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TEC21 2010|25
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TEC21 2010|25
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Stadt spielen

Die Resultate von Planung lassen oft das immateriell Städtische vermissen: soziale Dichte, Identität, Atmosphäre. Der schwer fassbare städtische Raum verlangt nach Planungswerkzeugen, die Wechselwirkungen berücksichtigen und Entwicklungsoffenheit zulassen. Was liegt näher, als dort Antworten zu suchen, wo komplexe Steuerungstechniken und -strategien, Simulationen oder kooperatives Agieren thematisiert werden – bei Computerspielen?

18. Juni 2010 - Maike Lück
Ursprünglich Nebenprodukte der Hardwareentwicklung und Militärforschung, erreichen Computerspiele als Massenmedium Millionen von Menschen und begegnen uns in vielen Formen. Games ermöglichen Spielsituationen von der Simulation komplexer zeitlicher und räumlicher Strukturen bis hin zur Konstruktion von Erzählformen, die analog nicht erzeugt werden können. Multiplayergames erweitern über das Internet ihre Spielräume und die Spieleranzahl über die Möglichkeiten des physikalischen Raums hinaus. Einige Games erlauben es, bestimmte Spielparameter selber festzulegen, und verhelfen damit zu einer individuellen Generierung des Skripts ausserhalb der vom Autor vorgesehenen Story. Die Möglichkeiten des Spielverlaufs sind bei komplex angelegten Handlungen und im Zusammenwirken mit der Einstellmöglichkeit der Parameter so hoch, dass eine «Unendlichkeit der Möglichkeiten» suggeriert wird. Das Computerspiel selbst wirkt nicht nur auf der imaginierten Ebene eines (analogen) Spiels, sondern in einem hybriden Bereich zwischen realer und virtueller Welt. Diese Qualitäten können zur Lösung von Problemen jenseits der Spielwelt genutzt werden.

Chancen für die Planung

Der Einsatz spielerisch operierender, computergestützter Methoden verbindet einen wesentlichen Katalysator von Kultur mit einer hoch entwickelten Technik. Spiele zeichnen sich sowohl durch Freiheit als auch durch spezifische Regeln aus, die diesem freien Handeln einen Rahmen geben. Varianten in Wiederholung, Experiment, Improvisation und selbst Regelbruch sind dabei durchaus erlaubt und setzen, teilweise spontan, Kreativität und Innovationspotenziale frei. Spielhandlungen besitzen ein definiertes Ziel – wobei ungewiss ist, ob der Spielende es erreicht. Gerade diese Ungewissheit, die Spannung und das emotionale Erleben der Handlung binden den Spielenden an das Spiel.

Raum, nicht Stadt

Bei einer linearen Übertragung dieser Prinzipien auf Planungsprozesse und der Suche nach Analogien zur Produktion von Stadt wird man bei Aufbauspielen fündig, die über Regeln und vom Spieler selbst definierte Parameter Strukturen generieren. Interne Rückkopplungen und Wechselwirkungen – teilweise durch den Spielenden, teilweise durch das Game – erzeugen ein komplexes Gefüge wachsender, stagnierender oder auch schrumpfender Strukturbausteine. Bei «SimCity» (vgl. «Ausgewählte Games», S. 27), dem wohl populärsten Spiel dieser Art, entstehen auf diese Weise stadtähnliche Morphologien. Das Ergebnis ist ein Gefüge, das nicht kalkulierbar scheint: Es weist für den Spieler Zufälligkeiten, Unregelmässigkeiten und eine gewisse Irrationalität auf, die Analogien zur komplexen Realität zeigt. Nur: Ist dies tatsächlich Stadt? In einem zeitlich, räumlich und thematisch definierten Rahmen mögen diese Anordnungsmuster diskutable Lösungen für städtische Räume liefern, sie stellen aber letztlich als Entwurfsalternative nicht mehr dar als eine Visualisierung numerischer Daten. Alle Operationen finden in einem geschlossenen System statt, mit mathematisch erfassbaren Parametern, die finit gesetzt sind und deren Wechselwirkungen untereinander verändert, jedoch nicht ergänzt, negiert oder verfeinert werden. Je nach Ausprägung des Instruments besitzt man mit diesen Spielen ein Tool zum Entwurf räumlicher Konfigurationen, nicht jedoch von Stadt.

Kooperation führt zum Ziel

Ergänzend dazu bieten als weitgehend offene Systeme konzipierte Online-Plattformen,[1] die über spezifische Interaktionsstrukturen zwischen den Spielern verfügen, differenzierte Möglichkeiten, den Planungsprozess in Bezug auf die Kommunikation der Akteure zu unterstützen. Die Interaktion findet zwischen Menschen bzw. ihren Avataren statt und nicht mehr zwischen Mensch und Computer: Das Spiel wird ein soziales Spiel. Viele Online-Games sind so angelegt, dass explizit der Zusammenschluss zu Gruppen das Gelingen von Aktionen garantiert. Das kollektive Agieren in gemeinsamer Anstrengung führt zum Ziel, erzeugt Kreativität und kommt einem virtuellen Experimentierfeld nahe. Dazu bieten der virtuelle Raum und das Rollenspiel Freiheiten jenseits der durch die Realität gesetzten Grenzen. Nicht immer muss dabei Stadtraum entstehen; entscheidend sind die Synergien aus der Motivationskraft des Spiels, der Zusammenarbeit der Akteure und den Freiheiten des virtuellen Raums – als virtueller Planungsraum, den die Akteure mit neu entwickelten Alternativen bereichern können (vgl. Abb. 1–4).

Die Realität bereichernd

Ein weiteres Genre könnte in Planungsprozesse des Postinformationszeitalters eingreifen: Serious Games mit den smarten Oberflächen der Alltagsumgebung stellen als «Pervasive Ubiquitous Computer Games» den Menschen und seine Gesellschaft in den Vordergrund – jenseits der Schnittstelle Mensch–Maschine. Der reale Raum wird zum Handlungsraum des Spiels, das Spiel selber zum gesellschaftlich wirksamen Beteiligungs- und Motivationsinstrument. Auch wenn diese Games zurzeit eher theoretisch konzipiert als praktisch erprobt sind,[2] ist vorstellbar, dass das direkt im urbanen Kontext zugängliche Spiel vielschichtige Raumerfahrungen erlaubt, eine spontane, intensive Kommunikation der Akteure untereinander oder auch nur Vermittlung von Information direkt vor Ort. Solche Spiele könnten Planungsprozesse bereichern – vor allem um Aspekte des Einfacheren, Effektiveren und letztlich auch Unterhaltsameren: Das Computer-Planungsspiel wird zum selbstverständlichen, jederzeit und überall abrufbaren Bestandteil des Alltags.

Potenzial und Risiken

Wenn die Einsatzmöglichkeiten spielerisch konzipierter digitaler Planungstools bewertet werden, ist das Spektrum breit: vom Kreativwerkzeug zur Entwicklung eines Stadtentwurfs über die Initiierung und Moderation des planerischen Diskurses bis hin zur spielerischen Attraktivierung des Prozesses selbst. Dabei ist jedes Tool spezifisch auf das zu lösende Problem zugeschnitten. Auch in Spielhandlung, -umgebung und -handhabung sowie in der Einstellung auf die jeweiligen Spielertypen[3] müssen Differenzierungen vorgenommen werden. Unabhängig von ihrer möglichen Wirkung als Katalysator planerischer Prozesse – im Sinne einer zeitgemässen Verfahrenskultur und als Möglichkeit, Potenziale zur Mitbestimmung zu aktivieren – bleiben auch Zweifel: Neben der Positionierung des Games (Genre, spezifische Planungssituation) sind dies Fragen zur Editierfähigkeit eines Spiels und zu seiner Anpassungsfähigkeit bezüglich Veränderungen, zu seiner Prozessoffenheit und seinen Zielvorgaben. Fragen, die das Problem der Kontrolle, der Manipulation und der Ausgrenzung betreffen: Wer entscheidet, wer was in welchem Umfang spielt – Spieler oder Autor? Wer entscheidet, wie ein Spiel konzipiert und eingesetzt, welcher Rahmen vorgegeben wird und wie dieser bei Bedarf verändert werden kann? Wie offen ist eine Internetplattform wirklich? Werden die Entscheidungen der Spielenden eingeschränkt oder in eine bestimmte Richtung gelenkt? Wie werden welche Entscheidungskompetenzen legitimiert, wie verteilt? Wie dürfen welche Zufälle entstehen? Wie autonom agiert gar ein intelligentes Spielsystem – und wie autonom darf es agieren?

Jeder Akteur riskiert, mit der Teilnahme am planerischen Diskurs seine Identität und seine Bewegungen im urbanen Raum öffentlich zu machen und sich der Kontrolle durch die Möglichkeiten des Internets auszuliefern: Der Nutzer wird gläsern, die Freiheitsbegriff des Internets verdreht sich in sein Gegenteil. Wenn die demokratischen Strukturen eines netzbasierten Games als Vorteil eines solchen Partizipationstools gelten sollen, muss auch der Zugang zu den Medien demokratisch sein. Endgeräte müssen ebenso verfügbar sein wie eine handhabbare Software, eine mit dem Tool kompatible Medienkompetenz der User und auch einfach nur der Zugang zum Netz.

Spiele können mobilisieren

Spiele stellen im Sinne der Mobilisierung der mündigen Gesellschaft einen Schritt zur aktiven Selbstbestimmung und zur Loslösung von überkommenen tayloristischen Strukturen dar – die Wahl der «Methode Spiel» in zeitgemässer Technik ist auch als Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Mündigkeit zu verstehen. Dazu gehört aber auch die Kompetenz zur Risikobegrenzung – die Stadtgesellschaft verfügt darüber letztlich selbst.

[Maike Lück, Architektin, promoviert zum Thema «Computerspiele und computergestützte, spielerisch operierende Tools als Instrumente und Hilfen in der städtebaulichen Planung» bei Prof. Michael Braum (Universität Hannover/Berlin/Potsdam), Prof. Kees Christiaanse (ETH Zürich) und Prof. Dr. Ludger Hovestadt (ETH Zürich)]


Literatur:
Manfred Fassler, Claudius Terkowsky (Hg.): Urban Fictions. Die Zukunft des Städtischen, München 2006
Claus Pias: Computer Spiel Welten, München 2002
Katie Salen, Eric Zimmerman: Rules of Play. Game Design Fundamentals, Cambridge, Mass. 2003
Anett Zinsmeister, (Hg.): Constructing Utopia. Konstruktionen künstlicher Welten, Zürich, Berlin 2005
Kaas Oosterhuis, Lukas Feireiss (Hg.): Game Set Match II. On Computer Games, Advanced Geometries, and Digital Technologies, Rotterdam 2006


Anmerkungen:
[01] Wichtige Modelle hierfür sind «Massively Multiplayer Online Role Playing Games» (MMORPGs). Online-Foren, die z.B. als Form des E-Governments zur Bürgerbeteiligung bei Planungsvorhaben eingesetzt werden, verfügen – noch – nicht über die einem Spiel innewohnende Motivationskraft zur aktiven Teilnahme und machen sich nur bedingt die Freiheiten des virtuellen Raums zunutze
[02] Die Entwicklung dieser Spiele steckt grösstenteils noch in einer Forschungs- und Erprobungsphase. Das Spektrum ist thematisch und technisch heterogen und reicht von kommerziellen Egoshooter-Adaptionen für das GPS-taugliche Mobiltelefon bis zu Multiplayer-Experimenten. Als Prototyp mag hier «REXplorer» (vgl. S. 27) genannt werden, das in Form eines spielerisch aufgemachten Stadtführers in Regensburg für die touristische Nutzung konzipiert wurde (Rafael Ballagas, Steffen P. Walz [Julien Biere, Jan Borchers], Media Computing Group, RWTH Aachen, Lehrstuhl CAAD, ETH Zurich, 2006)
[03] Spieler haben Vorlieben und Abneigungen. Als Beispiel: die vier Spielertypen eines Rollenspiels, die als «Achievers», «Explorers», «Socializers» oder «Killers» klassifiziert werden können (vgl. Richard Bartle: Hearts, Clubs, Diamonds, Spades: Players Who Suit MUDs, in: Katie Salen, Eric Zimmerman [Hg.]: The Game Design Reader – A Rules of Play Anthology, Cambridge, Mass. 2006)

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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