Zeitschrift

tec21 2006|12
erneuert
tec21 2006|12, Foto: Armin Bronner
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Neue Messe Hamburg

Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hat im Januar 2003 den Ausbau und die Modernisierung der mitten in der Stadt gelegenen Hamburger Messe beschlossen. Sowohl für das rund 90000 m² grosse Hallendach als auch für eine Fussgänger-Verbindungsbrücke konnte die Bauherrschaft von den Vorteilen einer Holzlösung überzeugt werden.

18. März 2006 - Armin Bronner
Messehallen: Nach einer Investorenausschreibung wurde ein städtebaulicher Wettbewerb ausgelobt. Diese Vorgehensweise erwies sich als echte Herausforderung, musste doch der durch den Juryentscheid prämierte Entwurf in das Budget der Investoren «eingepasst» werden. Das Siegerprojekt stammt von Ingenhoven und Partner aus Düsseldorf, der Tragwerksentwurf von Werner Sobek Ingenieure aus Stuttgart. Aus einer anfänglich reinen Stahlkonstruktion entwickelte sich eine kombinierte Holz-Stahl-Lösung.

Der Grundriss einer Halle von 76.80 mu134.40 m ist unterteilt durch einen Raster aus Quadraten von 19.20 m Seitenlänge, gebildet durch einen Trägerrost aus unterspannten, stählernen Hohlkastenträgern (Bild 6). Die Stützenweite beträgt 38.40 m, im orthogonalen Wechsel hängen Querträger an Längsträgern. Darüber spannen sich Tonnengewölbe aus Brettschichtholzbögen und die eigentliche Dachfläche aus Lignotrend-Holzelementen.

Alle Stützen sind als Pendelstützen ausgebildet, die Aussteifung des Gebäudes geschieht über die Dachkonstruktion. Die horizontalen Lasten werden über die Tonnenschalen in die Stahlkonstruktion eingeleitet und dann weiter in Betonscheiben abgetragen, die sich etwa in der Mitte jeder Aussenwand befinden. Die ursprünglich geplante Übereck-Anordnung musste wegen zu hoher Kräfte aus Zwängungen und Temperaturverformungen verworfen werden.

Tragstruktur

Die Anforderungen an das Tragwerk sind hoch. So müssen alle Stahl- und Holztragelemente den Brandwiderstand F-30 erfüllen, die Dachelemente müssen zusätzlich schwer entflammbar sein und akustische Anforderungen erfüllen (Bilder 8 und 9). Der Messebetrieb verlangt Anhängelasten von 0.50 kN/m2 sowie Einzellasten von 10 kN auf jeweils 2.40 mu4.80 m. Die höchsten Ansprüche wurden aber durch den Entwurf selbst vorgegeben. Dieser sah unterspannte Stahlträger mit einer Spannweite von 38.40 m und einer statischen Höhe von lediglich 2.50 m vor – bei gleichzeitig «äusserst filigranem Erscheinungsbild». Um dieses Ziel zu erreichen, wurden insbesondere zwei Massnahmen getroffen: Werkseitig eingebaute Zugstangen zwängten die Obergurt-Hohlkästen (600 mmu800 mm) in eine Überhöhung und spannten damit die Zugstangen der Unterspannungen (mehrteilige Flachstähle) vor. Mit Ballast wurden die überhöhten Stahlträger dann auf dem Bau in die horizontale Lage gebracht. Somit konnte die rechnerisch ermittelte vertikale Verformung unter Volllast von 280 mm auf 120 mm (L/320) reduziert werden.

Zweitens unterstützt die darüber liegende Tonnenschale die Stahlkonstruktion. Die Brettschichtholzteile sind also nicht nur «lose» aufgesetzt, sondern über zug- und druckfeste Anschlüsse mit der Stahlkonstruktion fest verbunden. Ebenso sind die Dachelemente linienfest an die Bögen und Längsträger angeschlossen (Bild 7). In der Tonnenschale entstehen Membranschnittkräfte, in den Brettschichtholzteilen grosse Normalkräfte.

Die oben beschriebene Vorspannung der Stahlträger mittels Ballast wurde so eingestellt, dass die Holzkonstruktion im Montagezustand nahezu lastfrei ist. Die Membranschnittkräfte entstehen erst aus der weiteren Belastung, aus der Dacheindeckung, den Anhängelasten sowie aus Wind und Schnee. Im Tragverhalten ergänzen sich Stahl und Holz, und man kann die Konstruktion als echten Hybridbau bezeichnen.

Wie oben erwähnt steht die gesamte Halle auf Pendelstützen. Somit kommt dem Dach als aussteifender Scheibe eine erhöhte Bedeutung zu. Bei einer Hallenlänge von bis zu 134.40 m ist die horizontale Verformung auf L/1000 zu begrenzen. Der Stahlträgerrost ist hierfür nur in Ausnahmefällen in seiner Ebene horizontal durch einen Verband diagonal ausgekreuzt. Die Windlasten werden somit aus der Fassade in die Stahlrandträger eingeleitet und von dort in die Tonnenschalen weitergegeben. Auf Grund der Tonnenhöhe ergibt sich eine Exzentrizität zwischen der Lasteintragung und der aussteifenden Ebene (Tonnenschale), sodass zusätzliche Membranschnittkräfte entstehen.

Eine weitere strukturbedingte Anforderung ist die Ausbildung der so genannten Schirmmützen. Ursprünglich war eine Auflagerung der schräg geneigten äusseren Vordachbögen auf den durch die Fassade durchstossenden Stahlträgern vorgesehen. Um diese grossen Kältebrücken zu vermeiden, wurden die jetzt freihängenden Schirmmützenbögen über die Tonnenschalen – einhergehend mit nun notwendigen biegesteifen Anschlüssen der Holzlängsträger – «zurückgehängt».

Holztragwerk

Das Holztragwerk besteht aus Brettschichtholzbögen im Querschnitt 160 mm u 440 mm sowie Brettschichtholzlängsträgern im Format 120 mmu360 mm bis 160 mmu360 mm (Bild 5). Bis auf die oben genannten Bereiche der Schirmmützen sind die Anschlüsse untereinander auf Normal- und Querkräfte ausgelegt. Der Anschluss der Längsträger erfolgt über eine Schlitzblech-Stabdübelverbindung. Im Normalbereich sind diese Verbindungen als durch den ogenquerschnitt durchgesteckte Bleche ausgeführt, im hoch beanspruchten Bereich bzw. im Bereich der Schirmmützen erfolgt ein Übergang auf ein Sonderstahlteil. Diese Teile ermöglichen die Aufnahme hoher Schnittkräfte, und die Längsträger lassen sich dabei durch das Eintreiben von nur wenigen Montagestabdübeln sehr schnell anschliessen. Für die Montagearbeiten zur Messehalle A1 war dies nicht unwichtig, musste doch das gesamte Tragwerk einschliesslich der Dachelemente innerhalb von nur fünf Wochen errichtet werden.

Jeweils vier Bögen wurden zusammen mit den Längsträgern am Boden vormontiert und so per Kran in Position gebracht. Zum Anschliessen der Bögen an die Stahlkonstruktion waren je Anschlusspunkt zwei Montageschrauben M36 einzudrehen. Zwischen den so montierten 4er-Bünden konnten anschliessend die fehlenden Längsträger eingebaut werden.

Dachelemente

Die Erfüllung der Forderung nach einem F-30-Brandschutz der Dachelemente war durch eine entsprechende Bemessung ohne weiteres möglich. Durch eine Modifikation konnte auch die Schwerentflammbarkeit erreicht werden. Eine spezielle Druckimprägnierung in Zusammenhang mit einem erforderlichen Schutzlack ertüchtigte die unteren Lamellen der Elemente. Die normalerweise aus Holzweichfaser bestehenden Schallabsorber wurden durch eine zementgebundene, nicht brennbare Holzwolle-Leichtbauplatte ersetzt. Der bewertete Schallabsorptionsgrad liegt damit bei 0.40.

Ein weiteres Ziel war die Ermittlung gesicherter Abbrandwerte. An der Empa in Dübendorf wurden ca. 0.80 mu1.00 m grosse, 100 mm dicke Versuchsplatten geprüft. Die wichtigsten Versuchsergebnisse: Es fand kein Durchbrand statt, F-30 wurde erreicht.
Nach Beendigung des Versuchs erloschen die Flammen sofort. Im Vergleich zu nicht imprägnierten Elementen wurde über die Hälfte mehr Brennstoff verbraucht, die durch das Holz eingebrachte Brandlast also weniger effizient in Energie umgesetzt. Der effektive Abbrand ist tendenziell geringer als die für Nadelholz üblichen 0.8 mm/min. Die maximale Temperaturzunahme auf der Kaltseite betrug 11°K. Es besteht also keine Gefahr für die darüber liegenden Bauteile (Bild 4).

Passerelle

Das Messegelände wird nach der Erweiterung durch eine vierspurige Hauptverkehrsstrasse, die Karolinenstrasse, in zwei Teile getrennt. Um den Besuchern einen komfortablen und dem Aufkommen gerechten Übergang zu ermöglichen, wurde eine geschlossen eingedeckte Brücke von 56 m Länge mit einem 10 m breiten Gehweg vorgesehen. Zur Ausführung kam wiederum statt des ursprünglich geplanten, geschweissten Stahlhohlkörpers eine Holzkonstruktion. Eine einzige V-förmige Stahlstütze trägt den als Gerberträger konzipierten, im Querschnitt elliptischen Baukörper.

Ein sehr hoher Vorfertigungsgrad bzw. Elementbau erlaubte eine geringere Bauzeit, sowohl bei der Werkfertigung als auch vor allem bei der Montage. Wegen der resultierenden Verkehrsbehinderungen war dies ein zentrales Entscheidungskriterium. Der BSH-Hauptträger-Hohlkasten war geometrisch einfacher zu bewältigen als der geplante Stahlträger mit komplexer
3D-Struktur, ebenso die elliptischen Bögen.

Komplexer Montagevorgang

Die primären Tragelemente der Brücke liegen unterhalb des Gehwegs. Der Hauptträger ist mittig längs geteilt. So konnten die transport- und montagetechnischen Anforderungen gemeistert werden. Das schwerste Bauteil wog allerdings auch so noch knapp 50t. Die halben Trägerquerschnitte mit einer Breite von 2.30 m bildeten über die gesamte Brückenlänge einen Gerberträger. Dessen Auskragung erleichterte die Montage. Beim Einhängen des zweiten, kurzen Gerberteiles wurde die einzige verbleibende Fahrspur (eine Fahrtrichtung wurde weiträumig umgeleitet) unter das auskragende Gerberstück geführt, was eine Montage ohne Vollsperrung ermöglichte (Bilder 10–12).

Die im Grundriss schräge Auflagersituation erforderte den Einbau von aufwändig zusammengesetzten Stahlteilen während des Verleimvorgangs der Hauptträger aus BSH. Gleiches galt für den Gerberstoss.

Seitlich am Hauptträger wurden in angenagelte Stahlknaggen die Konsolenträger eingehängt. Diese Dreiecke aus geraden Brettschichthölzern waren werkseitig vorgefertigt worden. Die Zugkräfte aus den Konsolen werden durch Bewehrungsspannstähle aufgenommen. Über den Konsolenträgern (alle 2.40 m) spannt eine 70 mm dicke Furnierschichtholzplatte als Gehweg. Sie dient gleichzeitig der horizontalen Aussteifung von Auflager zu Auflager.
An den äusseren Ecken der Konsolen sind die elliptischen Bögen angeschlossen. Der Anschluss ist als Montagestoss und wie oben beschrieben biegesteif ausgeführt. Die Brettschichtholzbögen haben im engen Ellipsenradius Lamellendicken von lediglich 6 mm. Die Dachkonstruktion besteht aus Brettschichtholzpfetten und Dachplatten aus Baufurniersperrholz.

Die Mittelstütze ist eine 2-teilige, V-förmige Stahl- Beton-Verbundstütze. Die Stahlrohre sind für die Tragsicherheit ausreichend, die bewehrte Betonfüllung dient dem Brandschutz.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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