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db deutsche bauzeitung 07|2010
Norwegen
db deutsche bauzeitung 07|2010

Leuchtende Landmarke

»Arktisk Kultursenter« in Hammerfest

Schon lange reicht das Prädikat »nördlichste Stadt der Welt« zur Imagepflege nicht mehr aus. Hammerfest will sich in seinem Zentrum neu erfinden und setzt auf das weithin sichtbare Kulturhaus als erstes Signal eines ehrgeizigen Stadtentwicklungsprogramms. Mit vielfältigen Angeboten soll es die Aufbruchstimmung in der gesamten Region untermauern; als Stadtsignet leistet es bereits gute Arbeit. Der Maßstabssprung und die für den Ort völlig neue Architektursprache deuten jedoch darauf hin, dass noch viel zu tun ist.

20. Juli 2010 - Lotte Sandberg
Das Grundstück, auf dem das Kulturzentrum heute steht, umfasst große Teile des Hafens im Stadtzentrum. Früher befand sich darauf die Fabrik des Fischverarbeiters Findus. 2003 wurde ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben, für den insgesamt 113 Vorschläge eingingen und den das Osloer Architekturbüro a-lab für sich entscheiden konnte. Das »Arktisk kultursenter« liegt zwischen der Hauptstraße der Stadt und der sanierten Hafenpromenade, an der Hammerfest auch Seereisende empfängt. Damit zeigt das Kulturzentrum in aller Deutlichkeit den Wandel in der wirtschaftlichen Ausrichtung Hammerfests: Während früher die Fischindustrie als wichtigster Erwerbszweig angesehen wurde, hofft man nun auf Rettung für die Stadt (oder möglicherweise sogar für die ganze Region) durch die Kultur.

Das Kulturzentrum ist Teil einer größeren Revitalisierung der Hafenkante Hammerfests, die sich vorläufig noch im Planungsstadium befindet. Vorgesehen sind ein Hotel, ein Einkaufszentrum, Wohnungen, Büros und die Verlängerung der Hafenpromenade. Da die Finanzierung für diese Bauten noch nicht steht, wird das deindustrialisierte Gelände als Parkplatz genutzt.

Dadurch hebt sich das Kulturzentrum noch deutlicher von den übrigen Gebäuden in der Stadt ab, die sowohl kleiner als auch nüchterner gestaltet sind. Es wurde aus Steuergeldern finanziert, die in erster Linie von der riesigen Umschlagstation für Flüssigerdgas auf der Insel Melkøya knapp außerhalb der Stadt stammen. Die Kosten beliefen sich auf 257 Mio. norwegische Kronen (rund 30 Mio. Euro).

Zusammen mit den Gasflammen auf Melkøya und den Lichtern der Tankschiffe, die darauf warten, mit Flüssiggas befüllt zu werden, definiert das Arktische Kulturzentrum das Bild eines neuen Hammerfest. Der ausladende und gut sichtbare Baukörper signalisiert Vielfalt in Nutzung und Bedeutung. Inzwischen findet dort der größte Teil der kulturellen Aktivitäten in der kleinen Stadt mit 9 000 Einwohnern statt: Musiker und Tänzer üben hier, in Zukunft wird es auch Unterricht geben, dazu kommen verschiedene Konzerte, Theateraufführungen und Konferenzen – wie etwa die jährliche Barentssee-Konferenz – und tägliche Vorstellungen aktueller Filme.

Diamant am arktischen Acker

Zu den Aufgaben der norwegischen Kulturinitiative im Rahmen der mit Nachdruck betriebenen Regionalpolitik gehören die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Steigerung der Lebensqualität, die Förderung des Tourismus sowie ein Beitrag zur Entwicklung von Kompetenz und Innovation vor Ort.

Das Kulturzentrum erscheint wie eine Landmarke vor und für Hammerfest. Bei der Eröffnung bekam es den Spitznamen »Der blaue Diamant« – das Meer vor der Küste der Finnmark wird häufig als blauer arktischer Acker bezeichnet. Das Gebäude reflektiert außerdem die Veränderlichkeit der nordnorwegischen Landschaft, in der Sommer und Winter, Licht und Dunkelheit die relevanten Größen sind. Das Arktische Kulturzentrum lebt mit den Jahreszeiten, mit den Wechseln im Wetter und im Licht. So wie es in der winterlichen Dunkelheit Hammerfests in kaltem Blau leuchtet, dominieren im sommerlichen Licht seine rot gestrichenen Holzpaneele. Die Beleuchtung imitiert das flackernde und flimmernde Nordlicht durch ein Zusammenspiel von energiesparenden LEDs mit den äußeren Glaspaneelen – einer Haut aus Einscheibensicherheitsglas mit aufgedruckten Schneekristallen, die als Klimapuffer mit 60 cm Abstand vor die Betonhülle gehängt wurde. Die Beleuchtung der Glasfassade spiegelt die Umgebung wider: Die Bewegungen des Meeres, die Farben des Himmels lassen das Gebäude stumpf grau erscheinen, bevor es im nächsten Augenblick wie eine glitzernde Welle tanzt – oder nur still daliegt und blau leuchtet. Der Wettbewerbsentwurf enthielt noch eine Fassade aus perforiertem Stahl, die jedoch nicht genehmigt wurde: Erstens fürchtete man zu laute Geräusche durch den Wind und zweitens, dass sich Seevögel in den »Löchern« niederlassen würden.

Das Kulturhaus knüpft auf einfühlsame und besonnene Weise an das Meer an, wendet sich aber auch bewusst dem Stadtraum Hammerfests zu. Es fügt sich gut in die Umgebung ein und ist formal so eindeutig und für die Einwohner so einladend, wie man es von einem modernen Kulturhaus erwarten kann. Zur Anbindung an den Stadtraum trägt wesentlich ein im Freien gelegener Platz als sozialer Treffpunkt bei, die Arktisk Arena, ein großes offenes Amphitheater zwischen Stadt und Meer. Die weißen Treppenstufen, die wie der größte Teil des Gebäudes aus Ortbeton bestehen, werden vom Seminartrakt überdeckt, dessen Stahlkonstruktion auf dünnen Stützen ruht. Darunter mischt sich inzwischen auch eine Bronzeskulptur, die den Flossenknochen einer Robbe darstellt. Hinter diesem einzigen, aber beeindruckenden künstlerischen Schmuck stehen die in Oslo niedergelassenen Bildhauer Inghild Karlsen und Bo Bisgaard. Innen, in einem üppigen und luftigen Foyer, werden die roten Holzwände von einem anderen Stück Kunst aufgebrochen: Marius Martinussens goldschimmernd gestrichene Strahlen wirken im Zusammenhang geradezu sakral. Dass in mehreren neuen norwegischen Kulturhäusern der Kunst ein wesentlicher Platz eingeräumt wurde, ist bemerkenswert.

Licht und Ausblick spielen auch in diesem lebhaft genutzten Allraum eine wesentliche Rolle. Oberlichter und vollverglaste Flächen geben den Blick frei, von Hammerfests Hauptstraße bis zum Meer und zum Schiffsanleger. Das Café wurde sinnfälligerweise an einer der Glasfassaden platziert und unterstreicht dadurch die Bedeutung von Licht und Panorama. Die Aussicht ist ergreifend. Ausgesprochen umweltfreundlich ist das jedoch nicht unbedingt: Im langen Winter, der hier vorherrschenden Jahreszeit, wird es draußen vor der dünnen Glashaut empfindlich kalt.

Das übersichtliche und gut zugängliche Foyer übernimmt die Verteilerfunktion. Von hier ist der Weg in den multifunktionalen Hauptsaal des Kulturzentrums kurz, ebenso nach unten ins Kino. Die prominent an der Foyerwand entlangführende Treppe erschließt die verschiedenen Studios, Übungsräume und Büros im OG. Von oben ist die Aussicht grandios. Eine Brücke in der Verlängerung der Treppe führt zu einem schmalen Ausstellungsraum mit Oberlicht, ebenso zur Galerie des Hauptsaals.

Die rote Farbe zieht sich durch alle Innenräume, bis hin zu den Bodenfliesen in den Toiletten, doch in den oberen Etagen von blauen Nuancen kontrastiert. Dieser Wechsel zwischen Rot und Blau, nah und fern, warm und kalt prägt das Arktische Kulturzentrum entscheidend.

Verordnete Zuversicht

Die Revitalisierung älterer Uferbereiche, die ehemals Sitz von Industrie- und Transportunternehmen waren, ist Teil eines größeren internationalen Trends. Ein Kulturhaus zu bauen, ist dagegen Teil des neuen norwegischen Engagements für die Kulturwirtschaft – mithilfe spektakulärer Architektur. In Norwegen hat fast jede Stadt und jeder Ort mit Selbstbewusstsein ein eigenes Kulturhaus gebaut; andere sind im Moment dabei, Pläne dafür vorzubereiten. Wie die Versammlungsorte früherer Tage, »Folkets hus« genannt, sollen sie Treffpunkte sein, den wirtschaftlichen Aspekt der Kultur stärken und vielleicht sogar neue Ideen und Ausdrucksweisen fördern.

Während Vielseitigkeit und Mehrzwecknutzung in der Bauaufgabe selbst liegen, hat man dem imagebildenden Effekt der Kulturhäuser erst im Lauf der letzten Jahre mehr Aufmerksamkeit zugewandt und sie zu Prestigebauten umgedeutet, die »Zivilisation« und »Urbanität« signalisieren sollen. Die landesweit tätige Organisation »Norsk KulturhusNettwerk« wurde gebildet, um die Aktivitäten zu koordinieren.

Die »Kulturvergötterung« geht gewöhnlich auch mit einem Engagement für klimafreundliche Architektur und erneuerbare Energien einher. In Hammerfest forscht man gegenwärtig an der Energiegewinnung durch Gezeitenkraftwerke und Windräder. Für Norwegen wäre es wegweisend, wenn das Arktische Kulturzentrum Strom aus einer solchen Quelle bekäme, z. B. aus Wellenkraft. Momentan ist man noch bescheidener: Das Gebäude wird hauptsächlich mit Strom beheizt, dazu kommt ein wenig Öl. Ab 2012 will man auf Gas von der Insel Melkøya umgesteigen.

Nach Jahren des Verlusts von Arbeitsplätzen und Einwohnern besteht Grund zur Hoffnung, dass das Kulturhaus dazu beitragen wird, neue Wirtschaftszweige zu eröffnen und neue Perspektiven und Zuversicht in der kleinen Stadt zu verbreiten, die sich das Exklusivrecht auf die Marke »die nördlichste Stadt der Welt« erarbeitet hat.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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