Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 08|2010
Wohnlabor Berlin
db deutsche bauzeitung 08|2010

Bizarre Stadtreparatur

Wohn- und Geschäftshaus an der Linien-/Ecke Rosa- Luxemburg-Strasse

Ebenso Skulptur wie Gebäude, wurde das »L40« auf eine spezielle Nutzergruppe zugeschnitten: Sammler finden darin Räume, die genügend Wände, ausreichend Höhe und das richtige Licht bieten, um Kunstwerke zu präsentieren und mit ihnen zu wohnen. Zugleich ist die skurrile Erscheinung ein Stück kluge Stadtreparatur an einem Ort in Berlin Mitte, der vorher eigentlich nicht bewohnbar schien.

17. August 2010 - Mathias Remmele
Dunkel, scharfkantig und seltsam zerklüftet steht es da, dieses Haus. Bald wirkt es düster-geheimnisvoll mit seinen schwarz pigmentierten Sichtbetonfassaden und den großen geschlossenen Wandflächen.

Bald erscheint es fast leicht und offenherzig dank seiner weiten Auskragungen und seiner großzügigen, zu langen Bändern zusammengefassten Fenster. Nicht einfach zu sagen, was es eigentlich sein soll, dieses Bauwerk. Nur dass es selbstbewusst und Aufmerksamkeit heischend seinen zu drei Seiten von Straßen begrenzten Platz besetzt. Erst bei genauerer Betrachtung entpuppt sich das zwischen Linien-, Rosa-Luxemburg- und Torstraße gelegene Gebäude, das unter dem Namen L40 firmiert, als Wohnhaus – als ein besonderes freilich, in fast jeder Hinsicht.

Erdacht vom Architekten Roger Bundschuh und der Künstlerin Cosima von Bonin, planerisch umgesetzt und realisiert vom in Berlin ansässigen Büro BundschuhBaumhauer (seit Kurzem: Bundschuh Architekten), wurde das Wohngebäude auf die Bedürfnisse einer ganz spezifischen Zielgruppe hin konzipiert: auf Kunstsammler, die mit ihrer Kunst leben und auch im Alltag das Unkonventionelle schätzen.

Kerbe für mehr Licht, Schaum gegen Lärm

Die Besonderheiten des L40 fangen bereits mit dem Grundstück an. Die mit rund 440 m² für Berliner Verhältnisse kleine, unregelmäßig geschnittene Parzelle ist historisch, wurde aber vor Kurzem noch als Straße genutzt. Ihre Wiederauferstehung als Bauplatz verdankt sie der behutsamen Stadtreparatur (Planwerk Innenstadt), in deren Rahmen man, nicht zuletzt mit dem Ziel der Verkehrsberuhigung, den alten Verlauf der Rosa-Luxemburg- Straße wiederherstellte. Die Vorgabe für die Neubebauung des Areals lautete auf Schließung des um einen klein dimensionierten Hof gruppierten Häuserblocks und auf Einhaltung der städtebaulichen Raumkanten. Um nun den Hofraum nicht wieder zu einem jener lichtlosen Schächte werden zu lassen, für die das »steinerne Berlin« einst berüchtigt war, entschieden sich die Architekten, dem Baukörper zur Rosa-Luxemburg-Straße hin jene charakteristische Einkerbung zu verleihen, die wesentlich zu seinem expressiven Charakter beiträgt.

Das bringt im Zusammenspiel mit der verglasten Zone im EG und 1. OG Licht in den Hof und lässt nebenbei Dachterrassen für zwei Mietparteien entstehen.

Aus einer weiteren Besonderheit – der exponierten städtebaulichen Lage der Parzelle – ergaben sich hingegen Probleme, die nur mit Hilfe der Technik gelöst werden konnten. Das L40 steht an einer verkehrsreichen und entsprechend lärmbelasteten Ecke. Da ist nicht nur der Autoverkehr auf der mehrspurigen, stark befahrenen und auch noch als Tram-Trasse dienenden Torstraße, von der just hier die ebenfalls stark frequentierte Schönhauser Allee abzweigt. Da gibt es außerdem, um die Lärmkatastrophe perfekt zu machen, die unterhalb der Rosa-Luxemburg-Straße verlaufende U-Bahn-Linie, die regelmäßig für Erschütterungen sorgt. Gegen diese akustischen und seismischen Zumutungen wurde eine kostspielige elastische Gebäudelagerung realisiert: Das L40 ist also nicht fix mit dem Untergrund verbunden, sondern steht in einer mit Polyurethanschaummatten ausgekleideten Wanne. Den Rest besorgen optimal schallisolierte Fenster.

Wohnen wie im Aquarium

Der Effekt ist verblüffend. Aus den Wohnungen blickt man auf den pulsierenden Großstadtverkehr, der visuell eine ungeheure Präsenz entwickelt und dabei, wie im Stummfilm, völlig lautlos an einem vorbei zu rollen scheint. Gar nicht besonders hingegen sind die Gewerberäume im EG und 1. OG sieht man von den verzerrten Grundrissen, die sich weitgehend aus dem Zuschnitt des Grundstücks ergeben, einmal ab. Ganz anders ist es um die insgesamt acht Wohnungen bestellt: Zwischen 70 und 215 m² groß, bieten sie räumliche Qualitäten und Grundrisslösungen, die man nicht so schnell findet.

Die Kunstsammler-Menschen, die sie bewohnen sollen, das sei vorausgeschickt, sind idealerweise Singles, oder sie leben – wie auch immer verpartnert – zu zweit. Für größere Haushalte (Kinder oder dergleichen) fehlen weniger die Flächen als vielmehr die Räumlichkeiten.

Zum Konzept der Sammlerwohnungen gehören zum einen die großen, geschlossenen Wandflächen, die den Räumen immer wieder eine galerieartige Anmutung verleihen – vor allem in den Wohnungen, die partiell über Oberlichtbänder erhellt werden –, zum anderen aber auch eine klare Differenzierung von (halb-)öffentlich-extrovertierten und privaten, introvertierten Situationen. Während zur letzteren Kategorie vor allem die Schlafräume zählen, die fast immer zum Hof oder zur eher ruhigen Linienstraße hin orientiert sind, liegen die sich nach außen öffnenden Wohnküchen und die eigentlichen Wohnzimmerzonen in der Regel zur Rosa-Luxemburg-Straße hin. Über raumhohe Fenster oder lange Fensterbänder wird hier der Bezug zur umgebenden Stadt gesucht. Dabei korrespondiert der großzügige Ausblick, zumindest bei Nacht, mit einem ebenso großzügigen Einblick in die Wohnungen. Mit anderen Worten, das L40 ist ein Haus für Leute, die nicht nur ihre Kunst gerne anschauen und herzeigen, sondern auch Spaß daran haben, sich selbst und ihr Alltagsleben zumindest partiell auszustellen.

Buhlen um die Gunst der Wenigen

Was sonst noch Erwähnung finden sollte: Die beeindruckende Raumhöhe, die Altbauniveau erreicht und durch extrem hohe Türöffnungen betont wird. Loggien und/oder Dachterrassen, die man gern hätte. Ein schönes, sich immer wieder trichterförmig verengendes Treppenhaus. Die gehobene, durchweg geschmackvolle Ausstattung, die ihren Preis haben wird. Freilich, über Gelddinge mag die Bauherrschaft keine Auskünfte geben.

Haustechnisch bietet das Haus dabei nur Standard: Fußbodenheizung und Warmwassernetz werden konventionell von einer Gastherme gespeist. Schon ungewöhnlicher ist die Konstruktion der Außenwände: Auf Ortbeton als Tragstruktur folgen 80 mm Kerndämmung und eine vorgehängte Schale aus eingefärbtem Leichtbeton (s. Detailbogen ab S. 86).

Die am meisten diskutierte und auffälligste Besonderheit des L40 betrifft seine formale Erscheinung. Die erklärt sich partiell durch die städtebauliche Situation und die intendierte Nutzung. Wenn Roger Bundschuh in diesem Zusammenhang von einer betont anti-bürgerlichen Ästhetik spricht, die durchaus provokativen Charakter haben soll, bezieht er das wohl kaum auf die Gestalt des Baukörpers, denn hier sind die Bezüge zum Formenvokabular des Russischen Konstruktivismus und der Klassischen Moderne zu offensichtlich, um öffentliches Ärgernis zu erregen. Möglicher Stein des Anstoßes ist vielmehr die Fassadenfarbe, für die es in diesem Fall keine rationale Erklärung gibt. Schwarz erregt eben manche Gemüter. Andere mögen es.

Wir finden, das Schwarz passt hier gut ins Programm – nicht allein weil es gewisse Klischees bedient, sondern weil das L40 ja grundsätzlich kein gefälliges Haus sein will. Es buhlt nicht um das Lob der Vielen, sondern setzt auf die Bewunderung der Wenigen, die seine Eigenart zu schätzen und zu nutzen wissen. Man mag es auf der ästhetischen Ebene kritisieren und seine Konzeption als elitär-individualistisch brandmarken. Die Konsequenz und formale Stimmigkeit aber, mit der hier ein besonderes Programm umgesetzt wurde, erscheint vorbildlich. Das L40 ist vielleicht ein Sonderling, aber kein Störenfried. Es fügt sich, eigene Akzente setzend, hervorragend ein in jenen stilistischen Mix, der Berlin über weite Strecken prägt und zu einem architektonisch spannenden Ort macht.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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