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db deutsche bauzeitung 07|2010
Norwegen
db deutsche bauzeitung 07|2010

Lernen im Schmuckkästchen

Ausbildungs- und Konferenzzentrum in Oslo

Die lange, knapp sechsjährige Planungszeit hat sich gelohnt. Das aufgrund seiner dekorativen, v. a. nachts funkelnden Fassade »Schmuckkästchen« genannte Gebäude schlägt in Norwegen hohe Wellen. Zunächst bietet es als Ort des fachlichen wie persönlichen Austauschs eine offene, kommunikative Atmosphäre. Die Zusammenarbeit zwischen Architekturbüro, Stadtbauamt, Denkmalschutzbehörde und etlichen Fachfirmen führte zudem – ausgerechnet im Land des Erdöls – zu einer Niedrigenergie-Lösung, die bereits einige nationale Preise erhalten hat und für weitere nominiert ist.

20. Juli 2010 - Hartmut Möller
Auch in der norwegischen Hauptstadt wird Bildung vermehrt groß geschrieben. Einen Beitrag dazu soll das Lærernes Hus – also »Haus der Lehrenden« leisten, das sämtlichen Mitstreitern der Lehre vom Erzieher bis zum Hochschuldozenten zu Ausbildungs- und Konferenzzwecken dient. Die Gewerkschaft für Bildung versteht es als physisches Manifest, um den Zusammenhalt seiner 140 000 Mitglieder zu stärken und in Einklang zu bringen. Im Jahr 2003 erwarb sie ein Baulücken-Grundstück, welches rückwärtig an ihren in der Hausmannsgate, einer der Hauptstraßen Oslos, gelegenen Hauptsitz anschließt. Das Areal liegt knappe zehn Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt in einem belebten, zentrumsnahen Wohnviertel mit kleinen Imbissstuben, Bars und Geschäften. 2004 folgte ein geladener Wettbewerb, in dem sich das junge Büro Element Arkitekter gegen zwei etablierte Konkurrenten durchsetzen konnte.

Die alleinige Nutzung als Konferenzzentrum war in der Umsetzung nicht ganz unproblematisch. Um der Stadtflucht junger Familien entgegenzuwirken, strebt das örtliche Bauamt u. a. durch Vergrößerung und Neuschaffung von Wohnraum eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität im Stadtkern an. Laut Bebauungsplan musste die Bebauung an der ruhigeren Osterhausgate deshalb einen Wohnanteil von mindestens 20 % aufweisen. Nach etlichen Diskussionen wurde ein angrenzendes Gebäude in den Planungsprozess integriert. Nun verschneiden sich beide – wenn auch nur minimal. Im denkmalgeschützten Nachbarhaus plant das Architekturbüro zurzeit neue, große Wohnungen, wie die Seniorpartnerin Cathrine Vigander erläutert. Eine verlockende Folgeakquise, doch der Bestand offenbarte auch große Herausforderungen: Zum einen mussten die hölzernen Fundamente beider anliegenden Bauten während der gesamten Bauphase feucht gehalten werden, zum anderen reichen sie über die jeweilige Hauskubatur hinaus – dieser Raum fehlt dem UG des Neubaus; dessen Sohlplatte lastet deshalb auf einer im Erdboden verankerten Pfahlgründung.

Kunst und Fassade

Für die künstlerische Gestaltung der südwestlichen, von Glasschwertern gehaltenen Straßenfassade zeichnet Jorunn Sannes verantwortlich, die schon verschiedene architektonische Projekte (u . a. in Zusammenarbeit mit Snøhetta) realisiert hat. Buchstaben und Symbole unterschiedlicher Schriftgröße und -art, teilweise gespiegelt und gedreht, überziehen 50 % der 200 m² großen Fläche. Als Sinnbild von Wissen deuten sie die Bestimmung des Gebäudes an und schützen es gleichzeitig vor Überhitzung. Im Innern erzeugen die Zeichen wahrhaft anmutige Licht- und Schattenspiele. Fast scheint es, sie würden sich dem Besucher nähern, um in ihn einzudringen.

Das dekorative Muster wurde per Siebdruck auf die zum Innenraum hin eingebauten Verbundglasscheiben der Doppelverglasung gebrannt. In der äußeren Doppelglasscheibe spiegeln sich Himmel und Nachbarschaft ungebrochen, wodurch das Gebäude jegliche Schwere verliert. Insgesamt fügt sich der moderne Bau unter Einhaltung der Straßenflucht, Trauf- und Geschosshöhe erstaunlich gut in seine Nachbarbebauung aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein. Nachts bringen ihn energiesparende, langlebige LEDs beinahe zum Glühen. Dann nimmt er sich nicht mehr vornehm zurück und das Innenleben der »Schmuckschatulle« leuchtet im Viertel als strahlender Kontrast, während die verzerrten Konturen der Lettern jetzt scheinbar nach außen drängen. In naher Zukunft ist der Einsatz von farbig steuerbaren LEDs für bunte Lichtspiele geplant.

Auch die Rückseite des Neubaus ist annähernd vollständig verglast. Lediglich ein über die Stirnseiten von Wänden und Decken gelegtes Kupferband lässt seine Ansicht wie eine Schnittzeichnung aussehen. Die Drehtüren in beiden Fassaden liegen zusammen mit einer neu gepflanzten Baumreihe im Innenhof auf einer Achse zum Hintereingang des Hauptgebäudes. Das Konferenzzentrum funktioniert demnach zwar autark, aber durchaus auch als Portal zum Altbestand.

Vertikale Lobby, kein Treppenwitz

Ungewöhnlich ist die prominente Lage des zweiseitig verglasten Treppenhauses, das sich oberhalb des Entrées über die volle Fassadenbreite erstreckt. Der wuchtige, parallel zur Stirnseite flach ansteigende, zweiläufige Aufgang versteht sich nicht allein als funktionale Erschließung, sondern vielmehr als vertikale Lobby und Kommunikationszone. Auf jedem Podest steht eine Kaffeebar zur freien Nutzung bereit und sorgt für Entschleunigung beim Umrunden des länglichen Treppenauges und des darin eingeschlossenen Fahrstuhlschachts.

Der Empfangssaal im EG füllt – neben der Durchfahrt zum Hof – die gesamte Etage aus und macht einen überdimensionierten Eindruck; vermutlich wird er die meiste Zeit leer stehen. Selbst dem knallroten Textilrelief der Künstlerin May Bente Aronsen gelingt es kaum, sich gegen die Weite des Raums zu behaupten. Als gestreifte Stoffskulptur vor den glatten, harten Betonwandflächen besteht ihre Aufgabe in der Schallabsorption.

Oberhalb der Halle befindet sich der an zwei Seiten großflächig verglaste Vortragsraum mit nahezu 5,50 m lichter Höhe. Auf rund 400 m² können darin über 250 Personen tagen, für kleinere Gruppen lässt er sich durch eine Faltwand aufteilen. Im 2. Stock bietet ein Café mit anliegender Dachterrasse Raum für Entspannung. Rote Sitzlandschaften aus Polyethylen sind als Inselpunkte auf dem holzbeplankten Fußboden verteilt. Nebenräume wie Garderobe, Toiletten und Technikraum sind im Kellergeschoss, Lager, Küche und Fluchttreppenhaus im hinteren Teil des Nachbargebäudes untergebracht. Trotz des hohen Glas- und Sichtbetonanteils im Innern wirkt das »Haus der Lehrenden« keineswegs unterkühlt. Das helle Zementgrau in Kombination mit Holzeinbauten, der akzentuierte Einsatz von Farbtupfern sowie die Licht- und Schattenspiele haben vielmehr eine beruhigende, beinahe meditative Wirkung auf den Gast.

Wärmespeicher aus Lehm und Stein

Von Anfang an war allen am Bau Beteiligten eine umweltverträgliche und energiesparende Lösung wichtig. Gerade weil Norwegen diesbezüglich den europäischen Standards hinterherhinkt, sollte dieses Prestigeprojekt zeigen, dass auch eine innovative Bauweise ohne den hinlänglich bekannten Wärmedämmstoff-Wahnsinn zum gewünschten Ergebnis führt. Um eine möglichst hohe Effizienz zu erzielen, entschied man sich für ein Heizungs- und Kühlungskonzept, das Geothermie und thermische Bauteilaktivierung miteinander kombiniert. Der hohe Anteil an Glasflächen erlaubt im Sommer eine beträchtliche solare »Ausbeute«. In einem Netz aus Kunststoffrohren, die im Beton der Geschossdecken und der Haupttreppe (daher ihre Positionierung an der Fassade) eingelassen sind, zirkuliert ein Wasser-Glykol-Gemisch. Dieses Trägermedium transportiert die gewonnene Wärme zu zehn im Hinterhof befindlichen 150 bis 200 m tiefen Bohrlöchern und speichert sie über Erdwärmesonden im Boden. Im Winter wird die im Erdreich konzentrierte Energie dann zur Beheizung des Bauwerks herangezogen, die Kunststoffrohre wirken dabei wie eine Fußbodenheizung. Der große Vorteil der Betonkernaktivierung gegenüber konventionellen Heizsystemen besteht in der Speicherfähigkeit der massiven Bauteile, die eine gleichmäßige Wärmeabgabe über große Oberflächen ermöglichen. Dank des stetigen Energieaustauschs zwischen Speichermasse und Raumluft kommt es lediglich zu minimalen Schwankungen; Behaglichkeit ist gewährleistet.

Natürlich ist das vorliegende System zunächst eine kostspielige Investition, die sich laut Planern allerdings bereits nach drei bis fünf Jahren amortisiert haben soll. Ihren Angaben zufolge liegt der Energiebedarf des Bauwerks bei 80 KWh/m² im Jahr. Durch den Einsatz des noch leistungsfähigeren Naturkältemittels CO2 als Fluid für die Wärmepumpe ließe sich der Bedarf sogar auf bis zu 50 KWh/m²a drosseln.

Für deutsche Verhältnisse mögen diese Werte nicht unbedingt verblüffen, nach den norwegischen Regularien zählt der Bau aber als Niedrigenergiehaus der Klasse A – die Jahresdurchschnittstemperatur liegt in Oslo gut 4 °C tiefer als beispielsweise in Berlin. Tatsächlich soll sogar überschüssige Wärme in die Heizungsanlage des Haupthauses gespeist werden. Bei soviel positiver Energie sollte den Lehrenden das Lernen doch umso leichter fallen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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