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hochparterre 03|2010
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 03|2010
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Im Nachhaltigkeitsdschungel

Die 2000-Watt-Richtlinien lassen der Architektur genug Spielraum, sagt Mathias Heinz der Pool Architekten und erklärt ihr neustes Projekt.

2. März 2010 - Sue Lüthi
An der Badenerstrasse 380 in Zürich entsteht der erste Neubau nach den Richtlinien der 2000-Watt-Gesellschaft. Bauherrin ist die Baugenossenschaft Zurlinden, geplant wurde der Bau von Pool Architekten. Mathias Heinz von Pool Architekten über die neuen Richtlinien.

Was zeichnet das Gebäude an der Badenerstrasse in Bezug auf die 2000-Watt-Anforderungen aus?
Das interessante ist, dass die Nachhaltigkeit nicht explizit thematisiert wurde und wir so ein Gebäude mit einer eigenen Architektursprache realisieren konnten. Das Gebäude soll nicht ausstrahlen: Ich bin ein Ökohaus. Auch ist es nicht ein superkompaktes Haus, wie man es von einem energiesparenden Gebäude erwartet. Hier konnten wir beweisen, dass es möglich ist, ein energetisch sehr gutes Haus zu erstellen, das nicht als massiver Klotz in Erscheinung tritt.

Wie entstand die Gebäudeform?
Primär hat die Gebäudeform architektonische Gründe. Wir haben versucht, an dieser Lage ein Gebäude zu entwerfen, das zweiseitig orientiert ist, einerseits zur Badenerstrasse, andererseits zum neuen Stadtpark. Das Gebäude hat zwei vollwertige Schaufassaden statt einer Strassenfassade und einer Hoffassade. Das führte zu den sechs Baukörpern, die ab dem 1. Obergeschoss zueinander verschoben sind. Sekundär haben wir damit die Lärmproblematik gelöst. Ohne Speziallösung hätten die Räume zur Badenerstrasse hin wegen des Lärms nicht natürlich belüftet werden dürfen. Diese Vorschrift steht in direktem Widerspruch zu kompakten Baukörpern, wie dies für energetisch nachhaltige Gebäude ideal wäre. So entstand die prägnante Form. Klar, das Verhältnis der Fassadenfläche zum Volumen ist schlecht, diesen Nachteil konnten wir aber problemlos wettmachen, indem wir in anderen Bereichen besser gebaut haben.

Es ist demnach ein Vorurteil, dass Energiesparhäuser architektonisch nicht attraktiv sind?
Für Architekten ist es eine kulturelle Herausforderung, mit den veränderten Anforderungen gute Architektur zu entwickeln. Jedes Amt und jede Bausparte hat eigene Normen entwickelt, die für den Entwurf oft sehr prägend sind. Jetzt gilt es, diese Normen zusammen- und umzusetzen — unter der Berücksichtigung der Architektur. Es kann nicht sein, dass man einfach eine energiesparende Box baut, ohne die kulturelle Nachhaltigkeit der Architektur mit zu berücksichtigen. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, bleibt auch das energetisch beste Haus nicht nachhaltig. Es gehört dazu, dass es in den städtebaulichen Kontext eingepasst ist und von den Bewohnern getragen wird. Die Richtlinien der 2000-Watt-Gesellschaft setzen hier an der richtigen Stelle an: Sie basieren auf einem Gesamtwert, betrachten das gesamte Gebäude und bearbeiten nicht Einzeldisziplinen. Die Grenzwerte beim Minergie-Standard sind zwar gut gemeinte Ansätze, aber als Ganzes passen sie nicht zusammen.

Braucht es andere Ansätze als Minergie?
Minergie ist ein Label und beruht auf einer Berechnung mit klaren rechnerischen Grenzwerten, was nur wenige Kommastellen darüber liegt, ist ungenügend. Und obwohl auch ein solches Gebäude sehr gut ist, erhält es kein Label. Von diesem «Label-Denken» sollte man Abstand nehmen. Jeder kennt die Kurve zwischen Ertrag und Aufwand. Lieber ein energetisch sinnvolles Gebäude mehr, statt Bauherren mit unflexiblen Grenzwerten abzuschrecken, weil der Aufwand für die letzten fünf Prozent eine überproportionale Investition erfordert. Die 2000-Watt-Gesellschaft ermöglicht eine andere Betrachtungsweise. Die Richtlinie ist offener; man verwaltet ein Energiebudget. Wie man dieses innerhalb des Bauprozesses erreicht, ist dem Planer überlassen. Man kann an einer Stelle mehr investieren und dies kompensieren, wo es weniger schmerzt.

Zum Beispiel?
Bei der Fassadenverkleidung: Die Wahl der Glasfaserbeton-Profile hat sich als sehr vorteilhaft erwiesen. Sie schneiden punkto Nachhaltigkeit sehr gut ab. Das Werk liegt in der Nähe, womit kurze Transportwege gegeben sind, die Produktion ist relativ energiearm, da das Material in eine Form gegossen wird und an der Luft austrocknet. Die Entsorgung am Ende des Lebenszyklus ist auch unproblematisch, da das Material rein mineralisch ist. Zudem braucht unser eigens gestaltetes Profil weniger Aluminium- Unterkonstruktion, das spart Kosten und vermindert Wärmebrücken. Wir konnten also mehr in die sichtbare Verkleidung investieren. Es ist spannend, wie manchmal Ökologie und Ökonomie parallel verlaufen.

Das Gebäude ist ein kompletter Holzbau, wie sind Sie auf diese Bauweise gekommen?
Wir haben die einzelnen Bauteile so nachhaltig wie möglich ausgewählt mit Berücksichtigung der grauen Energie, um so den Energiekennwert A der 2000-Watt-Gesellschaft zu erreichen. Die Wahl der Holzbauweise beruht auf einer engen Zusammenarbeit zwischen Bauherrschaft und Planern. Interview: Sue Lüthi, Fotos: Henzi & Micchiché Für ein anderes Objekt hatte die Bauherrschaft das «Top-Wall-System» entwickelt und uns gebeten, dieses zu prüfen. Wir sind dann einen Schritt weitergegangen und haben ein komplettes Holzhaus vorgeschlagen. Die Schottenstruktur mit Spannweiten unter sechs Meter eignete sich vorzüglich. Die Erkenntnis ist, dass Holz gegenüber Backstein und Beton für den Rohbau ein gleichwertiger Baustoff ist. Jedes Material sollte künftig so eingesetzt werden, dass seine konstruktiven Eigenschaften optimal genutzt werden, immer unter der Berücksichtigung der Nachhaltigkeit.

Spielt die Wahl der Unternehmer eine Rolle?
Die Bauherrrin, die Baugenossenschaft Zurlinden, ist eine Unternehmergenossenschaft, die schon seit ein paar Jahren nach den Prinzipien der 2000-Watt baut. Damit waren die Bauunternehmer am Werk, die bereit waren, den richtigen Weg einzuschlagen. Aber egal, mit welchem Unternehmer man baut, man muss bei der Planung die Vorgaben als Bedingung setzen, damit man das gewünschte Produkt erhält.

Ist der Planungsaufwand beim Holzbau höher?
Nach unserer Erfahrung bleibt der Planungsaufwand beim vorgefertigten Elementbau derselbe wie beim Massivbau, nur ist er zeitlich verlagert. Der Grossteil der Planung muss in einer frühen Phase des Baus definitiv bestimmt werden. Das ist auch für die Bauherrschaft interessant, da weniger Überraschungen auftreten. Das bringt auch eine grössere Kostensicherheit.

Hat sich die Bauweise auf die Bauzeit und die Arbeitsabläufe ausgewirkt?
Absolut. Der Elementbau ist unwahrscheinlich schnell, der Zimmermann hat pro Tag ein Stockwerk (pro Haus) aufgerichtet. Somit spart man Bauzeit und Geld, womit die Mehrkosten des Rohbaus ausgeglichen werden. Noch ein Vorteil ist, dass Elemente wie Fenster und Installationswände bereits während des Baus ins richtige Geschoss geliefert werden konnten, was den Bauablauf ebenfalls effizienter gestaltet. Allerdings müssen die Unternehmer auch enger zusammenarbeiten, es ist mehr Kommunikation verlangt, damit der Bau reibungslos abläuft. Dies erspart der Bauleitung aber auch Konfliktlösungen, die oft durch mangelnde Kommunikation verursacht werden.

Wie bewährt sich der Effizienzpfad Energie des SIA in der Praxis?
Wir wurden durch das Architekturbüro Hansruedi Preisig begleitet. Preisig ist Mitautor des Effizienzpfads Energie. Eine Begleitung während des ganzen Bauablaufs von der Zielsetzung bis zur Bauausführung ist übrigens jeder Bauherrschaft zu empfehlen, denn das Gebiet ist sehr komplex. Es ist schwierig, sich in dem Nachhaltigkeitsdschungel zurecht zu finden. Alles ist im Fluss, es gibt laufend neue Erkenntnisse. Daher ist es sehr hilfreich, wenn eine Fachperson bei allen Baukommissions- und Fachplanersitzungen dabei ist und immer wieder den Finger auf die wunden Punkte hält.

Braucht es mehr Richtlinien oder Gesetze fürs nachhaltige Bauen?
Nein, die Ziele des Effizienzpfads Energie zu erreichen, ist schon eine grosse Herausforderung. Und die Energiewerte, zum Beispiel der Badenerstrasse, sind nun so gut, dass eine zusätzliche Verbesserung ein Riesenaufwand bedeuten würde. Aber man sollte andere Faktoren betrachten, den Standort und das Verhalten zum Beispiel. Es bringt nichts, wenn ich ein Haus mit Minergiezertifikat habe oder ein Haus nach 2000-Watt-Richtlinien baue und jeden Tag eine Stunde mit dem Auto zum Arbeitsplatz fahre. Das ist der falsche Weg.

Ist nachhaltiges Bauen teurer als konventionelles?
Das ist so, aber der Mieter erhält auch mehr. Die Bauherrschaft an der Badenerstrasse investierte bewusst mehr in die Konstruktion, kann dafür auch leicht höhere Mieten verlangen, da die Nebenkosten so gering sind, dass unter dem Strich die Mieten günstiger sind als bei Vergleichsobjekten. Dies wird sich noch stärker auswirken, wenn die Energiepreise ansteigen. Wir wissen zum Beispiel schon jetzt, dass für die Mieter an der Badenerstrasse mehr Nebenkosten für das Brauchwasser als fürs Heizen anfallen werden. Da das Wasser die nächste knappe Ressource sein wird, erhielt jede Wohnung einen separaten Wasserzähler.

Können die Mieter ihre Nebenkosten durch das Wohnverhalten beeinflussen?
Ja, auf jeden Fall, und zwar wie sie lüften und wie sie heizen. Das bestkonstruierte Haus nützt nichts, wenn kein Bewusstsein für diese Themen vorhanden ist. Wenn man die Wohnungen im Winter etwas weniger heizen und vielleicht einen Pullover anziehen würde, statt nur ein T-Shirt. Oder wenn man die Schlafräume weniger heizen würde, könnten massiv Energiekosten eingespart werden.

Wie schwierig war der Bau des ersten 2000-Watt-Hauses, gemessen an einer Bergtour?
Ein Wanderweg mit einer rechten Steigung, aber nie gefährlich und wir waren in guter Begleitung.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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