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TEC21 2010|31-32
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TEC21 2010|31-32
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Dänisches Datenmanagement

Dänische Architektinnen und Architekten müssen seit 2007 bei grösseren oder öffentlich finanzierten Projekten vordefinierte digitale Schnittstellen und Werkzeuge nutzen. Die Verwaltung der Projektdaten soll so vereinfacht und beschleunigt werden. In der Realität passt diese digitale Interdisziplinarität aber noch nicht mit der gewohnten Arbeitsweise zusammen, Gesetz, Werkzeuge und Arbeitsprozesse müssen überarbeitet werden.

30. Juli 2010 - Odilo Schoch
Als der dänische Staat im Jahr 2007 das beinahe revolutionäre Gesetz «Bygherrekravene» (zu deutsch: «Bauherrenanforderungen») erlassen hat, das zur vordefinierten Nutzung von digitalen Werkzeugen und Schnittstellen bei grösseren (Baukosten ab etwa 550 000 Fr.) oder öffentlich finanzierten Projekten verpflichtet, wurde vor allem eine Produktivitäts- und Qualitätssteigerung der Baubranche von jährlich mehr als einer Milliarde Schweizerfranken erwartet. Dabei geht es im Kern um ein längst bekanntes Thema: Projektbezogene Gebäudeinformationen werden derart verwaltet, dass sie möglichst vielen Projektbeteiligten Vorteile bringen. Im Idealfall werden sämtliche Projektphasen in mehrdimensionalen virtuellen Datenstrukturen abgebildet – von der Standortsuche über die Entwurfsphase und die Baurealisation bis hin zur Nutzung des Gebäudes und dessen Rückbau. Das bedeutet bessere Gebäude zu geringeren Kosten und massive Veränderungen der bisherigen Arbeitsmethoden.

In Dänemark ist dieser Ansatz auch insofern revolutionär, als dass durch das Gesetz die Nutzung von kostenpflichtiger Software notwendig ist und vor allem die bewusst individuell entwickelten Entwurfsmethoden der Architektinnen und Architekten hinterfragt werden. Während sich Bauunternehmen über präzisere und kostenlos erstellte Massenmodelle freuen, verschuldeten sich einige Büros mit dem übereilten Kauf von komplizierter Software und unpassenden Schulungen. Die Betrachtung der skandinavischen Entwicklungen hilft, die eigene Projektarbeit in der Schweiz zu analysieren sowie die Zusammenarbeit mit Partnern zu optimieren. Grundsätzliche Probleme der Haftung und der Beweisführung im digitalen Alltag sollten auch in der Schweiz berücksichtigt werden, da sonst die finanzielle Effizienzsteigerung schnell obsolet wird.

Produktivitätssteigerung und Kostenreduktion

Die gesetzlichen Anforderungen Dänemarks gehen weit über ein vorgegebenes Ebenensystem in CAD-Software hinaus. Pflichtelemente sind beispielsweise eine hierarchische Bauteilklassifikation, objektbasierte 3D-Modellierungen und internetbasierter Datenaustausch zwischen den Projektpartnern auch während der Gebäudeerstellung. Da sich von Anfang an AutoDesk mit seinem Produkt «Revit» sehr gut als Problemlöser vermarktete, wird in Dänemark das Building Information Modelling (BIM) immer noch mit dieser Software gleichgesetzt. Für Schweizer Architekturstudierende ist dies nichts Neues, da u.a. die ETH Zürich bereits seit Anfang der 1990er-Jahre die Idee des «virtuellen Produktmodells» vermittelt. Allerdings folgen dänische Architektinnen einem historisch verankerten künstlerischen Entwurfsansatz mit einer disziplinorientierten Etappierung der Projektphasen. Noch heute ist es durchaus üblich, dass Architekten ihre Wettbewerbsbeiträge weitgehend ohne Fachingenieure erstellen, um dann kurz vor der Submission eine schwierige Realisierbarkeit oder verfehlte Energiebedarfsziele bestätigt zu bekommen. Das endet entweder in rein formal begründeten Entwürfen oder in einer kostspieligen Komplettüberarbeitung. Hinlänglich bekannt ist, dass eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit auch ein kritisches Wissen über die Anforderungen und Aktivitäten der Partner erfordert. Diese Wissensbildung ist ein langwieriges Unterfangen und lässt sich nicht über Nacht etablieren. Hier kollidiert die künstlerisch orientierte dänische Architekturtradition mit den Möglichkeiten einer digital unterstützten Zusammenarbeit. So werden Vorteile des BIM wie die schnelle Evaluation von Entwurfsvarianten durch die Mehrzahl der dänischen Architekten als ausserordentliche und unbezahlte Mehrbelastung gesehen, da bereits in frühen Entwurfsphasen vergleichsweise präzise Angaben zu Materialien, Dimensionen und Bauphysik gemacht werden müssen.

Das dazu notwendige Wissen haben in Dänemark die Baukonstrukteure und teilweise die Bauingenieurinnen. Es zeichnet sich derzeit auch ab, dass diese beiden Berufsgruppen zunehmend die Verwaltung der digitalen BIM-Modelle übernehmen werden, was eine Übernahme des Projektmanagements bedeutet. Der Wissensvorsprung, der durch die direkte Interaktion mit den zentralen Projektinformationen entsteht, ist ein enormer Machtgewinn in einem Projekt. Die Vereinigung Dänischer Architekturbüros (DanskeArk) ist deshalb besorgt darüber, dass Architektinnen und Architekten sowohl ihre gewünschte Position als Organisator und Dirigent eines Projektes als auch einen Anteil ihres Honorars verlieren könnten.

Überarbeitung notwendig

Die dänischen Architekten haben mit ihrer Nichtakzeptanz des neuen Gesetzes auf dessen Schwächen hingewiesen. Hauptsächlich kritisieren sie die zu frühe Spezifikation von Bauelementen. Bereits zur Baueingabe sollten Bauelemente in Materialität und Typologie definiert werden, was spätere Optimierungen durch Alternativvorschläge in den Ausschreibungen erschwert. Zudem sehen die bestehenden Honorarstrukturen keine Erhöhung der Honorarsumme vor, obwohl die Architekten ein 3D-Modell erstellt haben, das sehr detailliert ist und meist kostenlos an die Projektpartner weitergegeben wird. Dass ein dreidimensionales, objektorientiertes BIM-Modell als «Abfallprodukt» des Entwurfsprozesses entsteht, ist meist nur Theorie, da bisherige Modelliersoftware einen Transport unterschiedlichster Gebäudeinformationen verunmöglicht. Der Grund dafür ist, dass die üblichen BIM-Werkzeuge für die Werkplanung optimiert sind und weniger die Anforderungen der ersten Entwurfsphasen berücksichtigen. Erst in jüngerer Zeit bewegen sich die BIM-Werkzeuge in Richtung der Skizzierphasen, um bereits dort mit der Digitalisierung der Projektinformationen beginnen zu können. Diese neueren Werkzeuge fokussieren auf den Raum und weniger auf die Geometrie der Baukonstruktion.

Dänische Architektinnen stehen dem Wechsel von einer bilderlastigen Architekturkommunikation hin zur Vermittlung formal unsichtbarer Werte – wie dem ökologischen Fussabdruck des entworfenen Projekts – kritisch gegenüber. Dies geht einher mit der weit verbreiteten Resistenz gegen die kritische Analyse der eigenen Arbeitsprozesse in Projekt und Büro. In Dänemark bieten deshalb zahlreiche BIM-Berater ihre Dienste an, um Planenden die Integration eines Informationsrecyclings zu ermöglichen. Dies bedeutet, dass nicht nur dem operativen Bereich eines Büros mit seinen CAD-Nutzern die Vorteile und Gefahren eines strukturierten mehrdimensionalen CAD-Modells erläutert werden, sondern auch das Management die Wiederverwendung von Projektinformationen erlernt. Arbeitsprozesse müssen den neuen Anforderungen und Möglichkeiten angepasst werden, denn sie sind projekt- und teamorientiert und unabhängig von einer spezifischen Software. Auch aufgrund dieser Schwächen schreibt derzeit das dänische Wirtschaftsministerium eine Überarbeitung der Bauherrenanforderungen aus. Dabei sollen sowohl die konzeptionelle Ebene in Form von 0-dimensionalen Modellen integriert werden als auch die Anforderungen und Möglichkeiten der kommenden Generation von parametrischen Entwurfswerkzeugen und kundenindividueller Massenproduktion.[1] Beide Themen sind derzeit nicht über die Grenzen einer einzelnen Software kommunizierbar, da immer ein Informationsverlust eintritt. Deshalb wird auch erwogen, den Projektbeteiligten die Erstellung von mehreren thematisch optimierten BIM-Modellen zu empfehlen, die klare Schnittstellen zueinander haben – ohne Datenredundanz. Noch ist unklar, ob sich infolge derart neuer Empfehlungen auch die allgemeine Gesetzgebung verändert. Insbesondere der Austausch von Datenbanken anstatt zweidimensionaler Papierpläne als rechtlich bindendes Dokument wäre ein Fortschritt.

Abbildung unscharfer Werte

In diesem Zusammenhang zielt die Forschung an dänischen Universitäten derzeit auf die massgeschneiderte Integration der Software und Reglemente in den personalisierten und frühen Entwurfsprozess. Da die Stärken der skandinavischen Architektinnen in der Konzeptphase eines Entwurfes liegen, gibt es hier sehr gute Bedingungen, um bestehende Softwarepakete auf deren Tauglichkeit zu testen und zukünftige Programme zu entwickeln. Da die ersten Entwurfsphasen grossen Einfluss auf die Qualitäten des zukünftigen Gebäudes haben, lohnt sich die Integration von Werkzeugen, welche die Entscheidungsfindung vereinfachen. So werden die Kosten- und Ressourceneffizienz eines künftigen Gebäudes am stärksten zu Projektbeginn definiert – einer Phase relativer Unwissenheit.

Im Rahmen des Forschungsprojekts «creative data» erarbeiten deshalb 19 dänische Partner in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich das Potenzial entwurfsunterstützender Software in allerersten Entwurfsphasen. Dabei wird bewusst nach Lösungen gesucht, die die teilweise unscharfen Werte eines architektonischen Entwurfs in virtuellen Modellen abbilden können. Es geht weniger um eine dreidimensionale Modellierung als vielmehr um Beschreibungen der Konzepte, Atmosphären und räumlichen Qualitäten. Diese unscharfen Informationen sind später im Gebäudebetrieb wichtig, da u.a. die Nutzer von einem Verständnis der ursprünglichen Konzepte z. B. durch reduzierte Betriebskosten profitieren können. Noch können hier nur wenige etablierte Werkzeuge erste Antworten geben. Werkzeuge wie die browserbasierte Plattform von Kimon Onuma wecken grosses Interesse, da sie analytische und generative Prozesse weitgehend unabhängig von spezifischen CAD-Werkzeugen erlauben. Wichtigstes Austauschformat in diesem OnumaPlanningSystem ist die offene Datenschnittstelle IFC. Sie erlaubt Import und Export informierter Gebäudemodelle, z. B. in Diagramme, Konzeptmodelle oder die Überprüfung von Vorgaben wie dem Raumprogramm. In der dänischen Gesetzgebung wurde die Realität der skandinavischen «Gewaltenteilung» zwischen Architekten und Ingenieurinnen vernachlässigt. Die Bauherrenanforderungen erscheinen als hochgradig optimiertes Klassifizierungssystem für die grossen Bauunternehmerinnen und millionenschwere Projekte. Es ist jedoch kein Werkzeug, mit dem z. B. die Ressourceneffizienz eines Stadtteils ganzheitlich abgebildet werden kann. Partiell haben Ingenieurbüros einen Vorteil durch klare Bauteilinformationen. Der ursprünglich anvisierte Nutzniesser «Gebäudebetrieb» geht leer aus, da noch immer keine inhaltlich funktionierende Schnittstelle zum Facility Management geschaffen wurde.

Norwegische Offenheit

Der Blick nach Norwegen zeigt im Gegensatz dazu die Möglichkeiten eines offeneren Ansatzes für BIM. Es wurde kein explizites Gesetz verabschiedet, jedoch forciert der staatliche Gebäudeeigentümer Staatsbygg die Verwendung des IFC-Datenformats und eine optimierte Lokalisierung globaler Standards. Dies bedeutet, dass Staatsbygg eng mit der US-amerikanischen Partnerinstitution GSA zusammenarbeitet und gleichzeitig bewusst norwegische Programmierer beauftragt, kleine Werkzeuge zur Simulation norwegischer Besonderheiten zu entwickeln. Im Ergebnis gibt es beispielsweise Werkzeuge zur Energiebedarfssimulation, die mit dem polaren Klima umgehen können, oder Brandschutzprüfungen, bei denen ein virtueller Prüfer sämtliche Orte des virtuellen Gebäudes auf die Einhaltung der lokalen Verordnung überprüft – ein flexibles und kostengünstiges Tool.


Anmerkungen:
[01] Unter 0-dimensionalen Modellen wird das Modellieren von Informationsstrukturen verstanden, die die Entwurfsabsichten abbilden können und deren digitale Vermittlung unter den Projektpartnern erlaubt. Parametrische Modelle sind u.a. regelbasierte Entwürfe, deren Form und Bauteile auf einer relationalen Logik fussen. «Revit» und «Rhino3D» mit «Grasshopper» sind hierbei dominante Akteure – Der Artikel nutzt Markennamen, die den jeweiligen Eignern gehören.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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