Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 11|2010
Gläsern
db deutsche bauzeitung 11|2010

Libelleneffekt

Wohntürme am Kattendijkdok in Antwerpen

Je nach Standort, Lichteinfall und Wetterlage gewinnt die schimmernde Glasbekleidung der beiden Wohntürme am Hafengelände einen anderen Farbwert. Ein nüchternes und sehr rationales Immobilienprojekt gewinnt auf diese Weise ein individuelles Gepräge, das in seiner technischen Anmutung gut mit der heterogenen Atmosphäre der Hafenanlagen korrespondiert.

Am Westkaai des Kattedijkdok ankert die MS Britannia. Heimathafen des 110 m langen Binnenschiffs ist Basel. Im Oktober pendelt das schwimmende Hotel auf Städtekreuzfahrt zwischen dem Rhein, Amsterdam und Antwerpen. Die traditionsreichen Kultur- und Handelsbeziehungen zwischen dem Oberrhein und Flandern werden auch durch die beiden Wohntürme repräsentiert, die unmittelbar neben der Anlegestelle aufragen: Der Entwurf der glasverkleideten Bauten stammt vom Basler Büro Diener & Diener.

3. November 2010 - Karl R. Kegler
Die schimmernden Wohntürme inmitten der Dockanlagen markieren den Strukturwandel in einem lange vernachlässigten, traditionell von Hafennutzung und Lagerhäusern geprägten Stadtteil. Die Antwerpener nennen das von Docks, Schleusen und Kanälen durchzogene Viertel nördlich der Altstadt »het Eilandje«. Seit den 90er Jahren werden in Antwerpen Pläne für die Umstrukturierung dieses ältesten Teils des Hafengeländes diskutiert; seit 2002 existiert ein Masterplan. In Zukunft wird eine Kulturachse von der Altstadt über das spektakuläre neue »Museum aan de Strom«, das im Mai 2011 seine Tore öffnet, nach Norden führen. Dort befinden sich, nur wenig entfernt von den neuen Hochhäusern, die Gebäude der königlich flämischen Philharmonie und des Royal Ballet of Flanders. In einer riesigen denkmalgeschützten ehemaligen Lagerhalle werden neue Marktnutzungen, Büros und ein Kinozentrum entstehen. Angrenzend sind nach dem städtischen Masterplan auf der Westseite des Kattendijkdok sechs knapp 60 m hohe Turmhäuser geplant, die jeweils als Paare von einem Architektenteam entworfen werden. Den Auftrag für die ersten zwei Türme erhielten Diener & Diener direkt vom Projektentwickler Project², der 2003 aus einem Investorenwettbewerb für die Umsetzung der städtebaulichen Planung am Westkaai hervorgegangen war. Die anderen beiden Turmpaare werden von David Chipperfield und dem Schweizer Architektenduo Anette Gigon und Mike Guyer geplant.

Gestapelte Wunschgrundrisse

Der städtische Masterplan enthielt sehr genaue Vorgaben über Standort und Außenkontur der Türme. Von Seiten des Projektentwicklers wiederum wurden genaue Erwartungen zu Größe, Aufteilung und Zusammensetzung der Wohnungstypen formuliert, die das Ergebnis einer Markterhebung für Antwerpen waren. Die Architekten organisierten die elf geforderten Appartementgrößen in sieben Geschosstypen, die mindestens einmal, höchstens viermal übereinandergestapelt werden, bevor sie von einem anderen Geschosstyp abgelöst werden. Dieses Organisationsprinzip bildet sich bewusst in der Fassade ab und verdeutlicht sichtbar die Mechanismen der immobilenwirtschaftlichen Kalkulation. Je nach Geschosstyp sind die Fensteröffnungen der Lochfassade versetzt. Die kristalline Großform gewinnt auf diese Weise stärkere Präsenz, da sie nicht durch ein regelmäßiges Raster zerschnitten wird. Konstruktiv hatte diese gestalterische Entscheidung die Folge, dass die Außenwände aus Betonfertigelementen nicht als tragendes Skelett mit ausfachenden Elementen, sondern insgesamt als tragende Wand mit eingeschnittenen Öffnungen zu dimensionieren war.

Die Ausstattung der Wohnungen, die vom Entwickler als »luxe appartementen« (Luxuswohnungen) angeboten werden, ist hochwertig, die Architektursprache des Innern sachlich, nüchtern und zurückgenommen. Käufer haben zahlreiche Möglichkeiten, Ausstattung, Fußbodenmaterial oder auch Details der Grundrissaufteilung nach persönlichen Vorstellungen anpassen zu lassen. Jede Wohnung besitzt eine »Terrasse«, die je nach Wohnungstyp in einer anderen Gebäudeecke angeordnet ist. Über geschosshohe Schiebefenster ist dieser Freisitz mit den Wohnräumen verbunden. In der Fassade ist der geschickt über Eck integrierte Außenwohnraum kaum zu bemerken. Um diese Freisitze zu ermöglichen, war die städtische Planungsbehörde bereit, die vorgegebenen Außenmaße der Türme zu vergrößern. Die Terrassen können an einer Seite mit einem gläsernen Windschutz geschlossen werden. Ein vollständiger Abschluss ist nicht möglich, da die Stadt eine Vergrößerung der Wohnfläche gegenüber der Planung auf diese Weise verhindern wollte.

Beheizt werden die 70 bis 360 m² großen Wohnungen durch Wandkonvektoren. In Wand oder Fußboden integrierte Heizungssysteme sind in Belgien wenig verbreitet, so dass es nicht möglich war, vor Ort einen Anbieter zu finden, der Gewährleistung und den 24-stündigen Service anbieten konnte, auf den der Projektentwickler bestand. Auch in anderer Hinsicht nahmen die Richtlinien und technischen Standards in Belgien Einfluss auf das Projekt. Die strengen belgischen Umweltvorschriften erlauben im Wohnungsbau für Fassaden nur einen Öffnungsanteil von maximal 45 %. Um Energieverluste zu minimieren, werden die Wohnungen im Regelbetrieb künstlich belüftet. Die über das Dach angesaugte Frischluft wird über einen Wärmetauscher durch die Abluft aus Küchen und Bädern erwärmt und über die Wohn- und Schlafräume zugeführt. Ein Öffnen der Fenster ist für die Belüftung nicht nötig, aber grundsätzlich möglich. Aufgrund der starken Winde, die in Küstennähe auftreten können, mussten die Fensterflügel als PASK-Konstruktion (Parallel-Abstell-Schiebe-Kipp) ausgebildet werden. Auf diese Weise bleibt gewährleistet, dass eine einzelne Person auch bei starkem Wind die Fenster schließen kann.

Gold und Champagner

Herausragendes Merkmal der Wohntürme ist ihre Verkleidung mit vorgehängten Strukturgläsern – ein Fassadensystem, das Diener & Diener in ähnlicher Form bereits in der Schweiz, Deutschland und Schweden erprobt haben. Die wärmegedämmte Außenwand ist mit eloxierten Aluminiumblechen verkleidet. Vor der Metallverkleidung sind in einem Abstand von 2,5 cm Gussglasscheiben mit einseitig eingeprägter Rillenstruktur angebracht. Aluminiumhaut, Fenstereinfassungen und alle übrigen Fassadenelemente des südlichen Turms sind einheitlich goldfarben, die des nördlichen Turms champagnerfarben eloxiert. Das geriffelte transparente Material verleiht der Fassade in Zusammenspiel mit der dahinterliegenden Metallhaut eine unbestimmte Tiefe. Die grünliche Eigenfarbe des Glases, Spiegel- und Brechungseffekte erzeugen je nach Blickwinkel und Lichtsituation eine variierende, reizvolle Farbigkeit von eisigen Horizont- bis hin zu Goldtönen. Da sich die Grundfarbe der gegeneinander versetzten Türme leicht unterscheidet, besteht stets eine interessante Farbdifferenz.

Dem Betrachter, der die Fassadenkonstruktion aus der Nähe betrachtet, ergeht es allerdings ähnlich wie dem Naturforscher Goethe bei der Untersuchung des wechselnden Farbenspiels einer Libelle. Der faszinierende Effekt wiederholt sich bei der Betrachtung aus der Nähe nicht. Wo Goethe sich über das »traurig dunkle Blau« des zuvor noch schillernden Insekts beklagte, erkennt der Besucher, der näher an die Westkaai-Türme herantritt, den Grundton der goldenen Metallelemente mit all den Assoziationen, die dieses Material vielleicht an die eloxierten Fassaden früherer Jahrzehnte anklingen lässt. Die Architektur weicht diesem Effekt nicht aus. Das Fassadensystem ist bis ins EG heruntergezogen und bewusst als technische Verkleidung ablesbar. Zwischen den bis zu 3,50 m hohen Glasbahnen verlaufen zentimeterbreite Fugen, die den Blick auf die dahinterliegende Metallhaut freigeben. Auch die Haltevorrichtungen der Glaselemente sind nicht kaschiert. Die industrielle Logik der Details korrespondiert mit der Atmosphäre der ehemaligen Hafenlage.

Befürchtungen bezüglich Vandalismus und Graffiti haben die Architekten ebenso wenig wie Bedenken gegen Verschmutzungen, die sich eventuell zwischen Glashaut und Metallverkleidung festsetzen könnten. Die erste Fassade dieses Typs, die Diener & Diener Ende der 90er Jahre in Malmö realisiert haben, ist mittlerweile mehr als zehn Jahre alt. Die Glashaut wurde bisher weder beschädigt, noch haben sich auf der glatten Innenseite Verschmutzungen ablagern können. »Ich sehe keinen Grund dafür, warum die Fassade nicht 80 Jahre überdauern sollte«, erläutert Uwe Herlyn aus dem Berliner Büro der Architekten. Eine Alternative zur Glasverkleidung, etwa in Form von Naturstein oder Metallelementen, haben die Architekten nicht erwogen, schließlich ließe sich der beabsichtigte »Libelleneffekt« mit anderen Materialien ohnehin nicht erzielen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: