Zeitschrift

TEC21 2010|29-30
Ideen im Raum
TEC21 2010|29-30
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Marktkräfte nutzen

Die Schweizer Raumplanung setzt weitgehend auf Zusammenarbeit sowie Gebote und Verbote. Ihre Ziele verfehlt sie jedoch in zentralen Bereichen. Nach der Überzeugung vieler Ökonomen würden anreizorientierte Instrumente der Raumplanung neue Impulse verleihen. Diese stellen aber kein Wundermittel zur Lösung der raumplanerischen Probleme dar. Vielmehr sind sie als Ergänzung zu den heutigen Instrumenten zu sehen.

16. Juli 2010 - Lukas Denzler
Seit der Einführung des Raumplanungsgesetzes 1979 ist einiges erreicht worden; bei zentralen Problemen kommt die Raumplanung aber nicht richtig vom Fleck. Am Offensichtlichsten ist dies beim hohen Bodenverbrauch und bei der Zersiedlung der Landschaft. Partikularinteressen, die den allgemein anerkannten raumpolitischen Zielen entgegenwirken, dominieren offenbar nach wie vor sehr stark. Weil eine Kurskorrektur derzeit nicht in Sicht ist, stellt sich die Frage nach neuen Instrumenten. Eine Möglichkeit, die zurzeit vor allem in wissenschaftlichen Kreisen, teilweise aber auch in der Verwaltung diskutiert wird, stellen anreizorientierte Instrumente dar. Diese sollen die Marktkräfte nutzen und dabei gleichzeitig die Raumentwicklung in die gewünschte Richtung lenken.

Anlehnung an die Umweltökonomie

Die Idee, in der Raumplanung anreizorientierte Instrumente einzusetzen, hat ihre Wurzeln in der Umweltökonomie.[1] Grundsätzlich lassen sich bei diesen Instrumenten zwei Kategorien unterscheiden. Bei den preissteuernden oder fiskalischen Instrumenten werden Steuern oder Abgaben erhoben, um Angebot und Nachfrage über höhere Preise zu beeinflussen. Die mengensteuernden Instrumente in Form von handelbaren Zertifikaten oder Kontingenten zielen hingegen direkt auf eine Begrenzung des Verbrauchs von Umweltgütern ab. Umgesetzt wird dieses Konzept aktuell etwa in der Klimapolitik der EU: Über CO2-Zertifikate will man den Ausstoss an Treibhausgasen auf einen fixen Wert begrenzen. Der Preis ergibt sich aus Angebot und Nachfrage, wobei sich ein hoher Preis einstellt, wenn die Menge der Zertifikate deutlich kleiner ist als die Nachfrage.

Sollen anreizorientierte Instrumente aber auf die Bodennutzung übertragen werden, so stellen sich einige Probleme, die mit dem Boden als Ressource zusammenhängen. Im Unterschied zu Umweltgütern wie Luft und Wasser ist Boden weder homogen noch mobil. Deshalb kann eine bestimmte Bodenparzelle nie vollständig durch eine andere ersetzt werden. Boden ist auch ein zentraler Produktionsfaktor, Vermögensanlage und Spekulationsobjekt.

Ungeachtet dieser komplizierten Ausgangslage beschäftigen sich Ökonomen seit etwa zehn Jahren auch in der Schweiz mit der Frage, ob und wenn ja in welcher Form anreizorientierte Instrumente in der Raumplanung eingesetzt werden können. 2003 habe das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) einen Workshop über marktwirtschaftliche Instrumente organisiert, erinnert sich Markus Gmünder von der B,S,S Volkswirtschaftliche Beratung in Basel. Der Wirtschaftsgeograf hat kürzlich die Ergebnisse seiner Dissertation über anreizorientierte Instrumente in Buchform veröffentlicht.[2] Weil der Begriff «marktwirtschaftlich» unter Raumplanungsfachleuten oft Abwehrreflexe auslöse, spreche man besser von «anreizorientierten» Instrumenten, sagt Gmünder. Letztlich müsse es darum gehen, dass es sich für den Einzelnen lohne, sich so zu verhalten, dass gleichzeitig auch die übergeordneten Ziele der Raumplanung erreicht würden. Und aus ökonomischer Sicht soll dies natürlich auch möglichst effizient erfolgen.

Preissteuernde Instrumente

In seiner Analyse wägt Gmünder die Stärken und Schwächen der einzelnen Instrumente ab. Zu den preissteuernden Instrumenten zählen verursachergerechte Erschliessungsabgaben, Flächennutzungssteuern sowie Siedlungsflächen- und Zersiedlungsabgaben. Planungsfachleute fordern schon seit längerem verursachergerechte Erschliessungsabgaben, auch aus Gründen der Transparenz. Würden sie in voller Höhe erhoben, so hätte dies auch einen dämpfenden Effekt auf den Neuverbrauch von Siedlungsfläche. Bei Flächennutzungssteuern ginge es darum, die durch die bauliche Bodennutzung verursachten externen Kosten in Form einer Sozialkostenabgabe zu internalisieren. Aufgrund unvollständiger Informationen über die externen Effekte bereitet die Bestimmung der Höhe dieser Abgabe laut Gmünder allerdings Probleme. Als geeigneter beurteilt er hingegen Siedlungsflächen- und Zersiedlungsabgaben.

Diese würden auch gezielt bei den akuten Problemen der Raumplanung ansetzen, nämlich dem hohen Bedarf an Siedlungsfläche und der Zersiedlung der Landschaft. Alle diese Instrumente wirken primär über den Preis. Das genaue Ausmass ihrer Wirkung lässt sich aber nicht im Voraus beurteilen.

Mengensteuernde Instrumente

Anders ist dies bei den mengensteuernden Instrumenten, weil hier eine feste Obergrenze des Verbrauchs an Umweltgütern festlegt wird. Bei der Bodennutzung spricht man von Flächennutzungszertifikaten, bei Bauland-Neueinzonungen von Flächenausweisungszertifikaten. Laut Gmünder entsprechen handelbare Flächennutzungszertifikate in hohem Masse einer effizienten Marktlösung. Ihr grösster Vorteil ist darin zu sehen, dass ein festgelegtes quantitatives Ziel tatsächlich auch erreicht wird. Weltweit werden Flächennutzungszertifikate allerdings erst in wenigen Fällen eingesetzt, so etwa im US-Bundesstaat Maryland – dort bekannt unter dem Begriff «Transferable Development Rights». Interessanterweise wurde dieses Instrument zuerst im Denkmalschutz eingesetzt: 1968 führte die Stadt New York ein Gesetz ein, das den Umbau oder Abriss von historisch oder städtebaulich wertvollen Gebäuden verbot. Die Eigentümer konnten die nicht mehr realisierbare Ausnutzung an andere Grundeigentümer verkaufen, die dadurch die Möglichkeit erhielten, ihre Gebäude über die im Zonenplan festgehaltenen Werte auszubauen.

In den Augen der Ökonomen stellen Flächennutzungs- und Flächenausweisungszertifikate auch für die Schweiz eine interessante Möglichkeit dar, den Flächenverbrauch in den Griff zu bekommen.[3] So hat etwa eine Forschungsgruppe an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) hierzu ein Konzept ausgearbeitet.[4] Ein solches Instrument könnte wie folgt aussehen: Für eine Rückzonung geeignete Baulandreserven werden von der Raumplanung sogenannten Sendergebieten zugeteilt. Gebiete, die künftig Bauland werden sollten, werden – wiederum von der Raumplanung – als Empfängergebiete ausgewiesen. Anschliessend beginnt ein Handel von Nutzungsrechten zwischen Sender- und Empfängergebieten. Laut Irmi Seidl von der WSL ist dabei zentral, dass Neueinzonungen nur möglich sind, wenn Nutzungszertifikate aus einem Sendergebiet vorliegen. Zweckmässig sei zudem ein schweizweiter Handel, damit die Preisbildung auf genügend Angebot und Nachfrage basieren könne.

Weil in der Schweiz vielerorts und über das ganze Land betrachtet mehr als genug Bauland ausgeschieden ist, fragt es sich allerdings, ob ein System, das sich im Wesentlichen auf Neueinzonungen abstützt, genug wirksam ist. Gmünder schlägt deshalb vor, Kontingente für die noch bebaubaren Flächen in den Bauzonenreserven einzuführen. Die Höhe des Kontingentes wäre politisch festzulegen. Ein heikler Punkt dürfte jedoch die Zuteilung der Flächennutzungszertifikate sein. Werden nämlich weniger Nutzungszertifikate ausgegeben, als Bauland ausgeschieden ist, ergibt sich nicht nur das Problem, wie und wem diese zugeteilt werden, sondern es stellen sich auch grundsätzliche rechtliche Fragen.[5]

Skeptische Raumplanungsfachleute

Handelbare Flächennutzungszertifikate werden von den Raumplanungsfachleuten zurzeit mehrheitlich kritisch beurteilt. Dies ergab eine Umfrage mit Antworten von 348 Personen aus Planungsbüros sowie kantonalen, regionalen und kommunalen Planungsfachstellen.[6] Markus Gmünder stellte dabei aber auch fest, dass Personen, die sich mit diesem Instrument bereits einmal auseinandergesetzt hatten, dieses deutlich besser bewerteten. Wie zu erwarten war, schnitt das Instrument der verursachergerechten Erschliessungsabgaben gut ab. Nach Einschätzung der Planungsfachleute dürften solche Abgaben auch politisch akzeptiert werden. Anders sieht es bei den Flächennutzungssteuern und Lenkungsabgaben auf Siedlungsflächen aus: Die Befragten beurteilen diese zwar als wirksam, ihre politische Akzeptanz wird aber als gering eingestuft. Aufgrund der Umfrage kommt Gmünder zum Schluss, dass unter den Planungsfachleuten derzeit eine recht hohe Skepsis gegenüber anreizorientierten Instrumenten besteht, die unter anderem aber auf deren nach wie vor geringen Bekanntheitsgrad zurückzuführen ist.

Martin Eggenberger, der Präsident des Fachverbandes Schweizer Raumplanerinnen und Raumplaner (FSU), bestätigt diese Einschätzung. Bei den Flächennutzungszertifikaten wisse man noch zu wenig, wie sich ein solcher Handel auf die Raumentwicklung insgesamt auswirken würde. Auch würde eine Entwicklung in den Zentren verteuert, und zwar auch an Standorten, wo eine solche grundsätzlich erwünscht sei, gibt Eggenberger zu bedenken. Zudem sollten nicht die «billigsten» Bauzonen entfernt werden, sondern diejenigen, die am falschen Ort lägen. Eggenberger bezweifelt, dass der Markt alleine zu einer aus raumplanerischer Sicht erwünschten Anpassung führen wird. Vielmehr sei die Planung zu verbessern. Anstelle eines Handels mit Zertifikaten fordern Raumplanungsfachleute seit langem eine konsequente Umsetzung des im Raumplanungsgesetz vorgesehenen Ausgleichs von Planungsmehrwerten. Eine Mehrwertabschöpfung würde Einzonungen weniger attraktiv machen.

Aus Einzonungen abgeschöpftes Geld könnte zudem benutzt werden, um aus planerischer Sicht wichtige Auszonungen zu finanzieren. Laut Eggenberger besteht nämlich die Gefahr, dass gerade hier auf eine kohärente Raumplanung verzichtet wird, weil die Gemeinden das finanzielle Risiko von Entschädigungen nicht eingehen wollen.[7] Unterstützung kommt in diesem Punkt für einmal auch von Avenir Suisse. Im soeben publizierten Bericht zum Kantonsmonitoring im Bereich der Raumplanung ist festgehalten, dass ein durch zweckgebundene Mehrwertabgaben gespeister Ausgleichsfonds auf kantonaler Ebene leichter zu organisieren wäre als ein Handel mit Flächennutzungszertifikaten.[8]

Landschaftsinitiative liefert neue Impulse

Irmi Seidl hält die Mehrwertabschöpfung für notwendig und sinnvoll. Sie warnt aber vor übertriebenen Hoffnungen, wenn es darum geht, mit diesen Einnahmen Rückzonungen zu finanzieren. In vielen Regionen sei Bauland für viele Jahre bereits ausgeschieden, weshalb über die Mehrwertabschöpfung nicht allzu viele Mittel generiert werden könnten. Neue Impulse für das Instrument der Flächennutzungszertifikate erwartet Seidl von der Landschaftsinitiative. Bei einer Annahme durch das Volk wären Neueinzonungen während 20 Jahren verboten. In den stark boomenden Agglomerationen würde das Bauland knapp, und der Handel von Zertifikaten wäre ein möglicher Weg, um einerseits die Initiative zu erfüllen und andererseits trotzdem eine weitere bauliche Entwicklung zuzulassen. Konkret könnten so Bauzonen von Regionen mit grossem Vorrat (Sendergebiet) in solche mit Bedarf an Bauzonen (Empfängergebiet) transferiert werden. Die Raumplanung würde sowohl Sender- als auch Empfängergebiete nach den heutigen Planungskriterien ausweisen. Ein politisch heikler Punkt ist, ob von diesem (Geld-)Transfer auch Regionen profitieren sollen, die in der Vergangenheit viel zu grosszügig Bauzonen ausgeschieden haben.

Dieses Problems sind sich auch die Träger der Landschaftsinitiative bewusst. Dennoch setzten sie sich im Februar 2009 an einem Workshop, an dem neben Vertretern der Landschaftsinitiative auch Raumplanungsexperten teilnahmen, mit marktwirtschaftlichen Lösungsansätzen auseinander.[9] Laut dem Bericht des Workshops stehen die Träger der Landschaftsinitiaitve solchen Instrumenten grundsätzlich offen gegenüber. Sie sehen darin langfristig sogar den wirksameren Weg als in den gegenwärtigen Instrumenten der Raumplanung. Ein Nachteil sei aber, dass marktwirtschaftliche Instrumente bei den politischen Akteuren und der Bevölkerung derzeit kaum bekannt seien und ihre Wirksamkeit wenig erprobt sei. Darum sprach sich eine Mehrheit am Workshop für die Verbesserung des aktuellen regulatorischen Instrumentariums aus. In den Augen der Träger der Landschaftsinitiative sollte den geltenden, aber oft nicht eingehaltenen gesetzlichen Bestimmungen im Bereich der Bauzonen zudem mit einem Verbandsbeschwerderecht zum Durchbruch verholfen werden.


Anmerkungen:
[01] I. Seidl: Potentiale und Grenzen ökonomischer Instrumente bei der Lenkung der Siedlungsentwicklung. In: Ballungsräume für Mensch und Natur. Forum für Wissen, Eidgenössische Forschungsanstalt WSL, S. 31–35, 2008
[02] M. Gmünder: Raumplanung zwischen Regulierung und Markt. Eine ökonomische Analyse anreizorientierter Instrumente in der Raumplanung. Rüegger Verlag, Zürich/Chur, 2010
[03] Siehe unter anderem: A. Süess, M. Gmünder: Weniger Zersiedlung durch handelbare Flächennutzungszertifikate? DISP 160, S. 58–66, 2005; F. Zollinger: Bauzonenhandel könnte Land sparen. TEC 21 31-32/2006, S. 4–8
[04] I. Seidl et al.: Flächenzertifikate. Ein Instrument zur Senkung der Flächeninanspruchnahme. Wissenschaft & Umwelt Interdisziplinär 12, S. 150–156, 2009
[05] Wie Anm. 2, S. 254 ff; S. 177 ff.
[06] Wie Anm. 2, S. 209 ff.
[07] Siehe auch: D. Baumgartner, I. Seidl: Rückzonung – eine Herausforderung für die kommunale Nutzungsplanung. Eine empirische Untersuchung in drei Schweizer Gemeinden. DISP 173, S. 22–33, 2008
[08] D. Müller-Jentsch, L. Rühli: Kantonsmonitoring – Raumplanung zwischen Vorgabe und Vollzug. Inventar der kantonalen Instrumente zur Siedlungssteuerung. Avenir Suisse, 2010
[09] R. Muggli, R. Rodewald: «Bauzonenumlegung» – Möglichkeiten einer haushälterischen Nutzung des Bodens durch Begrenzung der Bauzonengrösse und bessere Steuerung der Lage von Bauzonenreserven. Ergebnisse des Workshops de Träger der Landschaftsinitiative vom 26. Februar 2009. Bern, 2009

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: