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hochparterre 01-02|2010
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 01-02|2010
zur Zeitschrift: hochparterre

Das Bad in der Farbkammer

Miller & Maranta Architekten haben im Dorfkern von Samedan einen Badeweg durch farbige Räume gebaut.

18. Januar 2010 - Köbi Gantenbein
Wer in Samedan über den Hauptplatz spaziert, kann denken: «Da haben die Gläubigen aber tief in die Tasche gegriffen und ihre barocke Kirche zeitgenössisch erweitert. Wie zurückhaltend der Baukörper ist. Wie farbenfroh die Fensterrahmen. Streng und farbig - ein Fest für den protestantischen Liebgott!» Denn nichts deutet darauf hin, dass der Anbau an die Kirche ein Badhaus ist. Wer den Ort früher kannte, sieht jetzt: Dieser Ort will eine neue Bedeutung. Dafür schrieb der Gemeindevorstand vor acht Jahren einen Ideenwettbewerb unter Architekten aus, der aber nichts Tragfähiges zustande brachte. Immerhin öffnete er die Augen und gab der Idee Flügel, ein Bad mitten im Dorf zu bauen. Ihre Erfinder heissen Roger Bernet und Peter Arnold von der Firma Acqua-Spa-Resorts, die auch in Bern, auf dem Hürlimannareal in Zürich oder auf der Rigi Badhäuser realisiert. Nachdem der Boden planerisch und politisch bereitet war, übergab der Gemeindepräsident Thomas Nievergelt der Firma die Führung des Vorhabens, mit dem sanften Hinweis, dass das Bad mit einem Architekturwettbewerb gefunden werden soll. Miller & Maranta Architekten gewannen den Studienauftrag unter fünf Büros. Ihr Projekt bestand politische Prüfungen, einen Auftritt vor Bundesgericht und ist nun als «Mineralbad & Spa Samedan» für die Baderinnen und Bader geöffnet.

Weiterbauen

Das Dorf - den Ort - weiterbauen gehört zum Wortschatz der Architekten Quintus Miller und Paola Maranta. Was heisst das für ein Badhaus, das in Samedan in ein Dorfbild nationaler Bedeutung zu stehen kommt? Es heisst an- und einfügen in das Bild, das die Nachbarhäuser, der neuneckige «Plaz» und die engen Strassenräume schon hergeben. Demütig haben die Architekten die Traufhöhe des Bades nicht nur jener der Kirche, sondern auch jener der benachbarten Wohnhäuser untergeordnet. Leicht zurückversetzt von der Gassenlinie steht das Badhaus an der einen Seite des «Plaz», eine Zurückhaltung, die natürlich auch den Fussgängern nützt. Diese Platzierung betont die vom Platz wegführende Gasse und bindet einen ehrwürdigen Nachbarn in den Platz- und Gassenraum ein. Die Bausünde gegenüber, die im letzten Jahrhundert dem «Plaz» arg zugesetzt hat, verschwindet deshalb nicht. Das Bad tut, wie wenn sie nicht da wäre, und selbstverständlich verbieten sich die Architekten auch alle dekorativen Bauteile, die Schellenursli verwendet, um engadinerisch zu bauen: Sgraffito, Sulertor und balcun tort, wie der Erker malerisch hierzulande heisst. Auch auf das Vordach, wie es in den Bergen Sitte und Brauch ist, haben die Architekten verzichtet. Sie lassen ihr flaches Dach nur drei Finger breit überkragen. Das unterstützt die Zurückhaltung und den Eigensinn des Hauses. Doch Regen, Schnee und Pflotsch kennen kein Pardon vor subtilem Design. Erste Spuren tränen über den Putz.

Und noch eine Eigenart des Ortes bauen die Architekten analog zur Kirche weiter: Wer vor ihr steht, weiss nicht, wie es drinnen weitergeht. Die Fassade ist prächtig, der Campanile hoch, die Kirchenwand aber kurz. Welcher Innenraum erwartet uns? Auch das Badhaus stellt Rätsel. Der Bader ahnt nicht, dass innen für ihn ein Badeweg durch Kammern, Höfe und über Treppen bis aufs Dach eingerichtet ist. Er weiss nicht, dass das Haus fast so tief im Boden steckt wie es in die Luft ragt. Und er rätselt: «Wozu sind wohl die unterschiedlich grossen und farbig eingefassten Fenster?»

Beiläufig ist denn auch der Eingang in die Fassade gesetzt. Der Bader tritt durch eine Schwingtüre in einen geduckten, kleinen Raum, die graue, warme Farbe gibt ihm Höhlengefühl. Er kauft an der Holztheke sein Billett, trinkt am Brunnen Mineralwasser und sitzt auf eine Arvenholzbank. Hei, wird es hier lustig zu und hergehen, wenn die Mutter kein Wechselgeld hat, der Vater das Garderobebändchen nicht anschnallen kann, der verlorene Sohn immer noch nicht aufgetaucht ist und der Männerchorausflug frohgemut ansteht. Dieser Empfangsraum ist auch ein Programmzettel: «Unser Bad ist kein Massenapparat. Hier gibt es keine Rutschbahnen und keine Lautsprecher mit Anweisungen für die Gymnastik.» Grau in Grau steigt der Bader ins Untergeschoss, wo in rotbraun glänzendem Redwoodfurnier Garderoben, ein Frisierlokal und Gästekästchen eingerichtet sind. Auch hier: kein Platzluxus und kein Massenbad. Eine noble Stimmung. Sind die 130 Garderoben-Kästchen vergeben, ist ausverkauft.

Das erste Prinzip: Der Auf- und Abstieg

Aus der Not haben Bauherr und Architekt eine Erfindung gemacht. Ein Bad ist normalerweise in die Fläche gebaut. Hier geht es in die Höhe, weil das Grundstück in der Fläche nur Platz für drei Dutzend Badewannen böte. Der Bader steigt treppauf, treppab. Im Keller die Garderoben, im Parterre das «Alpenbad», im ersten Stock das «Sprudel-», daneben das «Heissbad» und um den Luftraum des «Alpenbades», eine Folge von Dampfbädern unterschiedlicher Hitze, mit und ohne Kräuterduft. Im zweiten Geschoss sind Ruheräume. Für den letzten Badegang ist ein kleines Becken unter freiem Himmel ins Dach eingelassen. Der Bader schwadert auf dem Rücken und betrachtet den neben dem Badhaus aufstrebenden Campanile und einen Rest seiner goldenen Zwiebel, in der Perspektive so gelegt, dass er auf ihn herunterzufallen droht — kein Bergblick ist schauerlicher!

Das zweite Prinzip: Die Kammerung

Schon im «Alpenbad» im Parterre wird die Kammerung vorgeführt. In einem acht Meter hohen Raum sind um ein zentrales, bis an den Rand geflutetes Becken vier weitere gefügt. Im einen kann man liegen, im anderen in der Dünkle schweigen, im dritten über spitze Steine staksen und im vierten im Wasser und im Dampf sitzen. Gross, klein; weit, eng; hoch, tief; offen, zu; viereckig, mehreckig; Raum-Durchgang-Raum werden auf vier Etagen auf einem engen Grundriss zu einem Drama gefügt. Die Garderoben im Keller sind verschachtelte Holzkammern, das «Sprudelbad» ist ein Festsaal mit Lüster an der Decke. Das angrenzende «Heissbad» ist ein hoher, schmaler Schlauch mit einem Knick. Das Dampfbad geht durch vier unterschiedliche Kammern, die Ruheräume sind Zimmer mit und ohne Nischen. Das Innenraumgeschachtel des Engadiner Bauernhaues, seine überraschenden Raumfolgen vom Suler in die Stuben und über enge Treppen in die Kammern kommen dem Bader ebenso in den Sinn wie Bilder der Bäder im schon lange untergegangenen Al-Andalus, wo die Araber den Europäern in Spaniens Süden baden gelehrt haben. Der Badeweg über die Vertikale und die Kammern, gross und klein, sind zwei Trümpfe des Bades.

Das dritte Prinzip: Das Tageslicht

Im warmen Wasser liegend, kann der Bader das Fensterrätsel der Fassade auflösen. In die Kammern strahlt direkt oder indirekt das Sonnenlicht — und für die Nachtbader das im Engadin besonders helle Mondlicht. Für das Zusammenspiel mit dem Licht aus den Wandfenstern kommt Licht durch Luken in der Decke. Leuchten in den Becken sorgen dafür, dass sich die kleinen Wellen an den Wänden spiegeln. Der Kammervielfalt entsprechen unterschiedlich intensive Lichter: Die Sonne tröpfelt über ein kleines Dachfenster durch einen Schacht in den Nebel des Dampfbades. Die Lichtführung stimmt den Bader ruhig und froh, bringt aber seine Sinne nicht in Wallung, wie das die einer Kirche vermag. In der Erinnerung bleiben die durch ein Fensterchen in die Dunkelkammer des «Alpenbades» schimmernde Sonne und der Panoramablick aus dem Ruheraum auf einen Engadiner Palast.

Das vierte Prinzip: Die Farbenkacheln

Die Badkammern sind an Wänden, Decken und Böden mit farbigen Keramikkacheln im Format einer Handspanne verkleidet. Jedes Bad hat seinen Farbverlauf: Gelbtönungen des herbstlichen Lärchenwaldes im «Alpenbad», Tanz der roten Farbtöne im «Sprudelbad» und rotes Feuer in den Dampfbädern. Dunkelgrünblau ist der Ruheraum und im «Heissbad» wird das Abc des hellen Grüngelb buchstabiert, bis dem Bader, halb gekocht in vierziggrädigem Wasser, die Kachelfarben giftig in die Augen stechen. Er muss sich langsam an die ungewöhnliche Keramik-Stimmung heranbaden und ist froh, sind nicht viele Leute mit ihm, kichernd und schwatzend. Abgesetzt ist das Farbenspiel im Eingang und den Treppenhäusern: Sie sind mit Steinzeug-Keramik belegt. Das immer gleiche Grau ist ein Stilbruch, kein Kontrast.

Arven und Lärchen

Einen Kontrast dagegen erlebt der Bader, wenn er ermattet vom Dach ein paar Stufen hinuntertappt und in der «Lärchenkammer » auf den «Plaz» schaut oder in der «Arvenschatulle» Kräutertee trinkt. Er schaut dem Tanz der Äste über die Wände zu, den ein in die Arvenbretter gefräster «laufender Hund» unterstützt, ein Ornament, das einst als Sgrafitto in den Putz der Engadiner Fassaden geritzt wurde. Seiner Nase wird heimelig vom Geruch des einheimischen Waldes. Holz an den Wänden, an der Decke, auf dem Boden und für die Möbel. Viel Holz statt viel Keramik. Roger Bernet, der das Badprojekt entwickelt hat, erklärt: «Diese Räume sind mein Respekt vor dem einheimischen Handwerk. Ich wollte einen Holzraum von Ramon Zangger haben, dessen Werkstatt einen Steinwurf vom Bad entfernt ist. Er ist ein Kunsthandwerker, der sucht, wie einheimische Hölzer zeitgemäss gebraucht werden können. Und ich wollte der Lehrwerkstatt der Schreiner hier in Samedan eine Bühne geben. Und so haben die Lehrlinge für die «Lärchenkammer» 14 Barhocker aus Holz entworfen und gebaut.»

Der Architekt, seufzt kurz und knapp: «Der Bauherr hat das so entschieden. » Die zwei haben sich zeitweilig auseinanderbewegt. Ein Grund waren Unklarheiten der Bauherrenrolle. Entwickler, Investor, Generalunternehmer und Betreiber sind miteinander verknüpft und haben, so der Architekt, ihn bei Entscheiden ab und zu draussen gelassen. Roger Bernet entgegnet, dass der Architekt sich selbst aus dem Prozess genommen habe. Dass die zwei gegen Schluss unstimmig waren, hat Folgen für den Bau. So die immergleich grauen Fliesen in den Treppenhäusern, die nicht recht zum gestalterischen Raffinement des Bades passen wollen. Roger Bernet wählte sie aus: «Wir haben lange nach einem Belag gesucht, der die Badenden vor dem Ausrutschen schützt, sich den farbigen Kacheln unterordnet und die Anforderungen meiner Leute erfüllt, die das Bad putzen.» Drei weitere Entscheide brauchen des Baders kritischen Rat. Im Treppenhaus treten allerhand Dekorationen von alten Truhen über Holzblöcke mit Kerzen bis zu Kunst aus Steinen und Ästen gegen die reine Architektur an. Des Baders Rat: «Wegräumen - sie versperren Platz!» Die Anweisungen an den Bader hat jemand gar sorglos aus dem Computer geholt, in Plastikmäppchen gesteckt und auf Holztafeln oder auf Plexiglasständer geklebt. Des Baders Rat: «Typografie und Grafik gehören zum Bau und verdienen dieselbe Sorgfalt und Handschrift.» Schliesslich ist nicht jedes Möbel im Haus gestalterisch auf der Höhe. Das Möblierungskonzept ist irgendwo verloren gegangen. Die 14 Hockerentwürfe der Lehrlinge sind gut gemeint und gut für eine Semesterausstellung, weniger fürs Ruhen im Bad. Des Baders Rat: «Die Möblierung nachbessern!» Solche Knicke in der Schönheit können einfach geflickt werden. Sie irritieren - sie stören aber die packende Aufführung von Raum, Weg, Farbe, Licht und Wasser und das Badedrama in den Kammern und Höhlen nur in der Pause.

Badetechnik

Das Badhaus reicht 12 Meter tief in den felsigen Boden. Im zweiten Untergeschoss stehen auf engem Raum die Werkstatt des Badetechnikers, seine Steuer- und Überwachungsmaschinen, die Wasseraufbereitungsanlagen, Heizkessel, Pumpen und Filter, die die Bäder, die Dampfsaunen, die Massage- und die Ruheräume versorgen. Die Heizenergie kommt aus der Erde unter
dem Bad und dem Dorfplatz; Maschinen holen die Wärme aus der Abluft zurück. Beim Bohren nach Erdwärme machte Roger Bernet einen Sechser im Lotto: Die Bauarbeiter stiessen auf eine Ader mit schwefel und calciumhaltigem Wasser, genügend gut, dass das Bad das geschützte Siegel «Mineralwasser» tragen darf.

Der Besitzer

Wer in Samedan badet, badet vielleicht in seinem Pensionskassengeld. Denn das Mineralbad & Spa gehört der Credit Suisse Anlagestiftung Real Estate Switzerland. Die Bank hat diese Finanzfirma 2002 lanciert; sie verfügt heute über 4,2 Mrd. Franken und investiert zehn Prozent ihrer Anlagen in «Wasserwelten». Das Hammam Oktogon in Bern, das Solbad in Schönbühl oder das Thermalbad, das Mario Botta auf der Rigi plant, gehören dazu. Die Projekte entwickelt Roger Bernet mit seiner von der Bank unabhängigen Firma Aqua-Spa-Resorts. Als GU ist meist MLG aus Bern mit von der Partie, geführt von Rolf Marti, einem ehemaligen Marazzi-Mann. Aqua-Spa-Resorts mietet die Bäder mit langfristigen Verträgen. Landläufig heisst es, ein Bad sei ein Fass ohne Boden. Werden der Standort, das Einzugsgebiet, die Höhe der Investition, die Betriebskosten und die Eintritte kalkuliert, so gehe die Rechnung auf, so Roger Bernet. Für Samedan rechnet er mit 50 000 Gästen im Jahr. Eine erwachsene Baderin, zum Beispiel, muss 36 Franken Eintritt bezahlen.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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