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hochparterre 04|2010
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 04|2010
zur Zeitschrift: hochparterre

Kniefall vor dem Hochhaus

Die Diskussion über den 180 Meter hohen Turm der Roche fällt Basel schwer.

15. April 2010 - Rahel Marti
Schon einmal planten Herzog & de Meuron für den Pharmakonzern Roche ein Hochhaus: 154 Meter hoch und auffällig geformt wie eine Doppelhelix. Dieser «Bau 1» hätte auf dem Südteil des Roche-Areals an der Basler Grenzacherstrasse entstehen sollen. Weil das Raumprogramm nicht genügte, begrub Roche den «Bau 1» aber Ende 2008. und liess ihn Ende 2009 auferstehen: Am selben Ort, aber mit 175 Metern noch höher. Im März reichte Roche den Bebauungsplan für das Projekt ein, der gar 180 Meter zulässt siehe «Der Bebauungsplan». In den ersten Etagen liegen Foyers, Restaurant und Auditorium, darüber Büros. Wieder sind Herzog & de Meuron die Architekten. 180 Meter sind ein massiver Höhensprung für Basel: Fast das Doppelte des 105 Meter hohen Messeturms, des bisher höchsten Baus, 100 Meter höher als die Türme der Sechziger- und Siebzigerjahre, das Zehnfache des durchschnittlichen Stadtkörpers. Roche begründet die Höhe funktional: Sie ergebe sich aufgrund der 1900 neuen Arbeitsplätze, die es auf dem Areal brauche, um bisher verteilte Mitarbeiter zu konzentrieren; ein Einzelturm sei dafür die funktional beste Lösung. Städtebaulich wird die Höhe nicht thematisiert. dies spiegelt die Architektur: die Stapelung von Geschosspaketen soll die Horizontale betonen und damit die Höhe optisch drücken. Wie mächtig der Turm aufstrebt, zeigt sich aber am «Bau 52» von Roland Rohn: Er wirkt trotz 62 Metern Höhe wie ein davor gestellter Dominostein; der Abstand beträgt nur fünf Meter. Der Innenstadt dreht der Turm zwar die schmalere Seite zu, doch sieht man ihn aus der Stadt meist über Eck, also breiter. Vom Rheinufer gegenüber aus ragt er als gewaltiger Stapel auf.

Gespiegelte Macht

«Sind 175 Meter zu hoch für Basel?», fragte Hochparterre zwei Basler Architekten siehe HP 03 / 10. Meinrad Morger findet die Höhe vertretbar, denn das Areal liege ausserhalb der Innenstadt und die Distanz zum historischen Münsterhügel sei gross genug. Ingemar Vollenweider ist anderer Meinung: «Aufgrund der gebogenen Stadtanlage am Rhein wäre der Turm immer von überall sichtbar. Darf ein einziges Haus das Wesen der Stadt so verändern, spiegelt dies die Machtverhältnisse: Nur Novartis und Roche können die Stadt derart prägen. Basel setzt aber seine Identität aufs Spiel, wenn es die Realität des globalen Markts so direkt abbildet.» Im selben Sinn meldet sich Carl Fingerhuth zu Wort. Er war von 1979 bis 1992 Basler Kantonsbaumeister und äusserte sich seither nicht mehr zu Basel, doch das Roche-Projekt bewog ihn zu einem Leserbrief. Anscheinend habe ein Bauherr einen Anspruch darauf, sein Raumbedürfnis in unbeschränkter Höhe zu realisieren und habe das Projekt ein berühmter Architekt gezeichnet, sei es heilig gesprochen siehe Kommentar. Fingerhuth kritisiert auch die Fachverbände, die sich nicht zum Projekt äusserten. Tatsächlich wollten weder die Basler SIA-Sektion noch die Basler Ortsgruppe des BSA Stellung nehmen. Das Roche-Hochhaus sei politisch und baurechtlich nicht umstritten, begründet Alfred Hersberger, Präsident des SIA Basel.

Man habe zurzeit andere Prioritäten, etwa die Zonenplanrevision. In deren Rahmen sei aber die Diskussion darüber notwendig, wo, wie viele und wie hohe türme Basel vertrage. Der BSA Basel will mit einer Stellungnahme warten bis zur Mitgliederversammlung im April, für die geplant ist, das Projekt mit den Architekten und dem Kanton zu diskutieren. Schon über die Doppelhelix debattierten die Fachverbände kaum, obwohl der Höhensprung ähnlich gewesen wäre. Was erschwert die Diskussion? Im Gespräch mit Architektinnen und Architekten festigt sich der Eindruck, die Wirtschaftsmächte färbten auf sie ab. Viele erhoffen sich ein Stück vom riesigen Auftragskuchen und wollen dies nicht mit Kritik gefährden; auch bei diesem Artikel zog ein Architekt seine Aussagen deswegen zurück. Man fürchtet auch dazustehen, als vergönne man Herzog & de Meuron den Erfolg. Dazu kommt das Prellbock-Syndrom: Könnte ein Vorhaben umstritten sein, engagieren Auftraggeber berühmte Architekten, um die Qualitätsdiskussion im Vornherein zu unterdrücken. Ein weltweites Phänomen; an dieses Vorgehen erinnerten in Basel neben dem Roche-Turm auch die Projekte von Herzog & de Meuron für die Messe oder für das Museum der Kulturen.

Hochhauskonzept verlangt

Ist Städtebau in Basel also die Sache von Novartis, Roche, der Messe und Herzog & de Meuron? Esther Weber Lehner, Basler SP-Grossrätin, wägt ab: «Das Basler Stadtgebiet ist eng begrenzt. Wenn wir wollen, dass sich Firmen hier trotzdem entwickeln können, sollten wir ihnen wenn immer möglich nicht im Weg stehen.» Ob das Roche-Hochhaus städtebaulich verträglich sei, müsse aber diskutiert werden. Der richtige Zeitpunkt dafür komme, wenn der Bebauungsplan in der Bau- und Raumplanungskommission BRK behandelt und dann dem Parlament vorgelegt werde. Weber, Mitglied der BRK, hatte 2009 mit weiteren Grossräten eine Anfrage an den Regierungsrat eingereicht, ein Hochhaus-Konzept zu erarbeiten siehe «Hochhäuser in Basel». Denn «bestehende und geplante Hochhäuser scheinen eher zufällig über die Stadt verstreut, den Bedürfnissen der jeweiligen Zeit und der einzelnen Bauherren entsprechend. » Es sei grundsätzlich zu überlegen, welche Stadtgebiete sich als Hochhauszonen eignen, damit die Entwicklung Basels nicht unkoordiniert durch weitere Hochbauten erfolge.

Hochbauten sollten eher in Gruppen denn als Einzelwerke im Stadtbild erscheinen. Fehlt eine wichtige Stimme: Kantonsbaumeister Fritz Schumacher. Er hält die 180 Meter für möglich, weil der Turm im Zusammenhang eines Areals stehe, einer Stadt in der Stadt. Die Gebiete von Roche und Novartis bildeten gewachsene Ausnahmesituationen und den städtebaulichen Ausdruck dessen, dass die Chemie wirtschaftlich lebenswichtig sei für Basel. Zudem: «die Projektstudien ergaben, dass ein Einzelturm weniger markant wirkt als etwa eine Serie von 100-Meter-türmen.» 180 Meter dürften nicht zur Referenz für Kommendes werden, aber: «Höher und dichter zu bauen, ist die Aufgabe der Zukunft in europäischen Städten.» architektonisch bemängelt Schumacher nichts; wichtig sei, dass der Turm zurückversetzt vom Rhein stehe, das mildere seine Wirkung auf die Stadt. Inzwischen existiert das Hochhaus-Konzept, der Kanton will es als Teilrevision des Richtplans im Herbst öffentlich auflegen. Das Projekt für den «Bau 1», obwohl später begonnen, liegt aber bereits vor. Aufgrund seiner singulären Höhe wird er als Einzelobjekt erscheinen, genau was die Grossräte verhindern wollten. Zuerst das Projekt, dann das Konzept — die verkehrte Reihenfolge. Kantonsbaumeister Schumacher widerspricht: «Über eine ähnliche Höhe diskutierten wir beim ersten Roche-Projekt. Das floss ins Konzept ein, der neue Turm widerspricht ihm darum nicht. Er schafft auch kein Präjudiz, weil diese Höhe die Ausnahme bleibt.»

Und die Architekten?

Ist die Diskussion damit zu Ende? Nein, das bestätigt selbst die Reaktion von Herzog & de Meuron auf die bisher geäusserte Kritik: «Es ist nur logisch, dass ein solches Projekt kontrovers diskutiert wird — das sollte es auch.» Man habe das Projekt ausführlich erklärt und begründet, mehr könne man im Moment nicht sagen. In der weiteren Planung werde man aber sicher vertiefte Überlegungen zur architektonischen, räumlichen und städtebaulichen Konzeption präsentieren. «Wir sind uns der Verantwortung eines Projekts, das eine Stadt nachhaltig prägt, sehr bewusst und bereit, die architektonischen und städtebaulichen Herausforderungen anzunehmen. Es bewegt sich viel in Basel. Einige Hoch-Häuser werden gebaut. Dass dazu aus Fachkreisen und der Bevölkerung verschiedene Meinungen kommen, können wir sehr gut respektieren, besonders natürlich, wenn es sich um differenzierte Äußerungen handelt.» der Turm wird Basel markant verändern. Genügt dafür die Architektur? Ist die Höhenentwicklung erwünscht und wohin führt sie? Würde dies nicht öffentlich diskutiert, wäre es für Basel ein Armutszeugnis. Vom Grossen Rat sind angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse kaum kontroverse Meinungen zu erwarten. Umso mehr sind die Architektinnen und Architekten, die Fachverbände als Experten gefragt. Herzog & de Meuron zeigen sich gesprächsbereit und offen sollte auch die Roche sein als Konzern, der der Stadt viel gibt, aber noch mehr von ihr erhält.

Der Bebauungsplan

Die Grenzacherstrasse trennt das Roche-Areal in einen Nord- und einen Südteil. Der Südteil umfasst neu drei Baufelder. Auf Baufeld 1 liegt der «Bau 1», der künftige Turm. Teil 2 bildet der Gebäudekamm am Rhein, der «frühestens 2025» einer Freifläche weichen soll, wozu wieder ein Bebauungsplan nötig ist. Teil 3, der Direktionstrakt von Salvisberg, soll stehen bleiben. Roche will weitere erhaltenswerte Gebäude inventarisieren, darunter den «Bau 52» von Roland Rohn. Der Bebauungsplan für den «Bau1» lag im März öffentlich auf und gelangt nun in Kommission und Parlament. Er erlaubt 180 m Höhe und 77 000 m©˜ oberirdische Bruttogeschossfläche.

Hochhäuser in Basel

Bisher gab es kein Leitbild. Im rahmen der Zonenplanrevision erarbeitet das Hochbau- und Planungsamt jetzt einen Teilrichtplan Hochhäuser. Er soll noch dieses Jahr öffentlich aufliegen. Basis dafür ist das Hochhauskonzept, welches das Amt 2009 der Fachwelt vorstellte. Der kantonale Richtplan enthält ein Objektblatt zu Hochhäusern. Dessen Karte weist geeignete Hochhausgebiete aus, darunter das Roche-Areal und zwei Teilbereiche des Novartiscampus. Die Karte des Teilrichtplans Hochhäuser wird sich davon nicht wesentlich unterscheiden. > www.richtplan.bs.ch


Kommentar GEWALTTÄTIG UND RESPEKTLOS
Ein Leserbrief zu «sind 175 Meter zu hoch für Basel?» in Hochparterre 03 / 2010
Meines Wissens war dies der erste kritische Beitrag zu diesem Projekt, das vor Monaten publiziert wurde. Das grosse Schweigen der Fachwelt dazu irritiert mich in hohem Mass. Es handelt sich um das gewalttätigste und respektloseste Projekt, das in der Schweiz je präsentiert wurde — und es handelt sich nicht um eine Utopie, es sieht nur so aus. «Respekt» definiert mein Fremdwörterbuch als «Sichumsehen» und «schuldige Achtung». Fehlt dies, wird ein Vorhaben «gewalttätig». Soll dieser Bau zur exemplarischen Vorgabe für den Städte baulichen und architektonischen Umgang mit den Schweizer Innenstädten werden — in Zürich im Seefeld, in Genf hinter dem Jet d’Eau, im Tessin zwischen Locarno und Ascona? Ich muss zur Kenntnis nehmen: Hat ein Bauherr ein Raumbedürfnis, dann hat er anscheinend auch einen Anspruch darauf, dieses in einer unbeschränkten Höhe zu realisieren, und wenn das Projekt ein berühmter Architekt gezeichnet hat, ist es heilig gesprochen. Offenbar überlegt die Basler Ortsgruppe des BSA noch, eine öffentliche Diskussion zum Thema durchzuführen, die Basler Sektion des SIA lässt nichts von sich hören. Damit diskreditieren sich die Architekten derart, dass sie keinen Anspruch mehr haben dürfen, wichtige Partner bei der Suche nach Baukultur zu sein. Dann können wir alle Gestaltungsbeiräte abschaffen und die Schweiz zur grössten europäischen Hochhauszone erklären, was für viele Investoren alles einfacher machte und vielen nach Selbstverwirklichung hungrigen Architekten die Gelegenheit gäbe, endlich das ersehnte eigene Hochhaus zu bauen.
[Prof. Carl Fingerhuth, Zürich]

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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