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TEC21 2009|49-50
Auf Zug
TEC21 2009|49-50
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Dreischichtseilen statt fliegen

Bei Bauprojekten an alpinen Standorten ist die Materiallogistik eine Herausforderung. Helikoptertransporte scheinen die naheliegende und einzige Lösung zu sein. Doch Materialseilbahnen bieten als Transportmittel und für die Montage eine finanziell und baulogistisch interessante Alternative, vor allem wenn grosse Mengen Baumaterial transportiert werden müssen wie beim Bau der neuen Spitzmeilenhütte in den Flumserbergen SG.

4. Dezember 2009 - Rolf Bachofner
Die Winterschutzhütte Spitzmeilen wurde 1903 auf 2087 m ü. M. erstellt. Sie wurde mehrfach erweitert und saniert, trotzdem genügte sie den heutigen Anforderungen nicht mehr. Nach reger Standortdiskussion entschloss sich die SAC-Sektion Piz Sol, die Hütte an der gleichen Stelle zu erneuern. Die Sektion als Eigentümerin lobte im Frühjahr 2005 einen Wettbewerb unter drei eingeladenen Architekturbüros aus. Die Aufgabe bestand darin, je einen Vorschlag für eine Sanierung und einen Neubau zu unterbreiten.

Die unwesentlich höheren Kosten eines Neubaus veranlassten die Mitgliederversammlung im März 2006, die Neubauvariante zu bevorzugen und dem Baukredit zuzustimmen. Als Sieger ging das Planerteam mit den Architekten von Berger und Partner und den Bauingenieuren von Conzett Bronzini Gartmann aus dem Wettbewerb hervor.

Einfache Bedürfnisse

Die Hütte ist zu Fuss ohne besondere Schwierigkeiten erreichbar und eignet sich vorzüglich für Familien- und Gruppenausflüge. Die Besucher sind darum vornehmlich durstige Tagesgäste mit dem Wunsch nach einfachen Mittagsmahlzeiten sowie Wanderer, die für eine Nacht beherbergt werden wollen. Entsprechend sind die Räumlichkeiten auf diese Bedürfnisse ausgelegt: Im Untergeschoss befinden sich die Lagerräume, die Gästetoiletten und der Winterraum, ein den Gästen auch bei unbewarteter Hütte zur Verfügung stehender, einfach ausgerüsteter Raum. Das Erdgeschoss umfasst einen grosszügigen Aufenthaltsraum mit einem Panoramafenster, das die Churfirsten und das Schilstal inszeniert. Die zentral angeordnete Küche, die privaten Räume des Hüttenwartes und der Eingang mit dem vorgebauten Windfang vervollständigen das Geschoss. Vor dem Haupteingang liegt eine grosse Terrasse, wo im Sommer Gäste bewirtet werden. Im Obergeschoss befinden sich die Sanitärräume und sieben unbeheizte Schlafzimmer mit insgesamt 44 Betten.

Anspruchsvolle Konstruktion

Die massgebenden Einwirkungen auf die Tragkonstruktion infolge von Schnee und Wind konnten aufgrund der Meereshöhe und der exponierten Lage nicht nur nach der Norm SIA 261 bestimmt werden – es mussten zusätzlich Gespräche über die Erfahrungen mit anderen alpinen Bauten geführt sowie Beobachtungen vor Ort vorgenommen und Wetterdaten und Kartenmaterial studiert werden. Der charakteristische Wert der Schneelast wurde schliesslich mit qk=10 kN/m2 und der Referenzwert des Staudrucks mit qp0=2.50 kN/m2 in der Projektbasis und der Nutzungsvereinbarung festgehalten.

Die Bodenplatte, die erdberührten Aussenwände, einige Innenwände und die Decke des Untergeschosses wurden aus 180 mm starkem bewehrtem Sichtortbeton hergestellt. Die leicht belasteten Innenwände des Untergeschosses sind mit Kalksandsteinen aufgemauert. Die Aussen- und Innenwände in den beiden oberen Geschossen bestehen aus einer 180 mm starken, beplankten Holzkonstruktion, die innenseitig mit einer 57 mm dicken Furnierschichtholzplatte (EG) beziehungsweise einer sichtbaren 27 mm starken Dreischichtplatte (OG) beplankt wurde. Die Verwendung wandgrosser Furnierschichtholzplatten erlaubte es, die Elemente widerstandsfähig auszubilden, was im Gebrauch wegen der nicht genau bekannten Einwirkungen wünschenswert war. Zudem widerstanden die vorgefertigten Elemente den Transportstrapazen durch Umladen und Zwischenlagern bei misslichsten Witterungsbedingungen. Zwischen den Stützen ist eine Dämmung eingesetzt und aussenseitig eine Zusatzdämmung als Winddichtung angeschlagen. Die der Gebäudestabilisierung dienenden Wandscheiben des Erdgeschosses (Innen- und Aussenwände) sind innenseitig zusätzlich mit einer Gipsfaserplatte (Küche, Korridore), mit Dreischichtplatten (Zimmer) oder mit einer Schalung (Aufenthaltsraum) verkleidet. Für die Erdgeschossdecke wurden Rippenplatten mit einer 42 mm starken Dreischichtplatte hergestellt. Die Dachelemente bestehen aus vorfabrizierten Hohlkasten.

Helikopter Versus Materialseilbahn

Die logistischen Herausforderungen bezüglich Transport und Montage an diesem alpinen Standort hatten einen wesentlichen Einfluss auf den Tragwerksentwurf, den Baufortschritt und die Erstellungskosten. Der Bauablauf musste darum bereits in der frühen Planung festgelegt werden. Die Materialtransporte von und zur Baustelle konnten grundsätzlich nur mit dem Helikopter oder mit einer Materialseilbahn erfolgen, weil ein fahrzeuggerechter Ausbau der Wege ausgeschlossen war. Dennoch mussten die Zufahrten bis zu den jeweils für die Materialbahn oder den Helikoptertransport vorgesehenen Umladestellen mit dem Eigentümer des betroffenen Grundstücks und der Strasse sowie mit einem Transporteur geklärt werden. Die kurvenreiche Strasse ist schmal und nur auf geringe Nutzlasten und Frequenzen ausgelegt.

Um das geeignete Transportmittel zu bestimmen, wurden Kosten und Nutzen einander gegenübergestellt: Damit ein Helikoptereinsatz wirtschaftlich ist, müssen die Rotationszeiten in der Regel sehr kurz und die Hublasten eher klein gehalten werden. Die Kosten wachsen mit zunehmender zu überwindender Höhe und – infolge der Überfluggebühren – mit steigender Anzahl Arbeitseinsätze. Ausserdem ist der Einsatz dieses Transportmittels nur bei schönem Wetter und wenig Wind möglich und der Verfügbarkeit des Anbieters unterworfen. Die Materialseilbahn hingegen kann auch bei sehr misslichen Witterungen, insbesondere bei Nebel und kräftigem Wind, ihren Betrieb aufrechterhalten. Die Erstellungsund Demontagearbeiten der Bahn benötigen Zeit und verursachen einen wesentlichen Anteil an den Gesamtkosten. Der Betrieb und der Unterhalt der Bahn sind jedoch sehr günstig, weil eine Person die Bedienung allein vornehmen kann. Mit zunehmender Materialmenge sinken daher die Transportkosten pro Einheit. Tendenziell weist die Materialseilbahn bei grossen Mengen und schweren Einzelteilen Vorteile auf, während sich der Helikoptereinsatz bei kleineren Materialmengen in leichten Einheiten aufdrängt.

Materialseilbahn als geeignetes Transportmittel

Nach einer sorgfältigen Abwägung der Vor- und Nachteile sowie der Kosten eines Helikopter- oder Materialseilbahneinsatzes fiel der Entscheid zu Gunsten der Seilbahn mit einer Nutzlast von 3 t. Der topografisch günstige Gebäudestandort an einer exponierten Geländekante (Abb. 2) und die bestehende Zubringerstrasse zur Talstation (Abb. 4) ergaben ideale Voraussetzungen für die Materialseilbahn. So konnte trotz des häufig schlechten Wetters im Sommer 2007 der Materialtransport stets aufrechterhalten werden.

Die Transporte der Bahnbauteile erfolgten mit einem Helikopter, der anschliessend bis zur Demontage nicht mehr benötigt wurde. Der eingekofferte Verlade- und Installationsplatz bei der Talstation der Materialseilbahn wurde talseitig der Zubringerstrasse direkt unter das Tragseil der Bahn platziert. Er diente dem Materialumschlag und der Zwischenlagerung von Baumaterial. Die Strasse konnte so während des gesamten Neubaus weitgehend freigehalten werden, was seitens der Grundeigentümer Bedingung für die Aufrechterhaltung eines ungestörten Alpbetriebes war. Der geräuscharme Betrieb störte ausserdem weder die neben der Bahn liegende Alphütte noch die weidenden Kühe.

Für die Materialseilbahn wurden keine Zwischenmasten erstellt. Die freie Spannweite des Tragseils war knapp 1200 m. Die Antriebswinde für das Zugseil wurde an der Talstation installiert und bedient. Dabei erfolgte die Verankerung des Tragseils mit einem Mehrfachanker an den umstehenden Bäumen. Die Kommunikation zwischen der Baustelle und der Bedienung an der Talstation funktionierte per Funk. Der Sichtkontakt vereinfachte die Bedienung, weil die bedienende Person die Ankunft der Bahn auf der Baustelle selber sehen konnte.

Für die Montage auf der Baustelle des Neubaus wurde der Einsatz eines Baustellenkrans in Betracht gezogen – infolge der erforderlichen kleinteiligen Transportzerlegung und der daraus resultierenden Kosten aber verworfen. Stattdessen wurde der bergseitig des Neubaus stehende Seilbahnmast als ein 30 m hoher Schwenkmast ausgebildet (Abb. 1). Er konnte je 5 m quer zur Seilachse abgekippt werden, wodurch 2.6 t schwere Wand- und Dachelemente ohne weitere Hilfsmittel versetzt werden konnten. Die Bedienung der Seilwinde (auf und ab) erfolgte vor Ort mit einer Funkfernsteuerung. Für das Betonieren erwies sich das Schwenken des Mastes allerdings als ineffizient. Daher wurden die Betonieretappen so gewählt, dass jede Etappe teilweise unter der Seilachse lag – der eingesetzte fliessfähige SCC-Beton erreichte auch die entfernten Wandpartien.

Synergien Nutzen

Damit Synergien bewusst genutzt und Kosten gespart werden können, müssen Transportdispositionen grundsätzlich zu einem frühen Planungszeitpunkt über das gesamte Bauvorhaben betrachtet werden. Erst dann ist gewährleistet, dass nicht jedes am Bau beteiligte Unternehmen die für ihn beste Transportmöglichkeit wählt, denn dadurch können die Gesamtkosten ansteigen. Die frühzeitige Klärung erlaubte es bei der SAC-Hütte Spitzmeilen, das Tragwerk auf der Basis von wenigen grossflächigen Elementen mit geringen Fugen- und Verbindungsmittelanteilen zu entwerfen. Ausserdem konnten so für die Gebäudestabilität und die Umsetzung des Brandschutzes effiziente Lösungen gefunden werden. Für die Bestimmung der Betonbauteile waren diese Vorabklärungen ebenso relevant: Die Decke über dem Untergeschoss konnte kostengünstiger in Beton statt in Holz erstellt werden. Im Rückblick hat sich der Einsatz einer Materialseilbahn als Transport- und Montagemittel für dieses Bauvorhaben als sehr gute und finanziell ausgesprochen interessante Lösung bestätigt.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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