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TEC21 2010|41
Tiefenlager
TEC21 2010|41
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Das Schweizer Konzept

Das Schweizer Kernenergiegesetz aus dem Jahr 20031 legt fest, dass alle radioaktiven Abfälle in geologischen Tiefenlagern entsorgt werden müssen. Zur Frage, wie diese Lager aufgebaut und betrieben werden sollen und welche Standorte in Frage kommen, hat die Nagra[2] Vorschläge unterbreitet, die vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) überprüft wurden.

8. Oktober 2010 - Meinert Rahn, Felix Altorfer
Ein geologisches Tiefenlager besteht aus einem Hauptlager, einem Pilotlager, Testbereichen und Zugangsbauwerken (Abb. 1). Jeder dieser Lagerteile hat eine spezifische Funktion:
– Die Zugangsbauwerke (Schächte, Rampen oder beides) erlauben die Erschliessung der Bauwerke von der Oberfläche.
– In den Testbereichen werden im Wirtgestein wie in einem Felslabor Experimente durchgeführt. Vor der Einlagerung der ersten Abfälle in das Pilotlager müssen darin insbesondere die Gesteinseigenschaften bestätigt sowie die Einlagerungs- und Rückholungstechniken erfolgreich getestet werden.
– Das Pilotlager wird vor Beginn der Einlagerung im Hauptlager mit einer kleinen, repräsentativen Menge an radioaktiven Abfällen bestückt und verschlossen. Die ablaufenden Prozesse werden mithilfe eines Überwachungsprogramms beobachtet und dahingehend geprüft, ob sie den Annahmen zur Entwicklung des Hauptlagers entsprechen.
– Das Hauptlager nimmt das Gros der Abfälle auf, sobald das Pilotlager verschlossen ist. Die Einlagerungsbereiche werden jeweils unmittelbar nach der Einlagerung verfüllt. Nach Ende der Einlagerung beginnt eine Beobachtungsphase, deren Dauer noch nicht festgelegt ist. Den Verschluss des Lagers ordnet der Bund an, wobei nicht gesetzlich festgelegt ist, wer den Entscheid zum Verschluss des Lagers fällt. Dieser Entscheid wird aber anhand der aus dem Überwachungsprogramm im Pilotlager gewonnenen Daten und deren Übereinstimmung mit den Voraussagen des Sicherheitsnachweises gefällt. Bis zum Verschluss muss die Rückholung der Abfälle ohne grossen Aufwand möglich sein.

Volumen der Radioakt iven Abfälle

Für die Lagerung der radioaktiven Abfälle schlägt die Nagra zwei unterschiedliche Lagertypen vor: Ein Lager für hoch- und mittelradioaktive langlebige Abfälle (HAA, mehrheitlich aus der Stromproduktion) sowie ein Lager für schwach- bis mittelradioaktive kurzlebige Abfälle (SMA, aus der Stromproduktion und der Anwendung von Radioaktivität in Medizin, Industrie und Forschung). Die HAA machen zwar nur knapp 10 % des gesamten Abfallvolumens aus, enthalten aber 99 % der Radioaktivität. Die schwachradioaktiven Abfälle (SMA) machen 90 % des Abfallvolumens aus, enthalten aber nur 1 % der Radioaktivität. Trotz dem deutlichen Volumenunterschied ist gemäss den Lagerkonzepten die Fläche eines HAA-Lagers grösser (4 bis 6 km2), da die HAA Wärme abgeben. Um zu vermeiden, dass sich das Wirtgestein zu stark erwärmt, werden sie daher in weit voneinander entfernten Stollen eingelagert. Die SMA hingegen können wegen der sehr geringen Wärmeproduktion auf engerem Raum (2 bis 3 km2) konzentriert werden.

Mit den heute vorhandenen Kernkraftwerken und den Abfällen aus Medizin, Industrie und Forschung (MIF) würde sich bis zur Mitte dieses Jahrhunderts ein Volumen von 100 000 m³ radioaktiver Abfälle ergeben, vergleichbar mit einem Würfel von knapp 50 m Kantenlänge. Berücksichtigt man den allfälligen Betrieb weiterer Kernkraftwerke und die Sammlung der MIF-Abfälle bis zum Ende dieses Jahrhunderts, würde sich dieses Volumen etwa verdoppeln.

Auswahl von Standortgebieten

Zur langfristigen Rückhaltung der radioaktiven Stoffe wird ein Multibarrierensystem eingesetzt, das sich durch Redundanz und Diversität auszeichnen muss: Fällt wider Erwarten eine Barriere aus, wird deren Funktion durch eine andere ersetzt (Abb. 2). Nur das Wirtgestein und die umgebende Geologie (Geosphäre) als natürliche Barrieren sind in Ausdehnung und Wirkung nicht ersetzbar. Die Standortsuche und die geologische Exploration vor Ort erhalten dadurch grosses Gewicht. Die Kennwerte des Wirtgesteins fliessen in eine Sicherheitsanalyse des Standorts ein. Die Nagra als Projektant muss damit zeigen, dass das Lager über lange Zeiträume (bis zu einer Million Jahre) sicher ist und die gesetzlichen Anforderungen (Schutzkriterien) erfüllt.

Auf der Suche nach geeigneten Standortgebieten musste die Nagra gemäss Sachplan (vgl. Kasten S. 18) in Etappe 1 zunächst eine Abfallzuteilung zu den beiden Lagertypen vornehmen und daraufhin die Anforderungen an diese Lagertypen definieren. Bei der Einengung auf Standortgebiete wurden zunächst die geologischen Grossräume auf ihre Eignung geprüft und geologisch komplexe Gebiete wie die Alpen und der Faltenjura für ein HAA-Lager ausgeschlossen. Als geeignete Wirtgesteine wurden ausschliesslich tonreiche Gesteine vorgeschlagen. Anschliessend hat sie Vorkommen dieser Gesteine in mehreren hundert Metern Tiefe (von der Nagra empfohlene Tiefen: HAA-Lager: in 400–900 m, SMA-Lager: 300–800 m) und in geeigneter Entfernung von geologischen Störungen (Vorschlag der Nagra: 200 m) gesucht und als HAA-Lagerstandortgebiete die Gebiete Bözberg (AG), Nördlich Lägern (AG/ZH) und Zürich Nord-Ost (ZH/TG) vorgeschlagen. Für ein SMA-Lager, das geringere Anforderungen an die Langzeitsicherheit stellt, wurden zusätzlich noch die Gebiete Südranden (SH), Jura– Südfuss (AG/SO) und Wellenberg (NW/OW) vorgeschlagen (Abb. 3).

Offene Fragen

Das dreistufige Sachplanverfahren wird mindestens zehn Jahre dauern. Die Lager werden erst Dekaden später in Betrieb gehen und gegen Ende dieses Jahrhunderts oder später verschlossen. Zur kontinuierlichen Optimierung sollen unter Berücksichtigung des Standes von Wissenschaft und Technik Entscheide grundsätzlich immer so früh wie nötig, aber so spät wie möglich gefällt werden.

Viele Details der künftigen Lagerauslegung müssen zurzeit noch nicht geklärt sein. Es gilt sorgfältig zu unterscheiden zwischen grundsätzlichen Fragen der Machbarkeit eines Lagers und offenen Fragen zur Optimierung. Die grundsätzliche Machbarkeit der Entsorgung wurde in den sogenannten Entsorgungsnachweisen (mit einem SMA-Lagerprojekt am Oberbauenstock, 1988, und einem HAA-Lager im Zürcher Weinland, 2006) erbracht. Trotzdem müssen die Lagerkonzepte und die Nachweismethoden kontinuierlich verbessert werden. Die Suche nach einem SMA-Lager konzentrierte sich lange auf Gebiete mit ausgeprägter Topografie, um ein Lager im Untergrund mit einem horizontalen Stollen erreichen zu können. Der bevorzugte Standort war damals der Wellenberg. Für die bis zu 100 t schweren Behälter mit schwachradioaktiven Abfällen sah man damals keine sichere technische Lösung für einen Transport mittels einer Schachtanlage. Aufgrund der inzwischen vorhandenen Technik hat die Nagra jetzt auch Standorte in der Nordschweiz vorgeschlagen, bei denen die Lager- tiefe über eine Rampe oder einen Schacht erreicht wird.

Offene Fragen bei der Lageroptimierung bestehen beispielsweise zum Behältermaterial für die HAA. Das Lagerkonzept geht von Stahlbehältern aus, die über lange Zeiträume korrodieren werden. Das dabei entstehende Gas darf keine unzulässigen Überdrücke produzieren, die die Einschlussfähigkeit des Wirtgesteins wesentlich beeinträchtigen. Die Frage des Behältermaterials muss aber erst später im Verfahren definitiv geklärt werden. Experimente zur Abklärung laufen bereits heute.

Offen sind momentan auch bautechnische Aspekte zur untertägigen Erschliessung der Anlage. Ziel ist, das Wirtgestein möglichst wenig zu schädigen, um dessen Eigenschaften optimal nutzen zu können. Da Tongesteine bautechnisch anspruchsvoll sind, ist insbesondere die Tiefenlage des Lagers entscheidend für die Stärke des notwendigen Ausbaus der Untertagehohlräume. Der Ausbau darf die Langzeitsicherheit des Lagers nicht beeinträchtigen. Solche offenen Fragen stellen aus Sicht der Aufsichtsbehörden nicht die grundsätzliche Machbarkeit eines Lagers infrage, sondern sind Bestandteil des schrittweisen Verfahrens zur Optimierung. Das ENSI wird bei jedem von der Nagra getroffenen Entscheidungsschritt prüfen, ob die Datenlage ihn rechtfertigt.

Die nächsten Schritte

Die sicherheitstechnische Überprüfung des ENSI hat die von der Nagra in Etappe 1 vorgeschlagenen Standortgebiete bestätigt. Die Bewertung der Standortgebiete lässt aufgrund der unterschiedlichen Datenlage in den Standortgebieten aber noch keinen direkten Vergleich der Gebiete zu. Dies wird erst im Rahmen der kommenden Etappe 2 möglich werden. In einem Bericht zuhanden der Behörden wird die Nagra darlegen, wie der Wissensstand in den einzelnen Gebieten aussieht und welche Daten sie für die anstehenden Sicherheitsanalysen noch erheben wird. Der Entscheid des Bundesrats zur Etappe 1 fällt Mitte 2011.

Dr. Meinert Rahn, Geologe, Leiter der Sektion Geologie am Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat.
Dr. Felix Altorfer, Physiker, Leiter der Abteilung Entsorgung am Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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