Zeitschrift

hochparterre 12|2009
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 12|2009
zur Zeitschrift: hochparterre

Hase in Bronze

Den Himmel am Boden

Eine Kirche will Begegnungsort für Städter werden. Mit einem leisen Eingriff erzielt Frédéric Dedelley eine grosse Wirkung.

8. Dezember 2009 - Andrea Eschbach
Rote, grüne und gelbe Lichter tanzen über den grauen Teppich. Sonnenstrahlen fallen durch die Chorfenster in die Wasserkirche am Zürcher Limmatquai. Die irrlichternden Flecken und das bunte Glas sind die einzigen Farbtupfer in diesem Raum. Seine Leere wirkt beruhigend. «Die Wasserkirche soll ein Ort der Stille und der spirituellen Begegnungen für Städter werden», erklärt Frédéric Dedelley. Der Designer entwickelte im Auftrag der Immobilienbewirtschaftung der Stadt Zürich und des Verbandes der stadtzürcherischen evangelisch-reformierten Kirchgemeinden das neue Einrichtungskonzept für die Kirche.

Vom Götzentempel zur Bibliothek

Kirche? Die Wasserkirche blickt auf eine wechselvolle Geschichte: Auf dem Boden, auf dem der Bau steht, sollen der Legende nach die Zürcher Stadtheiligen Felix und Regula hingerichtet worden sein. Um 1000 nach Christus wird auf der früheren Flussinsel die erste Kirche im romanischen Stil gebaut, es folgt 1288 ein erster gotischer Bau, der bereits 1477 durch ein neues spätgotisches Gotteshaus ersetzt wird. In der Reformationszeit gilt die Kirche als «Götzentempel», entsprechend radikal wird mit ihr umgegangen. Um jeden Rest an Heiligenverehrung zu verhindern, dient die Kirche nach dem Bildersturm als Warenlager, Vorratskammer und noch bis 1917 als Stadtbibliothek. Erst 1942 wird sie renoviert und wieder als evangelisch-reformierte Kirche genutzt. Die spätgotische Bemalung war nicht vollständig zu rekonstruieren, und so wählte man einen grauen Anstrich; der Chor erhielt drei farbige Fenster von Augusto Giacometti. 1988 erfolgte die letzte sanfte Renovation.

Wie geht man heute mit diesem Raum um, in dem nicht nur Gottesdienste stattfinden? Ein Nutzungskonzept legte fest: Die Wasserkirche solle zu einer Begegnungsstätte für die Menschen der Stadt werden. Ziel war es, einen Raum zu schaffen, der Menschen aller Konfessionen und Religionen zum Gebet einlädt, aber auch einen Ort der Kontemplation bietet, einen Raum, in dem gelesen und diskutiert wird. «Die Kirche sollte künftig ruhig, grosszügig und leer wirken», erklärt der Designer die Vorgaben. Frédéric Dedelley hat Erfahrung, wie man Kirchen zeitgemäss ausstattet, eine Gestaltungsaufgabe, die Designer eher selten übernehmen. 2002 hatte er mit der Ausstattung der Kirche St. Theresia am Friesenberg auf sich aufmerksam gemacht, vier Jahre später folgte die Neugestaltung des Chorbereichs in der Kirche Neumünster in Zürich, 2009 die Neugestaltung der Kirche Dreikönige in der Enge. In allen drei Kirchen reagierte er wie in der Wasserkirche subtil auf den bestehenden Raum. Doch während die bisherigen Umgestaltungen auch von der Liturgie bestimmt wurden, gelten hier andere Regeln: «Statt der liturgischen Feier steht in der Wasserkirche eine vielseitige Nutzung im Vordergrund.»

Lieber Raum statt Möbel

Während bislang die Bestuhlung den Raum bestimmte, setzte der Designer auf Zurückhaltung. Herzstück ist ein riesiger grünlich-grauer Teppich aus reiner Schurwolle. Er nimmt die Farben des Sandsteinbodens auf. Das hellgraue Ornament aus Feldern und Linien, das mit Boucle-Wolle auch für haptischen Kontrast sorgt, greift die markante Struktur des Kreuzgewölbes auf. Ein leiser Eingriff mit grosser Wirkung: Decke und Boden scheinen sich optisch zusammenzuschliessen. «Der Teppich betont die Eigenschaften der spätgotischen Architektur, er dehnt den vertikalen Raum zusätzlich optisch in die Höhe.» Aber das textile Prunkstück lasse sich, so der Designer, durchaus auch metaphorisch deuten, bringe er doch den Himmel auf den Boden oder befördere einen vom Boden in den Himmel.

Doch der Teppich bringt vor aller Symbolik Wohnlichkeit in den nüchternen Raum. «Man schreitet anders als auf dem kühlen Steinboden, der Gang verlangsamt sich, da man in den weichen Teppich einsinkt», beobachtet Dedelley. Auch die Akustik des Raums beeinflusst der schallschluckende Teppich günstig — so konnte auf weitere Massnahmen verzichtet werden. Ein weiterer Pluspunkt: Sein grünliches Grau bringt die Farben der Chorfenster intensiver zur Geltung, als der Steinboden das tun konnte.

Handarbeit

Zunächst war eine günstigere Ausführung des nun 80000 Franken teuren Stücks angedacht. Es hätte einzelne Teile mit einem Klettverschluss verbunden. Nun ist der 600 Kilogramm schwere, von Hand getuftete Teppich aus einem Stück gefertigt. So wurde das Muster und die Struktur präzis und regelmässig. Beim Handtuften — das Schiessen von Wollfäden in ein Flies — sind Abweichungen je nach Arbeitsweise möglich. Mit seinen 17,5 x 8,7 Meter ist der strapazierfähige Teppich eine der grössten Arbeiten, die das Langenthaler Textilunternehmen Lantal bisher fabrizierte. In 820 Arbeitsstunden verarbeiteten die Leute rund 400 Kilogramm Wolle. Eine Herausforderung war auch die Montage: Da die Türöffnung für dieses Format zu klein ist, wurde der Teppich für die Lieferung und Montage längs halbiert. Erst in der Kirche schweisste man ihn auf der Rückseite wieder zusammen. So konnte auf eine sichtbare Naht verzichtet werden.

Lockere Möblierung

Farblich mit Architektur und Teppich verschmilzt die Bestuhlung, die der Designer vorgeschlagen hat. Vierzig hellgraue Exemplare des Modells «Stuhl.03» von Maarten Van Severen passen sich perfekt ein. Die Projektgruppe prüfte mehrere andere Stühle, entschied sich dann aber für diesen archetypischen und zeitgemässen Stuhl, der von Vitra produziert wird. In klassischer Bestuhlung stehen die Stühle in Fünferreihen mit Mittelgang im vorderen Teil des Kirchenraums.

Doch der stapelbare Stuhl bedient auch andere Bedürfnisse — von Empfängen über Lesungen und Hochzeiten bis hin zu Konzerten. Und er eignet sich zum Meditieren, einem der neuen Angebote, die der Kirchenverband zusammen mit dem Präsidialamt festlegt: «Man kann in typischer Meditationshaltung vorn auf der Kante sitzen und sich dabei entspannen», meint Dedelley. Neben dem Teppich, den Stühlen und den zurückhaltenden Wandleuchten von Felix Kessler fallen die eigens für die Wasserkirche entworfenen schlichten Holzelemente auf. Dedelley wählte für die geradlinigen Möbel Eichenholz, deren Oberflächen mit einer edlen Schellackhandpolitur behandelt wurden. «Eichenholz bietet einen Kontrast zum Grau des Sandsteins. Das Material verleiht dem Raum eine gewisse Wärme, ohne aufdringlich zu wirken.» Formal griff er damit bestehende Elemente auf wie die Abdeckung des Taufsteins und die Einfassung der Treppe, die hinab in die Krypta führt. Vier hohe, schmale Tische, die unter den Seitenfenstern platziert sind, dienen als Kerzenständer oder tragen Blumenschmuck.

Ein Pult mit Schubladen steht der Aufsichtsperson zur Verfügung. Es steht vor dem kubischen Stuhllager am Eingang, das mehreren Zwecken dient: Es beherbergt zum einen unauffällig die hundert weiteren Van Severen-Stühle, die als Reserve für Konzerte zur Verfügung stehen und für die es keine andere Lagermöglichkeit gibt. Zum anderen dient es als kleine Handbibliothek für die Kirchenbesucher — das dafür nötige Regal ist in den Korpus des Stuhllagers integriert. Noch ist die Literatursammlung im Aufbau, geplant ist es, Bücher zur Spiritualität zu versammeln.
Mit dem neuen Raumkonzept hat die Wasserkirche in ihrer langen Geschichte der Umnutzungen eine neue Aufgabe erhalten. Sie ist jetzt bereit, als eine kleine spirituelle Oase mitten im Zürcher Stadtzentrum zu dienen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

Tools: