Zeitschrift

TEC21 2009|41
Neue Monte-Rosa-Hütte
TEC21 2009|41
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Holzkristall

Jeder Kubikmeter Beton, jeder Balken und jede Schraube mussten eingeflogen werden. Die Windbelastungen sind extrem, die Temperaturen ebenso, und das Wetter ist unberechenbar. Dies sowie ein Zeitfenster von gut fünf Monaten waren die Bedingungen, unter denen die Neue Monte-Rosa-Hütte auf 2883 m ü. M. gebaut wurde.

9. Oktober 2009 - Daniel Engler
Das alles sprach für einen möglichst hohen Vorfertigungsgrad, der konsequent umgesetzt wurde. Bei der Grösse der vorgefertigten Elemente musste allerdings Rücksicht auf die Tragkraft der Transporthelikopter bzw. auf die Kosten einer Vergrösserung des Helikoptermodells genommen werden. Es galt, eine Teilung der Bauelemente zu fi nden, aus welcher der optimale Mix von kurzer Montagezeit und kostengünstigem Helikoptertransport resultiert. Das Ergebnis: Betonfundamente schaffen die Verbindung zum Granitgneis (Bereich Permafrost), darauf liegt ein aus Stahlträgern konstruierter, ausgesteifter Tisch. Diese Arbeiten wurden, zusammen mit den Sprengarbeiten für eine oberhalb der Hütte liegende Trinkwasserkaverne, schon im Sommer 2008 ausgeführt. Nachdem im Frühjahr 2009 dann der Schnee weggeräumt war, bildete der Stahltisch die Basis für die fünfgeschossige Holzkonstruktion der eigentlichen Hütte (Abb. 1).

Fünf Achsen - acht Ecken Auf dem unregelmässigen Achteck des Grundrisses übernehmen zehn sternförmig angeordnete, jeweils vom Kernraum bis zur Fassade reichende Innenwände die vertikalen Lasten wie auch einen grossen Teil der Gebäudeaussteifung. So entstand in einem iterativen Prozess ein robustes statisches Konzept, das sich architektonisch in der zellenförmigen Struktur des Gebäudeinnenraums abbildet. Die Fassade und der zentrale Kernraum sind damit von statischen Primäraufgaben weitgehend befreit. Ausnahmen bilden einzelne Teile der Aussenwände sowie die Decken des Kernraumes, die als Ober- bzw. Untergurte die gegenüberliegenden Achsenwände miteinander verbinden (Abb. 5). Für die Torsionsstabilität des Gebäudes wurden in den oberen Geschossen einzelne Fassadenflächen ausgesteift. Im Erdgeschoss geschah dies mangels einer geeigneten Scheibe in der rundum geöffneten Fassade mit Hilfe der Treppenholme. Der betonierte Schubring sowie die Verspannung des Stahltisches leiten alle horizontalen Kräfte auf die Fundamente und in den Baugrund ab. In den obersten zwei Geschossen sind die Lasten aus Erdbeben massgebend, weiter unten die Windkräfte. Diesen Bereichen wurden zur Bemessung Windgeschwindigkeiten von 250 km/h zugrunde gelegt, was lokal, z. B. entlang von Kanten, zu einem Spitzendruck (bzw. Sog) von bis zu 5.0 kN/m2 führen wird.

Sichtbare Konstruktion Ein Wunsch der Architekten war es, die tragenden Bauteile nicht hinter Verkleidungsplatten verschwinden zu lassen, sondern sicht- und erlebbar freizustellen. Daher wurden die Wände als Stab-Platten-Verbund konzipiert. Die Dreischichtplatten liegen dabei an der Fassade aussen bzw. bei den Achsenwänden paarweise Rücken an Rücken. So bleiben die Balken (120/120 bzw. 140 mm) zum Raum hin sichtbar. Eine Folge davon war, dass die Anforderung an die Ausführungsqualität der Konstruktion anstieg. Das hat sich aber ausgezahlt: Einerseits sind viele – in den dicht belegten Räumen sehr erwünschte – Ablagen und Nischen entstanden, und anderseits akzentuieren die orthogonal stehenden Rippen die Schrägen der Gebäudegeometrie. Diese Schrägen erforderten auch spezielle Massnahmen zur Kompensation von Bautoleranzen. Eine davon war, zwischen den doppelten Achsenwänden immer eine Fuge offen zu lassen (Abb. 7), was auch den Schallschutz zwischen den Zimmern verbessert.

Eine spezielle Ausprägung mussten die Achsenwände im Erdgeschoss übernehmen, wo der grosse Essraum für 120 Personen die Grenzen der Kreissegmente natürlich sprengt. Sie werden hier in geschosshohe Strebenträger (200/200 mm) aufgelöst, womit der Raum zwar geöffnet und durchlässig wird, die Zellenstruktur aber immer noch spürbar bleibt (Abb. 8). Im Untergeschoss wiederum sind die ästhetischen Ansprüche geringer und die Traglasten höher, sodass die Achsenwände nicht mehr als Rippen-Platten-Konstruktion, sondern als geschlossene Scheiben aufgebaut sind. Die Decken liegen gelenkig gelagert auf den Achswänden auf und sind, mit Ausnahme des UG-Bodens, als Hohlkastenträger ausgebildet. Sie sind beidseitig mit aufgeleimten Dreischichtplatten beplankt und mit brandschutzwirksamer Dämmung gefüllt.

Altbewährte Verbindungstechnik Die Verbindungen der Tragelemente innerhalb der Achsenwände sowie in den Decken sind mit CNC-gefrästen Schwalbenschwänzen ausgeführt (Abb. 3). Dadurch hatten Planer und Ausführende die Gewähr, dass die Bauteile mit grösstmöglicher Präzision fertig gestellt würden. Das war wichtig, weil die unterschiedlich geformten Dreischichtplatten schon beim Lieferanten auf Mass zugeschnitten wurden und darum exakt passen mussten. Die tragenden und aussteifenden Elemente sind allesamt relativ starr ausgebildet. Um bei einem Erdbeben – die Hütte liegt in der höchsten in der Schweiz vorkommenden Gefährdungsstufe – genügend Energie vernichten zu können und um auch generell ein möglichst gutmütiges Tragverhalten zu erreichen, versuchte man die Verbindungen der Elemente untereinander duktil (nachgiebig) zu konzipieren. Eingebaut wurden Hartholz-Schubdübel aus Eichenholz, die in der Lage sind, bei gleichzeitig einfacher Montage hohe Lasten zu übertragen. Um das erwähnte duktile Verhalten zu erreichen, sind sie so bemessen, dass im Falle einer Überlast zuerst die Fasern der Hirnholzflächen in den Tragelementen gequetscht werden, bevor das Vorholz oder der Dübel selber spröd abscheren.

Brandschitzkonzept Ein Brandschutzkonzept muss die Massnahmen gegen die Entstehung und Ausbreitung von Feuer und Rauch, die Personenrettung sowie die Widerstandsfähigkeit der Tragkonstruktion im Brandfall nachweisen. Das gilt grundsätzlich auch für eine Berghütte, die konkreten Anforderungen unterscheiden sich aber teilweise von anderen Hochbauten. Bei der brandschutztechnisch viergeschossigen neuen Monte-Rosa-Hütte reichen diese von REI 30 in den Obergeschossen bis zu REI 60 / EI 30 nbb für die Erschliessung sowie das Untergeschoss. Mit einem durchdachten Fluchtwegkonzept gelang es, den Aufwand in tragbaren Grenzen zu halten. Ein zweiter Fluchtweg erlaubte es zum Beispiel, in den Obergeschossen jeweils alle Schlafzimmer zu einem einzigen Brandabschnitt zusammenzufassen. Dieser zweite Fluchtweg besteht lediglich aus einer aussen angebrachten Fassadenleiter. Bewilligt wurde das aufgrund des Arguments, dass Berggänger, die eine anspruchsvolle Wanderung zur Hütte hinter sich gebracht haben, auch in der Lage wären, im Notfall an einer Leiter einige Meter abzusteigen.

Mittels einer separaten Treppe wurde dafür gesorgt, dass der Hüttenwart, der in jedem Notfallszenario eine zentrale Rolle spielt, von seinen Räumen aus dem 1. Obergeschoss problemlos nach unten gelangen kann. Eine Steuerung sorgt überdies dafür, dass für die Notfallbeleuchtung immer eine Restkapazität zur Verfügung steht, sodass die Akkus im Normalbetrieb nicht vollständig entladen werden können.

Die ausser im Treppenhaus überall sichtbaren hölzernen Tragelemente mussten auf einen 30- bzw. 60-minütigen Abbrand hin dimensioniert werden. Sie müssen also nach diesen Zeitspannen ein genügendes Tragvermögen (allerdings ohne Lastreserven) aufweisen.

Vorteil Holz Der Entscheid für Holz als Baumaterial fiel – neben seiner Eignung für hochdämmende Fassaden – vor allem aus Gewichtsgründen. Trotzdem betrug der Anteil des Transports, in erster Linie der Helikopterflüge, immer noch rund 15 % der Gesamtkosten. Bei der Unternehmerauswahl war denn auch das Logistikkonzept ein wichtiges Kriterium. Einzelne Unternehmer hatten in der Offertphase eine Vorfertigung ganzer Raumzellen in Betracht gezogen. Das wäre den PlanerInnen aus Gründen der Qualitätssicherung sogar sehr recht gewesen, es scheiterte aber schliesslich an der mangelnden Verfügbarkeit genügend leistungsfähiger Helikopter. Der für einen Grossteil der Transporte eingesetzte Eurocopter Lama hat auf dieser Höhe eine Tragkraft von rund 650 kg. Für einige schwerere Wandelemente musste dann bereits ein über annähernd die doppelte Tragkraft verfügender Helikopter vom Typ Kamax eingesetzt werden.

Die Transportkette der Holzbauunternehmung sah folgendermassen aus: Vom Betrieb in Mörel fuhren Lastwagen hinunter nach Visp und verluden die Teile auf Bahnwagen. Diese transportierten sie, mit einem Lokomotivwechsel in Zermatt, auf der Gornergratbahn bis auf 2300 m ü. M. nach Riffelboden. Dort wurden die Elemente entweder zwischengelagert oder, meistens, direkt vom Bahnwagen zur Baustelle geflogen und montiert. Die Hütte besteht aus ca. 420 vorfabrizierten Holzelementen, die teilweise im 9-Minuten-Takt «angeliefert» wurden. Total waren für den Bau der Hütte als Ganzes rund 3000 Helikopterflüge notwendig. Mit den Stahlteilen wurde gleich verfahren, währenddem der Beton in einer jeweils eigens für die sommerlichen Gebirgsbauplätze erstellten Anlage am Fusse des Gornergletschers gemischt und dann hochgeflogen wurde.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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