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hochparterre 12|2009
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 12|2009
zur Zeitschrift: hochparterre

Hase in Silber

In der Reihe tanzen

Die Lösung heisst nicht immer Abbruch. In Winterthur zeigt eine Genossenschaft, wie eine alte Siedlung zeitgemäss saniert werden kann.

8. Dezember 2009 - Philipp Maurer
Man kann es schade nennen, Vorgärten zu kappen, um Anbauten hineinzustellen. Oder man kann es klug nennen: Dann, wenn diese Form der Erweiterung den Charakter einer Siedlung wahrt — und wenn der Garten seinen Namen weiterhin verdient. Beides erfüllt das Erweiterungskonzept von Knapkiewicz & Fickert Architekten für die Reihenhäuser der Heimstätten-Genossenschaft Winterthur HGW im Quartier Stadtrain. Das Zürcher Büro hatte 2005 den Studienauftrag der HGW unter sechs Architekturbüros gewonnen. Die Mehrheit der Entwürfe wollte die Häuser mit einer Aufstockung vergrössern — das hätte die Siedlung aber stark verändert.

Der Anbau bringt aber auch innen Vorteile: Er erhöht den Wohnwert der Häuser und schafft zugleich einen privaten Aussenbereich. Eine neue Aussentreppe entschärft den Kellerhals im Innern und schafft endlich den gedeckten Platz für das Velo. Neu befindet sich die Küche im Verbindungsgang zum angebauten Wohnteil — umgeben von Licht und Leben. Indem sie das Oblicht weiteten, holten die Architekten mehr Tageslicht bis in die rückwärtigen Räume im Erdgeschoss und schufen zugleich den Raumbezug über zwei Geschosse. Im Obergeschoss trifft man auf zwei Zimmer und ein zeitgemässes Bad. Kein «Schischi», sondern beständige Materialien.

Weniger Energieverbrauch trotz Schutz

Wie passt man in die Jahre gekommene Siedlungen heutigen Bedürfnissen an? Eine Frage, die deren Besitzer landauf, landab beschäftigt. Oft heisst die Lösung: Abriss, Neubau. Die HGW suchte nach anderen Wegen. Ihre Siedlung Stadtrain ist ein bedeutender Zeuge des Siedlungsbaus der Zwischenkriegszeit. In dieser Urzelle der HGW spürt man den Geist der Genossenschaftsgründer, auch wenn in den Vorgärten kaum mehr Gemüse zur Selbstversorgung angepflanzt wird: zweckmässiger, günstiger Wohnraum für die Arbeiterklasse. Die Häuser sind nicht nur seitlich, sondern auch mit dem Rücken aneinandergebaut. Entworfen hatte sie Adolf Kellermüller, der mit Hans Hoffmann ein Architekturbüro in Winterthur unterhielt und dort in denselben Jahren auch das Volkshaus baute. Von den sieben Zeilen mit Reiheneinfamilienhäusern gehören nur zwei der HGW, die übrigen wurden kurz nach dem Bau an Private verkauft.

Heute geniesst die Siedlung Volumenschutz, Ersatzbauten müssten also das bestehende Volumen einhalten. Auch individuell zu erweitern, ist nicht erlaubt, sondern nur gestützt auf ein Konzept für eine Häuserzeile. Beides schränkt das nachträgliche Verdichten ein. Dafür hat die Rücken-an-Rücken-Anordnung einen Vorteil für die energetische Sanierung: Der Anteil Aussenfläche pro Wohneinheit ist verhältnismässig gering. Die Reihenhäuser am Stadtrain verbrauchen nach der Sanierung markant weniger Energie dank eines neuen Dachs und der Dämmung der Stirnseiten. Auf nächstes Jahr plant die HGW die Umstellung auf erneuerbare Energieträger.
Die HGW ist ein alter Hase im gemeinnützigen Wohnungsbau. Sie besitzt 1550 Wohnungen und 250 Reihen- und frei stehende Einfamilienhäuser, erbaut zwischen 1928 und heute. Mit Vorstand, Kommissionen, Mitbestimmungsrechten und Kostenmieten funktioniert die HGW in Genossenschaftsmanier. Jahrelang erfolgte der Erneuerungsprozess intuitiv: Da und dort wurden Küchen und Bäder ersetzt, eine Fassade gestrichen. Seit der Effekt energetischer Sanierungen steigt, wird das Thema Ersatzneubauten aber auch bei der HGW bedeutender.

Leitbild für Erneuerungen

Die Genossenschaft beschloss, die Grundlagen für solche Entscheide aufzuarbeiten. Für jedes einzelne Gebäude erhob sie den allgemeinen Zustand und den kurz-, mittel- und langfristigen Investitionsbedarf. Die Analyse umfasste ebenso demografische Veränderungen, zukünftige Wohnbedürfnisse, Nachhaltigkeit und genossenschaftliche Ziele. Aus den Daten leitete die HGW ihre Erneuerungsstrategie ab. Die Genossenschaft hat damit nicht nur Kriterien für die Finanzplanung in der Hand, sondern kann den Erneuerungsprozess vorantreiben.

Ein Leitbild schreibt die Grundhaltung fest: «Die HGW erhält und schafft preiswerten, umweltgerechten und ressourcensparenden Wohnraum von guter Qualität für alle Generationen. Wir wahren die langfristigen Interessen der Genossenschaft als Ganzes, bauen für die Zukunft und sind auch offen für städtebauliche Verbesserungen. Wir bauen und renovieren nachhaltig und setzen möglichst erneuerbare Energien ein.» Ergänzend sind Eingriffe und Prioritäten geregelt: Erste Priorität geniessen der sorgfältige, laufende Unterhalt und die rechtzeitige Erneuerung der bestehenden Liegenschaften. Ersatzbauten kommen erst in zweiter Linie in Frage — dann, wenn der Bestand nicht mehr auf wirtschaftlich vertretbare Weise erneuert oder der Zeit angepasst werden kann. Auf ihre Leistungen in der Siedlungserneuerung kann die HGW stolz sein: Die Hälfte der Wohneinheiten genügt einem hohen energetischen Standard, der Anteil erneuerbarer Energien steigt.

Die Mieter kehren zurück

Zurück in den Stadtrain. Vor der Sanierung der Reihenhäuser hatte die HGW mit Knapkiewicz & Fickert Architekten bereits angrenzend ein Mehrfamilienhaus mit altersgerechten Wohnungen erbaut; der Auftrag war aus demselben Wettbewerb hervorgegangen. Für beide Bauetappen verwendeten die Architekten ähnliche oder gleiche Materialien, innen und aussen. Das unterstreicht die Zusammengehörigkeit der verschiedenen Bauten zu einem Ensemble — auch wenn bei der zweiten Etappe, der Sanierung, aus der Sicht der Architekten da und dort schmerzhafte Abstriche vorgenommen werden mussten.

Und dennoch wird die HGW nächstes Jahr die zweite Häuserzeile im Stadtrain nicht sanieren, sondern auf den bestehenden Fundamenten neu bauen. Die Bausubstanz aus der Zeit vor und während des Zweiten Weltkriegs sei zu schlecht, sie lasse sich nur mit viel Aufwand nachrüsten, schätzt die HGW. Von den Architekten hat sie sich getrennt, zu unterschiedlich waren die Standpunkte, was wichtig und weniger wichtig sei. Trotzdem, die Erneuerung der 18 Reihenhäuser ist architektonisch gelungen und entspricht der Sanierungsstrategie. Den Erfolg bestätigen die Bewohner, wie Präsident Oskar Meili weiss: Von den 18 Mietern sind 14 zurückgekehrt, sieben wieder in ein Reihenhaus und sieben in das Mehrfamilienhaus nebenan.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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