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TEC21 2010|47
Lichtbedarf
TEC21 2010|47
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Zeitgeber Licht

Die Lebensqualität älterer Menschen mit Demenz, die in Heimen leben, kann merklich gesteigert werden, wenn biologisch wirksame Beleuchtung in zentralen Räumen eingesetzt wird. In zwei Wiener Altersheimen führte das Dornbirner Kompetenzzentrum Licht in den letzten Jahren Beleuchtungsstudien zur Wirkung von dort eingesetzten Lichtdecken durch.

Licht dient einerseits und im Wesentlichen der visuellen Informationsaufnahme. Andererseits entwickelt es eine biologische Wirkung, indem es über entsprechende Rezeptoren den Tag- Nacht-Rhythmus, den sogenannten circadianen Rhythmus, des Menschen beeinflusst.[1],[2] Dabei kann eine zu geringe Lichtdosis am Tag Beeinträchtigungen dieses Rhythmus zur Folge haben, was sich in Schlafstörungen oder in depressiven Verstimmungen äussert. Der Lichtdurchlass der Augenlinse ist im Alter eingeschränkt (Abb. 5), und zudem nimmt der wirksame Pupillendurchmesser bei ansonsten gleichen Beleuchtungsbedingungen ab. Beide Effekte zusammen haben zur Folge, dass bei älteren Menschen deutlich weniger Licht auf die Netzhaut fällt als bei jüngeren, und entsprechend höher ist auch die Wahrscheinlichkeit von Störungen des circadianen Rhythmus (vgl. TEC21 8/2008, S. 26 ff.).

Zielgruppe Demenzkranke

Demenzkranke, die in Heimen leben, bewegen sich wenig im Freien, sind am Tag müde und in der Nacht unruhig.[3],[4] Mit Blick auf die demografische Entwicklung und die mit dem Alter drastisch zunehmende Anfälligkeit für Demenzerkrankungen[5] ist die Untersuchung jener Faktoren von Bedeutung, die Aussicht auf eine Besserung bzw. Erhaltung des Status quo versprechen könnten. Auch wenn der Krankheitsverlauf wahrscheinlich nicht gestoppt werden kann, so besteht doch Hoffnung, ihn abzumildern.

Künstliche Beleuchtung, die den Standards folgt, genügt zwar zum Erfüllen von Sehaufgaben, aber die Lichtstimmung entspricht biologischer Dunkelheit. Überdies verschlechtert sich die Lichtsituation insbesondere in den tageslichtschwachen Jahreszeiten, vor allem, wenn es sich um Heime in engen Bebauungssituationen handelt. Das bedeutet, dass bei diesem Personenkreis die krankheits- und altersbedingte Beeinträchtigung des Tag- Nacht-Rhythmus durch eine ungeeignete und/oder ungenügende Innenraumbeleuchtung potenziert wird. Diese Erkenntnisse über die biologische Wirkung von Licht werden nun eingesetzt, um speziell zu den tageslichtschwachen Jahreszeiten den Wach- und Schlafrhythmus der Bewohner zu stabilisieren. Künstliches Licht mit hohen Farbtemperaturen von 8000 K, was einem bläulichen Weiss entspricht, wird über einen Fotorezeptor im Auge aufgenommen. Es kann die Zeitgeberfunktion des natürlichen Lichts übernehmen und direkt auf die Hormonproduktion im Körper einwirken, um die Ausschüttung von Melatonin zu steuern.

Forschung im Altersheim

Eine erste Versuchsreihe wurde in Österreich bereits im Zeitraum 2006 bis 2009 im Wiener Altersheim St. Katharina durchgeführt. Die Lichtinstallation bewirkt, dass die Aufenthaltsund Gangbereiche am Tag sehr hell erscheinen und zum Abend hin dunkler werden. Grossflächige Leuchten wurden zu einer Lichtdecke zusammengesetzt, in die Lampen mit mehreren Lichtfarben integriert sind. Diese können in Gruppen gleicher Farbtemperatur angesteuert werden. So lässt sich stufenlos sowohl die Helligkeit (Beleuchtungsstärke bis maximal 3000 lx) als auch die Farbtemperatur (zwischen 3000 und 8000 K) verändern. Am Abend werden die Wände mit Strahlern beleuchtet, die Lichtdecke ist ausgeschaltet. Die zweite Versuchsreihe wurde in einem Altersheim der Caritas Socialis in Wien durchgeführt. Auch hier erhellen grossflächige Leuchten die Aufenthalts- und Gangbereiche der Demenzstation. Die Lichtsituation kann gewählt werden, vom statisch gleichen bis zum dynamisch veränderlichen Licht. In einem Fall verändert sich das Licht über den Tag: Es beginnt am Morgen mit wärmeren (leicht gelblichen) Farbtönen zu leuchten, steigert sich dann in helles blauweisses Licht und geht am Nachmittag wieder auf geringere Helligkeit im warmweissen Ton zurück. Beide Beleuchtungsanlagen wurden im Rahmen einer Gebäudesanierung installiert.

Bewertung verschiedener Lichtsituationen

Bei der Untersuchung im Altenheim am Rennweg wurden drei verschiedene Lichtsituationen eingesetzt. Referenz als Baseline war eine warmweisse Beleuchtung (300 lx / 3000 K; zwei Wochen). Darauf folgten in der Zeit von 9 bis 15 Uhr zuerst das Programm L1 mit einer erhöhten Beleuchtungsstärke (800 lx / 8000 K; drei Wochen) und als nächstes das Programm L2 (1200 lx / 8000 K; drei Wochen). Für den Rest des Tages wurde ein warmweisses Licht (800 lx / 3000 K) eingesetzt. Um die Wirkungen auf die Bewohnerinnen und Bewohner zu untersuchen, erstellten Personal und Beobachter Protokolle. Zum Ersten wurde das Pflegepersonal mittels Fragebögen (Nosger-Skala [Depressionsskala] und CMAI [Agitationsskala]) und strukturierten Interviews alle zwei Wochen nach seinem Eindruck befragt. Darüber hinaus protokollierte der Nachtdienst Unterbrechungen des Schlafs der Bewohner im 2-Stunden-Rhythmus. Je zwei Beobachter schätzten anhand eines Kriterienkataloges ein, ob und wie sich das Verhalten der Bewohner veränderte (Aufenthalt im Sozialbereich, Veränderung des Aufenthalts im Sozialbereich, Häufigkeit der Kommunikation mit anderen Bewohnern und Pflegepersonen, Selbstständigkeit beim Essen und Trinken). Die Beobachter schätzten ebenfalls die Bewohnerinnen und Bewohner auf den beiden genannten Skalen im zweiwöchigen Rhythmus ein. Die Aktivitäts- und Schlafmuster der Testpersonen wurden mit «Actiwatches» erfasst.

Die Einschätzungen der Beobachter zeigten Verbesserungen bezüglich Gedächtnisleistung, Emotion und instrumentelles Handeln, insbesondere während L2. In beiden Lichtsituationen schliefen die Bewohner ruhiger, und die Schlafunterbrechungen nahmen ab. Hinsichtlich der Beobachtungsdaten zeigte sich, dass die Bewohner insbesondere in der L2 mehr kommunizierten, vor allem untereinander. Der Bewegungsdrang der eher unruhigen Personen nahm deutlich ab. Die Lichtdecken blieben auch nach der Studie in Betrieb, in der nächsten Projektphase sollen weitere dynamische Abläufe eingespielt werden.

Weniger Medikamente dank mehr Licht?

Die positiven Trends zur Verbesserung der Lebensqualität im Alter geben Hoffnung, durch weitere vertiefende Untersuchungen und Verbesserungen der Lichtsituationen statistisch deutlichere Aussagen treffen zu können. Im Folgeprojekt werden diese Untersuchungen über die kommenden vier Jahre in einem Neubau der Caritas Socialis mit wesentlich mehr Bewohnern durchgeführt. Bereits jetzt gibt es viele Anfragen von Betreibern von Altenheimen bei den beteiligten Projektpartnern.

Mit einer deutlich verbesserten, hellen Beleuchtung – wie hier mit gesteuerten Lichtdecken – können Beleuchtungsmissstände behoben werden. Im Vergleich zu Standardbeleuchtungen wirken die Räume viel freundlicher und einladender. Sowohl Bewohner als auch ihre Besucher und das Pflegepersonal reagieren positiv. Eine solche Beleuchtungsanlage kostet zwar mindestens das Fünffache einer Standardbeleuchtung – umgerechnet knapp einen Euro pro Tag und Bewohner. Das ist aber deutlich weniger als die Medikamente, die ansonsten für einen besseren Schlaf eingesetzt würden.

AutorInnen
Peter Dehoff, Zumtobel Lighting GmbH, Schweizer Str. 30, A-6851 Dornbirn
Charlotte A. Sust, ABoVe GmbH, Dresdener Str. 11, D-35435 Wettenberg
Dieter Lorenz, FH Giessen-Friedberg, Wiesenstr. 14, D-35390 Giessen
Peter Hein, Kompetenzzentrum Licht (neu): Dr. Anton Schneider Str. 2 T6, A-6850 Dornbirn
Robert Oberndorfer, Caritas Socialis, Oberzellergasse 1, A-1030 Wien
Anmerkungen
[1] Brainard, G.C.; Hanifin, J.P.; Greeson, J.M.; Byrne, B.; Glickman, G.; Gerner, E., & Rollag, M.D.: Action spectrum for melatonin regulation in humans: evidence for a novel circadian photoreceptor. Journal of Neuroscience, 21, 16, 6405–6412, 2001
[2] Ehrenstein, W.: Auge, Chronohygiene und Beleuchtung. Licht und Gesundheit. Berlin 6./7. 3. 2008
[3] Förstl, H., & Schweiger, H.-D.: Demenz. Grundlagen, Diagnostik. Formen. Schriftenreihe der Bayerischen Landesapothekerkammer, H. 74. GOVI Pharmazeutischer Verlag, Eschborn, 2007
[4] Kastner, U., & Löbach, R.: Handbuch Demenz. Urban & Fischer, München und Jena, 2008
[5] Bickel, H.: «Epidemiologie und Gesundheitsökonomie» in: Wallesch, C.-W., & Förstl, H. (Hrsg.): Demenzen. Gustav Thieme, Stuttgart, 2005
[6] Verbesserte Lebensqualität für Demente: das Forschungsprojekt St. Katharina in Wien, Tagungsband Licht 2008, Ilmenau
[7] Van de Kraats, J.; van Norren, D.: Optical density of the aging human ocular media in the visible and the UV, J. Opt. Soc. Am. A, V24 N7 (Juli 2007) S. 1842–1857

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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