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TEC21 2010|38
Bauen in Bhutan
TEC21 2010|38
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Handarbeit mit Beton

Die Hauptverkehrsachse im Landesinnern von Bhutan führt über eine der wichtigsten Flussüberquerungen. Sie wurde durch eine Notbrücke sichergestellt. Weil Hochwasser sie mehrfach einrissen, musste sie ersetzt werden. Die Ingenieure von Schnetzer Puskas entwickelten für die neue Brücke eine auf Umfeld und traditionelle Bauweise zugeschnittene Tragkonstruktion aus Beton, die ohne moderne Baugeräte realisiert werden konnte.

16. September 2010 - Heinrich Schnetzer
Das Königreich Bhutan liegt etwa 1000 km nördlich der Indischen Metropole Kalkutta inmitten des Himalaya. Die von Nord nach Süd verlaufenden Täler strecken sich von der 200 m ü. M. liegenden Ebene des Brahmaputra bis hin zu den 7500 m hohen Berggipfeln an der tibetischen Grenze. Der im Landesinneren verlaufende «West-Ost-Highway» führt über die 3000 m hohen Pässe und die Flüsse der tief eingeschnittenen Täler – dabei muss man sich vorstellen, dass dieser Highway vom Ausbaustandard her nicht einmal einer Schweizer Landstrasse entspricht. Die alte Bailey-Brücke über den Puna Tsang Chhu musste dringend ersetzt werden. Das Projekt dafür wurde im Rahmen eines Brückenwettbewerbs, den das Swiss Resource Centre and Consultancies for Development (Skat) im Auftrag der Helvetas durchführte, entwickelt. Drei Schweizer Ingenieurbüros erhielten die Aufgabe, ein Brückenprojekt mit einem vorgegebenen Baustoff zu erarbeiten. Entsprechend den Vorgaben wurden eine Holzbrücke, eine Stahlbrücke und die realisierte Betonbrücke erarbeitet.

Herausfordernde Randbedingungen

Durch die Monsunniederschläge haben die Flüsse eine ausgeprägte Jahresgangcharakteristik. Während der Monate Juni bis Oktober führen sie Hochwasser; Arbeiten im Fluss sind dann nicht möglich. Ausserdem stauen Endmoränen die Gletscher im Ursprungsgebiet immer wieder ein und bilden Seen. Diese durchbrechen in regelmässigen Zeitabständen die Moränendämme. Die entstehenden Flutwellen zerstören flussabwärts grössere Talabschnitte (vgl. «Holzbaukunst», S. 23 ff.).

Neben diesen hydrologischen Randbedingungen musste die Brücke auch im Hinblick auf die geo- und vor allem die bautechnischen Randbedingungen konzipiert werden. Die lokalen Ressourcen für den Bau von grossen Brücken sind bescheiden. Kiesvorkommen zur Herstellung des Betons sind kaum vorhanden. Meistens werden grosse Bollensteine mit einem Hammer direkt im Flussbett in mühsamer Handarbeit von Frauen zu Betonkies zerkleinert. Für die Betonherstellung dienen Betonmischer mit einem Fassungsvermögen von 0.5 m³; beschickt werden sie von Hand. Die Mischung wird mit einfachen Volumenmassen aus Holz zusammengestellt. Der Transport des Betons auf die Baustelle und das Einfüllen in die Schalung erfolgten mit sogenannten «Stahlpfannen», die auf dem Kopf getragen werden und ein Fassungsvermögen von nur zwei bis drei Schaufeln haben. Ausserdem müssen Stahlteile für Brückenträger oder für Hilfsgerüste über 1000 km auf schmalen Gebirgsstrassen von Kalkutta antransportiert werden. Dabei erlauben die kurvenreichen Passstrassen nur eine maximale Transportlänge von 6 m.

Brückenkonzept massgeschneidert

Um eine «High-Tech»-Brücke mit den vor Ort beschränkten Ressourcen zu bauen, bedurfte es eines entsprechenden Tragwerkskonzepts. Es sollte, aufbauend auf den lokalen bautechnischen Möglichkeiten, neue Erkenntnisse des Brückenbaus adaptieren und ökonomische Randbedingungen berücksichtigen.

Der beidseitig anstehende Fels und die fehlenden bautechnischen Möglichkeiten, die eine Pfeilerfundation im Fluss verunmöglichten, verlangten eine grosse Hauptspannweite, einen ausreichend grossen Abflussquerschnitt und eine uferseitige Brückenfundation. Aufgrund der geotechnischen und der geometrischen Gegebenheiten sowie ökonomischer Überlegungen fiel die Wahl des Typs auf eine Bogenbrücke mit Kämpferfundamenten im anstehenden Fels der Talflanken. Wie Vergleiche an alten, in der Schweiz gebauten Brücken zeigten, sind Bogenkonstruktionen bei einem hohen Verhältnis von Material- zu Lohnkosten sehr materialökonomisch. Ein Beispiel hierfür ist die Salginatobelbrücke von Robert Maillart. Die ökonomischen Verhältnisse bzw. das Verhältnis Lohn- zu Materialkosten sind heute in Bhutan mit denjenigen vor etwa 80 Jahren in der Schweiz zur Blüte des Bogenbrückenbaus vergleichbar.

Zeitfenster von sieben Monaten

Der bereits vor mehr als 200 Jahren gewählte Standort für eine traditionelle Holzbrücke war auch für die neue Bogenbrücke der geeignetste, denn Untersuchungen für alternative Brückenstandorte führten nicht zum Erfolg. Aufgrund der geotechnischen Randbedingungen war an dieser Stelle jedoch eine Brückenkonstruktion mit einer relativ grossen Spannweite von etwa 100 m notwendig. Ein Brückenbau mit dieser Spannweite ist auch in der Schweiz mit ihrem hohen Stand an technischen Mitteln keine Kleinigkeit.

Die Tradition des Holzbrückenbaus, aus dem der bekannte Lehrgerüstbau der Schweiz entstand, ist in Bhutan nicht vorhanden. Ausserdem musste wegen der Monsunniederschläge eine Bogenkonstruktion entwickelt werden, die in nur einem Halbjahr aufgebaut werden konnte. Noch vor den Mitte Juni einsetzenden Monsunniederschlägen mussten der Bogen selbsttragend und allfällige Hilfskonstruktionen aus dem Flussbett geräumt sein. Entsprechend wurden Hauptarbeiten im Fluss wie Kämpferfundamente und Bogenherstellung jeweils in einem Winterhalbjahr ausgeführt. Um die kurze Bauzeit einhalten zu können, baute das Konzept für die Herstellung des Bogens auf alten, bekannten Methoden auf und wurde mit modernen Bauverfahren ergänzt, die auch in Bhutan anwendbar sind. Teile der Bogenplatte wurden vorfabriziert. Diese Betonelemente wirkten bereits nach dem Einsetzen des letzten Elements – des sogenannten Schlusssteins – als Druckbogen; dadurch wurde das Lehrgerüst – Stahlträger, die auf leichten Gerüsttürmen aufsetzten (Abb. 4) – entlastet und Tragreserven für weitere Lasten frei. Die U-förmig ausgebildeten Betonelemente dienten bei der Vervollständigung der Betonplatte als Stirn- und Bodenschalung. Stabilisiert wurde die dünne Bogenplatte schliesslich mit den aufgesetzten Bogenrippen aus Ortbeton. Der damit einhergehende stabile Zustand wurde am Ende des siebten Monates erreicht. Die Stahlträger für das Lehrgerüst wurden in Kalkutta produziert und auf die Baustelle transportiert. Wegen der Transportkosten, aber auch weil Stahl in Bhutan sehr teuer ist, wurden die Träger so ausgebildet, dass sie nach dem Bau des Bogens wieder ausgebaut und als Verbundträger für die Fahrbahnplatte verwendet werden konnten (Abb. 5). Die Träger, die Aussteifung im Bauzustand, die erforderlichen Nietlöcher und die Auflagerknoten der Gerüsttürme waren Teil der Planung. Nach der Demontage und der Ausbesserung des Korrosionsschutzes wurden die Träger umgedreht, sodass die aufgeschweissten Stahlwinkel als Verbunddübel nach oben zu liegen kamen. Mit Flanschblechen und Nieten wurden sie an der vorgesehenen Stelle zu zwei durchlaufenden Verbundträgern zusammengebaut. Nach der Fertigstellung wurden darauf vorfabrizierte Elemente verlegt, die als Schalung für die Fahrbahnplatte dienten. Diese wurden, wie die Bogenelemente auch, auf der kleinen Produktionseinrichtung nahe der Baustelle gefertigt.

Etappierter Bauablauf

Für die Bauphase musste eine geeignete Baustelleneinrichtung gefunden werden. Am einfachsten konnten die Baustellentransporte mit einem Kabelkran bewerkstelligt werden – zumal vor zehn Jahren in Bhutan noch keine Baukräne zur Verfügung standen. Er war auf der Brückenachse installiert. Der Brückenbau erfolgte in mehreren Abschnitten: Erst wurden im Winterhalbjahr 2000 die Kämpferfundamente erstellt; im gleichen Halbjahr begann die Fertigteilproduktion für Bogen- und Fahrbahnplatte. Im zweiten Bauabschnitt 2001 wurde im vorgegebenen Zeitfenster von sieben Monaten der Betonbogen erstellt. Anfangs wurden die provisorischen Fundamente für die Lehrgerüsttürme in Flussmitte installiert. Dafür wurden in Drahtnetze eingeschlossene Bollensteine ins Wasser abgeteuft, bis der Sockel stark genug war, der Strömung standzuhalten. Auf die darauf betonierte Platte wurden die Gerüsttürme angeschlossen, die den Bogen jeweils in seinen Knickpunkten stützten. Um die vier Knickpunkte ausführen und die Verbundträger in den richtigen Längen einbauen zu können, montierte man auf den Gerüsttürmen vorgefertigte Zwischenstücke. Sobald das Lehrgerüst stand, konnten die Bogenelemente platziert und mit einer 2 cm dicken Mörtelfuge miteinander verbunden werden. Nach dem Erreichen des stabilen Zustandes wurden die Pfeiler und Widerlager erstellt, die Lehrgerüstträger demontiert und als Verbundträger wieder eingebaut sowie die Fahrbahnfertigteile verlegt. Im Überbeton der Fahrbahnplatte wurde als Stirnschalung bereits der Stahlanschluss für den Holzgehweg integriert. Geländer und Gehwegbelag aus Lärchenholz kragen über die eigentliche Betonkonstruktion aus. Die handgeschnitzten Holzpfosten mit dem Geländer sind Tradition in Bhutan.

Wissenstransfer

Das Projekt zeigt, dass es möglich ist, ohne moderne Baugeräte eine grosse Brücke zu bauen - ein entsprechendes Konzept vorausgesetzt. Die Herausforderung lag nicht nur in der ingenieurspezifischen Planung, sondern auch auf der Baustelle bei der Umsetzung. Die Zusammenarbeit der Verantwortlichen war durch eine grosse Kooperationsbereitschaft geprägt. Ein Ziel der engen Zusammenarbeit war auch, die Ingenieure der Road Bridge Division in grundlegenden Aspekten des Brückenbaus zu unterstützen und auszubilden.

[ Heinrich Schnetzer, Dr. sc. techn., dipl. Ing. ETH, Schnetzer Puskas Ingenieure AG, Basel ]
Am Bau Beteiligte:
Bauherrschaft: Royal Government of Bhutan & Helvetas Bhutan
Tragwerksplaner und Baubegleitung: WGG Schnetzer Puskas Ingenieure AG, H. Schnetzer
Bauunternehmer: Joint Venture S.P. Malik Kalkutta (Indien) & Singye Construction, Thimphu (Bhutan), J. M. Kapoor
Bauleitung: Helvetas Bhutan, Johannes Pfaffen & Ministry of Communication Bhutan, Road Bridge section, Phuntso Wangdi

Termine und Kennzahlen:
Baubeginn: 2000
Fertigstellung: 2002
Brückenlänge: 120 m
Bogenspannweite: 96 m
Pfeilhöhe: 11.16 m
Pfeilverhältnis: 1/8.6
Brückenbreite: 8.8 m (Fahrbahn: 6.4 m, Gehwege: 2 × 1.2 m)
Beton: 978 m³
Betonstahl: 126 t
Baustahl: 106 t
Gesamtkosten: 2.2 Mio. Fr.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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