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TEC21 2010|46
Sturzgefahr am Lopper
TEC21 2010|46
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Schwimmende Strasse

Die Kantonsstrasse zwischen Hergiswil und Stansstad am Vierwaldstättersee ist seit Oktober 2009 infolge eines Felssturzes gesperrt. Bis mindestens im Frühjahr 2011 stehen Sanierungsarbeiten am felsigen Steilhang über der Strasse an. Während dieser Zeit dient eine 500 m lange, schwimmende und sich bewegende Strasse dem Regionalverkehr als Ausweichroute. Das Bauwerk, das in kurzer Zeit von Staubli, Kurath und Partner geplant wurde, war bautechnisch und statisch ein komplexes Unterfangen.

12. November 2010 - Beat Plüss, Peter Henckel, Josef Kurath
Am 24. Dezember 2009 vergab das Astra den Totalunternehmerauftrag, die schwimmende Strasse zwischen Hergiswil und Stansstad bis zum 31. März 2010 zu bauen. Diese extrem kurze Planungs- und Bauzeit von knapp 3.5 Monaten – inklusive Weihnachtszeit – erforderte ein paralleles Vorgehen von Planung und Bau. Die notwendigen Bauteile mussten ausserdem möglichst frei verfügbar sein, und Unternehmung sowie Bauingenieure hatten dem zu wählenden System gegenüber ein grosses Vertrauen aufzubringen, da innerhalb von Tagen bestellt werden musste. Die Bestellung der Bauwerkselemente erfolgte vor der Dimensionierung der Brücke, sodass es nicht mehr möglich war, das System in einer späteren Planungsphase auszuwechseln. Eine unverhältnismässig aufwendige, nachträgliche Verstärkung hätte zu Zeitengpässen und hohen Mehrkosten geführt.

Auf dem Wasser und an Seilen gehalten

Die Planenden griffen für die 500 m lange schwimmende Strasse auf ein Bausystem zurück, das sich normalerweise für provisorische Schwimmplattformen eignet. Diese Art von Systemen besteht aus Einzelschwimmkörpern, die zu kleinen Arbeitsplattformen in der Grösse von etwa 20 × 30 m zusammengestellt werden können (Abb. 2 sowie Abb. 2 in «Am hängenden Seil», S. 21). Je grösser die Einheiten sind, desto stärker werden die Belastungen auf die einzelnen Elemente – vor allem dann, wenn die Plattformen hauptsächlich nur in eine Richtung zusammengesetzt sind. Das eingesetzte System Flexifloat besteht aus einzelnen Schwimmkörpern der Grösse 3.05 × 12 m, wobei zwei kleinere Zwischengrössen verfügbar sind. Die Elemente sind über ein Bolzensystem koppelbar, ohne dass dafür Taucher zum Einsatz kommen müssten. Die rund 115 notwendigen Stahlkastenschwimmer mit je einem Gewicht von 18 t wurden eingemietet und aus verschiedenen Ländern in Europa nach Stansstad transportiert. Sie werden nach Gebrauch wieder in die Depots zurückgebracht. Die Verankerung der Pontonbrücke erforderte eine einfach und schnell ausführbare Konstruktion. Die Bauingenieure von Staubli, Kurath und Partner entschieden sich noch vor der Bemessung des Bauwerks für eine Seilverankerung mit eingehängten Gewichten – eine Ausführungsweise, die der Situation angemessen schien (Abb. 8). Im Bereich der schwimmenden Strasse beträgt die Wassertiefe etwa 40 m, und erst in 60 bis 70 m Tiefe wird der Seeboden eben. Über die Seegrundbeschaffenheit ist wenig bekannt. Einzig aufgrund ihrer Erfahrung konnten die Beteiligten die Verhältnisse am Seegrund abschätzen – spätere Versuche bestätigten die Annahmen. Ohne die Ankerkräfte ermittelt zu haben, definierten die Bauingenieure die Seile, die Seillängen und die Gewichte der Ankersteine. Dies war möglich, weil trotz den sich dadurch ergebenden Einschränkungen noch genügend Freiheit für die Dimensionierung des Bauwerkes und der Verankerung vorhanden war.

Bewegungen der Perlenkette

Für die Dimensionierung der provisorischen Pontonbrücke waren Einwirkungen wie Windund Wellenkräfte, verschiedene Wasserstände, Steinschlag und Nutzlasten massgebend. Da die Mole nicht mit festen Lagern verankert werden sollte, entstehen durch die meisten dieser Einwirkungen Bewegungen, die zu teilweise grossen Verschiebungen des 2000 t schweren Bauwerkes führen. Bei extremen Lasten treten horizontale Verschiebungen von bis zu 1.5 m auf. Diese Bewegung muss abgebremst werden. Wird dies nicht auf eine sinnvolle Art getan, entstehen auf die Anker wirkende Kräfte, die nicht zu halten sind. Ausserdem darf die Mole bei periodisch wiederkehrenden Wellenkräften nicht aufschwingen. Die Bauingenieure überprüften dies mit dreidimensionalen Berechnungen.

Um die in der Mole entstehenden Kräfte auf die vom System vorgegebenen Tragwiderstände zu reduzieren, trafen die Planenden entsprechende Massnahmen. Sie teilten die Mole im Grundriss in zwei separate Schwimmkörper – einen L- und einen stabförmigen Abschnitt. Örtlich hängte man Zusatzschwimmer an, zur Beruhigung bei Wellenbelastung respektive um die Verdrehung durch einseitige, grosse Einzellasten zu minimieren. Bei den erforderlichen Zugangsrampen und der Übergangsbrücke (Abb. 3 und 4) galt es zu beachten, dass die getrennten Grossbauteile sich im Gebrauchszustand unter Nutzlast und anderen Einwirkungen gegeneinander verdrehen, in Längs- und Querachse verschieben und gegenseitig verwinkeln – die einzelnen Teile sollten sich daher wie eine Perlenkette beweglich und flexibel aneinanderreihen. Die Zugangsrampen können zum Beispiel eine Eigenverdrehung unter Nutzlast von über 6 ° aufnehmen. Ausserdem dimensionierten die Bauingenieure die Seillängen und -stärken sowie die teilweise mittig an den Seilen angehängten Gewichte so, dass die Molenbewegungen stark abgedämpft werden und somit die Seilkräfte nicht zu gross werden (Abb. 7). Normalerweise variiert man bei der Dimensionierung einer schwimmenden Mole auch die Masse. Dies war hier jedoch nicht möglich, da ein Molentyp vorbestimmt war.

Zusammenspiel von Ankerkräften und Molenbewegungen

Verschiedene Modelle simulierten die Einwirkungen und das statische System der Mole respektive berechneten die Kräfte und Bewegungen. Bei der hier gebauten Mole ist der Lastfall einer starken Windböe massgebend für die auf die Anker wirkenden Kräfte, für die maximale Verschiebung der Gesamtmole und die maximalen Querbeschleunigungen, wel- che auf die Nutzenden wirken; nicht aber für die Krafteinwirkungen im Molenkörper – hierfür massgebend sind der gleichzeitige Ausfall von nebeneinanderliegenden, landseitigen Ankerseilen, Wind und Wellen von Westen sowie Bauzustände mit grossen Einzellasten von 40 t plus gleichzeitig Wind und Wellen. Auch eine Einzelwelle, die durch starke, gleichmässige und lang andauernde Winde ausgelöst und auf die seeseitig projizierte Länge von rund 400 m gleichmässig und gleichzeitig auftreffen würde, ergäbe ähnliche Auswirkungen auf die Mole wie die Windböe. Dies ist bei der tatsächlichen geografischen Lage der Mole aber extrem unwahrscheinlich und darum hauptsächlich ein nur für die Tragsicherheit zu prüfender Lastfall.

Die Berechnung der Ankerkräfte gibt einen Einblick in die komplexe Problematik der statischen und dynamischen Ein- und Auswirkungen auf das Bauwerk: Bei den dynamischen Modellberechnungen für die Verankerungen wurden die Seile mit Theorie dritter Ordnung berechnet. Bemisst man nicht nach ihr, kommt man auf ungenaue Resultate und unter- oder überschätzt die entstehenden Kräfte teilweise wesentlich. Dies kann zu einem Versagen des Bauwerks führen. Die Berechnungen berücksichtigen die Seilverlängerung und die Seilform infolge von Eigengewicht, Zusatzlast und Seilspannung. Auch zusätzliche Kräfte infolge von Beschleunigung sowie die Wasserwiderstände der Seile und der Mole flossen in die Dimensionierung ein. Letztere Effekte sind gerade bei den Seilverankerungen wesentlich, da bei der Seilstreckung – nicht aber beim Erschlaffen – teilweise relativ hohe Seilgeschwindigkeiten entstehen. Der Widerstand und der Ablauf der Bewegung des Seiles im Wasser sind nicht genau bekannt. Sie sind zu komplex, als dass man sie präzise erfassen könnte, und aufschlussreiche Versuche wären zu zeitintensiv gewesen – Kosteneinsparungen wären ausserdem klein. Mit der Grundlage der Theorie für schlanke Bauteile in Fliessgewässern legten die Ingenieure Konstanten für untere und obere Grenzwerte fest, um diese Effekte in die Berechnung mit einzubeziehen. Bei jedem Zeitschritt suchten sie ein Gleichgewicht für die Kombination aller Einflüsse.

Für die Bestimmung der Querschnittswerte wie Steifigkeit und Widerstand der Mole spielen die Verhältnisse in den Schwimmelementkupplungen eine Rolle. Deren Steifigkeit und vor allem auch deren Spiel bestimmen die Werte des Gesamtbauwerks, und sie sind schliesslich die entscheidenden Versagensgrössen. Je weicher die Kupplungen in den Berechnungen definiert sind, desto kleiner fällt der Tragwiderstand der Mole aus. Dass die Schwimmkörper versetzt angeordnet sind, erhöht zwar die Tragfähigkeit, es entstehen aber infolge normaler Biegemomente Torsionskräfte, die nicht zu vernachlässigen sind. Die ausgeführte Architektur der Verankerungen und die Teilung der Mole in zwei Hälften reduzieren die auf den Molenkörper einwirkenden Momente und Querkräfte, sodass die Normal- und Querkräfte in den Kupplungsnocken genügend klein ausfallen.

Um schliesslich die Querschnittkräfte zu bestimmen, wurde das aus den Detailanalysen ermittelte Kraft-/Verformungsverhalten der Mole in ein dreidimensionales Modell integriert. Dabei flossen die grossen Nichtlinearitäten aus der Verankerung und das dynamische Spiel der Wellen im Verhältnis zur Trägheit der Mole in das an sich linearelastische Berechnungshilfsmittel schrittweise ein. Die Seilkräfte verhalten sich nicht proportional zur Molenverschiebung (Abb. 5). Wie entscheidend eine genaue Simulation der Verankerung ist, zeigt die Vergleichsrechnung mit reduzierten Gewichten im Seil. Reduziert man die im Seil eingehängten Gewichte auf etwa einen Drittel – von 540 auf 170 kg –, so vergrössert sich die Seilkraft markant (Abb. 6). Nachdem die Windböe abgeklungen ist, vergrössert sich die Seilkraft aufgrund der Streckung der Verankerungsseile sprunghaft von rund 2 auf 50 kN. Verglichen mit optimierten Gewichten beträgt die Kraftsteigerung im Seil zum selben Zeitpunkt rund 300 %. Auch die Querbeschleunigung steigt auf das Doppelte des maximalen Wertes an. Reduziert man das eingehängte Gewicht noch mehr, verringert sich zwar die Querbeschleunigung wieder, aber es zerreisst die Ankerseile, und das Gesamtsystem versagt.

Die detaillierte Dimensionierung der Seilverankerung ermöglichte eine genügend grosse Dämpfung und verhinderte, dass die Mole mit den Wellenbelastungen in Resonanz kommt. Die Kräfte und Verschiebungen infolge von regelmässig ankommenden Wellen bleiben so relativ klein.

Bauwerk wird ständig Überwacht

Die Planung und Realisierung des Sicherheits- und Überwachungskonzeptes forderte alle Planenden heraus, weil sich bei dieser schwimmenden Brücke nicht nur die Nutzlasten bewegen, sondern in einem erheblichen Masse auch das Bauwerk selbst. Der 2000 t schwere Ponton kann sich bei Wellengang und Sturm bis zu 1.5 m in alle Richtungen bewegen. Gerade bei den Zugängen zum und vom Ponton erforderten diese Umstände kreative Lösungen, denn auch unter Betrieb müssen grosse Bewegungen des Bauwerkes möglich sein. Spezielle Probleme wie die auf Radfahrer wirkende Querbeschleunigung durch das Bauwerk, das Verhalten bei Steinschlag durch Sprengungen in der Felswand oder die Frage, wie die Brücke bei zu hohem Wellengang in der Nacht zu sperren sei und wann die Gebrauchstauglichkeit des Pontons nicht mehr gewährleistet ist, mussten überlegt und Lösungen dafür gefunden werden.

Das Bauwerk wird mit automatischen geodätischen Messungen in seiner Lage und Höhe überwacht, ein schwimmendes Wellenmessgerät und ein Windmesser kontrollieren automatisch die äusseren Einflüsse. Sobald vorgegebene Grenzwerte überschritten werden, startet das vorbereitete Alarmdispositiv. Es regelt die Interventions- und Alarmgrenzwerte. Die Messwerte werden permanent in der Zentrale der Kantonspolizei Nidwalden überwacht. Bei einer Überschreitung des Alarmgrenzwertes sperrt die Kantonspolizei nach Rücksprache mit den Projektverantwortlichen unverzüglich die Brücke. Ein eingerichteter Sicherheitsdienst sorgt ausserdem für die Sperrung der Brücke während Sprengarbeiten. Diese gilt für jeglichen Verkehr und dauert maximal zehn Minuten.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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