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hochparterre 01-02|2010
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 01-02|2010
zur Zeitschrift: hochparterre

Diskret, aber wirkungsvoll

Die Jury des Prix Lumière setzt die neue Beleuchtung des St. Galler Hauptbahnhofs auf Rang eins. Kunstvoll rückt sie die Halle ins beste Licht.

18. Januar 2010 - Werner Huber
Bald hundert Jahre steht die Perronhalle des Bahnhofs St. Gallen nun schon an ihrem Platz, doch so brillant wie heute war sie noch nie. Helles Licht strahlt an die Hallendecke, holt die Details der Stahlkonstruktion heraus und erzeugt ein abwechslungsreiches Schattenspiel am hölzernen Unterdach. Insbesondere abends und nachts ist der prächtige Raum in seiner Grossartigkeit erlebbar. Denn ein Bahnhof ist nicht nur eine Verkehrsmaschine, sondern die Visitenkarte der Stadt. Der erste Eindruck zählt! Doch nicht allein die Decke ist ins beste Licht gerückt, auch auf den Perrons ist das Licht brilliant und einladend. Rund 250 Leuchten sind in der Halle und auf den Perrons unter freiem Himmel montiert. Sie alle sind vom gleichen Typ, doch die Charakteristiken der Ausstrahlung unterscheiden sich - je nach Aufgabe und gewünschter Lichtwirkung.

Studie stellt Weichen

Die Perronhalle wurde 1915 als Teil des zwei Jahre zuvor erbauten neuen Bahnhofs fertiggestellt. In den Neunzigerjahren erhielt sie einen neuen Anstrich, der den Kontrast zwischen der Stahlkonstruktion und der Holzschalung betonte. Die alte Hallenbeleuchtung - Bänder aus Fluoreszenzröhren - blieb damals erhalten. Doch die inzwischen vierzigjährige Anlage erreichte gerade mal ein Viertel der heute in Bahnhöfen geforderten Luxzahl. Zudem waren die Unterhaltskosten hoch und die Ersatzteile schwierig zu beschaffen. Die Durchsagen der Lautsprecheranlage waren ausserdem schlecht verständlich. Die SBB erteilten dem Architekten-Kollektiv Winterthur den Auftrag, eine Studie für eine neue Beleuchtung und Beschallung der Perrons des St. Galler Hauptbahnhofs auszuarbeiten. In dieser ersten Phase unterstützten der Innenarchitekt und Lichtplaner Kaspar Diener und der Lichtarchitekt Walter Moggio die Architekten. Das Team erkannte schnell, dass die SBB-Normbeleuchtung diesen Raum nicht in ein richtiges Licht rücken kann; die Aufgabe war anspruchsvoller. Die anfängliche Idee der Architekten, die Halle ausschliesslich indirekt zu beleuchten, musste man frühzeitig ausschliessen. Indirektes Licht konnte zwar die Hallenkonstruktion zur Geltung bringen, doch reichte es nicht, um auch auf den Perrons die geforderten Werte zu erreichen. Eher skeptisch gegenüber einer indirekten Beleuchtung waren auch die SBB, die auf den Perrons grundsätzlich direktes Licht bevorzugen.

Mit Skizzen und lichttechnischen CAD-Raummodellen entwarfen die Planer die Integration der Lichtkörper und die «Klaviatur» der Lichtführung und -wirkung. Aus den Ergebnissen dieser ersten Studie formulierten sie die Ziele der künftigen Beleuchtung: Als raumbildende Komponente und zur Verminderung des Kontrastes verfolgte man die indirekte minimale Ausleuchtung der Hallenstruktur weiter. Für eine gleichermassen angenehme wie brillante Perronausleuchtung sollte hingegen direktes, entblendetes Licht sorgen. Eine vergleichbare hohe Lichtqualität strebte man auch in den ungedeckten Bereichen der Perrons an. Ein einheitliches Standardleuchtenmodell, das mit verschiedenen Leuchtenoptiken ausgerüstet werden kann, sollte einen unterhaltsarmen Betrieb und Lichtquellenwechsel garantieren. Als Lichtquelle sollten Produkte der Energieeffizienzklasse A mit höchstmöglicher Farbwiedergabe eingesetzt werden.

Ein Werk mehrerer Disziplinen

Nach einer Ausschreibung beauftragten die SBB das Ingenieur- und Planungsbüro Ernst Basler Partner mit der Planung der Fachbereiche Licht, Ton und Elektro. Walter Moggio, Leiter der Lichtarchitektur bei Ernst Basler Partner, entwickelte die szenische Lichtführung weiter, das Architekten-Kollektiv begleitete das Projekt auf der architektonischen und gestalterischen Seite. Die neue Beleuchtung sollte nicht zu einem prägenden Element des Raumes werden, sondern sie sollte sich möglichst unauffällig darin einfügen. Die Wahl fiel auf eine robuste Leuchte aus Aluminiumguss mit einer resistenten Oberfläche, deren Farbe an die historische Halle angelehnt ist. Ein Klappmechanismus gewährleistet das einfache Auswechseln der Leuchtmittel.

Für die Befestigung der Leuchten auf einer unterhaltsfreundlichen Höhe entwarfen die Architekten ein Montageschwert. Die lichttechnischen Vorgaben und der Rhythmus der Hallenkonstruktion ergaben den maximalen Leuchtenabstand und die optimale Leuchtenanzahl. Frühzeitig band man die Denkmalpflege von SBB, Kanton und Stadt in den Prozess ein. Man bestimmte, dass siebzig Prozent des Lichtes für die Beleuchtung der Perrons sorgen und dreissig Prozent indirekt als «subjektive Raumerweiterung» an die Deckestrahlen. Mit der präzisen asymmetrischen Lichtführung wirkt sich der indirekte Anteil auf die psychologische Wahrnehmung positiv aus und unterstützt das Kontrastverhältnis.

Sehkomfort ohne Blendung

In der weiteren Planung war die Blendung eines der zentralen Themen. Insbesondere die Lokomotivführer dürfen keinesfalls von den Leuchten geblendet oder abgelenkt werden, wenn sie in den Bahnhof einfahren; die Perronkante mit den wartenden Passagieren muss in sicherem Licht erstrahlen. Die Perronbeleuchtung darf aber auch die Bahnpassagiere nicht blenden — weder jene, die auf dem Perron warten, noch jene, die bereits im Zug sitzen. Diese hohen Ansprüche an den Sehkomfort sind insbesondere mit gerichtetem Licht eine grosse Herausforderung für den Lichtarchitekten. Doch nicht nur die quantitativ messbare psychologische Blendung (gemäss der Norm SN12464-1) wurde mit einberechnet, sondern auch die Blendung, die die Sehfähigkeit beeinträchtigt — die «Nachbilder», wenn man direkt in eine helle Lichtquelle blickt. Speziell für den St. Galler Hauptbahnhof entwickelte Reflektoren und in die Leuchte eingebaute Abblendvorrichtungen garantieren die an der Perronkante geforderte mittlere kontinuierliche Beleuchtungsstärke von 180 Lux, und sie erreichen auch die verlangte hohe Entblendung.

Auf Empfehlung des Lichtarchitekten überprüfte man die Skizzen und Computerentwürfe der Beleuchtung mit einem Muster vor Ort an einem Fragment der eins zu eins aufgebauten Beleuchtung. Die Planer, Verantwortliche der SBB, Denkmalpfleger und weitere Beteiligte konnten so das Konzept «in natura» kontrollieren, wobei die Vertreter der Lokführer das Augenmerk auf die Blendung warfen.

Das Muster bestätigte, was die Simulationen versprachen; nur feine Justierungen waren notwendig. Für gut befunden wurde an der Bemusterung auch das Konzept der differenzierten Lichtfarben: neutralweiss mit bester Farbwiedergabe für das direkte Licht, ein wärmerer Farbton für das indirekte Licht, das die Decke anstrahlt. Dieses ist gegen das Glasoblicht präzise abgeschirmt, damit kein Licht direkt in den Himmel strahlt.

Die Umsetzung in Etappen

Was sich im Test am Hallenfragment bewährt hatte, musste nun noch auf die gesamte Halle und auf die Perronteile ausserhalb umgesetzt werden. Denn so regelmässig wie die Perronanlage und die Stahlkonstruktion auf den ersten Blick sind, so zahlreich sind bei genauerer Betrachtung die Ausnahmen: Das Konstruktionsraster macht Sprünge, die Perronbreiten sind unterschiedlich, und die Wartehallen - die asymmetrisch auf den Perrons stehen - dürfen Lichtniveau und Lichtkontinuität nicht beeinträchtigen.

Auf den Seitenperrons konnten die Montageschwerter an der Hallenkonstruktion befestigt werden, über dem Mittelperron sind sie an einem Kabelkanal montiert, der an einer Seilkonstruktion in die Halle gespannt ist. Für die Befestigung der ganzen Beleuchtung am historischen Bauwerk entwickelten die Architekten eine Klemmkonstruktion, die den Stahl nicht verletzt oder in seiner Tragfähigkeit einschränkt. Zudem musste gewährleistet sein, dass ein durchfahrender Zug nicht die Beleuchtung und damit die ganze Halle in gefährliche Schwingungen versetzt. Der Bahnbetrieb war zu jeder Zeit gewährleistet und sicher, die Beleuchtung während der Betriebszeiten stets garantiert. Die seitlichen Montageschwerter konnte man tagsüber befestigen, beim Hauptträger in der Hallenmitte ging man wie beim Gleisbau vor: In drei Etappen während drei Nächten demontierte man jeweils die alte Beleuchtung und Beschallung, montierte einen Abschnitt der neuen Anlage und nahm sie gleich in Betrieb. Als die ganze Halle erstmals in der neuen Beleuchtung erstrahlte, war die Freude bei den Beteiligten gross: Die Realität entspricht der Idee. Die Mühe und den planerischen Aufwand, der dafür nötig war, sieht man der Beleuchtung nicht an. Genau darum ist sie so gelungen.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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