Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 10|2009
Holz angemessen
db deutsche bauzeitung 10|2009

Leben in der Bude

Kulturzentrum in Amersfoort (NL)

In den Niederlanden ist die Verwendung von Holz eher noch ungewöhnlich. Doch um später aufgrund möglicher Kosteneinsparungen keine Abstriche bei der Oberflächengestaltung machen zu müssen, entschieden sich die Architekten von Anfang an für ein Tragwerk, dessen Massivholz- und Hohlkastenelemente auch unbekleidet und unbehandelt eine ansprechende und angenehme Oberfläche ergeben – eine kluge, taktisch geschickte Entscheidung, die die Innenraumqualität der »Kultur-Container« einmalig macht und vielleicht auch des- wegen immer für ein volles Haus sorgt?

7. Oktober 2009 - Anneke Bokern
Vathorst ist ein Neubauviertel im Nordosten der niederländischen Stadt Amersfoort. Es ist Teil des VINEX-Wohnungsbauprogramms der niederländischen Regierung, das 1993 mit der »Vierde Nota Ruimtelijke Ordening Extra« (der vierten, außerordentlichen Raumplanungsnota) ins Leben gerufen wurde und in dessen Rahmen bis 2015 landesweit rund 750 000 neue Wohnungen in Großstadtnähe entstehen sollen. Inzwischen haben diese Siedlungen jedoch einen etwas zweifelhaften Ruf bekommen: Spricht man von einem »typischen Vinex-Viertel«, dann ist eine monotone und vor allem monofunktionale Reihenhaussiedlung auf dem Polder gemeint.

In diesem Sinne ist Vathorst, wo bis zum Jahr 2014 insgesamt 11 000 neue Wohnungen entstehen sollen, keine Ausnahme. Denn obwohl dort Versuche unternommen werden, etwas Variation in die Gebäudetypologien zu bringen und auch freistehende Einfamilienhäuser und städtische Wohn-blöcke zu errichten, besteht der Großteil der bisher fertig gestellten Plan- gebiete noch immer aus Reihenhäusern mit handtuchgroßen Gärtchen.

Ungewöhnlich ist in Vathorst allerdings, dass im Zentrum der halbfertigen Siedlung kein Shopping Center thront, sondern ein Kulturzentrum, das als Begegnungsort für die Bewohner gedacht ist. Auf einer großen Wiese, einem geplanten Park, steht ein Bau, der sich nicht nur durch seine Position und Funktion von der Umgebung abhebt, sondern auch durch sein Material: Er besteht aus Holz, was man in den backsteinernen Niederlanden eher selten sieht. Geht man um ihn herum, verraten die großen weißen Lettern, die über seine dunkelgrauen Holzfassaden verteilt sind, den Namen des Zentrums: »De Kamers«, zu deutsch »Die Zimmer«. Dieser Name diente als Leitmotiv für den Entwurf. Wie ein Stapel Bauklötze setzt sich das Gebäude aus mehreren kubischen Volumen zusammen, die einen Theatersaal sowie Räume für Ausstellungen, Kurse, Feiern und Konferenzen bergen.

Zwei oder drei umgebaute Container

»De Kamers« war aber keineswegs von Anfang an Teil des Masterplans von Vathorst. Statt dessen geht die Gründung des Kulturzentrums auf die Privatinitiative eines Pfarrers und eines Künstlers zurück, die beide in einem VINEX-Viertel nahe Amersfoort gewohnt und so erfahren haben, wie leblos diese Neubausiedlungen vor allem in den Anfangsjahren sein können. 2003 schlugen sie deshalb der Entwicklergemeinschaft Vathorst, zu der die Gemeinde Amersfoort und fünf kommerzielle Projektentwickler gehören, vor, ein Kulturzentrum einzurichten, das zunächst ganz bescheiden ausfallen sollte. Sie dachten nur an zwei oder drei umgebaute Baucontainer, in denen man Filme zeigen und hin und wieder ein Essen organisieren könnte. Die Entwicklergemeinschaft brachte die Initiatoren daraufhin in Kontakt mit Korteknie Stuhlmacher Architecten. Das junge Rotterdamer Büro, geleitet von der Deutschen Mechthild Stuhlmacher und dem Niederländer Rien Korteknie, wurde 2001 mit einem knallgrünen, parasitären Dachpavillon bekannt, der vollständig aus einem deutschen Massivholzprodukt gefertigt war. In den folgenden Jahren haben sie einige weitere Fertigholzbauten errichtet, darunter ein temporäres Künstleratelier bei Utrecht und ein Vereinsgebäude für einen Ruderclub in Amstelveen.

Wachsen und Schrumpfen

Zunächst lautete der Auftrag der Initiatoren an Korteknie Stuhlmacher also lediglich, ein paar vorgefertigte Baucontainer zu verschönern, damit sie als Kulturzentrum dienen könnten. Die Architekten überzeugten sie jedoch bald, dass man containerartige Räume besser selber bauen und damit ein erweiterbares Gebäude schaffen sollte. Dass dabei letztlich ein Bau mit 1 000 m² Bruttogeschossfläche und einem Budget von 1,4 Mio. Euro herauskommen würde, hätte damals noch keiner vermutet. In den ersten drei Jahren der Planungsphase wurde das Projekt ständig von Finanzproblemen gebeutelt, und auch der geplante Standort wechselte mehrmals. Je nach aktuellem Stand der Dinge wuchs und schrumpfte der Entwurf. Was jedoch von Anfang an konstant blieb, war das Baumaterial Holz, für das sich Korteknie Stuhlmacher aus einer ganzen Reihe von Gründen entschieden hatten. Zu den Vorteilen zählten zunächst einmal seine Preisgünstigkeit, Flexibilität und kurze Bauzeit. Außerdem erfordert es keine zusätzliche Bekleidung – deren Qualität in den Niederlanden oft als erste in Mitleidenschaft gezogen wird, wenn das Geld knapp wird. Es hat gute akustische Eigenschaften und erzeugt eine wohn- liche Atmosphäre. Obendrein erhielt das Projekt dank des für die Niederlande neuartigen Baumaterials auch noch 60 000 Euro Subventionen vom Programm für »industrielles, flexibles und demontables Bauen« des Raumplanungsministeriums. Als dann noch eine beträchtliche Summe von privaten Spendern hinzukam, konnte der Bau endlich beginnen.

»De Kamers«

Wegen der vielfältigen Funktionen des Gebäudes sollte seine architekto- nische Form nicht programmatisch gebunden sein. Rund um ein Foyer entstand ein Ensemble aus unterschiedlich großen Kuben, in denen jeweils ein oder zwei Räume untergebracht sind: das Theater, ein Wohnzimmer, ein Esszimmer, ein Lesezimmer und ein Dachzimmer. Das Tragwerk des Gebäudes besteht, wie bereits bei den anderen Holzbauten von Korteknie Stuhlmacher, vor allem aus Massivholzelementen, die aus kreuzweise verleimten Fichtenholzplatten bestehen. Da diese jedoch nicht für große Spannweiten geeignet waren, entschieden sich die Architekten für Geschossdecken mit vorgefertigten Hohlkastenelementen aus Fichtenholz. In ihre Unterseiten sind bereits akustisch wirksame Perforationen zur Schalldämmung eingearbeitet.

Beim Betreten bemerkt man sofort die erstaunlich warme, vor allem aber nicht »billig« wirkende Ausstrahlung des Gebäudes. Auch die etwas beklemmende Sauna-Atmosphäre, die Holzbauten manchmal verströmen, kommt glücklicherweise nicht auf. Im Erdgeschoss grenzen das Theater sowie Ess- und Wohnzimmer an das doppelgeschossige Foyer. Letzteres ist der einzige Teil des Gebäudes, der nicht auf dem Holzbau- system basiert: Bis zur Höhe des ersten Geschosses besteht seine Konstruktion aus Beton und Kalksandstein, denn sonst hätten die darüber liegenden Räume aufgrund niederländischer Brandschutzbestimmungen mit einer Brandschutzverkleidung versehen werden müssen.

Das Herz des Kulturzentrums ist das Wohnzimmer, das mit einem offenen Kamin und einer umlaufenden hölzernen Sitzbank sowie beinahe geschosshohen Schiebefenstern ausgestattet ist und für Veranstaltungen aller Art genutzt werden kann. Als zusätzliche Lichtquellen dienen einfache Leuchtstoffröhren. Nebenan befindet sich das Esszimmer mit Küche, das ebenfalls zweigeschossig mit Luftraum ist. Größter Raum im Erdgeschoss ist jedoch das Theater mit 100 Sitzen. Auch hier lassen zwei große Fenster mit Schiebeläden bei Bedarf Tageslicht einfallen, und die Umkleiden, die im ersten Obergeschoss liegen, können in den Bühnenraum integriert werden. Im ersten Stock befindet sich außerdem der Zugang zur Empore des Theaters und über dem Wohnzimmer der Leseraum mit Bibliothek. Darüber liegt nur noch das doppelt hohe Dachzimmer, in dem Kurse oder Workshops abgehalten werden können.

Die einzigen Farben, die in »De Kamers« mit dem hellen Holz kontrastieren, sind das Graugrün und Blaugrau der Türen, Fensterrahmen und des Bodenbelags. In manchen Räumen wurden auch die Wände mit einer farbigen Sockelvertäfelung aus MDF-Platten vor Verschmutzung geschützt. Diese Materialisierung und Farbwahl bestimmt alle Räume des Gebäudes und verleiht ihm trotz seiner additiven Struktur eine sehr harmonische Wirkung. Nicht einmal unschöne Installationen stören die Optik, denn von Kabeln bis Feuerwehrschläuchen ist alles in vorgefertigten Nischen und Aussparungen in den Wänden untergebracht.

Obwohl die Räume dank ihrer großen Fenster sehr hell sind und selbst das Theater über eine große Schiebetür Kontakt zur Außenwelt hat, wirkt der Bau von außen betrachtet erstaunlich geschlossen. Ab einer Höhe von 2,50 m ist seine Holzkonstruktion mit einer dunkelgrauen, hitzebehandelten Fassadenschalung aus Fichtenholz bekleidet. Darunter befindet sich ein Sockel aus Faserzementplatten, die von den Nutzern des Zentrums bemalt werden dürfen und der Architektur ein verspieltes Element hinzufügen. Vor allem tragen die ungezwungen bunten Wände aber deutlich nach außen, was die Hauptaufgabe von »De Kamers« ist: etwas Leben und Spaß in die Schlafsiedlung Vathorst zu bringen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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