Zeitschrift

TEC21 2009|44
Schulhaus Leutschenbach
TEC21 2009|44
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Hohe Schule

Voraussetzung für eine erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit ist, dass alle Beteiligten die Belange der anderen Fachbereiche verstehen und sich nicht nur für die Qualität der eigenen Arbeit, sondern auch für die des gesamten Bauwerkes engagieren. Dies ermöglicht eine Horizonterweiterung, von der die Projektierenden auch im eigenen Fachbereich profitieren. Beim Schulhaus Leutschenbach ist dies gelungen – ein Ingenieurbericht über die Herausforderungen bei der Planung und Realisation der Tragkonstruktion.

30. Oktober 2009 - Joseph Schwartz
Ab der ersten Wettbewerbsphase wurde in enger Zusammenarbeit der einzelnen Disziplinen nach Lösungen gesucht, um die konzeptionelle Grundidee des Entwurfes am effizientesten umzusetzen. Um einen maximalen Bezug der öffentlichen Räume wie Verwaltung, Aula und Bibliothek zum Aussenraum zu ermöglichen, galt es, diese Stockwerke möglichst ohne tragende Elemente in der Fassadenebene auszubilden. Sowohl der dreigeschossige Unterrichtszimmerkörper als auch die Turnhalle boten sich mit ihren beträchtlichen Höhen dazu an, diese Idee als weit auskragende Körper überzeugend umzusetzen (Abb. 2). Um auch in den Unterrichtsräumen und in der Turnhalle einen möglichst starken Bezug zur Umgebung zu ermöglichen und die Tageslichtverhältnisse in dem sehr tiefen Baukörper mit den Unterrichtsräumen zu optimieren, wurden die für die grossen Auskragungen erforderlichen Scheiben der Tragstruktur als Stahlfachwerke ausgebildet, die mit den Stahlbetondecken im Verbund wirken. Die Lage der in der Fassadenebene liegenden Fachwerkstreben wurde anhand einer langwierigen Parameterstudie unter Berücksichtigung aller möglichen Kriterien festgelegt. Der Entscheid, diese Fachwerke im Aussenklima anzuordnen, erhöhte den Schwierigkeitsgrad der Projektierungsaufgabe erheblich: Neben den relativ grossen Längen änderungen in der Tragstruktur infolge von Temperaturveränderungen müssen auch grössere Wärmebrücken akzeptiert werden. Es galt, diese zu minimieren, deren Wärmeströme zu berechnen und im Energienachweis zu berücksichtigen.

Im Erdgeschoss liegt der Baukörper lediglich auf sechs stählernen Dreibeinen auf, welche die grossen Gebäudelasten über das Untergeschoss an die Fundation abgeben. Die Decke über dem vierten Obergeschoss ruht auf den im Grundriss H-förmig angeordneten Fachwerkträgern, die ihre Kräfte über die mittleren Längsfachwerkscheiben des dreigeschossigen Klassenzimmerkörpers auf die Dreibeine abgeben. An den Rändern der Querfachwerke im vierten Obergeschoss sind sowohl die äusseren Längsfachwerkscheiben des dreigeschossigen Klassenzimmerkörpers aufgehängt als auch die Längsfachwerke der Turnhallenfassade aufgelagert (Abb. 7). Die Fachwerkscheiben der Gebäudequerseite sind in den Gebäudeeckpunkten mit denjenigen der Längsfassaden verbunden. Die stählerne Dachkonstruktion liegt auf den Obergurten der Turnhallen-Fachwerkscheiben auf.

Fundation und Untergeschoss

Der Baugrund besteht aus Seeablagerungen, die Moräne liegt tiefer als 50 m unter Terrain. Diese Verhältnisse erforderten eine Pfahlfundation. In den Bereichen, in denen die enormen Lasten eingeleitet werden, nämlich unterhalb der Dreibeine, wurden drei linienartige Pfahlbankette angeordnet. Die beiden aussenseitigen Pfahlbankette ruhen auf je zwölf Grossbohrpfählen mit einem Durchmesser von 120 cm und einer Länge von 30 m, das mittlere Pfahlbankett auf sechs Grossbohrpfählen. Unterhalb der Aussenwände des teilweise im Grundwasser liegenden Untergeschosses sind Betonrammpfähle mit einem Durchmesser von 40 cm und einer Länge von 20 m angeordnet.

Das Untergeschoss hilft dank der Steifigkeit der Innenwände, die Lasten gleichmässig auf die Pfähle zu verteilen. Die Geometrie der Räume wurde so optimiert, dass sowohl die architektonischen als auch die statischen Anforderungen möglichst gut erfüllt werden konnten. Eine besondere Herausforderung stellte die Einleitung der Dreibeinkräfte in die Kellerwände dar. Unterhalb der Aufl agerpunkte der Dreibeine sind bis zur Bodenplatte reichende, runde Stahlkerne mit einem Durchmesser von 32 bzw. 20 cm, die über ihre ganze Höhe mit Kopfbolzendübeln versehen sind, in die massiven, stark bewehrten Kellerwandbereiche eingelegt (Abb. 1). Sowohl für die Bankette, für die Bodenplatte, für die Untergeschosswände als auch für die Decke über dem Untergeschoss wurde Recyclingbeton verwendet.

Montage der Stahltragsstruktur

Der Stahlbau weist ein Gesamtgewicht von rund 1000 t auf. Die Teile wurden im Rahmen der Transportmöglichkeiten im Werk vorgefertigt und in der Feldwerkstatt der Baustelle liegend zusammengeschweisst. Es kam mehrheitlich Stahl S460N zur Anwendung. Der Feuerwiderstand des Stahlbaus wird mit einem Brandschutzanstrich in Kombination mit einer Sprinkleranlage sichergestellt. Zur Montage wurde ein mobiler Raupenkran mit einer Hubkraft von 5000 kN eingesetzt. Vier provisorische Hilfstürme dienten der Stabilisierung der Stahlbaukonstruktion während der Montage (Abb. 8). Zur Sicherstellung der Stabilität des Stahlbaus während der gesamten Bauzeit waren nur sehr wenige provisorische Verbände erforderlich. Die räumlichen Abweichungen der einzelnen Fachwerkelemente wie auch diejenigen des gesamten Stahlbaus betrugen nach der Montage nur wenige Zentimeter. In Anbetracht der sehr hohen Anforderungen an den ausführenden Stahlbauunternehmer bei der Montage der schweren Bauteile in luftiger Höhe ist dieses Resultat beachtlich.

Decken

Die konzeptionelle Entwicklung der Decken war ein intensiver Prozess, an dem alle Fachplaner beteiligt waren. Das Einlegen der Gebäudetechnikleitungen war eine wichtige Randbedingung des architektonischen Grundkonzeptes. Die grosse Herausforderung, die das Projektierungsteam in einer frühen Phase eingegangen war, nur eine einzige Steigzone anzuordnen, erhöhte den Schwierigkeitsgrad zusätzlich; ebenso der Entscheid, eine kontrollierte Lüftung einzubauen. Aus statischer Sicht wurden möglichst leichte Decken angestrebt. Nach einem ausgiebigen Variantenstudium fiel die Wahl auf Leichtbetondecken mit einer Betonqualität LC 35/38 mit einer Rohdichte von 1800 kg/m3. Auch beiden Decken wurde Recyclingbeton verwendet. Die Form der Deckenuntersicht wurde unter Berücksichtigung vieler Parameter sorgfältig optimiert. Die Geometrie der eingelegten Gebäudetechnikleitungen, die Anordnung der Leuchtkörper, die Lösung der raumakustischen Anforderungen unter Berücksichtigung der gestalterischen Anforderungen und weitere Randbedingungen führten zu einer statisch effizienten Lösung mit einer polygonal gewellten Deckenuntersicht, welche die Decken als Plattenbalkenstreifen zwischen den Stahlträgern der Fachwerke wirken lässt (Abb. 04). Generell sind in Richtung der Fachwerkträger zusätzliche Längsträger an der Deckenuntersicht ausgebildet, die im Verbund mit den Stahlträgern wirken.

Um grosszügige, offene Raumverhältnisse im Gebäudeinnern zu erzielen, waren aus brandschutztechnischen Gründen aussen liegende Fluchtbalkone erforderlich. Diese sind auf allen Geschossen vorhanden und wurden formal gleich behandelt wie die Decken. Eine besondere Schwierigkeit stellte die Anordnung der Fachwerke im Aussenklima dar: Die Wärmedämmung durchdringt somit die Decken neben ihren Randaufl agern auf der ganzen Gebäudelänge. In diesen Bereichen wurden teilweise wärmegedämmte Stahlwalzprofile im Abstand der Deckenbalken eingelegt, die unter Berücksichtigung der statischen und der bauphysikalischen Anforderungen optimiert wurden.

Fassade

Die Fassade wurde – ausser im Bereich der sich öffnenden Flügel – rahmenlos ausgebildet. Sowohl für die Aussenfassade aus Floatglas als auch für die Innenwände aus Profilbauglas wurden entsprechende Deckenschlitze vorgesehen, in welche die Gläser versenkt werden konnten. Zur Aufnahme der Windlasten wurden bei grossen Spannweiten Glasschwerter angeordnet. Die theoretischen relativen Verformungen der Decken abzuschätzen, stellte in den zusammenhängenden Baukörpern – das heisst: in den Unterrichtsräumen und in der Turnhalle – kein Problem dar. Schwieriger war es in den offenen Geschossen: Sowohl im Erdgeschoss als auch im vierten Obergeschoss wurden deshalb die Verformungen der Fachwerkkörper während des Bauvorganges kontinuierlich gemessen und dokumentiert, um eine Prognose der definitiven Verformungen zum Zeitpunkt, an dem die Glasscheiben bestellt wurden, vornehmen zu können.

In den kommenden Jahren werden wir mit Spannung verfolgen, wie sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Dauerhaftigkeit der Konstruktionen niederschlagen und die Zufriedenheit von Studierenden und Lehrpersonen beeinfl ussen wird. Mit der Konzeption, Planung, Montage und Inbetriebnahme ist ein grosser Schritt getan, die hohe Schule der Zusammenarbeit zu erreichen. Auch erste Reaktionen der Gebäudenutzer zeigen positive Signale.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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