Zeitschrift

TEC21 2009|49-50
Auf Zug
TEC21 2009|49-50
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Hochseilakt

Der Hängelaufsteg unterhalb des Triftgletschers im Berner Oberland wurde 2004 gebaut, um nach dem rasanten Schwund des Gletschers den Zustieg zur Trifthütte zu gewährleisten. Doch der Wind am speziellen Standort beschädigte seither die Konstruktion. Deshalb wurde in diesem Sommer eine neue Brücke an einer günstigeren Stelle aufgebaut und die alte demontiert.

Der Weg von der Sustenpassstrasse zur Trifthütte führte ursprünglich über den Triftgletscher: Über steil abfallende Leitern stiegen die Alpinistinnen und Alpinisten hinunter auf die Gletscherzunge, von dort aus überquerten sie den Gletscher bis auf eine Höhe von 1900 m ü. M., via «Telliblatti» führte der Weg dann dem Südhang entlang hinauf zur Trifthütte auf 2520 m ü. M. In den letzten Jahren ist die Gletscherzunge abgeschmolzen, allein im Sommer 2004 um 164 m. Es ist ein grosser See entstanden, und die Triftschlucht hat sich geöffnet, sodass ab etwa 2003 der Abstieg via Leitern nicht mehr möglich war. Die Bergsteiger waren gezwungen, am Nordhang entlang einen mühsamen Aufstieg zu bewältigen, um dann wieder etwa 200 m abzusteigen, damit sie den Triftgletscher oberhalb des Abbruches überqueren konnten. Diese Route war gut ausgerüsteten und erfahrenen Alpinisten vorbehalten, da die Gletscherquerung hier in Spaltenrichtung erfolgte, was vor allem im Frühsommer und Spätherbst eine genaue Routenwahl und Lagebeurteilung erforderte.

Der Hängelaufsteg, der im September 2004 nach nur fünfmonatiger Planungs- und Ausführungszeit eröffnet wurde, machte den Weg wieder einfacher: Auf ihm konnte man die Triftschlucht etwa 30 m unter ihrem oberem Ende 70 m über dem Wasser überqueren.

Konstruktion der ersten Brücke

Die Brücke wurde als einfaches, unversteiftes Tragwerk mit einem Eigengewicht von 100 kg/m2 und einer maximalen Belastung von 750 kg/m2 konzipiert. Schwingungen wurden toleriert – wobei sie gering ausfielen, weil die Tragseile wenig durchhingen. Das nach nepalesischer Bauweise[1] erstellte Tragwerk bestand aus sechs Stahlseilen mit 32 mm Durchmesser und einer daran angehängten einfachen Stahlunterkonstruktion. Die zwei oben liegenden Tragseile wurden im Abstand von 120 cm montiert, sodass sich eine Person beim Überschreiten der Brücke rechts und links am Seil halten konnte. Sie waren zu den beiden in etwa 1.5 × 1.5 m grossen Fundamenten eingegossenen, 1.60 m hohen Pylonen geführt und dahinter mit Schwerlastanker im Fels verankert. Ebenso waren die vier unten liegenden Spannseile verankert, die jeweils als Paar pro Seite 117 t Zugkraft aufnahmen. Die Tragseile bildeten zusammen mit darunter angebrachten weiteren Drahtseilen das Geländer. Es wurde kein Drahtgeflecht montiert, da durch Schneeverwehungen die Windlast auf die Konstruktion erhöht worden wäre. Die Lauffläche war mit einheimischen, druckimprägnierten Lärchenholzplanken belegt. Jede einzelne Planke war luftumflossen und auf den im Abstand von 1.50 m montierten Querbalken der Unterkonstruktion verschraubt (Abb. 1).

Ursprünglicher Standort

Die Lage der ersten Brücke wurde gewählt, weil sie sich dank der nahezu perfekten Felsstruktur (kompakter Granit) für Verankerungen eignete und ausserdem die engste Stelle war, wo noch ein verantwortbarer Ein- und Ausstieg möglich war. Eine Zerstörung durch Lawinenniedergang konnte ausgeschlossen werden, da die Brücke im Schutz einer Felsrippe im Gebiet «Drosi» auf der Ostseite lag. In den vier Betriebsjahren hat sich diese Annahme bestätigt. Auch entlang des neuen Weges waren keine aussergewöhnlichen Gefährdungenbekannt – kleine Rutschungen konnten mit Unterhaltsarbeiten kontrolliert oder umgangen werden. Zwar wäre ein Standort weiter oben in der Schlucht bereits damals sinnvoller gewesen, war aber angesichts der zu Baubeginn noch unsicheren Finanzierung zu teuer.

Unterschätzter Wind

Nach den ersten vier Betriebsjahren zeigte sich, dass die lokalen Windverhältnisse unterschätzt worden waren und die Konstruktion beschädigten. Für die erste Brücke berücksichtigte der Bauingenieur Föhnstürme um 120 km/h, wie sie von der Messanlage auf dem «Bänzlauistock» gemessen werden. Wegen des Venturieffekts sind die Windgeschwindigkeiten in der Schlucht aber wesentlich höher, am Standort der ersten Brücke gibt es Böen von bis zu 200 km/h. Die starken Turbulenzen bewirkten zudem Kräfte auf das Tragwerk, die in diesem Masse für die Bemessung der Konstruktion nicht berücksichtig worden waren. Zahlreiche Holzplanken wurden darum durch das Kippen der Brücke abgerissen, viele Zugstangen zwischen Tragseil und Gehsteg mussten ersetzt werden. Einige Windabspannungen, die nachträglich montiert worden waren (wegen der topografischen Verhältnisse in sehr spitzem Winkel), hielten der Beanspruchung nicht stand.

Bei der Planung 2004 war man davon ausgegangen, dass vorwiegend Alpinistinnen und Alpinisten die Brücke benutzen würden. Mit der Eröffnung der Triftbahn im Frühling 2005 und dem Bekanntwerden des spektakulären Gletscherrückgangs etwa zur gleichen Zeit kamen aber auch weniger geübte Wanderer auf diese Route. Bis zu 35 000 Personen überquerten pro Jahr den längsten Hängelaufsteg im Alpenraum. Sie unterschätzten häufig den alpinen Zustieg zur Brücke hinunter, wodurch dieser zu einem Sicherheitsrisiko wurde.

Neuer Standort

Um den technischen Problemen zu begegnen und den erhöhten Sicherheitsanforderungen zu genügen, entschieden sich die Verantwortlichen 2007 dafür, die Brücke an einen weniger gefährdeten Standort zu versetzen bzw. eine neue aufzubauen. Die Finanzierungsmöglichkeiten hatten sich dank der Attraktivität der ersten Brücke stark verbessert. Der neue Standort befindet sich 20 m talauswärts und 30 m höher, wo die Schlucht breiter ist und die Windgeschwindigkeiten deshalb tiefer sind (Abb. 4 und 5).

Konstruktion der Neuen Brücke

Die neue Brücke wurde vom gleichen Ingenieur konzipiert wie die alte und hat eine ähnliche Tragkonstruktion. Der neue Hängelaufsteg ist jedoch 170 m statt 100 m lang und hat Abspannungen, die als parabolische Zugspannseile unter der Brücke angeordnet sind.

Diese Zugspannseile mit 32 mm Durchmesser sind mit senkrecht zum Laufsteg montierten Drahtseilen (16 mm) verspannt (Abb. 6) und geben der Brücke ihre Stabilität gegen Windeinwirkungen. Die gesamte Traglast verteilt sich auf die sechs Tragseile. Masse, Anordnung und Auslegung entsprechen der Konstruktion der ersten Brücke. Für die Stabilisierung des Geländers, mit zusätzlichen horizontalen und vertikalen Seilen zwischen den Tragseilen ausgespannt, und auch um die Tragseile auszusteifen, sind in den Drittelspunkten des Stegs Stabilisationsrahmen aus Stahl und in U-Form platziert. Sie erhöhen das Sicherheitsgefühl der Benutzer ebenso wie die Kanthölzer am Rand der Lauffläche, die wie die alte Brücke mit einheimischen, druckimprägnierten Lärchenholzplanken belegt ist (Abb. 6 und 7). Der Bau der neuen Brücke dauerte zwei Monate. Eingeweiht wurde sie am 12. Juni 2009 – rechtzeitig zur Saison- und Bahneröffnung. Vor allem der Einbau der Spannseile mit dem Helikopter war ein spektakulärer Vorgang, der von Windturbulenzen geprägt war (Abb. 2). Die alte Brücke wurde für den Montagevorgang genutzt und deshalb erst nach dem Einbau der neuen demontiert. Sie hat unterdessen eine neue Aufgabe erhalten: Seit August verbindet sie am Salbitschijen im Urner Göscheneralptal die SAC-Hütten Salbit und Voralp direkt miteinander.[2]


Anmerkungen:
[01] Hans Pfaffen: Hängebrücken in Nepal, in: Schweizerische Technische Zeitschrift STZ, Ausgabe Nr. 21/22, 1. Juni 1978
[02] www.salbitbruecke.ch

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: