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hochparterre 06|2010
Zeitschrift für Architektur und Design
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Andermatt wird wahrer

Sawiris startet den Verkauf von Wohnungen im Resort. Die Realisierungschancen stehen gut.

30. Juni 2010 - Rahel Marti
Zwischen 1,22 und 3,55 Millionen Franken kostet eine Wohnung im Tourismus Resort Andermatt. Im April eröffnete der Unternehmer Samih Sawiris einen Verkaufspavillon nahe der Bahnhofstrasse in Zürich. Als er darauf zuschritt, kritisierte er sofort die dezente Beschriftung: «Das müssen wir ändern!» Und als er beim Betreten über eine Schwelle stolperte, ergänzte er: «Und das auch.» Seit 2005 treibt Sawiris das Projekt mit seiner bestechenden Mischung aus Charme und Kalkül voran. Zunächst werbe er für die Wohnungen vor allem im Inland: Schweizer evaluierten länger als andere, er wolle vermeiden, dass sie sich erst entschlössen, wenn die besten Stücke fort seien. An Schweizer Käufern muss Sawiris aber auch liegen, weil nur sie spontan kommen und das Resort regelmässig beleben können.

Unter dem Slogan «Noble by Nature» setzt Sawiris Preise von durchschnittlich 15 500 Franken pro Quadratmeter Wohnfläche an. Das entspricht gehobenen Stadtzürcher Quartieren -— kann das im Urserental gut gehen? «Ja, denn akzeptable Zweitwohnungen erhält man kaum noch günstiger», erklärt Marco Feusi, Experte bei den Immobilienberatern Wüest & Partner. Auf der Lenzerheide, in Flims oder Grindelwald zahle man ähnlich viel, im Oberengadin, Gstaad und Verbier mehr. Ein Stück Schweiz zähle im Ausland noch immer, die Realisierungschancen stünden gut, so Feusi. Der Verkaufsstart kommt doppelt richtig: Die Wirtschaftskrise ist verflogen und während andere Regionen den Bau von Zweitwohnungen beschränken, bringt Sawiris 500 Wohnungen auf den Markt, alle Lex Koller-befreit. «Wertsteigerungen auf Preise bis zu 30 000 Franken pro Quadratmeter sind möglich», schätzt Marco Feusi. Der Kauf sei aber eine Art Wette, weil die Infrastruktur noch stark ausgebaut werden müsse.

Harte Honorarverhandlungen 

Noch immer preisen die Prospekte «über dreissig Schweizer und internationale Architekturbüros» an, die «jedes Haus individuell planen». Die meisten haben aber seit einem Jahr nicht mehr daran gearbeitet, sie müssen den Wohnungsverkauf abwarten. Die Andermatt Swiss Alps ASA habe Kostenvoranschläge zu niedrigstem Honorar verlangt, wogegen sich einige Büros wehrten. Skeptische machen nun die Weiterarbeit vom Honorar abhängig, Zuversichtliche führen an, die ASA habe SIA-Tarife in Aussicht gestellt. Die Ausführung soll mit Generalunternehmungen und Architekten als gestalterische Leiter erfolgen.

Sawiris gebührt Anerkennung: Er führte Wettbewerbe durch, holte gute Büros. Aber das Resort ist kein Liebhaber-, sondern ein Renditeprojekt. Sein Auftritt im Zürcher Verkaufsraum war auch dafür bezeichnend: Auf das Dorfmodell blickend, schien ihm die Bebauung zu dicht. Er rief seine Mitarbeiter und bestimmte Häuser, die niedriger werden sollten, um den Nachbarbauten mehr Licht und Aussicht zu gewähren. Lieber hier weniger, dort dafür umso mehr verdienen. So arbeitet Sawiris: Spontan und immer. Für die Abstimmung mit dem städtebaulichen Konzept bleibt da keine Zeit.

Trotzdem: Stimmt die Bauqualität, kann das Feriendorf mit seiner hohen baulichen Dichte und formalen Expressivität einiger Häuser noch immer zu eigenständiger und überzeugender Tourismusarchitektur werden.

Diese Chance ist beim Luxushotel The Chedi vertan. Als einziger Bau des Resorts ist es im bestehenden Dorf geplant. Die Visualisierungen zeigen ein gutes Dutzend gleichartige, bis zu 34 Meter hohe Häuser: Eine Art aufgeblasene Hütten mit Steilgiebeln, grossen Vordächern, langen Fensterschlitzen und dürftiger Holzlattung. Für das im Inventar schützenswerter Ortsbilder der Schweiz ISOS verzeichnete Andermatt eine Bedrohung. Das Chedi entwarfen, wie den ersten Resortplan, Denniston Architects aus Kuala Lumpur. Deren Chefarchitekt Jean-Michel Gathy, ein Freund von Sawiris, gilt als Crack der internationalisierten Luxushotelarchitektur — entsprechend bleibt es hier bei gröbsten Klischees von «Alpine Chic». Da der Heimatschutz gegen die Baubewilligung intervenierte, willigte die ASA ein, die Pläne überarbeiten zu lassen, begleitet von einer Fachgruppe unter der Leitung des Urner Denkmalpflegers Edi Müller. Im Gegenzug stimmte der Heimatschutz der Rahmenbewilligung des Projekts im Massstab 1:200 zu. Ende Mai wurden die neuen Pläne eingereicht (nach Redaktionsschluss). Zu vermuten ist, dass die Überarbeitung kaum mehr als Kosmetik gebracht hat. Das Projekt ist bewilligt, die Ausnutzung im Quartierplan sanktioniert. Das Chedi wird überwiegend mit bedienten Zweitwohnungen zu Quadratmeterpreisen bis 22 000 Franken betrieben. Dass die Top-Kette ihr erstes europäisches Hotel in Andermatt baut, gilt als Coup von Sawiris. Chedi und Golfplatz sollen zuerst gebaut und 2013 eröffnet werden, als Nukleus, der auch ohne das übrige Resort funktioniert.

Gewaltiger Ausbau

Während der Verkauf erster Wohnungen anläuft, laboriert die ASA am Ausbau der Infrastruktur. Überraschend will sie das Betonpodium unter dem Resort siehe HP 6-7 / 09 statt zwei- nur eingeschossig bauen. So werde der Bau statisch einfacher und günstiger, zudem liege dann nur ein Fünftel im Grundwasser. Noch immer sind 900 Parkplätze geplant, dafür kleinere Lager- und Erschliessungsräume.

Derweil bahnt sich ein zweiter gigantischer Ausbauschritt an: Im Herbst soll die Richtplananpassung eingereicht werden für die Erweiterung des Skigebiets Nätschen bis zum Oberalppass, um Andermatt und Sedrun zu verbinden. Dafür wird ein ganzes Tal neu bebaut. Ein ähnliches Projekt zwischen der Melchsee-Frutt und Engelberg wird bekämpft, hier nimmt es die Öffentlichkeit einfach zur Kenntnis. Die Traversierung erfordert sieben neue Lifte, mindestens ein Restaurant sowie den Umbau eines Sees zum Speicherbecken für Schneekanonen, denn die Hänge sind südorientiert und rasch aper. Für Landschaft und Energieverbrauch ein fragwürdiger Ausbau — aber auch skitechnisch: Wie attraktiv ist eine kilometerlange Traversierung nach Sedrun? Doch für die ASA zählt: mehr Lifte, bessere Werbung. Die Natur- und Landschaftsschutzorganisationen begleiten den Ausbau zwar, aber mit gebundenen Händen: Da das Gebiet nicht geschützt ist, haben sie keine Einspracheberechtigung.


Kommentar: Mittragen, mitreden
Damit sein Vorhaben rentiert, ist Samih Sawiris auf eine kritische Grösse angewiesen, ob bei der Anzahl Ferienwohnungen oder neuer Skilifte. Wer das Projekt mitträgt, hat es darum schwierig, die Ausbaupläne zu beschränken. Und mitgetragen wird es von ganz oben: Der Bundesrat genehmigt die Lex Koller-Ausnahme ebenso wie die Richtplananpassungen. Pläne wie für das Hotel Chedi oder das neue Skital zeigen nun immer deutlicher, wie umfassend das Resort das Urserental verändern wird und wie weit die Zugeständnisse an Sawiris gehen. Mittragen reicht darum nicht. Andermatt braucht weiterhin auch das kritische Mitreden von Behörden und Verbänden, Schritt für Schritt. Rahel Marti

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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