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hochparterre 11|2009
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 11|2009
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Zahlen, Noten und Krawatten

Der Ecoparc Neuenburg ist zu einem vielfältigen Bahnhofquartier angewachsen – dank dem Grosseinsatz der Bauart Architekten.

16. November 2009 - Werner Huber
Eine Musikschule an der Bahnlinie? Die Skepsis war gross, als Bauart Architekten dem Kanton Neuenburg vorschlugen, das Konservatorium im geplanten Neubau beim Bahnhof unterzubringen. Auch der Vorschlag, unter dem gleichen Dach die Hochschule für Wirtschaft einzuquartieren, war nicht nahe liegend. Doch das Projekt hatte zwei Vorteile: die verkehrsmässig ausgezeichnete Lage und die schnelle Verfügbarkeit. Die anfängliche Skepsis ist spätestens mit der Eröffnung des Neubaus Mitte Mai 2009 verflogen. «Die Studenten brauchten etwas Zeit, um sich an diese Kohabitation zu gewöhnen», blickt Emmanuel Rey von Bauart Architekten auf die ersten Tage zurück. Heute geben die angehenden Musiker den krawattierten Businessleuten gerne eine spontane Kostprobe ihres Könnens.

Musik und Wirtschaft

Dass unter einem Dach Musik und Wirtschaft gelehrt wird, merken Aussenstehende an den unterschiedlichen Farben der Raumbezeichnungen. Gemeinsam sind der Eingang, die Cafeteria und das grosse Auditorium. Gemeinsam ist auch das organisatorische Dach: die Fachhochschule Westschweiz (HES-SO). Allerdings gehört die Hochschule für Wirtschaft zur Hochschule Arc (Neuenburg, Bern, Jura), die professionelle Musikerausbildung hingegen ist eine Antenne der Genfer Haute Ecole de Musique. Unabhängig davon bietet das Konservatorium Neuenburg hier eine nicht professionelle Musikausbildung an.

Seine Hauptfront richtet der Neubau gegen den Espace de l’Europe. Der vom Landschaftsarchitekturbüro Paysagestion gestaltete öffentliche Raum, oszillierend zwischen Strasse und Platz, zieht sich vom Bahnhof dem Gebäude des Bundesamts für Statistik entlang und weitet sich im hinteren Bereich zu einem Platz. Vier zweigeschossige schwarze Kuben, die auf unterschiedlichen Höhen weit in den Platz hinausstossen, bilden den Blickfang der Doppelschule. Darin sind die grossen Volumen untergebracht: Auditorium, Mehrzwecksaal, Rhythmiksaal, Cafeteria. Verankert sind diese Black Boxes an einem viergeschossigen Rücken an der Bahnlinie. In ihm sind die übrigen Räume beidseitig eines langen Korridors aufgereiht. Vier doppelgeschossige Hallen, die «Espaces transparents», durchstossen den Baukörper und rhythmisieren den langen Gang. Baurechtlich sind sie eine Konzession an die durchgehende Viergeschossigkeit des Hauses, architektonisch sind sie mehr: Sie öffnen den Blick auf die Stadt und lassen die Stadt am Innenleben teilhaben. Die in leuchtendem Gelbgrün gestrichenen, beidseitig verglasten Hallen sind Treffpunkte und Kommunikationsorte. Im Gegensatz zur knalligen Farbe der «Espaces transparents » und der Korridore steht das Innere der schwarzen Kisten. Hier erzeugt ein mehrschichtiger Anstrich einen metallischen Effekt.

Seit zwanzig Jahren am Werk

Der Neubau des Konservatoriums und der Hochschule für Wirtschaft ist ein weiterer Baustein des Quartiers Ecoparc in Crêt-Taconnet, einer urbanen Brache beim Bahnhof Neuenburg. In einem Zeitraum von zwanzig Jahren schufen hier die Architekten von Bauart einen Stadtteil, der unterschiedliche Nutzungen in vielfältigen Gebäuden vereint — und dies erst noch auf ökologisch sinnvolle Art.
Der Startschuss fiel 1990 mit dem Wettbewerb für das Bundesamt für Statistik (BfS), das von Bern nach Neuenburg übersiedeln sollte.

Die Architekten hatten einen engeren Wettbewerbsund einen weiteren Ideenperimeter zu bearbeiten. Bauart Architekten übersetzten die geforderte hohe Dichte in grosse Gebäude und setzten ein Langhaus und ein Turmhaus. 1998 war das Langhaus des BfS vollendet und hob Neuenburg auf die Karte der zeitgenössischen Architektur. Imposant waren nicht nur die Dimensionen, eindrücklich war auch seine ökologische Bauweise siehe HP 10 / 98. Wobei diese gar nicht von Anfang an so umfassend eingeplant war, wie Emmanuel Rey betont: Erst während der Planung wurde das Thema ein konkretes Ziel für Bauart Architekten und die Bauherrschaft.

Beim 2004 vollendeten BfS-Hochhaus siehe HP 3 / 04 war die Nachhaltigkeit von Anfang an Programm.

Gelegenheit gepackt

Schon bald nach dem Wettbewerb waren Bauart Architekten mehr als Architekten. Sie witterten die Chance, der Planung des Gebiets Crêt-Taconnet zusätzlichen Schwung zu verleihen, umso mehr, als die Stadt zu jener Zeit einen neuen Zonenplan und eine neue Bauordnung entwickelte. Bauart kontaktierte die vier Besitzer des Areals — die SBB, einen Baumaterialunternehmer und zwei Private — und überzeugte sie davon, dass die neue Bauordnung eine gute Gelegenheit ist, um ein gemeinsames Projekt zu entwickeln. Die Architekten erhielten das Mandat, einen Quartierplan zu erarbeiten, den Kontakt mit der Stadt zu suchen und das Gebiet zu vermarkten. In der Folge flossen die Elemente des Wettbewerbs in die städtische Planung ein und das Gebiet wurde zum wichtigsten der drei Entwicklungsschwerpunkte Neuenburgs.

Die Architekten überzeugten die Eigentümer davon, die Grenzen vorerst ausser Acht zu lassen. «Wir lassen die Parzellengrenzen beiseite und machen das Beste für den Ort», erklärt Rey die Devise.

Als das Quartier auf dem Plan fertig war, legte Bauart die Grenzen so, dass alle Grundstücke in etwa gleichwertig waren. Rechtskräftig wurden die Grenzen indes etappenweise im Takt der Wandlung des Quartiers. Dieses fand seine Gestalt gemäss drei Prinzipien. Erstens: Die grösste Dichte gibt es auf dem Plateau mit den hohen Objekten an der Geländekante. Zweitens: Die Objekte unterhalb des Plateaus sind kleiner, Altbauten bleiben wo möglich bestehen und nehmen den Massstab des Quartiers auf. Drittens: Entlang der Gleise kommt «ein langer Schlitten» zu stehen. Nutzungsmässig gab der Quartierplan wenig vor; er wollte die Räumlichkeit bewahren und die Entwicklungsmöglichkeiten offen halten. Definiert war ein Anteil von mindestens vierzig Prozent Wohnen; realisiert hat man mehr.

Ein Labor für die nachhaltigkeit

Das «Experiment Nachhaltigkeit», das Bauart mit dem Bundesamt für Statistik begann, floss auch ins Gesamtprojekt ein. Dafür konstituierte sich eine rund 15-köpfige Gruppe aus Stadt, Kanton, Bund, SBB, ETH Lausanne, Universität Neuenburg, Vertretern von Bauart und weiteren Interessierten. Die Gruppe schrieb nicht vor, was zu tun ist, sondern sie verstand sich als Laboratorium auf der Suche nach Lösungen. Aus der Gruppe wurde 2000 der Verein Ecoparc. Er hat sich die Förderung der Nachhaltigkeit über den Ecoparc und über Neuenburg hinaus auf die Fahnen geschrieben. Über 250 Personen besuchen jeweils die Biennale «Forum Ecoparc» in der Uni Neuenburg. Ging die Planung mit den vier Grundeigentümern bis zur Baureife im Jahr 2000 noch flott voran, so harzte es zunächst mit der Vermarktung. Crêt-Taconnet war noch eine öde Brache, keine attraktive Adresse. Interesse war zwar vorhanden — von der Helvetia Versicherung für die Wohnbauten, vom Kanton allenfalls für die beiden Schulen. Bloss fehlte die Initialzündung. Da beschloss Bauart, ein Haus selbst zu kaufen und zu einem Lofthaus aus- und umzubauen. Das gab den entscheidenden Kick. «Wenn die Architekten hier selbst investieren, dann müssen sie wohl von ihrem Projekt überzeugt sein», mutmasst Emmanuel Rey über die Beweggründe von Helvetia, zwei Wohnhäuser zu erstellen. Später übernahm die Versicherung auch die beiden anderen, während eine Villa in private Hände ging und Bauart einen Altbau für ihr Neuenburger Büro übernahm.

Und noch eine Schule

Dank der erfolgreichen Entwicklung des östlichen Teils des Plateaus hatten auch die SBB das Potenzial des Standorts erkannt und Bauart mit dem Vorprojekt für den Neubau TransEurope auf dem schmalen Landstreifen zwischen BfS-Langhaus und Gleisen beauftragt, wo die Architekten einen 285 Meter langen Riegel planten. Mit zwei weiteren Abteilungen der Haute Ecole Arc wurde eine Mieterin gefunden, die eine eindrückliche Dynamik in den Planungsprozess brachte: Innerhalb eines Jahres planten die Architekten das Büro- und Geschäftshaus zu einem Schulhaus um, erstellten den Kostenvoranschlag, reichten die Baueingabe ein — und begannen mit dem Bau. Dieser erste Teil der letzten Etappe des Quartiers Ecoparc wird bis 2011 fertig gestellt. Vier Jahre später wollen die SBB den zweiten Teil realisieren und damit das Quartier vollenden.

Das Zeug zum symbolträchtigen Schlussstein von Ecoparc hat jedoch eine andere Initiative von Bauart: die Passerelle in der Verlängerung des Espace de l’Europe, die den Bahnhof mit den Gebäuden der Wissenschaftlichen Fakultät der Universität verbindet. «Passerelle du Millénaire» könnte sie heissen, die Finanzierung wird zurzeit aufgegleist. 2011, zum 1000-Jahr-Jubiläum der Stadt Neuenburg, soll die Brücke stehen.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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