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TEC21 2010|36
Nach dem Abfluss
TEC21 2010|36
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Mit Abwasser heizen

Im Abwasser ist eine beträchtliche Wärmeenergie gespeichert. Es erstaunt deshalb, dass dieses praktisch kostenlose Potenzial bis vor kurzem nur wenig genutzt wurde. Erst in den letzten Jahren hat die Stadt Zürich mit Pionierprojekten eine energietechnische Wende herbeigeführt. Als Folge davon ist die Schweiz heute weltweit führend in der Nutzung der Abwasserwärme. Durch optimierte Wärmedämmung und Klimaregelung werden heute die Wärmeverluste aus der Raumheizung minimiert. Trotzdem entweichen weiterhin beträchtliche Wärmemengen über das Abwasser in die Oberflächengewässer.

3. September 2010 - Aldo Rota
Hier steht ein noch weitgehend ungenutztes Potenzial an günstiger Wärmeenergie zur Verfügung, das allerdings meistens niedrigere Temperaturen als die Abwärme aus industriellen Prozessen aufweist.

Eine bedeutende Energiequelle

Das Schweizer Siedlungsabwasser bietet dank seiner Temperatur von mindestens 10 °C bis über 20 °C und seines im Jahresverlauf konstanten Angebots günstige Voraussetzungen für die Nutzung mittels Wärmepumpen. Das theoretische Potenzial dieses Energielieferanten lässt sich etwa anhand des mittleren Pro-Kopf-Wasserverbrauchs der Schweiz (Haushalte und Industrie) von täglich 400 l abschätzen. Ein grosser Anteil des verbrauchten Frischwassers fällt schliesslich als Abwasser an. Schätzungsweise könnten damit etwa 5 % des schweizerischen Gebäudebestands geheizt werden.[1]

Zum Vergleich: Grundwasser hat meist eine konstante Temperatur von lediglich 8 bis 12 °C, und das Erdreich, das mittels Wärmesonden bis in eine Tiefe von etwa 400 m wirtschaftlich genutzt werden kann, stellt Temperaturen zwischen 10 °C und 20 °C zur Verfügung. Oberflächengewässer können, je nach Jahreszeit, Temperaturen zwischen 0 °C und über 25 °C aufweisen.

Die für die Wärmerückgewinnung aus Abwasser erforderliche Wärmepumpen- und Wärmetauschertechnologie ist seit Jahrzehnten bekannt und hat sich vielfach in der Nutzung von Erdwärme und Oberflächengewässern bewährt. Ganz umsonst steht die Abwasserenergie aber nicht zur Verfügung. Auch hier gilt die Faustregel, dass rund 25 % der gewonnenen thermischen Energie in Form von elektrischer Energie für den Betrieb der Wärmepumpen aufgewendet werden muss. Dieser nicht vernachlässigbare Energiebedarf kann, je nach Herkunft der Elektrizität, die positive Umweltbilanz von Wärmepumpenanlagen wieder relativieren. Wie kann Abwasser genutzt werden?

Für den wirtschaftlichen Betrieb einer Wärmepumpenanlage ist ein ausreichender regelmässiger Wasseranfall und / oder ein Mindestspeichervolumen erforderlich. Auf dem Weg des Abwassers, von der Entstehung bis zur Rückgabe des geklärten Abwassers in ein Gewässer, ist die Nutzung der darin enthaltenen Wärmeenergie grundsätzlich an drei Orten möglich:

– Direkt im oder beim Gebäude, in dem das Abwasser anfällt, durch dezentrale Anlagen, die meist unmittelbar der Heizung des betreffenden Bauwerks dienen.

– In der Kanalisation, auf dem Weg von den einzelnen Gebäuden zum Klärwerk. Da in den Kanalisationen meist kein Speichervolumen zur Verfügung steht und das Abwasser zeitlich unregelmässig anfällt, ist eine wirtschaftliche Wärmerückgewinnung nur in grossen Sammelkanälen mit ausreichender Minimalwasserführung möglich.

– Nach dem Klärwerk bei der Rückgabe des geklärten Abwassers. An dieser Stelle ist die grösste, zeitlich konstante Abwassermenge und damit das grösste Energieangebot nutzbar. Nach der Nutzung des Abwassers ist meist eine minimale Abgabetemperatur in die Kanalisation einzuhalten.

Lokale Wärme aus Hausanlagen

Für häusliches Abwasser kann mit einer Mischtemperatur von 20 bis 28 °C gerechnet werden. In Mehrfamilienhäusern liegt der mittlere für die Wärmerückgewinnung nutzbare Schmutzwasseranteil bei etwa 125 l pro Person und Tag. Ein Abwasserschacht mit konstant gehaltenem Niveau dient als Wärmespeicher. In diesem Schacht ist ein Wärmetauscher-Filtermodul untergebracht (Abb. 3). Dieses filtriert das zufliessende häusliche Abwasser zu Grauwasser, in das der ringförmige Wärmetauscher aus nichtrostendem Stahl eingetaucht ist (vgl. Titelbild S. 19). Das überschüssige Grauwasser wird nach der Nutzung in die Kanalisation abgegeben. Die mit dem Wärmetauscher gewonnene Abwasserwärme wird mit einer Wärmepumpe genutzt. Wird die minimale Temperatur der Medien unterschritten, schaltet sich die Anlage aus, bis wieder warmes Abwasser zufliesst, wodurch ein täglicher Wärmeentzug aus dem Abwasser während 10–18 Stunden möglich ist. Mit passenden Wärmepumpen lassen sich problemlos Warmwassertemperaturen von 60 °C erreichen. Durch die Ausnutzung sämlicher Abwässer eines Gebäudes kann die ganzjährige Warmwasseraufbereitung (ohne Heizung) sichergestellt werden. Zur Deckung des gesamten Wärmebedarfs können mit derselben Wärmepumpe auch andere Wärmequellen genutzt werden. Die erste derartige Anlage wurde nach dem Ölschock Anfang der 1970er-Jahre 1975 in Mels SG installiert.[2] Seither sind in der Schweiz über 200 dezentrale Energiesysteme dieser Bauart in Betrieb genommen worden.

Wärme aus der Kanalisation

Kanalisationen mit ausreichender permanenter Wasserführung für die wirtschaftliche Nutzung der Abwasserwärme finden sich naturgemäss meist in grösseren Städten. In der Schweiz haben Zürich und Luzern Pionierarbeit auf diesem Gebiet geleistet. In Zürich wurde der vor 10 Jahren instandgesetzte Hauptsammelkanal Rotbuchstrasse im Stadtteil Wipkingen auf 200 m Länge mit einem Rinnenwärmetauscher ausgerüstet.[2] Er ist in die aufbetonierte Sohle dieses Kanals mit kreisförmigem Querschnitt eingelegt und besteht aus 4 mm starkem Edelstahlblech mit einer Einsatzdauer von mindestens 50 Jahren. Die Schalen des Rinnenwärmetauschers werden zwischen den einbetonierten Eintritts- und Austrittsleitungen quer zur Fliessrichtung des Abwassers von kaltem Wasser durchströmt (Abb. 4). Dieses von den Wärmepumpen kommende Wasser wird auf 10 °C bis 15 °C erwärmt und fliesst durch die Rücklaufleitung in der Sohle zurück.

Auf diesem tiefen Temperaturniveau wird die gewonnene Energie mit sogenannten kalten Fernleitungen zu 7 Heizzentralen transportiert, wodurch die Wärmeverluste minimiert werden. In den lokalen Heizzentralen wird das Temperaturniveau mittels bivalenter Wärmepumpen auf die für Raumheizung und Warmwassererzeugung erforderlichen Werte erhöht. Die Anlage gewinnt pro Stunde bis zu 1000 kWh Energie, was eine Jahresenergieproduktion um 4000 MWh ergibt (Abb. 5), wobei das Abwasser um maximal 2.5 °C abgekühlt wird. Auch in Luzern wurde anlässlich der Sanierung eines Abwasserkanals ein Wärmetauscher eingebaut.[2] Unter dem Hirschengraben in der Altstadt verläuft auf 236 m Länge eine Rinne aus Polymerbeton-Elementen, in die insgesamt 118 Rohrwärmetauscher einbetoniert sind. Bei einer langjährigen mittleren Abwassertemperatur zwischen 10 °C und 20 °C entziehen diese Elemente dem Abwasser ausreichend Energie, um 200 Wohnungen zu beheizen und mit Warmwasser zu versorgen. Auch bei dieser Anlage muss das Temperaturniveau mit einer Wärmepumpe auf 65 °C erhöht werden, um für die Heizung nutzbar zu sein. Die Anlage liefert 70 % des jährlichen Energiebedarfs; der Rest muss durch Erdgas ergänzt werden. Das Sparpotenzial durch die Abwasserwärme wird auf jährlich rund 130 000 l Heizöl geschätzt. Eine kleinere Anlage ist in Luzern seit zwei Jahren in Betrieb: In der Sohle der sanierten Kanalisation Hirschmattstrasse ist auf einer Länge von 60 m ein 0.7 m breiter Plattenwärmetauscher eingebaut worden. Mit der gewonnenen Wärmeenergie wird ein Bürohaus geheizt bzw. gekühlt, wodurch jährlich rund 40 000 l Heizöl eingespart werden.

Abwärmenutzung der ARA Werdhölzli

Das Limmattal nördlich der Stadt Zürich bietet gu?nstige Voraussetzungen für die Nutzung von Abwärme. Gemäss dem Versorgungsplan des Kantons Zürich ist es ein «Gebiet, welches sich aufgrund der Siedlungsstruktur speziell für rohrleitungsgebundene Energieträger eignet». Das im Limmattal gelegene Zürcher Klärwerk Werdhölzli, eine der grössten ARA der Schweiz, weist ein grosses Potenzial auf: Aus dem gereinigten Abwasser liesse sich durch Abkühlung um 3 °C eine Niedertemperaturabwärme von 266 Mio. kWh pro Jahr, etwa soviel wie aus einer grossen Kehrichtverbrennungsanlage, gewinnen. Damit könnten rund 7.5 Mio. m2 Geschossfläche mit Wärme versorgt werden. Gemäss dem kantonalen Versorgungsplan von 1995 ist diese ARA eine «Abwärmequelle von kantonaler Bedeutung».

Das Postzentrum Mülligen im Osten der Stadt Schlieren ist nur etwa 1 km in Luftlinie vom Klärwerk Werdhölzli entfernt. Auf Grund seiner Grösse ist es für die Nutzung der Abwasserwärme prädestiniert. Der 1985 eröffnete, heute unter Denkmalschutz stehende Bau des Architekten Theo Hotz weist ein Gebäudevolumen von 1 Mio. m3 und energieintensive technische Installationen auf. Der hohe Energiebedarf kann durch die Wärmeproduktion der ARA Werdhölzli gedeckt werden. Anlässlich des 2007 erfolgten Umbaus von einem Paketzentrum zu einem Briefsortierzentrum wurde die Energieversorgung deshalb mit der grössten Abwasserenergienutzungsanlage der Schweiz auf Wärme aus Abwasser umgestellt.[2]

Technologie und Betriebsbedingungen

Die Abwassertemperaturen der ARA Werdhölzli liegen zwischen 10 °C und über 22 °C. Damit bestehen gute Voraussetzungen für den Betrieb einer Wärmepumpe im Winter und einer Kältemaschine im Sommer. Das Betriebswasser wird aus dem Spülwasserkanal der Filtration, vor dem Auslauf der ARA, entnommen. Eine Pumpe mit einer Förderleistung von 650 m³/h (ca. 25 % des mittleren Abflusses der ARA) fördert das Betriebswasser durch eine 1.5 km lange Fernleitung (DA 500 HPDE) zum Verteilbauwerk vor dem Postgebäude Mülligen.

In der Energiezentrale des Postzentrums wird das Abwasser durch einen Wärmetauscher geleitet, der mittels eines vom Gewässerschutz vorgeschriebenen Zwischenkreises mit der Wärmepumpe verbunden ist, und zur Limmat zurückgeführt.

Im Oktober 2009 wurde mit der Energiezentrale Rietbach die zweite Anlage des Energieverbunds Schlieren in Betrieb genommen. Sie versorgt verschiedene Liegenschaften und nutzt neben der Abwärme der ARA Werdhölzli auch jene eines Rechenzentrums. Dafür wurde eine zweite Pumpe mit einer Förderleistung von 650 m³/h im Filtrierwerk installiert. Der Energieverbund Schlieren senkt den lokalen Verbrauch an fossilen Energieträgern auf ein Fünftel (Abb. 1, 2 und 6). Der jährliche Bedarf an elektrischer Energie für den Betrieb der Wärmepumpen und der Wärme-Kälte-Maschinen hat sich auf 11 200 MWh nahezu verdoppelt.

Im Winter dient die Abwasserenergie der Raumheizung des Postzentrums, was zu einer unproblematischen Abkühlung des Abwassers führt. Im Sommer erfordern die Anlagen des Postzentrums eine Kühlleistung von 4.9 MW. Die entsprechende Menge Abwärme muss durch eine mit Ammoniak als Kältemittel betriebene Wärme-Kälte-Maschine rückgekühlt werden, die das Abwasser als Kältereservoir nutzt. Dabei erwärmt sich das Abwasser, sodass an Sommertagen die Temperatur der Limmat kritisch werden kann. Die Temperatur des Abwassers darf deshalb 30 °C nicht überschreiten; die Temperatur des Limmatwassers muss unter 25 °C, der oberen Grenze für die Einleitung von Kühlwasser in ein Gewässer, liegen.


Anmerkungen:
[01] Aktion «EnergieSchweiz für Infrastrukturanlagen» www.infrastrukturanlagen.ch
[02] Kontakte: – Hausanlagen: FEKA - Energiesysteme AG, Bad Ragaz – Wärmeverbund Wipkingen, Zürich: ewz, Energiedienstleistungen, Zürich – Abwasserkanal Hirschengraben, Luzern: ewl, Wärmetechnik AG, Zürich – Energieverbund Schlieren: ewz, Energiedienstleistungen, Zürich

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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