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